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Dissertation: Bezugspunkt Gesellschaft

Warum Philosophie keinen gesellschaftlichen Nutzen hat

 

Ich vertrete ja immer wieder die Ansicht, dass Philosophie keinen gesellschaftlichen Nutzen hat. Nun gilt es heute als schlecht, wenn etwas keinen gesellschaftlichen Nutzen hat. Es sinkt dadurch im Wert und zwar sowohl in der öffentlichen Wertschätzung wie auch in den Augen der Einzelmenschen. Ich glaube, das müsste nicht sein, wenn man sich etwas genauer überlegen würde, was „gesellschaftlicher Nutzen“ denn überhaupt ist. Der Artikel „Stress, Kündigungen, Überlastungen“ von Konstantin Korotov, den ich am 26. Mai 2010 auf www.manager-magazin.de gefunden habe kann mir behilflich sein, den Inhalt des Begriffs „gesellschaftlicher Nutzen“ ein bisschen besser zu erklären.

Angenommen der Nutzen von Philosophie besteht darin, dass Menschen, die philosophieren, sich besser fühlen, dass es ihnen also besser geht (was ich wirklich glaube), dann beinhaltet das keinen gesellschaftlichen Nutzen – und zwar selbst dann, wenn es vielen oder allen Menschen durch die Hilfe von Philosophie besser gehen würde, behauptete ich. Warum ist das so? Das ist deshalb so, weil man die Gesellschaft in den Menschen ja nicht hineinsehen kann, um zu erkennen, ob es ihm besser geht. Damit etwas gesellschaftlichen Nutzen haben kann, muss es erst in Gestalt von Handlungen oder Folgen von Handlungen aus den Menschen herauskommen und dadurch für die Gesellschaft sichtbar werden.

Dieses Prinzip, dass das Wohlbefinden des Menschen für die Gesellschaft praktisch nicht existiert, weil es für sie unsichtbar ist, hat dramatische Folgen. Z.B. behandeln wir Menschen – was etwas Paradoxes an sich hat – kaum etwas so schlecht wie Menschen (andere Menschen oder uns selber). Konstantin Korotov fasst das in seinem Artikel in der hübschen Formel zusammen, dass für uns Menschen Menschen weniger Wert haben als historische Milchkännchen.

„Kürzlich hat Jeffrey Pfeffer, Professor der Business School in Stanford, darauf hingewiesen, dass wir in puncto Schutz und Konservierung zwar auf Natur und kulturelle Artefakte achten, uns letztlich aber mehr um Eisbären und historische Milchkännchen sorgen als um die Menschen, die sich in ihrer Umwelt bewegen.“

 

