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Neues Buch: MoralkEulen in die Ethik tragen (2014)

 

Da ich mein neues Buch MoralkEulen in die Ethik tragen. Studien über den Hang der Ethik zur Moral (364 Seiten, 18 EURO, tredition, Hamburg 2014) bereits anderswo vorgestellt habe, nämlich auf der Seite des Verlags:

https://tredition.de/publish-books/?books/ID39239/MoralkEulen-in-die-Ethik-tragen

auf meinem deutschsprachigen Blog:

http://philosophieblog.de/philohof/moralkeulen-gefaellig

und meinem englischsprachigen Blog:

http://philohof.wordpress.com/2014/06/15/new-book-out-now-carrying-moral-clubs-into-ethics/

kann ich mich hier einigen Fragen zuwenden, über die ich im Anschluss an die Arbeit an dem Buch noch gerne ein paar Worte sagen möchte.

moralkEule

1. Das gespannte Verhältnis zwischen Ethik und Moral

Begonnen hat mein Gedankenweg, der mich bis zu diesem Buch geführt hat, mit der Lektüre von Fernando Savater. Von Savater lernte ich, dass es in der Ethik eigentlich ums gute Leben gehen könnte. Diesen Gedanken fand ich vernünftig. Das Problem mit ihm ist jedoch, dass die meisten Menschen ihn nicht verstehen können, weil sie sich nicht das Herz und den Mut nehmen, ihn zu denken.

Deshalb erlebe ich mit ihnen regelmäßig Folgendes: Zunächst mal sagen sie ja, sie stimmten der Idee zu; schließlich beginne auch die Nikomachische Ethik von Aristoteles mit der Frage nach dem guten Leben. Dann aber zeigen sie sich als unfähig, Fragen der Lebensgestaltung auch tatsächlich als ethische Fragen anzuerkennen und fragen in einem fort, was ethische Fragen (also solche der Lebensgestaltung) zur Lösung von moralischen Problemen beitragen könnten.

Mit einem Wort, sie gleichen Leuten, die von Wien nach Linz (oder sonst wohin) fahren wollen, ohne dabei Wien zu verlassen.

Dieses Problem erscheint mir so zentral, dass ich mich entschlossen habe, es in diesem Text hier mal explizit zu thematisieren:

Wenn jemand nicht in der Lage ist anzuerkennen, dass die Frage, welchen Beruf ein bestimmter Mensch wählen soll, eine ethische Frage ist, dann zeigt das recht deutlich, dass er (oder sie) eben in Wirklichkeit nicht glaubt, dass die Frage nach dem guten Leben zur Ethik gehört.

Und wer bei ethischen Fragen, wie z.B. welche Bücher ich lesen soll oder wo ich meinen Urlaub verbringen will, immerfort fragt, was sie zur Lösung moralischer Dilemmata beitragen oder wie sie zu einer gerechteren Gesellschaft führen, der hat ebenfalls im Grunde nicht verstanden, was Ethik ist.

Denn bei Fragen der Lebensgestaltung geht es eben zuallererst einmal – oh Wunder! – darum, dass ein einzelnes Menschenleben gestaltet wird. Und eben nicht die gesamte Gesellschaft, oder gar die ganze Welt, verbessert wird!

Ich gebe zu, dass der Einzelmensch ein besseres Leben führen kann, wenn er mit seiner mitmenschlichen Umwelt in Harmonie leben kann. Es gibt also auch so etwas ein ethisches Interesse an einer gerechten und moralischen Gesellschaft. Aber der Punkt ist doch: Wenn seine mitmenschliche Umwelt ihm diese Harmonie nicht bietet, muss er sein Leben auch irgendwie gestalten. Und hier ist es, wo Ethik anfängt.

