Weibliche
Triebe unter Bedingungen ökologischer Entlastung in
beschleunigtem Leerlauf
Rezension
von Wednesday Martin:
Die
Primaten von der Park Avenue. Mütter auf High Heels
und was ich von ihnen lernte.
Piper
Verlag, München 2016. Lizenzausgabe des Berlin Verlags.
319 Seiten.
„So
viele dürre Frauen,
so viele monströse Handtaschen“ (S 97)
Wednesday
Martin ist Anthropologin und Sozialforscherin, studierte
in Yale und lehrte an der New School for Social Research
in New York (Umschlagtext). Sie hat zwei eigene Kinder und
führte ca. 6 Jahre Feldstudien in der Upper East Side
von Manhattan mit ca. 150 Müttern von kleinen Kindern
durch, die auf ca. 1 km2 lebten (S. 289)
Von
der Verweigerung der Selbstverwirklichung
Was
würden Sie tun, wenn Sie alles hätten, was Sie
zum Leben brauchen? Keine Frage: Sie würden tun, was
Sie wollen. Sie sind ja jetzt frei dazu. Sie sind dann ja
im Besitz der entsprechenden Mittel.
Eine
solche Lebenssituation beschreibt der Ausdruck „ökologische
Entlastung“:
„Die Inselbewohner leben in einem Zustand ökologischer
Entlastung – Ressourcen wie Nahrungsmittel und Wasser
sind reichlich vorhanden und leicht verfügbar, Krankheiten
sind selten, Fressfeinde fehlen. In dieser Nische beispiellosen
Überflusses können die Wohlhabendsten unter den
Insulanern unbelastet von aller materiellen Not kräftig
in jeden einzelnen ihrer Nachkommen investieren und elaborierte,
komplexe soziale Codes und Riten entwickeln, deren Befolgung
zeit-, arbeits- und ressourcenintensiv ist.“ (S. 27)
Die
erste Haupterkenntnis aus dem Buch Die Primaten von der
Park Avenue besteht, darin, dass die Mütter in der
Upper East Side von Manhattan, die nicht arbeiten müssen,
weil sie von ihrem Ehemann versorgt werden und die materiell
so gut versorgt sind, dass sie nicht nur bequem leben können,
sondern sich auch allerlei teure Genüsse gönnen
können, in ihrer Lebenssituation nicht tun, was sie
tun wollen und worauf sie Lust haben.
Und
– was tun sie anstatt dessen? Im soeben gebrachten
Zitat steht, dass sie arbeitsaufwendige Riten entwickeln.
Ja, das tun sie auch, aber vor allem spielen sie das Statusspiel
(und all die komplexen Codes und Riten sind nur Instrumente
in diesem Statusspiel).
Man
beobachtet hier also ein Phänomen, das mir schon anderwärtig
immer wieder aufgefallen ist: Wenn die Menschen in der Maslowschen
Bedürfnispyramide so hoch aufgestiegen sind, dass alle
ihre Bedürfnisse befriedigt sind, inklusive der Bedürfnisse
nach sozialem Status und Anerkennung, und nun eigentlich
die Selbstverwirklichung dran wäre, dann wehren sich
die Menschen gegen die Selbstverwirklichung. Sie scheinen
eine starke instinktive Abneigung gegen die Selbstverwirklichung
zu haben. Stattdessen bleiben sie lieber auf der Bedürfnisebene
der sozialen Anerkennung und spielen das Statusspiel mit
erhöhtem Einsatz weiter. Sie kämpfen darum, wer
von ihnen der Wichtigste ist, wer auf wen verächtlich
herabschauen darf und wer sich das gefallen lassen muss
– und dabei haben sie nicht das Gefühl, ihre
kostbare Lebenszeit zu verschwenden.
Abraham
Maslows Idee bestand ja darin, dass die Menschen, wenn sie
ihre Bedürfnisse auf einer Hierarchieebene erfüllt
hätten, zur nächsthöheren Ebene fortschreiten
würden. Das impliziert, dass sie zur Ebene der Selbstverwirklichung
fortschreiten würden, sobald ihre Bedürfnisse
nach Anerkennung und Geltung erfüllt sind. Wednesday
Martins Beobachtungen scheinen ein (weiterer) Beweis dafür
zu sein, dass Maslows optimistische Sicht der menschlichen
Persönlichkeit ganz einfach nicht stimmt: Menschen,
die alles haben, gehen dann nicht dazu über, Dinge
zu tun, die sie persönlich weiterbringen, oder etwas
zu lernen, was für sie von existenzieller Bedeutung
ist, sondern sie streben noch mehr nach Geltung und Anerkennung.
Und
da das Statusspiel ein zweischneidiges Schwert ist –
man muss nämlich jemand anderen demütigen, um
sich selber über ihn stellen zu können –
lässt es sich auch ewig weiterspielen, ohne dass es
von selbst ein Ende finden könnte.
Für
mich ist diese Einsicht insofern von Bedeutung, weil mich
die Tatsache beschäftigt, dass die meisten Menschen
Philosophie ablehnen. Und: Philosophie ist ja Selbstverwirklichung
durch Nachdenken und Erkenntnis. Nun ist es so, dass viele
ihre Ablehnung der Philosophie mit ihrem Mangel an Nutzen
rechtfertigen. Diesen Vorwurf kann man dann – je nachdem,
welchen Nutzenbegriff man anlegt – verschieden diskutieren.
Aber
das scheint mir doch alles eine Spiegelfechterei gegen einen
vorgetäuschten Gegner zu sein. Ist nicht viel plausibler,
dass die Menschen einfach eine starke instinktive Abneigung
gegen das Philosophieren empfinden, ebenso wie sie eine
starke instinktive Abneigung gegen Selbstverwirklichung
haben?
Die Menschen wehren sich mit Händen und Füßen
gegen die Philosophie. Das ist dasjenige, was sich beobachten
lässt. Und es scheint mir deshalb sinnlos zu sein,
Gründe finden zu wollen (z.B. in Gestalt von Nutzenargumenten),
um sie davon zu überzeugen, dass ihnen Philosophie
etwas bringt oder dass sie philosophische Inhalte persönlich
etwas angehen. Sie wollen Philosophie nicht – und
wenn man etwas nicht will, dann kann es einem auch nichts
bringen.
Nichtsdestotrotz,
bemerkenswert ist diese allergische Ablehnung der Philosophie
schon. Ich frage mich dann halt nach den möglichen
Ursachen und verfalle auf Kandidaten wie das: „Wenn
man über die Dinge nachdenkt, könnte es sein,
dass man auf etwas draufkommt, das einem nicht gefällt.“
Es erscheint mir zumindest verständlich, dass viele
Menschen sich nicht mit sich selbst beschäftigen wollen,
weil sie dabei innere Abgründe zu Gesicht bekomme könnten,
vor denen sie erschrecken würden. Aber was ist die
Alternative? Die Alternative besteht darin – und eben
das wird auch in Wednesday Martins Buch sehr deutlich –
dass man nicht selbstbestimmt lebt, sondern dem Statusspiel,
mit dem die anderen Menschen rundum ihre Zeit verbringen,
ganz ausgeliefert ist.
Vom
Streben der Frauen, Manhattan-Geishas zu werden
Anstatt
sich selbst zu verwirklichen oder einfach zu tun, worauf
sie Lust haben, trachten die Mütter der Upper East
Side aus sich das zu machen, was Martin scherzhaft „Manhattan-Geishas“
nennt. Sie versuchen durch Training im Fitness-Center, Abmagerungskuren,
exquisite Kleidung und perfektes Makeup sowie dem tadellosen
Management ihrer Kinder so etwas wie ein Idealbild von Weiblichkeit
zu realisieren.
Zwei
Fitnesscenterketten sind unter den Frauen in der Upper East
Side popular: Physique 57 und SoulCycle. Martin entscheidet
sich für Physique 57, das Übungsstunden mit einer
Dauer von jeweils 57 Minuten an Übungsstangen wie beim
Ballett anbietet. Martin erlebt die erste Übungsstunde
als absolut spaßlos und fühlt sich danach drei
Tage lang krank. Trotzdem geht sie danach wieder hin und
steigert ihre Besuchsfrequenz sogar auf täglich, wobei
sie berichtet, dass manche Frauen sich dieser Tortur sogar
2x täglich unterziehen.
„Ich
sah mich nach den anderen Frauen um, versuchte, einen
Blick zu erhaschen… […] wenn andere normalerweise
die Brauen heben oder lächeln, um mitzuteilen:
„Du bist nicht allein.“ Nichts. Kein Lächeln
im Raum. Kein Wort. Die Frauen wandten den Blick ab…
[…] Ja, waren wir denn hier in der U-Bahn? Noch
nie hatte ich ein so mörderisches Training in
einem Raum absolviert, der so bar jeder humorvollen,
freundlichen Kameraderie war. Oder so totenstill.“
(S. 153) |
„All
das Training, all das eifrige, beflissene Bestreben, eine
besondere Art fabelhafter, fitter und schicker Manhattener
Geishas mit Kindern zu sein…“ (S. 164) Geishas
sind eine japanische Tradition, bei der junge Frauen von
älteren Geishas in so genannten Okiyas, einer isolierten,
streng hierarchischen Welt zu „untadeligen Gastgeberinnen“
ausgebildet wurden. Dafür war ein jahrelanges Studium
„vonnöten, um die scheinbar mühelosen, durchchoreographierten
Riten und Rituale des Geishatums zu meistern, um zu lernen,
„nach Art der Geishas“ schön zu sein.“
(S. 163) Als Geishas verkörpern sie das „am höchsten
gepriesene kulturelle Weiblichkeitsideal“ und haben
sich dadurch „die Bewunderung der gesamten Gesellschaft
verdient“. (S. 164)
Frauen
wollen nur Frauen beeindrucken
Mit
der Geisha-Metapher spielt Martin auf einen wichtigen Aspekt
an, der ihr aufgefallen ist: eine weitgehende Geschlechtertrennung.