Kleiner Exkurs

Hier ist ein kleiner Exkurs angebracht, weil die Unmöglichkeit für die Gesellschaft, in den Menschen hineinzuschauen und sein Wohl- oder Unwohlbefinden direkt wahrzunehmen, sicherlich ein wichtiger Grund, warum wir Menschen so schlecht behandeln. Es gibt aber noch einen zweiten Grund dafür, welcher ebenfalls in den paradoxen Folgen gesellschaftlicher Organisation liegt. Und zwar handelt es sich um folgenden: Wir sind alle Menschen – es ist daher nicht zu sehen, welcher Teil der Menschheit oder der Gesellschaft sich stark machen könnte, um die Rechte und Bedürfnisse des Menschen zu verteidigen. Wenn es sich bei der betroffenen Gruppe um irgendeinen Teil der Gesellschaft handeln würde – die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Frauen, werdende Mütter, Homosexuelle, Sozialisten, Grüne, Heimatverbundene etc. – wäre es möglich, dass sich eine Gruppierung bildet, die als Partei oder ähnlich einer Partei die Interessen des jeweiligen Gesellschaftsteils vertritt und sie gegenüber den Interessen des Gesellschaftsganzen verteidigt. Daraus folgt, dass sich für einen jeden Teil der Gesellschaft eine Vertretung finden kann, die ihre Rechte gegenüber dem Gesellschaftsganzen verteidigt, nur der Mensch fällt aus dieser Logik heraus, weil wir ja alle Menschen sind, und der Mensch daher unfähig ist, ein Teil der Gesellschaft zu sein. (Die Formulierung, dass der Mensch unfähig ist, ein Teil der Gesellschaft zu sein, ist im Grunde amüsant, weil wir doch alle Menschen für Mitglieder, also Teile der Gesellschaft halten. Wenn man sich die Sache genauer überlegt stimmt es jedoch: Alle Parteien und Interessensvertretungen in unserer Gesellschaft versammeln jeweils eine Anzahl von Menschen, die ein oder mehrere Merkmale teilen, wobei diese Merkmale sie vom Rest der Gesellschaft unterscheiden (z.B. die Frauen, die ArbeiterInnen, die RaucherInnen…). Beim Menschen fehlt ein solches gemeinsames Merkmal, das ihn einer Gruppe zuordnen könnte, die ihn gegenüber den Ansprüchen der übrigen Gesellschaft in Schutz nimmt.) Aus diesem Grund fällt gerade der Mensch, obwohl (und weil!) wir doch alle Menschen sind, aus der Gesellschaft heraus: Niemand kümmert sich um ihn. Es kümmert sich deswegen niemand um ihn, weil er keiner einzelnen Gruppe innerhalb der Gesellschaft zugehört, die sich speziell für ihn zuständig fühlen würde und ihn vor Übergriffen von anderen gesellschaftlichen Gruppen verteidigen wollte. Das habe ich herausgearbeitet; doch scheint sich außerdem auch noch deshalb niemand in der Gesellschaft zu kümmern, weil man offenbar meint, für den Menschen werde ohnehin gesorgt und zwar dadurch, dass das „gesellschaftlich Nützliche“ mit dem, was für die Menschen gut ist, übereinstimme. Doch das ist ein Denkfehler: Es kann etwas, wie ich behauptet habe, für viele oder sogar alle Menschen gut sein und dennoch keinen gesellschaftlichen Nutzen haben. Umgekehrt kann etwas gesellschaftlichen Nutzen haben und für viele Menschen schlecht sein, was im Grunde das Thema von Konstantin Korotovs Artikel aus der Wirtschaftswoche ist, denn er schreibt darüber, dass in der Arbeitswelt „Stress, Kündigungen und Arbeitsüberlastungen mehr und mehr Menschen [zu]setzen“.

Exkursende

 

Selbstmorde bei France Telecom

Gut. Nun habe ich gesagt, dass es von keinerlei gesellschaftlichem Nutzen sei, wenn es vielen oder sogar allen Menschen besser gehe. Denn die Gesellschaft kann nicht in die Menschen hineinschauen. Damit also etwas als gesellschaftlicher Nutzen Gestalt annehmen kann, muss es zuerst herauskommen aus den Menschen in der Form von Handlungen. Nun stellt sich die Frage: Zählen hier alle Handlungen oder nur bestimmte? Und die Antwort wird sein, dass nur bestimmte Handlungen in Bezug auf gesellschaftlichen Nutzen zählen. Denn was würde man z.B. sagen, wenn ein Mensch, weil es ihm schlecht geht, grantig ist oder unhöflich? Man würde – insbesondere im Berufsleben – sagen: „Er hatte keine gute Kinderstube!“ oder auch: „Er ist nicht professionell!“ Wir sehen also, dass wir im Berufsleben und im gewöhnlichen bürgerlichen Zusammenleben rücksichtslos Freundlichkeit von unseren Mitmenschen fordern, obwohl es ihnen nicht gut geht. Das bedeutet, die Tatsache, dass es ihnen nicht gut geht, darf sich also nicht zeigen, sie kann also gar nicht sichtbar werden überindividuellen Bereich des Gesellschaftlichen. Etwas anders verhält es sich dann schon, wenn die Menschen drastischere Handlungen setzen und sie z.B. Selbstmord begehen. Selbstmord stellt tatsächlich eine Gefährdung des gesellschaftlichen Nutzens dar; aber nicht deswegen, weil nun ein oder mehrere Individuen fehlen – diese sind leicht ersetzbar – sondern weil sie den Ruf der Arbeit gebenden Organisation schädigen. Und das ist der Grund, warum das folgende Zitat von Konstantin Korotov auf die Selbstmorde bei France Telecom zusteuert. Dass es den Menschen schlecht geht, ist nämlich wirklich kein Problem für die Gesellschaft und deshalb kann man, wenn man es thematisiert, damit auch keinen müden Hund hinterm Ofen hervorlocken. Aber wenn die Menschen anfangen sich umzubringen, dann ist Feuer am Dach. Kurz, wir können aus dem folgenden Textzitat sehr gut ersehen, dass es nicht um das Wohl- oder Schlechtergehen der Menschen geht unabhängig von den Folgen, die dieses Wohl- oder Schlechtergehen der Menschen nach sich zieht. Umgekehrt strebt man ja auch nicht das psychische Wohlergehen der Menschen an, damit es ihnen gut geht, sondern – man vergleiche das von mir Behauptete nur mit der Argumentationsstrategie im Zitat – damit sich nicht umbringen.

