Wohin
mit dem persönlichen Erkennen? Rezension von Julián
Marías' Buch Razón de la filosofía
(1993)
Julian
Marías: Razón de la filosofía.
Alianza Editorial, Madrid 1993.
1.
Meine philosophische Heimat
“La
filosofía es siempre asunto personal” [“Die
Philosophie ist immer eine persönliche Angelegenheit.”]
(S. 13)
Das ist
der erste Satz von Julian Marías’ (1914-2005)
Buch Razón de la filosofía [Vernunft der Philosophie]
(1993)!
Diesen
Satz widme ich an allen Anhängern der objektiven Erkenntnis
in der Philosophie, weil ja auch gewiss so mancher sich
fragen wird: „Was der Hofbauer immer so schreibt,
das ist merkwürdig. Wo kommt denn das her?“ Und
tatsächlich: Es gibt einen Ort, wo es herkommt. Auch
ich habe meine intellektuelle Heimat! Das vergesse ich von
Zeit zu Zeit, weil ich zumeist nur lese, „was die
anderen tun“. Dann aber beeindruckt und schockiert
es einen natürlich schon ganz gewaltig, wenn man dem
eigenen philosophischen Herkommen in einem Buch, das man
noch gar nicht kannte, überraschend und in solcher
Deutlichkeit begegnet.
2.
Was erzählt Julian Marías in dem Buch eigentlich?
Das alles
bedeutet aber jetzt nicht, dass ich mich mit diesem Herrn
aus Spanien, mit dem ich einer Meinung darüber bin,
wo wir herkommen, auch darüber verständigen könnte,
wo der Weg der Philosophie denn hingehen sollte. Und eben
darum schreibe ich ja auch diese Zeilen: Weil ich nämlich
aus diesem Buch, das mir philosophisch so nahe steht wie
kaum ein anderes, am Ende unzufrieden herausgekommen bin.
Es findet darin nämlich meiner Meinung nach auch eine
gewisse Realitätsverweigerung statt, vor allem eine
soziologischer Art.
Aber
was erzählt Julian Marías in dem Buch überhaupt?
Er erzählt davon, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts
zahlreiche neue philosophische Konzepte entwickelt wurden,
die nun bereit stünden und auf ihre Anwendung und auf
die Weiterentwicklung der begonnenen neuen Philosophie warten.
Doch obwohl das 20. Jahrhundert philosophisch so fruchtbar
gewesen sei wie kein anderes vorher, habe man sich überraschenderweise
und aus keinem für Marías erkennbaren besonderen
Grund von diesen philosophischen Errungenschaften abgewandt.
„Lo
que parece claro es que desde comienzos del siglo
XX, por sus pasos contados, a veces en conflicto,
con vacilaciones y retrocesos, se había recuperadeo
el sentido de la filosofía, se habían
ido descubriendo sus requisitos, sin los cuales no
puede existir auténticamente, y se había
iniciado una nueva época, el descubrimiento
de un continente que habría que explorar. Lo
sorprendente, casi increíble, es que, apenas
empezada la exploración y cuando se habían
trazado los caminos que prometían el avance,
ha habido una extraña tentación al abandono,
de volver la espalda a la tierra prometida.”
(S. 95)
[“Was
klar erscheint, ist, dass seit dem Beginn des 20.
Jahrhunderts schrittweise, manchmal in konfliktiver
Weise, mit Schwankungen und Rückschritten, der
Sinn der Philosophie wiedergewonnen wurde, ihre Anforderungen,
ohne die sie nicht authentisch existieren kann, wurden
entdeckt und eine neue Epoche wurde initiiert,
die Entdeckung eines Kontinents, den es zu erforschen
galt. Das Überraschende, fast Unglaubliche, ist,
dass es, kaum dass die Erforschung begonnen hatte
und die ersten Pfade gezogen worden waren, es eine
seltsame Versuchung zur Aufgabe (dieses Projekts)
gegeben hat, eine Versuchung, dem versprochenen Land
den Rücken zuzukehren.“] (Übersetzung:
H. H.)
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Marías
nennt die Namen von Brentano, Dilthey, Husserl, Bergson,
Unamuno, Scheler, Hartmann, Heidegger, Jaspers, Ortega,
Marcel, Zubiri, Whithead, Collingwood, William James, Santayana
und Wheelwright („und einiger mehr“) als jene
Philosophen, die seiner Meinung nach eine „teoría
general“, eine allgemeine Theorie aufgestellt haben,
die Ausgangspunkt für eine gegenwärtige Philosophie
sein könnte und sollte (S. 114).