Nicht nur beim Fitnesstraining sind die Frauen unter sich,
sondern z.B. auch in den Hamptons auf Long Island, wo die
Frauen mit den Kindern die Sommermonate verbringen, während
die Ehemänner nur an den Wochenenden zu Besuch kamen.
„Wo man in den Hamptons auch hinschaute: Frauen, Frauen,
Frauen, so weit das Auge reichte.“ (S. 166) Aber auch
wenn die Männer anwesend waren, blieben die Frauen
Martins Erfahrung nach lieber für sich: „Auf
Dinnerpartys, an denen ich teilnahm, kam es nicht selten
vor, dass Frauen und Männer an verschiedenen Tischen
saßen, sogar an Tischen in verschiedenen Räumen.“
(S. 166) Es flirtete auch niemand: „Ganz wie Geishas
waren sie allerdings auch über Sex erhaben. […]
Die Frauen in Manhattan waren zu müde, zu gestresst,
zu genervt, um Sex zu haben.“ (S. 167)
Das
bedeutet, die Manhattener Frauen veranstalten dieses Theater
nicht für die Männer, nicht um ihnen zu gefallen
(oder wenn, dann nur nebenbei), sondern für ihre Geschlechtsgenossinnen.
„Sie taten es, um Bindungen an die weiblichen Stammesmitglieder
einzugehen, aber auch, um an anderen Maß zu nehmen
und sich mit ihnen zu messen, Tag für Tag, Abend für
Abend, Veranstaltung für Veranstaltung, Trainingsstunde
für Trainingsstunde.“
Man
merkt schon: Ein Idealbild von Weiblichkeit zu verwirklichen,
ist eine Arbeit, die nie aufhört.
Von
der Weigerung zu grüßen
Wie
ist nun so eine Manhattan-Geisha? Kurz gesagt: arrogant
und unhöflich. Nachdem Wednesday Martin für sich
und ihre Familie ein Appartment an der Upper East Side gefunden
hat und es der Familie gelungen ist, den Sohn ein einem
prestigereichen Kindergarten unterzubringen (was nicht leicht
ist), ist die Autorin bestrebt, im Kindergarten Bekanntschaft
mit anderen Müttern zu schließen, um führ
ihren Sohn „play dates“ mit anderen Kindern
auszumachen. Das Problem ist nur, die anderen Mütter
grüßen nicht einmal:
„Diese
Weigerung zu grüßen, dieses demonstrative Sich-Abwenden
erfolgte meinen Beobachtungen nach meist dann, wenn die
angepeilte Gesprächspartnerin eine prominente Salondame
[…] oder die Gattin eines reichen Mannes […]
war. Eigentlich, so begriff ich ziemlich rasch, unterhielten
sich diese Frauen gar nicht miteinander, vielmehr brachten
sie sich in Stellung, um sich mit ein, zwei oder drei ganz
bestimmten Mamis zu unterhalten. Es wurde offenbar, dass
sie einen messerscharfen Blick dafür hatten, wer hier
die […] ranghöchsten Weibchen waren… […]“
(S. 96)
Ihren
Mann, der glaubt, das sei nur „lächerlicher Frauenkram“,
schickt sie am nächsten Tag hin, und er ist sehr erstaunt:
„Was zum Teufel haben diese Frauen bloß?“,
fragte er nach seinem ersten Misserfolg. „Die haben
ja nicht einmal auf mein Guten Morgen reagiert!“ […]
Offenbar hatten sie entschieden, noch die grundlegendste
[…] Regel des Gesellschaftsvertrags – einen
Gruß zu erwidern – sei nur für Trottel.
Sie selbst waren darüber erhaben.“ (S. 97)
Was
ist hier los? Wie können wir dieses Verhalten interpretieren?
Wednesday Martin beschreibt es selbst mit den Worten, dass
diese Frauen sich gar nicht miteinander unterhalten, sondern
sich nur „in Stellung bringen“. Man kann es
auch einfacher sagen: Sie kommen nicht zusammen, um etwas
miteinander zu machen, sondern um einander gegenseitig zu
„schneiden“ und auszuschließen.
In
dem Zusammenhang darf man nicht auf einen allgemein verbreiteten
Denkfehler hereinfallen, dass es nur „soziales“
und „asoziales“ Verhalten gebe, wobei mit „sozialem“
Verhalten kooperatives Verhalten mit „asozialem“
Verhalten konfliktives Verhalten gemeint ist. Dieser einfache
Gegensatz verschleiert den asozialen Charakter menschlicher
Sozialität:
Soziales
Verhalten / asoziales Verhalten
Der
Mensch ist durchaus ein soziales Wesen, aber er verwendet
asoziales Verhalten zur Gruppenbildung
Soziales
Verhalten (asoziales Verhalten) / asoziales Verhalten
Lies:
Menschen, die sich sozial Verhalten, verwenden asoziales
Verhalten, um die Gruppe gegenüber Außenstehenden
zu verschließen – und das ist das Gegenteil
von asozialem Verhalten.
Jedenfalls
erscheint es einem als das Gegenteil von asozialem Verhalten,
wenn man selbst Miglied der Gruppe ist, wenn man Außenstehender
ist und Aufnahme in die Gruppe sucht, erscheint es einem
als asoziales Verhalten.
Eine
Ironie ist, dass soziales Verhalten im Sinne von kooperativem
Verhalten von Martins Sohn schon verlangt wird: Er hinterlässt
einen schlechten Eindruck, als er beim „Vorspielen“
in einem Kindergarten, ein anderes Kind anbrüllt: „GIB
DAS ZURÜCK!“(S. 88), nachdem dieses ihm ein Buch
aus der Hand gerissen hat. Gesellschaftliche Regeln sind
widersprüchlich, was dazu führt, dass ein naiver
Mensch oder einer, der ein gutes Herz hat, sie nie bis zum
Boden lernt, weil sie im Grund abstoßend sind und
man nicht mit ihnen leben will. Die Verwirrung wird natürlich
noch dadurch gesteigert, wenn Agenten der Gesellschaft in
Gestalt von Lehrpersonal mit der ihm zukommenden Autorität
den Kleinen weismachen will, soziales Verhalten bestünde
darin, dass man einander versteht und mit einander teilt.
Wenn die Kindergartentanten den Kindern beibringen wollten
wie man sich so verhält, wie es ihre Mütter tun,
dann müssten sie ihnen zeigen, wie man zu zweit oder
dritt ein Spiel spielt und andere Kinder nicht mitspielen
lässt.
„Da
sie sich der männlichen Vorliebe für Abwechslung
nur allzu bewusst sind, verhalten sich Primatenweibchen,
wie Untersuchungen gezeigt haben, gegenüber weiblichen
Neuankömmlingen in etablierten Gruppen oft äußerst
wachsam und feindselig… […] Eskalierende
Aggression zwischen Weibchen […] ist ebensolchen
extremen Konkurrenzsituationen vorbehalten, in denen
es um hohen Fortpflanzungserfolg oder um die notwendige
(oder vermeintlich notwendige) Verteidigung des Paarungsstatus
oder des Nachwuchses geht.“ (S 180) |
Das
sei der Grund, warum eine Mami beim Fußballtraining
sich weigerte, sich zu Martin umzudrehen oder sie zur Kenntnis
zu nehmen, als diese ihr dreimal sagte, ihr Sohn würde
gern bei der Sommerspielgruppe mitmachen, die sie organisierte
(ebd.).
Mir
will scheinen, die jeweiligen Ziele der handelnden Personen
sind hier nicht relevant, um das Handeln dieser Frauen zu
verstehen. Es genügt, ihr Verhalten als Methode zu
begreifen: Frauen schmieden Bündnisse, um ihre Ziele
zu erreichen. Das bedeutet, dass sie sich nicht individuell
mit einer Konkurrentin oder Gegnerin einen Kampf liefern
um festzustellen, wer die stärkere von beiden ist.
Sondern sie suchen die Freundschaft einer hochrangigen Frau
zu gewinnen und dann andere Frauen aus dieser vorteilhaften
Beziehung auszuschließen.
„Wenn
Schimpansinnen weibliche Neuzugänge aus der Gruppe
ausschließen, sie ignorieren und schikanieren,
dann wollen sie damit sagen: „Du stehst eine
Stufe unter uns“, ohne dass sie sich oder ihren
Nachwuchs jemals einem Verletzungsrisiko ausgesetzt
hätten, wie es bei einem körperlichen Angriff
der Fall wäre. Unter menschlichen Weibchen sind
die Verweigerung von Kooperation, Rufschädigung
(damit auch sonst niemand mit ihr kooperiert), die
Verbreitung von Klatschgeschichten und soziale Ächtung
effektive Methoden, um potenzielle Konkurrentinnen
zu vernichten.“ (S 179-180) |
Martin
weist also darauf hin, dass Verweigerung von Kooperation
ungefährlicher ist als körperliche Aggression.