Soviel um zu sagen, dass mir wohlbewusst ist, dass die meisten Menschen das, was ich – mit Recht, wie ich glaube – unter Ethik verstehe, nicht einmal auffassen können. Wenn ich also beispielsweise sage, die Aufgabe, einen freien Tag zu gestalten, sei eine ethische Aufgabe und ihnen dazu nur einfällt, dass man an diesem Tag einer Wohltätigkeitsorganisation etwas spenden oder eine andere gute Tat vollbringen könnte, dann zeigt das, dass sie in ihrem Verständnis von Ethik offenbar einen ganz dezidierten Schwerpunkt haben, von dem sie nicht abrücken wollen. Solange sie aber den Schwerpunkt nicht verlagern – nämlich vom moralisch Guten hin zur Frage der Lebensgestaltung –, wie könnten sie da verstehen, was Ethik eigentlich ist?

Eine solche Verlagerung des Schwerpunkts würde aber von den Menschen verlangen, dass sie aufhören zu glauben, was sie bisher geglaubt haben und sich neue Überzeugungen zueigen machen. Oder zumindest: dass sie in Erwägung ziehen, dass sie das Thema der Ethik bisher falsch aufgefasst haben und dass es anders vielleicht besser ginge. Aber dazu müssten sie sich geistig bewegen, also einen Ort verlassen, um an einem anderen anzukommen.

Doch anstatt das zu tun, versuchen die Menschen, wenn ich die Ethik als Frage nach dem guten Leben ins Spiel bringe, immer wieder, ihren bisherigen Standpunkt (der einer der Moral ist) auszuweiten und in ihn das gute Leben auch noch miteinzubeziehen. Aber das geht eben nicht.

Viele Menschen werden das nicht glauben können, aber ich denke überhaupt, dass ethische Fragen mit moralischen relativ wenig zu tun haben. Ob ich jetzt eine Runde mit dem Rad fahren soll, ist eine ethische Frage, aber moralisch ist sie ziemlich indifferent, weil ich mit meiner Radtour ja niemandem Schaden zufüge, sondern ich gestalte mit ihr bloß mein Leben.

2. Was man aus der Philosophie über Ethik lernen kann

Da es sich bei MoralkEulen in die Ethik tragen um ein philosophisches Buch handelt, stellt sich auch die Frage, ob und inwiefern uns die Philosophie bei ethischen Fragen helfen kann. Nun, ich glaube eigentlich nicht, dass uns die Philosophie bei der Beantwortung von ethischen Fragen hilft. Eher behindert sie uns dabei. Und das kommt daher, dass die Philosophie heute Wissenschaft und ein akademisches Fach sein will. Als solches fühlt sie sich verpflichtet, konstruktiv zu arbeiten, Ergebnisse zu präsentieren und den „sicheren Gang der Wissenschaft zu gehen“. Indem sie das tut, schichtet sie allerdings eine große Menge an Inhalten auf, denen der einzelne Mensch am Schluss gegenübersteht. Wenn unser Einzelmensch nun den Wunsch hat, aus diesen philosophischen Inhalten etwas zu lernen, dann steht er vor der Aufgabe, sie zu sichten und zu ordnen und jene, die er für einsichtig hält zu trennen von jenen, die ihm falsch erscheinen.

Wenn ich die Geschichte umgekehrt erzähle, dann ist sie kürzer: Es gibt die Sage, dass das Wesen der Philosophie darin bestünde, dass die ersten Philosophen sich aus der Gesellschaft zurückgezogen haben, um über die Meinungen, Sitten und Traditionen ihrer Mitmenschen nachzudenken und herauszufinden, welche von ihnen sie selbst für richtig hielten. Das bedeutet, der ursprüngliche Impuls der Philosophie war ein kritischer, ein negativer, ein sittenzerhäckselnder und traditionenzerschreddernder. Heute aber will Philosophie unbedingt positiv sein und Ergebnisse vorzeigen können, daher produziert sie selbst Tradition. Das Ergebnis ist, dass man heute als Philosophierender noch mehr Arbeit hat! Zusätzlich zu dem, was die Gesellschaft über bestimmte Themen meint, muss man sich auch noch mit dem auseinandersetzen, was die Fachphilosophen dazu meinen, und es loswerden, damit man den Raum freibekommt, um sich selbst seine eigene Meinung zu bilden.

