Was
alles unwissenschaftlich ist
Rezension:
Alex Rosenberg:Philosophy of Science. A Contemporary
Introduction
Alex
Rosenberg: Philosophy of Science. A Contemporary Introduction.
Routledge, New York & Abingdon 2000.
1.
Es
ist interessant, wie sich dieses Buch präsentiert:
„Philosophers,
scientists and other defenders of the integrity of science
[…] have long opposed granting equivalent standing
to non-scientific ways of belief-formation. They have
sought to stigmatize astrology, “creation science”
or its latter variant, “intelligent design theory”,
or for that matter any New Age fashion, eastern mysticism,
holistic metaphysics, as pseudoscience, distractions,
diversions and unworthy substitutes for real scientific
explanation and its application in practical amelioration
of human life.” (S. 6) |
Wissenschaft
und Wissenschaftsphilosophie scheint es also nicht in erster
Linie darum zu gehen, was Wissenschaft wirklich ist, sondern
darum, sie abzugrenzen von unwissenschaftlichen Erkenntnisunternehmen.
Und zu welchem Behufe geschieht das?
„The
issue is not purely academic. In the United States some
years ago…” (ebd., gleich anschließend),
haben Leute, die unzufrieden waren mit dem langsamen Fortschritt
der Schulmedizin auf den US-Kongress eingewirkt, bis dieser
ein Office of Alternative Medicine gegründet und mit
“significant sums of money (allegedly diverted from
the funding of mainstream orthodox scientific research)”
(ebd.) ausgestattet hat. Diese Leute haben dann oft argumentiert,
dass ihre therapeutischen Substanzen nicht unter den standardisierten
doppelt-geblindeten Prüfungsmethoden funktionieren.
Mit
einem Wort, es geht der Wissenschaft nicht um Erkenntnis,
sondern nur ums Geld. Oder: Es geht um die gesellschaftliche
Verteilung von knappen finanziellen Mitteln. Es ist nun
nicht so, dass mich Rosenberg erst auf diese Idee hatte
bringen müssen: Immerhin leben wir in einer Wirtschaftordnung,
deren Basis das sog. „intellectual property“,
das „geistige Eigentum“, mitsamt der damit verbundenen
Verwertung von Patentrechen darstellt (wodurch wiederum
Arbeit, die nicht auf rechtlich abgesichertem Wissensvorsprung
besteht, entwertet wird – eine merkwürdige Konstruktion
im Grunde). Aber es ist eben doch noch einmal etwas anderes,
wenn es auch explizit gesagt wird, dass es in der Wissenschaft
nicht um Erkenntnis oder um Wissen geht, sondern in erster
Linie darum, die Gesellschaft davon zu überzeugen,
wissenschaftlichen Institutionen (auf Kosten anderer Erkenntnisunternehmen)
knappe finanzielle Mittel zuzuerkennen.
Nun
sagt aber Rosenberg noch: „Both parties have an equal
interest in understanding the nature of science, both its
substantive content and the methods by which it proceeds
in the collection of evidence, the provision of explanations,
and the appraisal of theories. In other words, both sides
of the debate need philosophy of science.” (S. 7)
Und
das ist der Grund, warum ich sage, dass es interessant ist,
wie das Buch sich präsentiert: Denn Rosenberg stellt
die Wissenschaftstheorie hier nicht als die große
Verteidigerin der Wissenschaft vor, sondern eher wie einen
Waffenproduzenten, der seine Waffen sowohl an die Polizei
als auch an die Verbrecher liefert, ans Militär wie
auch an die Terroristen. Nun gut, der Vergleich mag überzogen
sein, aber erstaunlich ist diese, sagen wir, „marktwirtschaftliche
Positionierung“ der Wissenschaftstheorie als intellektuelles
Dienstleistungsunternehmen allemal. Eine solche Wissenschaftstheorie
geht davon aus, dass sie der Gesellschaft vor allem nützlich
sein muss (Stichwort: „Kundennutzen“), und nützlich
sein kann sie eben nicht nur jenen, die sich für Wissenschaft
interessieren, sondern auch jenen, die das nicht tun. Also
wendet sie sich (jedenfalls dem Anspruch nach) auch den
Wissenschaftsverächtern zu und reklamiert das Vorrecht,
letzte Instanz in der Beurteilung des Erkenntnisrangs von
Wissenschaft zu sein, öffentlich für sich. Wissenschaftliche
Erkenntnisse also müssen nur von den überzeugten
Anhängern der Wissenschaft geglaubt werden, die Erkenntnisse
der Wissenschaftstheorie hingegen von allen.