Wenn mehrere Gruppenmitglieder einem Neuzugang die Kooperation
verweigern, erhält dieses auch keine Gelegenheit, sich
zur Wehr zu setzen. Schließlich sind Verhaltensweisen
wie „die bösen Blicke und die selbstgefällige
Haltung der Königin der Bienenköniginnen und ihres
Gefolges in Kindergartenfluren und Krabbelgruppen“
so subtil, dass niemand sich dagegen zur Wehr setzt, und
trotzdem so wirksam wie ein „Faustschlag in die Magengrube“.
Diese
Darstellung ist äußerst interessant, weil es
ihr offenbar darum geht zu zeigen, dass Frauen bestrebt
sind, Böses zu tun und andere Menschen zu verletzen
in einer Weise, die nicht als „böse“, „Sünde“
oder „Untat“ benannt werden kann. Wenn ein Mensch
dem anderen einen Faustschlag erteilt, kann man diese Verfehlung
benennen und den Schläger anklagen; aber wie könnte
man sich wehren, wenn eine Frau selbstgefällig durch
Räume schreitet und einen dabei abfällig anschaut
(oder einen nicht anschaut, sondern so tu, als würde
man für sie gar nicht existieren)? Gar nicht.
Vom
Rempeln mit Handtaschen
Als
Wednesday Martin eines Tages von einem Lebensmitteleinkauf
mit ihrer Einkaufstasche zu Fuß zurückkehrt,
macht sie folgende Erfahrung: Eine einzelne, gut gekleidete
Dame kommt auf sie zugeschritten und tut so, als würde
sie Martin nicht bemerken. Martin weicht in Richtung der
Mülltonnen aus, doch die Frau hält zügigen
Schritts genau auf sie zu. Da Martin nicht mehr weiß,
wie sie sich verhalten soll, bleibt sie einfach stehen.
Die Frau rempelt sie mit ihrer teuren Handtasche und setzt
dabei ein boshaftes Grinsen auf, dann geht sie einfach davon.
Wednesday
Martin fokussiert auf dieses Verhalten und beginnt, es bewusst
zu beobachten. Am Ende hat sie nahezu hundert Begegnungen
dieser Art beobachtet:
„Die Frauen in der Upper East Side, besonders solche
in den Dreißigern und auf dem absteigenden Ast mittleren
Alters, sind völlig auf Macht gepolt, ja geradezu besessen
davon. Bei vielen, wenn auch nicht allen der beobachteten
Begegnungen war es die Ältere, die zum „Angriff“
auf eine Jüngere ansetzte, indem sie sich schnurgerade
auf sie zubewegte, bis eine Art sozialer Krisensituation
entstand und es nur deshalb nicht zum Zusammenprall kam,
weil die Jüngere, oft in letzter Sekunde, hastig das
Feld räumte. Danach gingen beide Akteurinnen in diesem
Szenario stets einfach weiter, als sei ihnen gar nicht bewusst,
was sich zwischen ihnen (nicht) abgespielt hatte. Es war,
als seien sich beide unterschwellig einig, dass das, was
soeben geschehen war, nicht geschehen war.“ (S. 111-112)
Diese
Erfahrung führt Martin dazu, eine Birkin Bag, also
eine teure Handtasche der Firma Hermès aus Paris,
besitzen zu wollen, damit sie ihren Gegnerinnen bei den
„Gehwegduellen“ ihre „trapezförmige
Birkin in den Bauch rammen würde“ (S. 115). Die
Erzählung, wie sie zu ihrer Birkin kommt, nimmt einigen
Raum in dem Buch ein, denn eine Birkin Bag, gleichwohl sie
außerdem noch teuer ist, kann man nicht einfach kaufen,
sondern man muss sich auf Wartelisten eintragen, Fürsprecherinnen
haben, die selbst schon eine Birkin Bag besitzen etc. Künstliche
Verknappung durch die Fa. Hermès macht diese Tasche
unter Upper East Side-Frauen zum begehrten Gut, nicht der
Wert der Tasche selber.
Im
Grund ist das Rempeln mit teuren Handtaschen eine Version
des Nicht-Grüßens: Man bricht einen möglichen
Sozialkontakt schon ab, bevor er Gelegenheit hat, sich zu
entwickeln. Was dazukommt, ist das Element der Gewalt und
auch die Beliebigkeit der Opferauswahl aus der Menge zufälliger
Passantinnen. Der Aspekt der Gewaltanwendung scheint dem
zuvor erwähnten Aspekt der Subtilität weiblichen
Wehtuns zu widersprechen, schließlich hat jemand,
der einen anderen Menschen mit einem Gegenstand rempelt,
tatsächlich etwas (Böses) getan.
Das
würde allerdings voraussetzen, dass man diese Handtaschenangriffe
tatsächliche als Angriffe, also als Aggressionen deutet.
Wednesday Martin analysiert dieses Phänomen genauer
und erkennt es als „Versuche [von Frauen], ihre Herrschaft
über andere Frauen durchzusetzen“, indem sie
auf ihrem „Recht“ bestehen, „ihren persönlichen
Raum auszuweiten, indem sie die andere zwangen, den ihren
aufzugeben“: „Es war kein einfaches „Geh
mir aus dem Weg“, sondern etwas viel Pointierteres:
„Ich sehe dich nicht. Weil du gar nicht vorhanden
bist.“ (S. 112) Es geht hier also nicht mehr nur darum,
dass Frauen andere Frauen aus der Gruppe ausschließen
oder unhöflich sind, indem sie sie nicht grüßen,
sondern sie sprechen ihnen ihre Existenz ab, indem sie sie
wie Luft behandeln.
Ihr
Mann, Joel Moser, besorgt Wednesday Martin schließlich
auf einer beruflichen Asienreise eine Birkin Bag. Vor dem
Kauf der Handtasche wird in dem Buch noch eine Szene geschildert,
die bemerkenswert ist. Martins Mann überrascht seine
Frau eines Abends, als sie im Internet Birkin Bags recherchiert;
sie schließt schnell die Website. Auf die Frage „Was
schaust du dir an?“, antwortet sie „Pornos“.
Es dauert eine Weile, bis er begreift, dass sie „Handtaschenpornographie“
meint (S. 128). Das Erstaunliche an dieser Szene besteht
darin, dass Männer zwar durchaus auch für den
Wunsch nach dem Erwerb von Statussymbolen bekannt sind,
aber kein Mann das Betrachten von unterschiedlichen BMW-Automodellen
als „Pornografie“ bezeichnen würde. Pornografie
ist für Männer nicht von der Betrachtung nackter
weiblicher Körper ablösbar. Wenn es für Frauen
so etwas wie „Handtaschenpornografie“ gibt,
dann ist das offenbar ein Hinweis darauf, dass die weibliche
Sexualität völlig anders funktioniert als die
männliche. Sie ist offenbar vom Umgang mit dem männlichen
Körper ablösbar und wird allein von der Aussicht
auf die Erlangung eines Statussymbols erregt.
Das
Statussymbol scheint für die Frau selbst erotische
Anziehungskraft zu besitzen statt, wie für den Mann,
nur ein Mittel zu sein, um eine erotisch attraktive Frau
zu gewinnen. Aus männlicher Sicht ist der Ausdruck
(und die damit verbundene Vorstellung) von „Handtaschenpornographie“
dermaßen in sich widersprüchlich, dass man erschrickt
vor der Fremdheit und Unverständlichkeit weiblichen
sexuellen Begehrens. Als Mann kann man es gerade noch zur
Kenntnis nehmen, dass eine Frau eine Birkin Bag sexuell
begehrt, geistig und emotional nachvollziehen kann man es
nicht. Dass der Besitz der Birkin Bag zudem sehr stark verknüpft
mit Statusgehabe und Streben nach sozialem Aufstieg ist,
scheint darauf hinzudeuten, dass der soziale Aufstieg für
eine Frau erotischer ist als das intime Zusammensein mit
einem Mann. Wenn das wahr ist, würde es die weibliche
Sexualität zu etwas ziemlich Unsympathischem machen
– zu einem Antrieb, der nichts mit dem männlichen
Geschlecht zu tun hat, sondern rein durch weiblichen Geltungsdrang
und dem Wunsch nach Dingen, die den Neid anderer Frauen
erregen, motiviert ist.
Wie
bewertet Wednesday Martin selbst die Lebensweise der Upper
East Side-Mütter und wie verhält sie sich dazu?
Bei
Wednesday Martin gibt es drei verschiedene Rationalisierungs-
bzw. Rechtfertigungsstrategien:
- Jene
der Mutter, die ihren Kindern die bestmöglichen Lebenschancen
eröffnen will;
-
jene der Anthropologin und
-
jene nachdem es bei ihrer dritten Schwangerschaft zu Komplikationen
gekommen ist und sie ihr Kind verloren hat.
Wie
beurteilt Wednesday Martin selbst, was sie unter den Müttern
der Upper East Side erlebte:
„Und
wenn schon Kindheit hier ungewöhnlich ist, Mutterschaft
ist geradezu grotesk.“ (S. 21)
„Ich
muss gestehen, dass mir bei meinem Abenteuer manchmal
nur noch Zynismus blieb.“ (S. 22)
„Wer
zum Henker will mit dieser egoistischen, anmaßenden
Gesellschaft auch nur irgendetwas zu tun haben?, fragte
ich mich gelegentlich.“ (S. 107)
|
Und
wie reagiert sie darauf?