„Auch Unternehmen, die sich als sozialverantwortliche Organisationen definieren, beschäftigen sich kaum mit der Frage, wie sich ihre Managementpraktiken auf das psychische und physische Wohlergehen ihrer Mitarbeiter auswirken. Mangelnde Gesundheitsversorgung, Kündigungen, Arbeitsüberlastung, Stress, zunehmend fehlende Zeit für die Familie, all das sind Negativfaktoren, die ihren Tribut fordern und deshalb ernst genommen werden sollten, ehe es irgendwo wie bei France Telekom zu arbeitsbedingten Selbstmorden kommt.“

 


Das Problem des Kindermangels und der Überalterung in den europäischen Staaten

Das folgende Argument von Korotov gehorcht demselben Schema: Nicht dass es den Menschen besser geht, ist gesellschaftlicher Nutzen, sondern nur die Folgen ihrer Handlungen, wenn es ihnen besser geht, können gesellschaftlichen Nutzen erzeugen. Z.B. meint Korotov, wenn es den Menschen in der Arbeit besser ginge, dann würden sie wieder mehr Kinder bekommen, weil sie jetzt aufgrund von Stress und Arbeitsplatzangst weniger Kinder bekommen.

"Allerdings geht es hier nicht nur um individuelle Fälle, sondern um einen Problemkomplex, der über das Einzelunternehmen hinaus die Gesellschaft betrifft. Das fängt bei der Frage der Kinderzahl einer Familie an. Wenn die Entscheidung, ob man sich Kinder leisten kann und wenn ja wie viele, von den Aufstiegsmöglichkeiten oder -grenzen eines Elternteils abhängt, dann verzahnen sich an dem Punkt Organisation, individuelle, familiäre und gesellschaftliche Erwartung. Natürlich wird dieses Problem dadurch weiter verstärkt, dass die Wiederaufnahme des Berufs nach der Schwangerschaft immer noch schwierig ist."

Die Gesellschaft will also unsere Kinder – sie will nicht, dass es uns besser geht? Nein, so kann man das auch nicht sagen. Die Gesellschaft ist nicht bewusst böswillig, sie ist vielmehr für viele Phänomene einfach blind, für alle jene nämlich, die sich in den Menschen abspielen und nicht zwischen den Menschen. Zweifellos gibt es viele Menschen, die das Ziel haben, etwas zu verändern, damit es den Menschen besser geht, und zu diesen zähle ich – warum auch nicht – jetzt mal Konstantin Korotov. Was ich bloß mit diesem Text hier zeigen möchte, ist: Was passiert, wenn man sich mit dem Ziel, dass es den Menschen besser gehen soll, an die Gesellschaft wendet und sie von diesem Ziel zu überzeugen sucht? Reicht es dann, wenn man sagt: „Wenn man das und das täte, würde es den Menschen besser gehen!“ – und die Gesellschaft sagt: „Gut. Das sehe ich ein!“ – und verwirklicht diese Vorschläge? Nein, so funktioniert es gerade nicht. Wie funktioniert es wirklich? Gerade das, glaube ich, lässt sich an Konstantin Korotovs Artikel sehr gut zeigen: Er meint, den Menschen solle es besser gehen, aber er sagt, Ziel sei es, dass sie nicht mehr so oft Selbstmord begehen, dass sie mehr Kinder bekämen etc. Das bedeutet – und das machen die meisten Menschen, die im Bereich der Öffentlichkeit argumentieren, ja unbewusst – er muss die Bedürfnisse und Wünsche des Menschen in der Argumentation umwandeln in etwas, was die Gesellschaft sehen und begreifen kann. Selbstmorde und Kinder kann sie sehen und begreifen, Depressionen und Arbeitsplatzängste kann sie nicht sehen und begreifen. Daher zählen Depressionen und Arbeitsplatzängste für die Gesellschaft auch nur insofern, als sie als Ursachen für Selbstmorde und fürs Kinderkriegen in Betracht kommen.