2.
Weiters
fand ich interessant, denn das hatte ich vorher nicht gewusst,
dass eigentlich alle wissenschaftstheoretischen Argumente,
welche den größeren Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse
gegenüber anderen Erkenntnissen bestätigen sollen,
eigentlich nicht halten.
Rosenberg
beginnt mit dem „deductive-nomological (D-N) model“
wissenschaftlicher Erklärungen von Carl G. Hempel:
1.
The explanation must be a valid deductive argument.
2. The explanans must contain at least one
general law actually needed in the deduction.
3. The explanans must be empirically testable.
4. The sentences in the explanans must be true.”
(S.
30-31) |
Was
der logische Positivist Hempel mit dem D-N-Modell machte,
ist eigentlich, sich um die Frage kausaler Verursachung
herumzudrücken (denn deren Erklärung ist wissenschaftstheoretisch
happig) und anstatt dessen beim Begriff des allgemeinen
Gesetzes Zuflucht zu nehmen. Aber man muss sich fragen,
warum ein allgemeines Gesetz etwas erklärt? Das kann
sein, weil allgemeingültige Gesetze kausale Relationen
beinhalten oder weil sie irgendeine Art von Notwendigkeit
in der Natur zum Ausdruck bringen.
Kausale
Relationen nun sind wiederum deshalb schwierig, weil bei
einem „aus jedem A folgt kausal B“, das A auch
alle notwendigen Umstände beinhalten muss, damit B
folgen kann (z.B. das Streichholz muss trocken sein, damit
es sich beim Anstreichen entzündet) – und das
können sehr viele sein.
Auch
Humes Problem der Induktion, also wie aus einer endlichen
Anzahl von Beobachtungen eine unendliche Zahl von wiederholbaren
Vorgängen – wie sie das aus den Beobachtungen
formulierte wissenschaftliche Gesetz zum Ausdruck bringt
– garantiert werden kann, ist noch nicht gelöst.
Ja
man weiß ja noch nicht einmal, was denn eigentlich
ein positiver Beleg für eine wissenschaftliche Hypothese
ist: Für die Hypothese „Alle Schwäne sind
weiß.“ – ist z.B. ein schwarzer Stiefel
eine positive Belegbeobachtung, denn es handelt sich bei
um und einen nicht-weißen Nicht-Schwan (S. 119).
Ein
Grundproblem der Wissenschaftstheorie folgt aus dem wissenschaftlichen
Anspruch (oder dem des Empirismus, der herrschenden Ideologie
in der Philosophy of Science), dass sich wissenschaftliche
Erklärungen empirisch überprüfen lassen sollten.
Daraus folgt, dass man in der wissenschaftlichen Erklärung
etwas mehr erklären sollte, als sich sehen lässt
(denn sonst hätte die wissenschaftliche Erklärung
ja keinen Mehrwert), während in der empirischen Überprüfung
der wissenschaftlichen Theorie dasjenige empirisch beobachtet
werden sollte, was sich nicht beobachten lässt, weil
die wissenschaftliche Erklärung doch über den
Bereich der Beobachtung hinausgeht.
Doch
bleibt eine solche empirische Überprüfung des
Unbeobachtbaren durch Beobachtungen noch solange zumindest
grundsätzlich vorstellbar, als es zwei stabile und
sauber von einander getrennte Sprachen gibt: jene der empirischen
Beobachtung und jene, in der die wissenschaftliche Theorie
formuliert ist. Was aber, wenn unsere Beobachtungen Einfluss
haben auf unsere Ideen und wenn unsere Erklärungen
mitbestimmen, wie wir die Dinge sehen?
Ich
muss jetzt dazusagen, dass mich alle diese Fragen nicht
besonders interessieren. Interessant finde ich hingegen,
dass das Buch auf keine von ihnen Antworten anbietet. Im
Gegenteil: Die Strategie des Buches ist durchgehend so angelegt,
dass Rosenberg ein scheinbar einfaches Problem präsentiert,
um dann darzustellen, wie kompliziert und vertrackt es in
Wirklichkeit ist.