„Am
Ende jedoch zogen mich die morgendlichen Dramen und
meine Erfahrungen als ausgegrenztes Schmuddelkind,
deretwegen ich mich so verwundbar, so traurig und
zurückgesetzt gefühlt hatte, nur noch tiefer
in die Kindergartenwelt meines Sohnes hinein. Sie
stärkten meine Entschlossenheit, mich anzupassen
und dafür zu kämpfen, dass ich akzeptiert
wurde. Niemand sollte mich oder mein Kind ablehnen
dürfen. Die konnten mich mal. Und sobald er (und
ich) Verabredungen und ein Sozialleben im Umfeld des
Kindergartens hatte, lockten mich diese „Triumphe“
noch tiefer in Welt, die ich beobachtete…“
(S. 107)
|
Das
ist Strategie (1), jene der Mutter, die das Beste für
ihr Kind herausholen will. Es sieht so aus, dass Martin
schlecht behandelt wird und daraufhin als Reaktion das Bedürfnis
entwickelt, sich anzupassen. Das ist vergleichbar damit,
dass man etwas isst, das einem nicht schmeckt, und als Reaktion
darauf isst man noch mehr davon. Es ist eine Logik, die
ich nicht nachvollziehen kann: Wenn jemand sagt: „Die
können mich mal!“ – dann wäre die
folgerichtige Reaktion wegzugehen. Und nicht: dazubleiben
und mich noch stärker zu bemühen, denn wenn Martin
dablieb, dann konnten ja nicht die „Zickenmütter“
Manhattans Martin mal, sondern Martin musste weiterhin nach
der Pfeife der Zickenmütter tanzen und sich ihre Launen
gefallen lassen.
Strategie
(2) ist jene der Anthropologin. Sie besagt, recht einfach,
Affen zeigen auch ähnliche Verhaltensweisen wie die
von Wednesday Martin beobachteten, und aus dem Grund sind
sie bei Menschen auch irgendwie ok. Wir wollen ja vom Menschen
nicht erwarten, dass er sich weiterentwickelt hätte.
Die
dritte Strategie (3) zeigt sich am Ende des Buchs, nachdem
Martin ihr drittes Kind nach 6 Monaten Schwangerschaft verliert.
Viele Frauen in ihrer Bekanntschaft verändern daraufhin
ihr Verhalten: „Zahlreiche Frauen, die ich zickig
und abschreckend empfunden hatte, ließen sich von
mir jetzt nicht vergraulen. Sie boten mir an, meinen älteren
Sohn bei sich übernachten zu lassen oder ihn ins Kino
mitzunehmen. Sie schickten mir Mahlzeiten. Und wenn uns
jemand übers Wochenende einlud, fuhren wir hin. […]
Wir nannten es die „Dead Baby Tour“.“
(S. 284) Und bei der Erzählung dieser Verhaltensveränderung
der anderen Upper East Side-Mütter setzt bei Wednesday
Martin ein Gedächtnisverlust ein, den ich mit jenem
am Ende von Homers Odyssee vergleichen würde.
Nachdem
Odysseus nach Ithaka zurückgekehrt ist und die Freier
seiner Frau umgebracht hat, lassen die Götter die Bevölkerung
von Ithaka diese Unrechtstat von Odysseus vergessen, weil
anders kein zukünftiges Zusammenleben möglich
wäre. Und ebenso wie die Bürger von Ithaka vergessen,
dass Odysseus der Mörder ihrer Männer, Söhne
oder Onkeln ist, vergisst auch Martin, dass diese Frauen,
die sie jetzt mit offenen Armen aufnehmen, früher mal
geschnitten haben. Ich weiß nicht, ob das eine spezifisch
weibliche Logik ist, die dahintersteht. Schon öfters
habe ich von Frauen gehört, dass sie jemanden für
nett halten, der nett ist und manchmal auch nicht nett ist.
Mir kommt das vor, wie wenn man von jemandem, der manchmal
stiehlt und dann auch wiederum manchmal nicht stiehlt, sagen
würde, dass er kein Dieb sei. Auf jeden Fall ist die
von Martin angewandte Strategie der Rechtfertigung boshafter
Menschen, die zuletzt ihr Verhalten geändert haben,
logisch inkonsequent und insofern auch unglaubwürdig.
Das
spielt auch insofern eine Rolle, da sich gewissermaßen
die ersten drei Viertel des Buches lesen wie eine Publikumsbeschimpfung
während im letzten Viertel, in einer dramatischen Wendung,
die beschimpften Mütter der Upper East Side, und mit
ihnen zusammen alle Mütter der USA oder der gesamten
Welt, mit großer Geste umarmt werden und auf die Tränendrüse
gedrückt wird wie im Disney-Film. Diese Geste besagt:
„Im Grunde sind wir doch alle Frauen und haben einander
lieb, weil wir wissen, wie schrecklich es ist, ein Kind
zu verlieren; da wollen wir doch nicht kleinlich sein und
darüber hinwegsehen, dass wir vorher ein bisschen zickig
zueinander waren.“
Martins
Rationalisierungs- und Rechtfertigungsstrategien hinterlassen
einen faulen Nachgeschmack, und ich habe mir gedacht: Im
Grunde werden inhumane Praktiken in der Gesellschaft dadurch
ermöglicht, dass die Menschen in solcher Weise inkonsequent
sind und den Übeltätern ihre Untaten ihm Nachhinein
verzeihen, weil ein böser Mensch, der mal eine gute
Tat begeht, doch kein böser Mensch sein kann.
Angst
durch Sicherheit
Es
folgen weitere verblüffende Einsichten in die Zusammenhänge
weiblichen Lebens. Verblüffend, weil wir gewohnt sind,
umgekehrt zu denken. (Ich hätte schließlich auch
nicht erwartet, dass Luxushandtaschen zum Rempeln da sind.)
Eine dieser allgemeinverbreiteten Denkweisen ist die, dass
Frauen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis haben,
weil sie körperlich schwächer sind als Männer;
folglich muss man die Lebensumstände sicherer machen,
damit sich Frauen sicherer fühlen.
Aber was passiert wirklich, wenn man die Lebensumstände
von Frauen sicherer macht? Stellen Sie sich vor: Wohlhabende
Frauen in der Upper East Side, manche von ihnen haben einen
eigenen Privatjet zur Verfügung, führen ein Leben,
das sicher ist vor äußeren Gefahren, und sie
müssen sich nicht ums Geldverdienen kümmern, weil
das ihre Männer für sie erledigen.
Was
wird die Folge sein? Entspannte, zufriedene Frauen? Nein,
im Gegenteil, dünne, durchtrainierte, nervöse
Frauen. Aber warum ist das so? Sobald Frauen alles haben,
was man zum Leben braucht, und obendrein noch ausreichend
freie Zeit, beginnt bei ihnen der Trieb zur Perfektion seine
Arbeit. Alles soll perfekt sein: Wohnung, Kleidung, die
Ausbildung der Kinder etc. Allein das schon generiert jede
Menge an Unsicherheit und Angst: die Angst zu versagen.
Sie wollen aber auch perfekte Frauen sein. Also machen sie
Diät und trainieren im Fitnessstudio. Wenn sie sich
in der Folge unrund fühlen, betäuben sie sich
mit Alkohol. Ihre Nervosität und Schlaflosigkeit bekämpfen
sie mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Zusammengefasst:
Bereite Frauen das Paradies auf Erden und die Folge wird
sein, dass aus ihnen depressive Suchtkranke werden.
Einer
der Gründe für Nervosität und das Gefühl
von Unsicherheit bei Frauen sei „das Zusammenspiel
von Kalorienreduktion, sinkendem Östrogenspiegel und
Schlaflosigkeit“ (S. 232)
„Wie
ängstlich und elend man sich fühlt, wenn
man unter Schlafentzug leidet, hormongebeutelt und
dauerhungrig ist, lässt sich nicht überschätzen.
[…] Wenn ab Mitte dreißig der Östrogenspiegel
sinkt, […] ist an Schlaf nicht zu denken. Niedrigere
Östrogenspiegel halten einen jedoch nicht nur
wach. […] Bei gesunden Frauen und Rattenweibchen
dämpft Östrogen Angstreaktionen. […]
Dazu gebe man als weitere Platte noch eines der absurdesten
Gebote der Upper East Side: frau sei so fit, fettfrei
und sylphidenhaft wie nur möglich. […]
in der Upper East Side ist nichts schneller ausverkauft
als Size Double Zero. Frauen sind dünn, dünner,
am dünnsten. […] Und je dünner man
ist, […], desto weniger Östrogen hat man.
[…] Nervosität und Dünnsein gehen
also Hand in Hand – wie Dolce & Gabbana.“
(S. 232-233) |
Das
Absinken des Östrogenspiegels bei dünnen Frauen
mittleren Alters führe auch zu gesteigerter Aggression
(S. 235), könnte also mitverantwortlich sein für
die beobachteten Gehwegduelle.