Anstatt
dessen habe so etwas wie eine „Invasion der Dinge“
stattgefunden (S.48). Das bedeutet vor allem, dass man alle
Phänomene der Realität nach dem Vorbild der Dinge
zu verstehen versucht. Aber eigentlich ist das ja schon
immer so gewesen: Die Vorsokratiker hatten das Sein von
der Erscheinung unterschieden, um im Sein einen festen und
unveränderlichen Grund für die Erkenntnis zu finden.
Die Dinge haben denselben Vorteil, sie bleiben sich gleich
und verändern sich nicht, weshalb die Erkenntnis des
unveränderlichen Seins der ersten Philosophen und die
dingliche Erkenntnis dieselbe Absicht teilen.
“Se
podría caracterizar nuestra época, en
las sociedades “desarrolladas”, como la
invasión de las cosas. Todas las casas están
llenas de objetos, principalmente aparatos, hasta
hace poco tiempo inexistentes. Y esa invasión
de las cosas no es solo física, sino también
mental: no se cuenta con lo que no son “cosas”,
no se reconoce su realidad. He señalado hace
tiempo que en las grandes enciclopedias recientes
no hay un artículo “amor”, ni “felicidad”,
ni “vida” (más que biológica).
Lo que no son cosas no tiene carta de ciudadanía.”
(S. 48)
[“Man
könnte unsere Epoche in den “entwickelten”
Gesellschaften als die Invasion der Dinge charakterisieren.
Alle Häuser sind voller Objekte, allem voran
Apparate, die es bis vor kurzer Zeit noch nicht gegeben
hat. Und diese Invasion der Dinge ist nicht nur physisch,
sondern auch geistig: Man rechnet nicht mit
dem, was kein „Ding“ ist, man erkennt
seine Realität nicht an. Früher schon habe
ich einmal angemerkt, dass es in den großen
Enzyklopädien jüngeren Erscheinungsdatums
keinen Artikel „Liebe“ gibt, noch „Glück“,
noch „Leben“ (über das biologische
Leben hinausgehend). Was keine Dinge sind, hat kein
Bürgerrecht.“] (Übersetzung: H. H.)
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Eben
diese Reduktion der Erkenntnis auf den dinglichen Aspekt
hatten die Philosophen zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwunden,
zuerst durch eine Erweiterung des Realitätsbegriffs
und dann natürlich – für Julian Marías
als Schüler von Ortega y Gasset – durch die Lebensphilosophie
Ortegas. Für die Erweiterung des Realitätsbegriffs
steht etwa Wilhelm Diltheys Unterscheidung zwischen Erklären
und Verstehen, mit der die Behauptung einhergeht, dass es
eben nicht nur das naturwissenschaftliche Erklären
gibt, und Edmund Husserls Unterscheidung zwischen Tatsachen
und Ideen, welche behauptet, dass es eben nicht nur Tatsachen
gibt (S. 98-99).
Die Lebensphilosophie
Ortega y Gassets ist eine Weiterentwicklung der Phänomenologie
von Edmund Husserl. Woran Edmund Husserl arbeitete, war
das von Kant her ungelöste Problem der „Dinge
an sich“. Es kann letzten Endes einfach nicht überzeugen,
dass Erkenntnis etwas ist, das sich allein in der Vernunft
des Menschen abspielt und wie die äußere Realität
(= die Dinge an sich) wirklich aussieht, das weiß
man nicht und darüber kann man keine Aussage treffen.
Erkenntnis muss doch in einer Verbindung des erkennenden
Subjekts und der erkannten äußeren Objekte bestehen,
wenn sie tatsächlich Erkenntnis sein soll. Diese Verbindung
herzustellen, das war das große Projekt der Phänomenologie:
Der Mensch sieht einen Tisch, einen Baum oder einen anderen
Gegenstand, und indem er diese Gegenstände denkt und
sich ihrer bewusst wird, ist er zugleich schon draußen,
mitten unter ihnen in der äußeren Realität.
Ebenso
wie die Phänomenologie hielt auch José Ortega
y Gasset Subjektivismus und Objektivismus, Rationalismus
und Empirismus sowie Idealismus und Realismus – die
großen Gegenpositionen in der Philosophiegeschichte
– für einseitige und beschränkte Gesichtspunkte.