In diesem Sinne zeigt mein Buch nicht, was man aus der Philosophie über Ethik lernen kann, sondern es sucht nach Argumenten, mit denen man sich von den Theorien der akademischen Moralphilosophie befreien kann, um sich selbst seine eigene Meinung bilden zu können. Es ist also ganz im Sinne des Fackel-Mottos von Karl Kraus weniger ein „Was wir bringen!“ als ein „Was wir umbringen!“

3. Überall, wo ich ankomme, sind die Themen falsch bestimmt!

Die Arbeit an diesem Buch hat mich von Neuem davon überzeugt, dass ich kein akademischer Philosoph mehr werde. Ich weiß nicht, ob Sie diese Erfahrung kennen: Wo immer ich mit meinen Fragen und meinem Nachdenken ankomme, stelle ich fest, dass die Themen, die mir wichtig sind, völlig falsch bestimmt sind, sodass ich nichts mit ihnen anfangen kann. Ethik etwa wird gegenwärtig von den Philosophen als „Reflexionstheorie der Moral“ bestimmt. Das bedeutet, wenn man über moralische Fragen diskutiert oder philosophisch über sie nachdenkt, dann ist das Ethik. Diese Bestimmung lässt die Frage nach dem guten Leben – die mich interessiert – nicht einmal zu.

Es ist nun aber im akademischen Bereich nicht einfach so, dass man sich selbst sein Thema so definieren kann, wie man es will, sondern das Thema wurde definiert von der Tradition, und es wird gegenwärtig definiert von den so genannten Peers, also von den wichtigen Philosophen, die gegenwärtig im Fach das Sagen haben. Wenn Sie innerhalb der herrschenden Themendefinition Ihr Interesse nicht finden können oder wenn Sie sich schwer damit tun, auf Ihr spezifisches thematisches Interesse zu verzichten, dann eignen Sie sich nicht für die akademische Philosophie.

Mir geht’s überall so: Mir geht’s bei der Frage der Ethik so, aber auch bei jener der Kultur, beim Thema der Wissenschaft, beim Problem des Wissens oder bei der Frage nach der Gesellschaft. Alle diese Themen sind im Fach Philosophie so geordnet, dass ich in den existierenden Kategorien gar nicht wüsste, wo ich meinen Diskussionsbeitrag unterbringen könnte. Das ist kein Scherz, ich habe z.B. bei www.philpapers.org keine Kategorie gefunden, in die mein Buch MoralkEulen in die Ethik tragen passen würde. In die Kategorie „normative ethics“ passt sie nicht.

Zusammenfassend: Wenn ich mir die heutige Philosophie, so wie sie nach Subdisziplinen und Forschungsfeldern geordnet ist, ansehe, dann scheint mir allein diese Ordnung (die „Ordnung der Dinge“, frei nach Foucault) keine andere Meinung zu verschiedenen philosophischen Fragen zuzulassen. Die herrschende Gliederung des Fachs beinhaltet alle akzeptierten Antwortmöglichkeiten auf gegenwärtige akzeptierte Fragestellungen – und wenn Einer die ganze Sache anders anpacken will, dann lässt sie das schlicht nicht zu.

4. Die zweite Hälfte des Buchs fehlt eigentlich noch

Ich habe im Vorigen bereits angedeutet, dass MoralkEulen in die Ethik tragen weniger ein Buch über Ethik ist als ein Buch gegen alle jene Meinungen und Doktrinen, die man loswerden müsste, um über Ethik überhaupt einmal nachdenken zu können. Das bedeutet, es ist das ein Buch, das sich wehrt und mit dem Sich-Wehren gar nicht fertig wird, so dass es am Ende gar nicht dazu kommt darzustellen, wie man es besser machen könnte. Es verbraucht sich dabei zu zeigen, wie man Ethik nicht betreiben sollte und kommt nicht soweit zu zeigen, wie man sie betreiben sollte.