„Ihre
Frauen hingegen trinken, um überhaupt zurechtzukommen,
gewöhnlich Weißwein (nach Rotwein, sagen
sie, können sie nicht schlafen). Eine Upper-East-Side-Frau
mit kleinen Kindern zu sein heißt Wein zu trinken.“
(S. 235)
„Teilnehmerinnen
an einem Mädelsabend finden überhaupt nichts
dabei, vier Glas Wein hintereinander zu trinken. […]
Jeden Abend tranken die Mamis in meiner Bekanntschaft
Weißwein, Wodka, Tequila und, wenn sie Männern
imponieren oder sich aus der Menge abheben wollten,
Scotch oder sonst einen Whisky „für Kerle“.
Nur montags nicht.“ (S. 236)
„Viele
Manhattener Mamis in meiner Bekanntschaft verließen
sich Tag für Tag auf verschreibungspflichtige
Medikamente. Tavor. Xanax. Valium. Ritrovil. Zoldem.
[…] Häufig tranken sie Wein dazu…
[…] Um einschlafen zu können, schluckten
die Frauen, die ich kannte, angstlösende Medikamente.“
(S. 237-238)
|
Wenn
das also stimmt, dann führt eine Umwelt, in der Frauen
frei, sicher und bequem leben können, dazu dass ihre
weiblichen Instinkte im beschleunigten Leerlauf rasen. Sie
machen sich dann mit ihrem Statusspiel gegenseitig das Leben
zur Hölle und um im Wettlauf um Perfektion mithalten
zu können, essen sie zu wenig, trinken zu viel Alkohol
und nehmen stimmungsbeeinflussende Medikamente ein.
Sie
sind also nicht zu beneiden, die reichen Frauen von Manhattan.
Andererseits, diese Hölle machen sie sich selbst. Sie
könnten ja auch aussteigen aus diesem Hamsterrad der
äußerlichen Selbstperfektion und statt beim Statusspiel
mitzuspielen ihre eigenen Wege gehen. Aber das scheint nicht
möglich zu sein, denn – wie ich am Anfang dieser
Rezension schon gesagt habe – die Menschen weigern
sich, sich mit dem Thema Selbstverwirklichung zu befassen.
Sollen sie also leiden, wenn die Befriedigung aller ihrer
Bedürfnisse nur dazu führt, dass sie das Statuspiel
auf immer höherem Niveau und mit immer höherem
Einsatz spielen.
Tatsächlich
scheint es auch ein weitverbreitetes Fehlurteil zu sein,
dass alles immer besser wird, wenn es besser wird. Umgekehrt
könnte es sich so verhalten, dass ein immer kleinerer
Patzer das Potenzial hat, sich um Drama zu entwickeln, je
mehr sich die Gesamtsituation der Perfektion annähert.
Wednesday Martin berichtet von einer Freundin, die Bettwanzen
hatte. Das ist für alle Menschen eine unerfreuliche
Angelegenheit, aber für eine megaehrgeizige Upper East
Side-Mutter eine Katastrophe: „Bettwanzen beinhalteten
das beängstigende Risiko, von der Gruppe verstoßen
zu werden. „Niemand wird mehr kommen wollen!“,
klagte sie mir. Hatten ihre Kinder kein Sozialleben mehr,
dann war auch ihres vorbei.“ (S. 223)
Eine
Katastrophe ist auch, wenn ein Kind beim ERB-Test (ein Intelligenztest
des Educational Records Bureau, Voraussetzung für die
Zulassung in New Yorks Top-Privatschulen) nicht 99,9 Prozent
erzielt, im Malunterricht kein hervorragendes Bild produziert
oder beim Hindernis- oder Wettlauf nicht gut abschneidet,
denn das wird als „Nachweis elterlichen Versagens“
gewertet. (S. 226) Wednesday Martin resümiert das soziale
Regelwerk an der Upper East Side, indem sie es als eine
„Kultur der Ehre und Schande“ bezeichnet. Schande
bricht über die Frauen herein, wenn irgendwo etwas
nicht ganz perfekt ist.
„Lenas
Geschichte hatte mich gelehrt, dass in der Welt der
Upper East Side genau wie in der Welt der Beduinen
oder der Roma eine Kultur der Ehre und Schande vorwaltet.
Hauptinstrument sozialer Kontrolle ist nicht die Angst,
in die Hölle oder ins Gefängnis zu kommen,
sondern Scham und die Angst, nicht hineinzupassen,
herauszufallen oder ausgeschlossen zu werden. Und
in der Upper East Side kann man […] die Ehre
oder „das Gesicht“ verlieren – nicht
den physischen Körperteil, mit dem man spricht
und isst und den man schminkt, sondern Prestige, Ansehen,
ja das eigentliche Ich.“ (S. 222)
|
Mir
scheint, die Moral der Geschichte von der „Kultur
der Ehre und der Schande“ ist, dass es keine upside
gibt, wohl aber eine downside. Das Gesicht zu bewahren,
gilt als normal, hier gibt es nichts zu gewinnen, es aber
zu verlieren, ist furchtbar.
Die
Kosten des weiblichen Statuskampfs
Wednesday
Martin beschreibt den weiblichen Statuskampf als „verdeckte
innergeschlechtliche Konkurrenz“ (S. 181), die im
biologischen Sinne weniger kostspielig ist als offener Kampf,
weil dabei zumindest niemand körperlich verletzt wird.
Im finanziellen Sinne ist sie aber durchaus kostspielig.
Mit ihrer Freundin Candace rechnet sie mal aus, wie hoch
der „Aufwand einer Manhattan-Geisha […] für
Wartung und Pflege“ (S. 181) ist. Sie kommen auf:
- Haare
und Kopfhaut: (Friseurkosten, Haar & Make-up-Stylist
für besondere Anlässe, Arztbesuch wegen Haarausfall
= 12.000 USD/Jahr;
- Gesicht:
(Botox, Hyaluron, Kollagenunterspritzung, Peeling, Gesichtsbehandlung,
Augenbrauenbehandlung, Laser, Gesichtspflegeprodukte,
Make-up) = 16.200 USD/Jahr
- Körper:
(Fitnesstudio, Privattrainer, Ernährungsberater,
Saftkuren, Maniküre/Pediküre, Massage, Selbstbräuner,
Thermenaufenthalte) = 32.000 USD/Jahr (Schönheitschirurgie
nicht berücksichtigt, weil unkalkulierbar)
- Kleidung:
10.000-60.000 USD/Jahr (ohne zusätzliche Urlaubskleidung
(für Hamptons, Palm Beach, Aspen);
- Schuhe/Stiefel:
5.000-8.000 USD/Jahr
- Handtaschen:
5.000-10.000 USD/Jahr
Die
beiden schätzen die Kosten für eine Frau auf rund
95.000 USD/Jahr „nur um schön genug und gut genug
gekleidet und gut genug beschuht und ausreichend gepflegt
zu sein, um mitspielen zu dürfen.“ (S. 183) (Kosten
gerechnet ohne die entsprechenden Taxifahrten zum Kindergarten,
zum Hautpeeling usw.)
Womit
wir es hier zu tun haben scheinen, das ist nichts weniger
als der soziale Mechanismus (gemeinsam mit den entsprechenden
Glaubenssätzen bei den handelnden Individuen), der
Ökonomie (sparsames Verhalten) in Verschwendung verwandelt.
Denn es verhält sich ja so, dass die Wirtschaftswissenschaften
uns erklären, der Kunde sei ein rationales Wesen, das
diejenigen Produkte und Dienstleistungen kaufe, die den
größten Kundennutzen haben, wobei es versucht,
durch kluge Kaufentscheidungen den persönlichen Nutzen
zu maximieren. Das ist eine jener Erklärungen der Wissenschaft,
die unsere Verwirrung steigern, anstatt sie aufzulösen,
weil wir in der Realität das entgegengesetzte Verhalten
beobachten. Die zu beantwortende Frage lautet also: Warum
verhalten sich die Menschen nicht ökonomisch. Und die
Antwort, die üblicherweise auf diese Frage versucht
wird – nämlich, dass die Menschen eben doch nicht
so rational sind, sondern auch von Emotionen beeinflusst
– führt wiederum in die falsche Richtung.
Die
richtige Antwort auf diese Frage ist sehr einfach, ist aber
aufgrund ihrer scheinbaren inneren Widersprüchlichkeit
schwer zu akzeptieren:
Ökonomisches
Kaufverhalten = kaufen, was notwendig ist;
Verschwenderisches Kaufverhalten = kaufen, was überflüssig
ist;
Daraus
folgt: Damit verschwenderisches Kaufverhalten als ökonomisch
erscheint, muss das Überflüssige als notwendig
erscheinen. Eben das drückt Wednesday Martin im Zitat
von S. 183 aus: „nur um schön genug […]
zu sein, um mitspielen zu dürfen“, seien alle
diese Ausgaben notwendig. Es ist also nicht die Verschwendungssucht
der Frauen, die zu ihrem verschwenderischen Umgang mit Geld
führt, sondern die Dynamik sozialer Anerkennung, die
besagt: Du brauchst das alles, sonst akzeptieren wir dich
nicht in unserer Runde.“ Die Vernünftigkeit der
Ansprüche, die die Gruppe dabei an das Individuum stellt,
werden nicht hinterfragt.
Am
Ende kann als Ergebnis herauskommen, dass es für das
Individuum rational ist, völlig irrationale Kaufentscheidungen
zu treffen, weil sie die Voraussetzung für die Mitgliedschaft
in der Gruppe darstellen und die Gruppe ihrerseits Ressourcen
an ihre Mitglieder zu vergeben hat, von denen diese profitieren.