Allerdings hielt er im Gegensatz zu Husserl die phänomenologische
Reduktion für schlichtweg unmöglich (S. 93). Durch
die phänomenologische Reduktion sollen wir nach Vorstellung
der Phänomenologen durch eine Art geistige Willensentscheidung
unser Vorverständnis von den Dingen ausschalten, um
sie so sehen zu können, wie sie wirklich sind. Was
durch die phänomenologische Reduktion erreicht werden
soll, ist die Konstitution eines reinen Bewusstseinsraums,
in dem die Dinge uns in der Erkenntnis erscheinen können
– und da sagt Ortega, diesen reinen und ein für
allemal bestehenden Bewusstseinsraum gibt es nicht. Hingegen
sind wir immer von unserem Vorverständnis der Dinge
beeinflusst und unser Bewusstsein hat eine Entwicklung durchlaufen,
ohne deren Berücksichtigung unverständlich bleibt,
warum wir einen Gegenstand so auffassen, wie wir es tun.
Allerdings
heißt Ortegas Lebensphilosophie nicht deshalb „Lebensphilosophie“,
weil es in ihr eine geheime Lebenskraft gibt, um deren Verständnis
sich das gesamte Projekt der Lebensphilosophie dreht, sondern
deshalb, weil das Leben für uns eine Aufgabe ist, die
wir zu erfüllen haben. Mit anderen Worten: Wir haben
es hier mit einer völligen Dynamisierung der Perspektive
zu tun. Während die herkömmliche Herangehensweise
– und die allgemein bekannte – diejenige ist,
dass dasjenige, was wir erkennen können, die Realität
ist, und diese Realität IST irgendwie oder auch anders,
erkennen wir nach Ortega alle Wirklichkeit auf der Basis
der radikalen Realität unseres Lebens, und dieses Leben
IST eben nicht irgendwie, denn das Leben VERÄNDERT
sich, es WIRD fortwährend, aber es WIRD auch nicht
von allein, sondern wir müssen unseren Teil DAZU TUN.
“Realidad
radical
Ante
todo, con la fórmula de 1914, máxima
condensación, “yo soy yo y mi circunstancia”,
Ortega dejó atrás todo subjetivismo
e idealismo, sin recaer por supuesto en el realismo.
Como circunstancia es todo lo que me rodea,
mi vida aparece como la realidad radical
en la que aparecen o se constituyen todas las demás,
“radicadas” en ella. Es, pues, el ámbito
o área en que acontece todo lo que es real,
en cualquier sentido de esta palabra.
Bastaría con esto para distinguir entre mi
vida y el hombre, y por supuesto se trata de la vida
real, ejecutiva, algo que no puede coincidir con el
idealismo refinado de Husserl.
Tamoco coincide con el Dasein de Heidegger,
que es “el modo de ser de ese ente que somos
nosotros”, cuyo análisis es necesario
para comprender el sentido del ser, ya que
el Dasein está definido por la “comprension
del ser” o Seinsverständnis. [...]
Desde mi vida como realidad radical hay que descubrir
y comprender las realidades “radicadas”,
con una distinción que es operante, y que falta
en todas las demás filosofías de nuestro
tiempo. Esto va a obligar a buscar categorías
y conceptos adecuados para la intelección de
lo descubierto, cuya posesión no puede lograrse
con los elaborados para entender lo que son las “cosas”.
La vida humana no es cosa, ni material ni espiritual,
consiste en hacer o quehacer, para intentar
reabsorber la circunstancia, humanizarla, personalizarla,
convertirla en mundo. La vida es estrictamente
personal, no un qué sino un quién,
algo proyectivo – en expresión mía
futurizo-, real e irreal a la vez. Es drama,
lo que yo hago con las cosas para ser quien pretendo
ser.”
(S. 102-103)
[“Radikale
Realität
Vor
allem mit der maximal kondensierten Formel von 1914,
„ich bin ich und meine Umgebung“, hat
Ortega allen Subjektivismus und Objektivismus hinter
sich gelassen, ohne freilich in den Realismus zurückzufallen.
Da Umgebung alles ist, was mich umgibt, erscheint
mein Leben als die radikale Realität,
in der alle anderen als in ihr „verwurzelt“
erscheinen oder sich konstituieren. Es ist also der
Bereich oder das Gebiet, in dem alles geschieht, was
real ist, in jedem Sinne dieses Wortes.