Antwort
hingegen gibt es in diesem Buch auf keine einzige von all
diesen Fragen, die ja doch an sich Einwände darstellen
gegen Behauptung, dass Wissenschaft eine Erkenntnisform
höherer Güte gegenüber anderen Formen der
Erkenntnis sei. Das aber erscheint mir nicht ganz unerheblich
zu sein für eine Charakterisierung der Wissenschaftstheorie,
denn dem Gesamteindruck von Rosenbergs Philosophy of
Science-Buch zufolge zeichnet sie sich durch bloß
Problemkenntniskompetenz aus, nicht aber durch Problemlösungskompetenz.
Demzufolge
wäre sie ein typisch philosophisches Unternehmen der
Inkompetenzkompensationskompetenz (Odo Marquard). Aber,
einmal ehrlich gesagt, ich glaube eigentlich nicht daran,
dass die Wissenschaft einer argumentativen Abstützung
der höheren Dignität ihrer Erkenntnisse durch
die Wissenschaftstheorie tatsächlich bedarf, um ihre
bevorzugte Stellung in der Gesellschaft zu erhalten. Und
im Grunde bestätigt mich Rosenbergs Buch ja sogar noch
in meiner Hypothese, denn es zeigt, dass es ausreicht, die
Probleme bis dorthin zu verfolgen, wo sie kompliziert und
schwer entscheidbar werden. Ist man dann der einzige, der
die Problemexpertise anbieten kann, während die Probleme
selbst ungelöst bleiben, so ergibt sich daraus trotzdem
die Berechtigung zu jener gesellschaftlichen Autorität,
welche eigentlich – naiv gedacht – die befriedigende
Antwort auf grundsätzliche Fragen zur Voraussetzung
hätte.
3.
Diejenigen
Fragen hingegen, die mich beim Thema Wissenschaft besonders
interessieren würden, finden in dem Buch gar keine
Berücksichtigung. Es sind dies vor allem das Thema
der Quantität und Unübersichtlichkeit des Wissens
und die sich daran anschließenden Fragen, wie man
das Wissen ordnet, darstellt und pädagogisch lehrbar
macht; weiters die Frage nach der flächigen Anordnung
des Wissens in Disziplinen und Forschungsgebiete und danach,
was diese Anordnung mit dem Wissen macht und zwar insbesondere
dann, wenn WissenschaftlerInnen zu ExpertInnen werden und
sich nicht mehr für das interessieren, was außerhalb
des Felds ihrer Spezialisierung liegt; schließlich
die Frage, wer mit Autorität über welches Wissens
sprechen darf oder ob das ein jeder Mensch darf, wenn er
nur das wissenschaftlich Wahre aussagt?
Die
Ausblendung all dieser Fragen mag zum Teil dem Begriffsinhalt
des englischen Worts „science“ geschuldet sein,
der enger ist als der des deutschen Worts „Wissenschaft“
und im Wesentlichen nur die Naturwissenschaften enthält
und vielleicht zum Teil noch ein bisschen die Sozialwissenschaften,
aber das nur insofern, als ihnen eine Annäherung an
die strengeren methodischen Standards der Naturwissenschaft
gelungen ist.
Die
Folge dieses verengten Wissenschaftsbegriffs ist jedoch
die, dass im gesamten Buch von Rosenberg (und wahrscheinlich
verhält es sich in anderen Wissenschaftstheoriebüchern
ähnlich) Wissenschaft als eine übersichtliche
Menge Wissens erscheint, deren einziges Problem ihre wissenschaftstheoretische
Fundierung ist. Zu diesem Eindruck trägt auch die Wahl
der Beispiele bei. Es handelt sich dabei um einige wenige,
die sich öfter wiederholen und fast immer aus der Physik
stammen (wie das ideale Gasgesetz (PV = rT) und die Gesetze
Newtons).