Das ist die rationale Erklärung dafür, wie die
Logik sozialer Anerkennung es bewerkstelligt, das Ökonomische
in Verschwendung zu verwandeln und die Vernunft in Unvernunft.
Hier
zeigt sich, wie irreführend die Lehre vom „Kundennutzen“
ist, denn sie regt dazu an, dass man sich überlegt,
was ein bestimmter Mensch eigentlich will und was für
ihn einen Nutzen darstellen würde. Wednesday Martins
Beobachtungen legen aber nahe, dass die Mütter von
der Upper East Side nicht einmal überlegen, was für
sie gut wäre, sondern blind den wahrgenommenen sozialen
Imperativen gehorchen. Dazu kommt, dass all das, wofür
sie ihr Geld ausgeben, um ausreichend schön und gut
gekleidet auszusehen, nicht einmal Spaß macht, sondern
zum Teil sogar weh tut (Botox- und andere Unterspritzungen).
Nicht einmal, wenn man sagt, sie täten es für
ihre Kinder, macht es Sinn, denn: Zwar ist es wahrscheinlich,
dass die ihren Kindern Zugang zu einem Leben in einer Gesellschaftsschicht
mit hohem sozialen Status schaffen, aber dass die Kinder
in dieser Umgebung von Verhaltenszwanghaftigkeit glücklich
werden, ist unwahrscheinlich. Bleibt also nur die Annahme,
dass die Mütter der Upper East Side blind ihren weiblichen
Instinkten folgen, die sie dazu antreiben, auf der sozialen
Leiter immer weiter nach oben zu steigen, und nicht darüber
nachdenken.
Der
Perfektionszwang von Frauen
Die
Tatsache, dass andere Quellen den von Wednesday Martin diagnostizierten
Perfektionszwang der Frauen bestätigen, scheint darauf
hinzuweisen, dass er zur Instinktausstattung des weiblichen
Geschlechts gehört. So sagt z.B. die österreichische
Psychologin Isabella Woldrich:
„Die
gute Nachricht: Männer und Frauen haben beide
ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Harmonie.
Die
schlechte Nachricht: Frauen verstehen unter Harmonie
etwas anderes als Männer.
Für
Männer ist es harmonisch, wenn sie ihre Ruhe
haben. Solange niemand etwas sagt, passt für
sie alles. Sie lehnen sich zurück und genießen
den Moment. […] Für Frauen ist es erst
dann harmonisch, wenn alle, ich meine wirklich alle,
Faktoren erfüllt sind. Welche Faktoren das sind,
ist individuell verschieden und einige Frauen wissen
es oft selbst nicht so ganz genau. Ungeachtet dessen
arbeiten sie mehr oder weniger akribisch und hartnäckig
daran, diesen harmonischen Zustand zu erreichen.“
Isabella
Woldrich: Artgerechte Frauenhaltung. Ueberreuter,
Wien 2014. S. 32.
|
Mir
selbst ist das durch einen Zufall aufgefallen: In einer
Filiale der Buchhandelskette Thalia stand ich in der Zeitschriftenabteilung
und mein Blick fiel auf zwei Frauenzeitschriften, die beiden
auf dem Titelblatt das Problem thematisierten, dass Frauen,
sich nicht entspannen können. Es ist das also kein
seltenes Thema, sondern eines, das vielleicht zwei von drei
Frauenzeitschriften behandeln oder, vielleicht, sogar neun
von zehn.
In
der österreichischen Frauenzeitschrift WOMAN
Nr. 19 vom 13. September 2018 nimmt es eine merkwürdige
Form an: Unter der Überschrift „Mehr Mittelmaß
bitte!“ (S. 54-56) rät die übermäßig
attraktive Expertin Su Busson in ihrer Funktion als „Anti-Stress-Coach“
(=übermäßig erfolgreich im Vergleich zur
unselbstständig erwerbstätigen Frau) den Frauen,
das Mittelmaß schätzen zu lernen: „Wir
sind Mittelmaß – und das ist großartig!“.
„Wer besonders klug, schön und aktiv ist, bekommt
in unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit. Richtig? Ein
fatales Muster […] meint Lebensberaterin Su Busson
(46): Wir lassen nicht zu, dass wir unserem Wesen entsprechend
wachsen. Unsere natürlichen Anlagen könne/wollen/dürfen
wir nicht entfalten, weil wir werden wollen/sollen/müssen,
wie es gesellschaftlich angesehen ist.“ „Glücklichsein“
habe „nichts mit den äußeren Umständen
zu tun, es“ komme „von innen“ und „wenn
Sie aufhören, immer mehr zu wollen, werden Sie ein
deutlich entspannteres Leben führen“. „Wir
sparen uns Stress, Frust, Zeit, Kraft und Nerven, wenn wir
uns nicht ständig mit anderen vergleichen oder perfekt
sein wollen.“
Fazit:
„Der Glaube, dass es uns glücklich macht, wenn
wir der oder die Beste in etwas sind, führt uns in
die Irre.“ Das ist die Botschaft der überdurchschnittlichen
Su Besson an die durchschnittliche Österreicherin,
die schon allein deshalb unglaubwürdig wirkt. Allerdings
handelt es sich hierbei wiederum um eine falsche Fährte:
Wenn man Wednesday Martins Buch über die Primaten von
der Park Avenue aufmerksam liest, dann ist es nicht so,
dass darin dargestellten Frauen versuchen, perfekte Manhattan-Geishas
zu werden, weil sie sich davon persönliches Glück
erhoffen.
Eher
im Gegenteil: Sie streben danach, obwohl sie wissen, dass
sie das nicht glücklich macht, sondern dass es nur
dazu führt, aus ihnen superschlanke, nervöse Alkohol-
und Medikamentenabhängige zu machen, solche wie es
die anderen Frauen rund um sie herum offensichtlich auch
sind. Näher als der Gedanke, die Frauen würden
perfekt sein wollen, weil sie glauben, dass sie das glücklich
macht, würde also die Vermutung liegen, dass sie nach
Perfektion streben, um ihre Instinkte auszuagieren, was
sie jedoch unglücklich macht; und dieser Kreislauf
geht solange weiter, solange sie nicht bereit sind, darüber
nachzudenken und sich aktiv gegen das zu entscheiden, was
ihnen ihre Triebe als erstrebenswerte Ziele vorgaukeln.
Demonstrative
Zurschaustellung von Reichtum
Natürlich
hat die Verschwendung in Manhattan neben dem Streben nach
Akzeptanz durch die Gruppe, der man angehören will,
auch noch einen ökonomischen Sinn: Man „kauft“
sich dadurch „Kredit“. Will sagen: Man erscheint
durch den Aufwand, den man treibt, kreditwürdig in
den Augen von Leuten, die einen nicht kennen. Diese Theorie
geht auf den Aufsatz von George A. Akerlof „The Market
for Lemons: Quality Uncertainty and the Market Mechanism“
(1970) zurück, in dem das Käuferverhalten bei
Informationsasymmetrie beschrieben ist: Die Käufer
von Gebrauchtwagen können nicht zwischen einem guten
und einem schadhaften Gefährt unterscheiden; deshalb
sind sie nicht bereit, soviel zu zahlen wie sich die Verkäufer
von guten Gebrauchtwaren erhoffen. Folge: Die guten Gebrauchtwagen
werden aus dem Markt gedrängt.
Als
Gegenmaßnahme kann man nur versuchen, die Informationsasymmetrie
zu mildern, ganz aufheben kann man sie leider nicht. Mildern
kann man sie z.B. dadurch, indem anerkannte Institutionen
(TÜV) gute Gebrauchtwagen mit Zertifikaten auszeichnen.
Dann muss der Käufer eben dem TÜV glauben, glauben
muss er immer noch, weil er es nicht selbst überprüfen
kann. Ein anderes Beispiel für eine solche sekundäre
Strategie der Risikoverminderung für die Kunden ist,
dass ein Bankhaus eine unnötig große und kostspielige
Zentrale unterhält. Dieses eindrucksvolle Gebäude
vermittelt dem Bankkunden: „Ich kann zwar die Qualität
der Bankleistungen nicht einschätzen, aber zumindest
kann die Bank nicht einfach davonlaufen, weil sie an dieses
monumentale Gebäude gebunden ist.“
Mode
scheint bei den Frauen in Manhattan eine ähnliche Funktion
zu haben. Wednesday Martin beschreibt, dass der Wohnungshandel
und das Wohnungsmaklertum dort fest in weiblicher Hand seien.
Durch die Wahl ihrer Kleidung (und Handtaschen) treiben
die Frauen jenen übermäßigen Aufwand (vergleichbar
zur Bankzentrale), welche der anderen Geschäftspartei
den Eindruck vermittelt, dass man es wirklich ernst mit
seiner Kaufabsicht meint.