Das genügt, um zwischen meinem Leben und dem
Menschen zu unterscheiden, und freilich handelt es
sich um ein reales, tatsächlich geführtes
Leben, etwas, das nicht mit dem verfeinerten Idealismus
von Husserl zusammenfallen könnte.
Es fällt auch nicht mit dem Dasein von
Heidegger zusammen, welches die „Seinsweise
dieses Seienden ist, das wir sind“, dessen Analyse
notwendig ist, um den Sinn des Seins zu verstehen,
da ja das Dasein definiert ist durch das
„Seinsverständnis“. […]
Ausgehend von meinem Leben als radikaler Realität
gilt es, die „verwurzelten“ Realitäten
zu entdecken und zu verstehen, mithilfe einer wirkungsvollen
Unterscheidung, die in allen übrigen Philosophien
unserer Zeit fehlt. Das wird uns dazu anhalten, Kategorien
und Konzepte zu suchen, die adäquat sind für
das Verständnis des Entdeckten, das nicht erlangt
werden kann mit den Machwerken, die dem Verständnis
der „Dinge“ dienen.
Das menschliche Leben ist kein Ding, weder ein materielles
noch ein spirituelles, es besteht in einem Machen
oder in einer Aufgabe, welche versucht, die
Umgebung zu reabsorbieren, sie zu humanisieren, zu
personalisieren, sie in Welt zu verwandeln.
Das Leben ist streng persönlich, es ist kein
was, sondern ein wer, etwas Projektives
– in meiner Ausdrucksweise, etwas Zukunftsorientiertes
– real und irreal zugleich. Es ist ein Drama,
was ich mit den Dingen tue, um zu sein, was ich zu
sein beabsichtige.“] (Übersetzung: H.H.)
|
Auf
welche Art von Erkenntnis läuft Ortegas Konzept der
Lebensphilosophie hinaus? Nun, im Gegensatz zur dinglichen
Erkenntnis der Naturwissenschaften, in welcher die Dinge
irgendwie sind, und man kann das ein für allemal aussagen,
weil sie in tausend Jahren noch ebenso sein werden, gibt
es in der Erkenntnis aus der Perspektive der Lebensphilosophie,
wenn man nach vorn schaut, Wünsche, Projekte und Aufgaben
und wenn man zurück schaut, Erinnerungen sowie den
Vergleich zwischen dem, was man vorher angestrebt hat und
dem, was am Ende dabei herausgekommen ist. Aus diesem Grund
spielt auch das Erzählen für Julian Marías
eine große Rolle, weil diese an sich uralte Kulturtechnik
im Grunde genau jene dynamische Perspektive nachvollzieht,
die die Lebensphilosophie Ortegas im Blick hat: Die Dinge
sind nicht irgendwie, denn es gibt kein Sein in dieser Perspektive,
sondern zuerst einmal erscheinen sie uns irgendwie, und
wir verbinden mit ihnen irgendwelche Wünsche und Projekte;
dann durchlaufen wir sie gleichsam im Strudel des Handelns
und hinterher blicken wir auf sie zurück und sehen
in ihnen immer noch, was wir einmal von ihnen gewollt hatten.
Julían
Marías hat beeindruckende Beispiele für die
Radikalität des Perspektivenwechsels durch die Lebensphilosophie
anzubieten. So meint er etwa, dass das bekannte Buch Max
Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos eigentlich
besser heißen müsste: „Die Stellung des
Kosmos in meinem Leben“, denn die herkömmliche
Auffassung geht davon aus, dass der Mensch sich im Kosmos
befindet, aber den Kosmos gibt es auch nicht, wenn er nicht
im Leben des einzelnen Menschen erscheint. Ein anderes faszinierendes
Beispiel sind Kants vier Fragen der Philosophie im weltbürgerlichen
Sinne – Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was
darf ich hoffen? Was ist der Mensch? – die Marías
durch zwei von einander abhängige Fragen ersetzen würde,
nämlich: Wer bin ich? – und: Was wird aus mir
werden? In diesen beiden Fragen zeigt sich die Dynamik der
Ortegaschen Perspektive deutlich, denn je mehr ich weiß,
was aus mir werden wird, desto mehr verdingliche ich (=meine
Zukunft steht fest) und desto mehr hört die erste Frage
auf, beantwortbar zu sein (denn ich bin ja nun kein „wer“
mehr, sondern ein „was“). Je mehr ich hingegen
weiß, wer ich bin und also weiß, was ich will,
was ich mir wünsche und was ich vorhabe, desto weniger
werde ich wissen, was aus mir werden wird.