Das ist zweifellos eine Limitation meines Buchs, und ich hätte sicherlich auch Lust, irgendwann einmal diese zweite Hälfte meines Buchs zu schreiben, in dem ich darüber abhandle, wie ich mir vorstelle, dass Ethik als Lebensgestaltung praktizierbar wäre.

Nur vor Einem muss ich dabei jetzt schon warnen: Wenn ich dieses Buch einmal schreibe, dann wird niemand erkennen können, dass es sich dabei um ein philosophisches Buch handelt. Denn die Namen bekannter Philosophen werden darin fast ganz fehlen. Schließlich haben die Philosophen aus der Geschichte der Philosophie kaum was zu dem Thema zu sagen. (Das heißt, es gibt schon was, aber man muss es mit der Lupe suchen!) Was aber schwerer wiegt, ist, dass die Frage nach der Lebensgestaltung ein aus der Philosophie exiliertes Thema ist. Man hat es aus der Philosophie hinausgeschmissen und muss es heute im Buchgeschäft im Regal mit den Ratgeberbüchern suchen.

Deshalb wäre es spannend, was für eine Literaturliste zusammenkäme, wenn ich tatsächlich ein Buch über Ethik schreiben würde, in dem die Frage nach dem guten Leben und jene nach der Lebensgestaltung die Rolle spielen, die ihnen zukommt: Wahrscheinlich würde ich in einem solchen Buch nicht nur kaum einen anerkannten Philosophen oder eine anerkannte Philosophin zitieren, sondern ich würde überhaupt nur solche Personen zitieren, die von akademischen Philosophen nicht einmal für vernünftig gehalten werden. Ich würde aus Büchern zitieren, die akademische Philosophen nicht einmal mit Handschuhen und einer Kneifzange anfassen würden.

Mit all dem will ich sagen: Vielleicht ist ja bloß meine akademische Verbildung daran schuld, dass ich mich mit Inhalten aus der Philosophiegeschichte und aus der gegenwärtigen akademischen Philosophie beschäftige, um ein Buch über Ethik zu schreiben. Der Nachteil ist: Zur Ethik komme ich gar nicht, weil ich nur mit der Kritik der Moral beschäftigt bin. Der Vorteil ist: Das Publikum erkennt zumindest, warum es sich um ein philosophisches Buch handelt (nämlich weil bekannte Philosophen darin zitiert werden). Diese Problemaspekte weisen auf die Schwierigkeiten hin, vor die man sich heute als Philosophierender gestellt sieht. Wenn man eigenständig denkt (d.h. wenn man philosophiert), dann gehört man nirgendwohin. Vor allem erkennen die Leute ja nicht, dass man philosophiert, wenn man philosophiert, weil sie bei Philosophie erwarten, dass man ihnen aus der Philosophie (aus dem Fach oder aus der Philosophiegeschichte) erzählt. Nun, das tue ich ja auch in meinem Buch. Aber die Erwartung, dass Philosophie (das Fach) etwas zur Ethik beitragen könnte, kann ich dabei nicht erfüllen. Anstatt dessen sieht man mich darin 360 Seiten lang Philosophieschutt zur Seite räumen, um den Weg für die eigenen Gedanken freizumachen, für meine eigenen und hoffentlich auch jene der Leserin und des Lesers.

In diesem Buch ist vieles davon versammelt, was auf den Kopf drückt, und ich hoffe, dass nicht nur ich es als Erleichterung empfinde, wenn wir das Eine oder Andere davon loswerden.


20. Juni 2014


© helmut hofbauer 2014