„…die
Maklerin der Käuferseite kleidet sich, um die
Maklerin der Verkäuferseite zu beeindrucken und
einzuschüchtern und um ein Bild im Sinne der
angehenden Käuferin zu projizieren, die sich
ihrerseits kleidet, um beiden Maklerinnen ihre Ernsthaftigkeit
zu vermitteln… […] All das mündet
in einer Art Modeduell, das Tag für Tag, Besichtigungstermin
für Besichtigungstermin […] ausgefochten
wird. Man stelle sich Sergio-Leone-Musik vor, dazu
Frauen im Morgengrauen, eingehüllt in Brunello
Cucinelli und Loro Piana. Taschen schienen dabei besonders
wichtig.“ (S. 42)
|
Es
verwundert nicht, dass sich in einer Umgebung ökologischer
Entlastung außerdem die Vergleichsmaßstäbe
verkehren. In einer normaleren Umgebung würden nur
die Luxusklamotten und –handtaschen zu den Luxusgegenständen
einer Frau gehören; aber weil in Manhattan die Kinderaufzucht
sehr teuer ist, gehören auch die Kinder dazu: Eine
große Schar Kinder zeigt, dass man sehr wohlhabend
ist:
„Denn
das Paradies war unterteilt in Besitzende, Mehr-Besitzende
und Am-meisten-Besitzende. Man erkannte die Unterschiede
recht schnell – die Frauen der Am-meisten-Besitzenden
waren am sorgfältigsten gestylt, am schönsten
gekleidet und hatten im Allgemeinen die meisten Kinder.
Als ich das erste Mal eine perfekt frisierte, perfekt
gekleidete zierliche Brünette und ihre beiden
Kindermädchen sah, die ihre sechsköpfige
Brut in eine exklusive Kinderboutique schleiften,
kam mir der Anblick so surreal vor, dass ich kaum
meinen Augen traute.“ (S. 68) |
Oft
verkennen wir den Sinn weiblicher Kleidung, beispielsweise
bei Schuhen: Hohe Schuhe sind nicht zum Gehen da, sondern
um zu zeigen, dass man es nicht nötig hat zu gehen
oder mit der U-Bahn zu fahren:
„…denn
soweit ich es erkennen konnte, waren diese Frauen stets
auf einen Höhenvorteil aus, um auf alle anderen im
wahrsten Sinne des Wortes herabschauen zu können. Schwindelerregend
hohe Plateauschuhe und Stilettos mit knallrot lackierten
Sohlen kommunizierten die Botschaft: „Ich fahre noch
wohin – und zwar nicht mit der U-Bahn.““
(S. 176) Die
Autorin Wednesday Martin macht bei diesem Treiben munter
mit, und am Ende hat sie auch „einen ganzen Wandschrank
allein für meine Handtaschen“. (S. 249)
Die
taxierenden und abschätzigen Blicke der Frauen
Man
könnte meinen: Nun, wenn die Frauen, wie es scheint,
miteinander konkurrieren, dann ist bei ihnen offenbar genauso
wie bei den Männern. Denn die konkurrieren ja auch
miteinander!
Es
scheint aber einen wesentlichen Unterschied zu geben. Männer
konkurrieren miteinander darum, wer der Beste ist. Das bedeutet,
sie konkurrieren innerhalb einer Gruppe. Wenn ich dagegen
noch einmal auf Martins Zitat von S. 183 verweise: 95.000
USD/Jahr benötigen die Frauen in Manhattan mindestens,
um „schön genug […] zu sein, um mitspielen
zu dürfen.“ Das verweist auf einen anderen Ausgangspunkt
für die Vergleichsmessung.
Männer messen von unten hinauf: gut, besser, der Beste.
Frauen von oben hinunter: perfekt, nicht ausreichend, katastrophal.
Wer
sich schon einmal Gedanken darüber gemacht hat, warum
Frauen immer wieder darüber klagen, dass die „Gesellschaft“
so großen „Druck auf sie ausübe“,
schön zu sein und gut auszusehen, findet hier einen
Erklärungsansatz. Die Gesellschaft übt diesbezüglich
überhaupt keinen Druck auf die Frauen aus; es ist nur
so, dass die Frauen offenbar ein anderes Vergleichssystem
haben als das übliche: Wenn eine Frau sich durch Make-up,
körperliches Training, Schönheitsoperation einen
Attraktivitätsvorteil vor anderen Frauen erwirbt, dann
nimmt sie diesen nicht wahr, weil sie ja von oben misst
und nicht von unten. D. h. sie vergleicht sich nicht mit
den Frauen, die sie überholt und hinter sich gelassen
hat, sondern mit denen, die noch perfekter aussehen als
sie selber.
Das
hat wesentliche Folgen in der moralischen Beurteilung ihres
Verhaltens: Würde sie sich mit den Frauen vergleichen,
die sie im Konkurrenzkampf besiegt hat, würde man sagen,
sie habe sich durchgesetzt, sie habe ihre Stärke bewiesen,
sie habe ihr Ziel ganz oder teilweise verwirklicht. Sie
erschiene dann als handelnde Person, die für ihre Handlungen
selbst verantwortlich ist. Da sie sich aber nur mit den
Frauen vergleicht, die noch perfekter aussehen und gekleidet
sind als sie, kann sie den Vorteil, den sie sich herausschlägt,
umdeuten in einen „Druck der Gesellschaft“,
dem sie ausgeliefert ist und dem sie nie entsprechen wird
können.
„Über
den männlichen Blick“, so Wednesday Martin, sei
„viel geschrieben worden“, „dass er Frauen
zu Objekten“ degradiere (S. 125), aber der weibliche
Blick, den Frauen einander zuwerfen, ist nicht weniger harmlos:
„Diese
Blicke beziehen sogar diejenigen ins Spiel ein, die
gar nicht mitspielen wollen. […] Manchmal verwenden
Frauen diese Art Blick, um sich selbst aufzubauen,
indem sie andere demolieren: Wo ist dein Makel?, fragen
Frauen mit diesem Blick, wenn sie andere Frauen taxieren.
Wo sind die Unvollkommenheiten in deinem Erscheinungsbild…
[…] Unvollkommenheiten, die mich beruhigen,
die mir beweisen, dass es um dich so gut nun auch
wieder nicht steht, dass du nicht besser bist als
ich?“ (S. 125) |
Birkin
Bags als Objekte der Begierde förderten sie offen zutage,
„die Feindschaft zwischen Frau und Frau“ (S.
125), die sich zeigen in jenen „vielsagenden Blicken“,
„für die unsere Männer und unsere Kinder
blind sind.“ (S. 126)
Daraus
folgt: Konkurrenz unter Frauen ist ein Gruppen-Ding. Während
Männer miteinander konkurrieren, um der Beste in irgendwas
zu sein, konkurrieren Frauen darum, um der besten Gruppe
anzugehören. Der besten Gruppe anzugehören, ist
für sie dabei das Mindeste, das sie von sich erwarten,
was bedeutet, dass es keine Gelegenheit für Triumphgeschrei
gibt, aber viel Versagensrisiko. Immerhin gibt es innerhalb
der Gruppe der Weibchen eine „Prämie dafür,
stets die Erste zu sein“, berichtet Wednesday Martin:
„…eine
trendbewusste zweifache Mutter [kreuzte] eines Februarmorgens
in einem weißen, vorne offenbar mit Blattgold
verzierten Baumwollkleid […] auf. Sie schlotterte
vor Kälte, aber dafür war sie als erste
im Ziel. Sollte eine von uns jetzt noch dieses Kleid
anziehen, würden wir sie nur imitieren.“
(S. 178) |
Daraufhin
hat Martin beim Anblick ihres eigenen weißen Baumwollkleids
mit Blattgoldverzierung den Eindruck, die andere Mutter
hätte es „mit ihrer Pisse durchtränkt“.
Rezensionen
von Wednesday Martins Primaten von der Park Avenue
Um
mich zu orientieren, was andere Leute über das Buch
sagen, habe ich sieben Rezensionen von Wednesday Martins
Buch gelesen. Zusammenfassend lässt sich über
diese Rezensionen sagen: Keine einzige findet das Buch interessant;
keine einzige findet darin ein Thema oder ein Problem, mit
dem man sich noch genauer befassen möchte.
D
agegen findet man in allen diesen Rezensionen das übliche
Repertoire, das gegen die Beobachtungen die ein einzelner
Mensch über die Sozialwelt macht, aufgefahren wird,
unter anderem:
- In
dem Buch drücke sich W. Martins „Sozialneid“
aus (Huberta von Voss: „Und wie hoch ist dein „wife
bonus“, Honey?“ in: „Die Welt“);
-
Das könne man doch nicht verallgemeinern (Ginia Bellafante:
„A Hobby Anthropologist Dissects the Tribes of the
Upper East Side A Hobby Anthropologist Dissects the Tribes
of the Upper East Side” in: “New York Times”);
-
Die Strategie, Martins Beobachtungen zu entwerten, indem
man ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit infrage
stellt (Ginia Bellafante: ebd.);
-
Die Strategie zu sagen, es gehe in dem Buch gar nicht
um weibliches Verhalten unter wohlhabenden Leuten, sondern
darum, dass Martin sich über die Reichen lustig mache
(Janet Maslin: „Review: ‘Primates of Park
Avenue,’ Making Fun of the Rich“ in: „New
York Times“)
-
Die Strategie zu sagen, alles, was Martin zu sagen habe,
sei überhaupt keine Neuigkeit und nicht erwähnenswert.
(Carson Griffith: “We Asked 10 Real U.E.S. Mommas
(and One Husband) About the Primates of Park Avenue”
in: “Vanity Fair”);
-
Die Strategie, sich auf ein Detail zu stürzen, das
man kritisiert, um sich mit dem Rest des Buchs nicht mehr
auseinandersetzen zu müssen (in fast allen der berücksichtigten
Rezensionen)
Argumente
dieser Art kenne ich aus persönlichen Gesprächen
mit Freunden, die zumeist Universitätsabsolventen sind.