Ich
glaube aber, dass auch die Naturwissenschaft in der heutigen
Zeit der Zeitschriftenpublikationen, die im Internet publiziert
werden, das Problem der Unübersichtlichkeit von Wissen
hat und dass dieses Problem wächst. Es mag wohl sein,
dass die Zahl naturwissenschaftlicher Gesetze sich reduziert,
indem einzelne Gesetze in größere, umfassendere
Gesetze integriert werden, aber trotzdem muss sich die Menschheit
merken, auf was alles diese Gesetze sich anwendbar sind,
denn die Technik hantiert letztendlich wieder am konkreten
einzelnen Werkstück.
4.
Zum
Glück kam im 6. Kapitel, als mir die Lektüre gar
zu mühsam zu werden drohte, Thomas S. Kuhn daher. Kuhns
Buch Structure of Scientific Revolutions erscheint
mir deshalb so wichtig, weil er als Erster einen Blick darauf
geworfen hat, was Wissenschaftler denn tatsächlich
machen. Wissenschaftstheorie beschränkt sich ja herkömmlich
darauf, was WissenschaftlerInnen machen sollten, um gute
Wissenschaft zu machen, also auf die normativen Aspekte
von Wissenschaft. Doch die normative und die deskriptive
Darstellung von Wissenschaft erscheinen mir immer so unterschiedlich,
als ob beide von komplett unterschiedlichen Tätigkeiten
handeln würden. So also, als ob die eine beschriebe,
wie einer angelt, während die andere davon spricht,
wie einer Flöte spielt. Kuhn nun hat in seinem Buch
einen ersten Schritt in die Richtung getan sich anzusehen,
was denn die WissenschaftlerInnen wirklich tun. Einen ersten
Schritt nenne ich es, weil eine akkurate Untersuchung heutiger
organisierter und institutionalisierter Wissenschaft natürlich
noch einmal weit über Kuhns Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte
hinausginge.
Dennoch
ist Kuhn auf Erstaunliches gestoßen, auf die „wissenschaftlichen
Revolutionen“ – und von Rosenberg konnte ich
nun erfahren, was denn daran die eigentliche Herausforderung
für die Wissenschaftstheorie ausmacht. Es ist das die
Tatsache, dass Kuhn meinte, eine neue wissenschaftliche
Theorie, die eine ältere ablöst, müsse nicht
in allen Aspekten besser und der Realität näher
sein als die alte. Hingegen sei es möglich, dass sie
Erklärungen für einige Fragen bieten könne,
die die alte Theorie nicht erklären konnte, während
sie bei anderen Phänomenen desselben Problembereichs
der alten Theorie nachstehe:
„According
to Kuhn, though a new paradigm may solve the anomaly
of its predecessor, it may leave unexplained phenomena
that its predecessor successfully dealt with or did
not need to deal with. There is a trade-off in giving
up the old paradigms for a new, an explanatory loss
is incurred as the expense of the gain.” (S.
153)
Und:
„It is not surprising that many philosophers
of science and scientists have been unhappy with an
account of science such as Kuhn’s, which denied
its progress, its cumulativeness, and its rationality.”
(S. 163)
|
Das
fand ich bemerkenswert, weil mir scheint, dass Kuhns Theorie
wissenschaftlicher Revolutionen auch in dem Fall bedeutsam
ist, wenn es Fortschritt in der Wissenschaft gibt: Wenn
wissenschaftlicher Theoriewechsel in der Weise „gewaltsam“
(=geprägt von Streit, Missachtung und Unverständnis),
wie Kuhn es beschreibt, vor sich geht und ein Wissenschaftler
durch solche Vorgänge zehn Jahre seines Lebens verliert,
so kann das seine gesamte wissenschaftliche Karriere vernichten
– und Kuhns Theorie ist somit zumindest von Bedeutung
für diesen einzelnen Wissenschaftler. Aber vielleicht
kümmert sich eine Wissenschaftstheorie, der es bloß
um die Sicherung gesellschaftlicher Finanzmittel für
das Gesamtunternehmen Wissenschaft geht, nicht um den einzelnen
Wissenschaftler/die einzelne Wissenschaftlerin?