 

Demotivierte Jugend

Gehen wir weiter. Es funktioniert ja im Grunde alles nach demselben Schema:

„Schauen wir uns also Eltern mit Kindern an. In dieser Beziehung nehmen Eltern die Rolle des Vorbilds ein. Ob sie es wollen oder nicht, wird diese Rolle auch von ihrem beruflichen Alltag geprägt. Und das, was Kinder aus dem Verhalten ihrer Eltern ablesen, wird für sie maßgeblich, wenn sie sich selbst mit Beruf und Karriere auseinander zu setzen beginnen und überlegen, wie viel sie bereit sind, in diese Vorbereitung zu investieren. Sollten Kinder zu der Einsicht kommen, dass die Investition in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht, wird das gleichermaßen gesellschaftliche Konsequenzen haben.“

Wo liegen hier die „gesellschaftlichen Konsequenzen“, also der gesellschaftliche Nutzen oder die Gefährdung des gesellschaftlichen Nutzens durch gestresste und vom Job gequälte Eltern? Liegen sie darin, dass es den Eltern schlecht geht, weil sie keine Zeit für die Kinder haben und in der Zeit, die sie für ihre Kinder haben, vom Job müde sind? – Nein! Liegt es darin, dass es den Kindern schlecht geht, weil ihre Eltern keine Zeit für sie haben und in der Zeit, die sie für sie haben, häufig am Handy Job-relevante Gespräche führen? Nein, auch nicht! Sowohl ob es den Eltern schlecht geht, oder den Kindern schlecht geht, ist also aus der Perspektive des gesellschaftlichen Nutzens gleichgültig. Aber: Dass es den Kindern schlecht geht und dass sie sehen, wie es den Eltern schlecht geht, könnte zur Folge haben (wird es das?), dass die Kinder weniger Motivation haben, in den Berufsprozess einzusteigen und in die Vorbereitung dafür ihre Energie zu investieren. Als Folge sinkt das Bildungsniveau und dem Arbeitsplatz stehen weniger gut ausgebildete, hoch motivierte Arbeitswillige zur Verfügung. Und das wiederum kann zur Folge haben, dass unsere Volkswirtschaft gegenüber anderen Ländern oder die europäische Volkswirtschaft gegenüber Konkurrenten aus Amerika oder Asien ins Hintertreffen gerät. Das ist etwas, das die Gesellschaft sehen kann. Ob es den Eltern gut geht, sieht sie nicht. Ob es den Kindern gut geht, sieht sie nicht. Der Wunsch, dass es den Kindern in Zukunft einmal besser gehen möge, ist aus der Perspektive gesellschaftlichen Nutzens gegenstandslos.

Wenn man so beobachtet, wie politische Kommentatoren in ihren Argumentationen ihre eigentlichen Anliegen immer in eine fremde Gestalt bringen müssen, um sie der Gesellschaft unterschieben zu können, sie ihr immer in einer täuschenden Verpackung verkaufen müssen, damit die Gesellschaft sie annimmt, fragt man sich bisweilen, ob sie dessen nicht müde werden. Warum sagen sie eigentlich nicht bisweilen: „Verdammt noch mal, die Gesellschaft besteht doch auch aus Menschen, warum versteht die Gesellschaft es also nicht, wenn man ihr sagt: „Diese und jene Maßnahme würde dazu beitragen, dass es vielen Menschen besser geht!“? Es kann doch nicht sein, dass man, wenn man die Gesellschaft von etwas überzeugen will, immer einen Nebenaspekt zur Hauptsache machen muss, noch dazu wo die Gesellschaft doch eigentlich Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen haben müsste, weil sie doch aus Menschen besteht!“ Doch nein, die Gesellschaft hat kein Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen – und das Interessante oder Faszinierende ist: unbewusst oder implizit haben wir diese Einsicht ja alle schon akzeptiert (was sich ja auch an der Argumentationsweise von Konstantin Korotov zeigt; auch er weiß, dass es darauf, wie es Menschen geht, letztlich nicht ankommt – sie sind weniger wert als Milchkännchen), nur wenn man uns offen darauf ansprechen würde, würden wir bestürzt sein und dem heftig fuchtelnd widersprechen. Aber ich frage mich: Warum eigentlich? Ist nicht alles ausreichend offensichtlich? Sehen wir uns die Argumentation von Konstantin Korotov an: Stress der Eltern im Beruf führt zu Leiden in der Familie. Steuert er seine Argumentation auf dieses Leiden als Hauptargument zu? Nein, er tut das nicht. Wo steuert er anstatt dessen hin:

„Das, was in Europa mitunter schon an der Tagesordnung ist, nämlich dass Elternteile wöchentlich zwischen Arbeitsplatz und Familie pendeln, Mütter oder Väter alleinerziehend oder entfremdet sind und gebrochene Familienleben führen, wird Kinder kaum verlocken, es ihren Eltern nachzutun.“

Er steuert darauf hin, dass die Kinder nicht motiviert sein werden, „es ihren Eltern nachzutun“. Wie es den Kindern ginge, wenn sie es ihren Eltern nachtäten, wäre egal, Hauptsache sie tun es ihren Eltern nach. Tun sie es ihren Eltern aber nicht nach, weil sie den Eindruck gewinnen, das zahle sich nicht aus, dann ist das eine Gefährdung des gesellschaftlichen Nutzens.

 

Von der Notwendigkeit, „uns mit dem Erhalt der Menschen in Organisationen [zu] befassen"

Mehr Beispiele für gesellschaftlichen Nutzen bringt Konstantin Korotov in seinem Artikel nicht und auch mir erscheint mit den drei vorgebrachten Beispielen das Thema der Kluft zwischen dem Wohlergehen vieler und selbst aller Menschen und dem Begriff des „gesellschaftlichen Nutzens“ ausreichend illustriert.

Interessant ist nun noch, dass Korotov am Ende seiner Argumentation zu dem Schluss kommt, wir „sollten uns mit der Frage nach dem Erhalt der Menschen in Organisationen befassen“! Wie? – Tragen denn nicht ohnehin alle Organisationen ausschließlich nur dazu bei, dass es allen Menschen besser geht? Interessant ist auch, dass er nicht schreibt, mit der Frage nach dem Wohlergehen der Menschen in Organisationen sollten wir uns beschäftigen, sondern mit ihrem „Erhalt“, das klingt ein bisschen so, als würden Menschen in Organisationen eingehen wie länger nicht gegossene Topfplanzen:

„Anders als Eisbären, die die Umweltzerstörung der Menschen ertragen müssen, können und sollten wir uns mit der Frage nach dem Erhalt der Menschen in Organisationen befassen.
Das [sic!] sich die vorgenannten Probleme zukünftig verringern, ist kaum anzunehmen, und die Lösung der Selbstmörder von France Telekom nicht jedermanns Sache. Aber auch weniger dramatische Reaktionen auf berufliches Leiden sind in der Regel unproduktiv, womit wir wieder bei den negativen Auswirkungen auf Individuum, Familie, Unternehmen und Gesellschaft wären.“


Hat Philosophie nicht dennoch gesellschaftlichen Nutzen?

Das Prinzip haben wir, glaube ich geschnallt: Ob es den Menschen gut oder schlecht geht, ist aus der Sicht des gesellschaftlichen Nutzens irrelevant, aber dass ihr Unwohlsein eventuell Auswirkungen auf ihre Arbeitsproduktivität haben könnte, ist sehr wohl relevant. Daraus ergibt sich folgende für uns wichtige Frage: Wenn die Philosophie dazu beitragen kann, dass es vielen Menschen besser geht und das wiederum zur Folge hätte, dass diese Menschen produktiver arbeiten, könnte man dann nicht sagen, dass Philosophie jetzt also letztlich doch gesellschaftlichen Nutzen hat?

Antwort: Im Prinzip ja, nur muss man dazusagen, dass es das Ziel der Philosophie ja nie gewesen ist, die Produktivität zu steigern, sondern ihr Ziel war, dass es denn Menschen besser geht. Aus dem Grund muss man wohl darauf bestehen, dass Philosophie – selbst wenn sie indirekt gesellschaftlichen Nutzen haben kann – keinen gesellschaftlichen Nutzen hat!

17. Juni 2010

 

© helmut hofbauer 2010