Sie halten es ihrer Intelligenz zugute zu wissen, dass man
nicht verallgemeinern und nicht jeder anekdotischen Erfahrung
Glauben schenken dürfe und machen sich dabei nicht
klar, dass der einzelne Mensch sich selbst dazu verurteilt,
keine Erkenntnisse über die Gesellschaft, in der er
lebt, machen zu können, wenn er an sie mit höheren
erkenntnistheoretischen Ansprüchen herangeht, als es
ihr entspricht.
Das
Detail, auf das sich alle stürzen und auf das ich in
meiner Rezension gar nicht eingegangen bin, ist übrigens,
dass Martin behauptet, die Mütter der Upper East Side
bekämen, wenn sie ihre Arbeit gut gemacht hätten,
einmal im Jahr von ihren Gatten einen „wife bonus“.
Mir kommt das nicht bemerkenswert vor, weil die beschriebenen
Mütter, wenn sie nicht arbeiten, finanzielle Zuwendungen
von ihren Ehemännern bekommen müssen. Da ihre
Ehemänner oft Banker und Hedgefondsmanager sind, bekommen
diese ebenfalls einmal im Jahr einen größeren
Bonus von ihrem Arbeitgeber. Es ist naheliegend, dass sie
davon etwas an ihre Frauen weitergeben – und welchen
Namen diese Zuwendung hat oder ob sie von Wednesday Martin
erfunden ist, erscheint mir eher nebensächlich. Dennoch
ist es eben interessant, dass gerade dieser Aspekt der Kritik
der Frauen anheimfiel und man fragt sich, welchen „wunden
Punkt“ Martin mit dem „wife bonus“ getroffen
haben mag.
Sechs
der sieben Rezensionen stammen von Frauen, und mein Eindruck
ist, dass sie nichts Neues und Bemerkenswertes in Martins
Buch gefunden haben, weil sie selbst Frauen sind und dieses
Verhalten aus eigener Erfahrung kennen. Es ist erstaunlich,
wie der Ton, in welchem die von mir gelesenen Rezensionen,
verfasst sind, dazu angetan ist, den Inhalt des Buches in
die Bedeutungslosigkeit des Alltäglichen einzuebnen.
Denn mir persönlich erscheint der Inhalt von Wednesday
Martins Buch erschreckend in einer Weise, dass ich meinen
würde, wenn auch nur die Hälfte oder ein Teil
von dem, was sie erzählt, stimmt, dann müsste
man etwas dagegen unternehmen.
Schluss
Wenn
man sich in unserer heutigen Gesellschaft für die unterschiedlichen
Verhaltensweisen von Frauen und Männern interessiert,
dann stößt man, wie ich aus eigener Erfahrung
weiß, oft auf heftige Abwehr. Langjährige Freunde
werden zornig und entgegnen einem, dass man dieses oder
jenes „nicht verallgemeinern dürfe“ und
dass es auf manche Männer doch auch zutreffe. Auf diese
Weise wehren sie sich dagegen, den Unterschied zwischen
Frau und Mann zu machen – und die Folge ist, dass
es ihnen auch nicht möglich ist, mithilfe der Unterscheidung
zwischen Frau und Mann die Sozialwelt zu beobachten.
Wenn
man heute die Unterscheidung zwischen Frau und Mann überhaupt
thematisieren darf, dann am ehesten noch unter dem Deckmantel
des Humors. Das geschieht in zahllosen Fernsehserien und
eben auch im Buch Die Primaten von der Park Avenue von Wednesday
Martin. Unabhängig davon, wie genau die Autorin nun
wirklich ihre Umwelt beobachtet hat und wie vertrauenswürdig
ihre Beobachtungen sein mögen, erscheint es mir plausibel,
dass das Buch untergehen wird, weil es nicht ernst genommen
wird. Interessant wäre es, alles, was relevant ist
in diesem Buch im Hinblick auf frauenspezifisches Verhalten
zu exzerpieren, allen Kitsch drumherum wegzulassen und die
herausgelösten Inhalte in eine Ordnung zu bringen.
Nur wenn man auf die Details achtet, könnte man aus
dem Buch etwas lernen.
Der
Aspekt, der mir in diesem Buch am interessantesten erschien,
ist, dass Frauen offenbar einen Trieb zum sozialen Aufstieg
ausleben, den sie selbst aber nicht als Trieb zum sozialen
Aufstieg wahrnehmen. Anstatt dessen interpretieren sie ihn
um, indem sie ihn so ausformulieren: „Ich will ja
nur zur Gruppe dazugehören.“ Diese Einstellung
verwandelt den sozialen Aufstieg in etwas Unschuldiges,
denn man ist ja nicht gierig, man hat auch keinen Geltungsdrang,
man lässt auch niemanden hinter sich zurück, sondern
will nur den „sozialen Anforderungen entsprechen“.
Nebenbei äußert sich der weibliche Trieb zum
sozialen Aufstieg natürlich dennoch in verletzenden
Verhaltensweisen gegenüber anderen Frauen (Nichtgrüßen,
sie übersehen, sie aus der Gruppe ausschließen
und mit Handtaschen rempeln), aber die Frau, solche Handlungsweisen
ausübt, erscheint nicht als Täterin, sondern als
Opfer des gesellschaftlichen Drucks.
Meiner
Rezension habe ich den Titel gegeben: „Weibliche Triebe
unter Bedingungen ökologischer Entlastung in beschleunigtem
Leerlauf“, weil es in Wednesday Martins Buch so erscheint,
als ob die Triebe zum sozialen Aufstieg, die unter Bedingungen
ökologischer Entlastung eigentlich keinen Sinn mehr
haben, weil diese Frauen und Mütter ohnehin schon ein
bequemes Leben führen und alles haben, was sie zum
Leben brauchen, das Einzige sind, woran sie sich halten
können, weil sich weigern, nach individuellen Lebenskonzepten
zu leben. Anstatt dass sie also täten, worauf sie Lust
haben, sind sie noch versessener darauf, sich im sozialen
Statuskampf mit anderen Frauen zu messen, weil die finanziellen
Mittel und die freie Zeit für dieses soziale Spiel
haben. Sie werden durch den Wohlstand also nicht frei zur
Selbstverwirklichung, sondern zum Statuskampf.
Schließlich:
Wir leben in einer Gesellschaft, in der dem Einzelnen –
selbst von seinen besten Freunden – immer wieder der
Ratschlag gegeben wird, sich mehr an die Gesellschaft anzupassen.
Diese gutwilligen Ratschläge folgen der Logik, wonach
ein Autofahrer, der auf der Autobahn als einziger in die
entgegengesetzte Richtung fährt, ein Geisterfahrer
ist, weshalb ein Lemming, der als einziger Lemming nicht
mit den anderen mitläuft, um sich ins Meer zu stürzen,
ein Geisterlemming sein muss. Mir kommt vor, die Meinung,
der Einzelne müsse sich an die Gesellschaft anpassen,
hat auch deshalb so viel Kraft, weil wir nicht darüber
aufgeklärt werden, wie die Gesellschaft ist, vor allem:
wie verrückt die Gesellschaft ist. Wednesday Martin
gibt ein schönes Bild von der Verrücktheit der
Gesellschaft, die uns Verhaltensweisen als vernünftig
erscheinen lässt, die es nicht sind.
Die
Ansicht ist weitverbreitet, dass das Soziale das Gute sei,
das Individuelle hingegen das Böse, und der Einzelmensch,
der sich von der Gemeinschaft zurückzieht, gilt als
eigenbrötlerisch. Viel richtiger erscheint es, wie
Martin das, eine andere Upper East Side-Mutter zitierend,
in ziemlich zurückhaltender Weise formuliert: „Viele
dieser knallharten, wettbewerbsorientierten, aufstiegsbewussten
Mamis und Papis können unter vier Augen total nett
sein. Aber die Gruppendynamik macht einige von ihnen einfach
unerträglich.“ (S. 172) Es scheint also so zu
sein, als müsse man den einzelnen Menschen zuerst einmal
aus der Gesellschaft oder Gemeinschaft herauslösen,
um vernünftig mit ihm reden zu können. Aber wahrscheinlich
dauern solche „Urlaube vom Sozialen“ nur für
die Dauer eines Gesprächs an, und dann fallen die Menschen
in ihre gesellschaftlichen Rollen zurück und werden
erneut unerträglich.
Auch
die Ansicht, dass reiche Leute trotz all dem, was sie haben,
nicht glücklich sind, ist weitverbreitet. Im Lichte
der Primaten von der Park Avenue erweist sie sich als falsch.
Sie müsste lauten: Reiche Leute sind nicht glücklich,
weil sie alles haben. Martins Buch zeigt auf, wie es funktioniert,
dass sie nicht glücklich sind und wie ihr Unglück
im Einzelnen aussieht. Aber natürlich ist nicht ihr
Reichtum an ihrem Unglück schuld, sondern sie selbst
sind es, und sie könnten auch wählen, glücklich
zu sein, nur müssten sie dann auf einiges verzichten,
in erster Linie auf soziale Anerkennung durch Leute, die
ihren Wert durch arrogantes Auftreten kundtun.
(Wien,
16.11.2018) |