Noch
bemerkenswerter aber fand ich folgendes Statement: „If
the philosophy of science has learned one lesson from Thomas
Kuhn, it is that it cannot let the analysis of what actually
happened in science fall exclusively into the hands of those
with a relativistic or skeptical agenda.” (S. 191)
Das ist good news für mich, denn es bedeutet, dass
die Wissenschaftstheorie sich auch selber mit der Geschichte
der Wissenschaft beschäftigen sollte. Damit gewinnt
dasjenige, was mich an der Wissenschaft interessiert (z.B:
was Wissenschaftler wirklich tun und der Einfluss von Organisation
auf das Wissen), zumindest den Charakter der Forderung an
die Wissenschaftstheorie, und ich kann von nun an zu Wissenschaftstheoretikern,
die permanent über Fragen diskutieren, die mich nicht
interessieren, sagen: „Rosenberg sagt, mit dem, was
tatsächlich in der Wissenschaft geschieht, solltet
ihr euch auch beschäftigen!“
5.
Gegen
Ende des Buchs springt noch – dem Postmodernismus
sei dank! – ein besonders lustiger Frosch aus dem
Teich der Wissenschaftstheorie. Rosenberg erhellt dort nämlich
die Motivation skeptischer Argumente wider die Wissenschaft,
indem er sagt, man könne doch den Wissenschaftskritikern,
die behaupten, Wissenschaft liefere keine objektive Erkenntnis,
vorwerfen, sie hätten selbst keine objektive Evidenz
für diese Behauptung. Aber damit, sagt er, würde
man nicht weit kommen, denn „This is largely because
opponents of scientific objectivity have little interest
in convincing others that their view is correct. Their dialectic
position is largely defensive; their aim is to protect areas
of intellectual life from the hegemony of natural science.”
(S. 187)
Ja,
das kommt mir auch so vor: WissenschaftskritikerInnen haben
wohl gewöhnlich nichts gegen die Wissenschaft; sie
verteidigen sich nur dagegen, mit der großen Klappe
objektiver Wahrheit platt geschlagen zu werden.
Damit
gewinnt für mich eine Frage immer mehr an Bedeutung,
die ich in der Wissenschaftstheorie in meiner Leseerfahrung
bislang auch noch nicht behandelt gefunden habe. Die Frage
nämlich, ob Wissenschaft nicht mehr dadurch bestimmt
wird, was unwissenschaftlich ist oder als unwissenschaftlich
gilt, als dadurch, was wissenschaftlich ist?
Es
scheint so zu sein, dass verschiedene menschliche Unternehmungen
sich in sehr unterschiedlichem Maß von dem her bestimmen,
was ihr Gegenteil ist: Man kann zwar sagen, etwas sei „unphilosophisch“,
aber diese Aussage ist von viel schwächerer Wirkung
als diejenige, dass etwas „unwissenschaftlich“
sei. Dass etwas „unkünstlerisch“ sei, habe
ich noch nie gehört. „Unmedial“? „Unarbeit“?
„Unrechtlich“? Der Fall des Rechts ist besonders
interessant: Freilich kann jemand ein Unrecht begehen. Allerdings
ist der gesamte Apparat des Rechts dazu da, das Unrecht
zu verwalten und zu bestrafen, womit man kaum sagen kann,
das Unrecht stehe außerhalb des Rechtssystems. Das
Rechtssystem und seine Gesetze sind ja für das Unrecht
da in einer Weise, wie die Wissenschaft nicht für unwissenschaftliche
Erkenntnisse da ist. Das einzige Wort, das dem Ausdruck
„unwissenschaftlich“ in seiner Heftigkeit halbwegs
gleichkommt, ist das Wort „unmoralisch“ (aber
vielleicht ist ja auch das Wort „wissenschaftlich“
ein hochmoralisches oder –moralisiertes Wort)?
Zusammenfassend:
Aus
dem Buch Philosophy of Science. A Contemporary Introduction
von Alex Rosenberg kann man sich ein Bild von der höchst
unvollkommenen Agenda der Wissenschaftstheorie machen, die
einige Fragen sehr detailliert ausgearbeitet hat, während
andere gar nicht vorkommen, und kommt zu dem Schluss, dass
die eigentliche Frage, die man sich nach Betrachtung all
dieser Einzelfragen stellen muss, immer wieder die ist,
was denn Wissenschaft überhaupt ist: Die Beschäftigung
mit den Detailfragen kann nicht Ausdruck dessen sein, dass
man die Ausgangsfrage, jene nach dem Wesen oder der tatsächlichen
Verfasstheit des Unternehmens Wissenschaft, schon verstanden
hätte.
1.
Dezember 2012
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