3.
Mit der radikalen Befragung der Realität lasse ich
mich nicht abspeisen
Die
Lebensphilosophie bietet auch erstaunliche Einsichten in
das Erzählen; so sagt Marías etwa, dass man
immer „von den Projekten her“ erzähle (S.
134). Das alles ist interessant und gut und wichtig, aber
womit ich mich nicht abspeisen lasse, ist Marías’
Klage, dass man heute keine „radikalen Fragen“
mehr an die Realität stelle und die Wissenschaft das
ja schon von Vornherein nicht tue, weil sie auf der Hypothese
der Realität des Realen aufbaue und diese Hypothese
nicht weiter hinterfrage. Es geht auch irgendwie nicht an,
die radikale Erkenntnis der Philosophie der wissenschaftlichen
Erkenntnis entgegenzustellen in einer Welt wie der unseren,
die tagtäglich gespannt auf wissenschaftliche Erkenntnisse
wartet, um daraus neue technische Gerätschaften zu
entwickeln; Wissen für neue technische Produkte ist
von der persönlichen Erkenntnis nämlich nicht
zu erwarten.
„Lo
más importante y de más hondas consecuencias
es, sin embargo, algo distinto y difícil de
percibir: la eliminación de las preguntas
radicales, lo cual lleva a una trivialización
del pensamiento. Lejos de enfrentarse con lo que hay
que plantear sea cualquiera el resultado de la
empresa, se distrae la atención intelectual
hacia cuestiones que cuiadosamente dejan fuera aquello
respecto a lo cual es menester saber a qué
atenerse.
Esta es la raíz de la presente hostilidad a
la filosofía, que está desapareciendo
del horizonte intelec-[S. 226]tual de nuestra época
y, desde luego, de la enseñanza. Y hay algo
todavía más eficaz y que envuelve mayor
refinamiento: la suplantación de la
filosofía. Lo que se persigue es que no
exista, pero parezca existir. ¿No es esto
literalmente la definición platónica
de la sofistica?” (S. 225-226)
[“Das
Wichtigste und dasjenige, was die tiefgreifendsten
Konsequenzen hat, ist jedoch etwas anderes und schwer
wahrzunehmen: die Elimination der radikalen Fragen,
was zu einer Trivialisierung des Denkens führt.
Weit davon entfernt, welches Problem man sich
stellen muss, gleichgültig was das Ergebnis
des Unternehmens sein wird, wird die intellektuelle
Aufmerksamkeit zu Fragen abgelenkt, welche sorgfältig
dasjenige außen vor lassen, in Bezug auf das
man es nötig hat zu wissen, woran man sich halten
kann.
Das ist die Wurzel der gegenwärtigen Feindlichkeit
gegenüber der Philosophie, welche dabei ist,
vom intellektuellen Horizont unserer Zeit zu verschwinden
und, selbstverständlich, aus dem Unterrichtswesen.
Und es gibt etwas noch Wirkungsvolleres und Feineres:
die Verdrängung der Philosophie. Was
damit erreicht wird, ist, dass sie nicht existiert,
aber zu existieren scheint. Ist das nicht wörtlich
die platonische Definition der Sophistik?“]
(Übersetzung: H.H.)
|
Wie
soll ich das sagen? Damit man einen solchen Diskurs wie
den von Julián Marías akzeptiert, muss man
auch die Ehrfurcht vor der Phänomenologie und vor anderen
philosophischen Unternehmungen teilen, die sich der Mammutaufgabe
stellten, der Realität ganz auf den Grund zu gehen
und die Frage nach den ersten und den letzten Dingen zu
stellen. Wenn man das nicht tut – und ich tue das
nicht – dann stellt sich einem die Situation so dar:
Ich teile Ortegas Konzept der Lebensphilosophie. Auch ich
kann nicht sehen, wie ein Objektivismus oder der Empirismus
der Wissenschaft zu menschlicher Erkenntnis werden können.
Die Erkenntnis muss ja irgendwie in den Menschen hineinkommen,
um Erkenntnis zu sein. Es ist also irgendeine Verbindung
zwischen Subjekt und objektiver Realität nötig,
damit es Erkenntnis geben kann. Doch so, wie es Husserl
versucht hat, das stimme ich Ortega zu, so geht es auch
nicht. Ich bin also auch nicht gescheiter als Ortega und
halte seinen Vorschlag für richtig, das phänomenologische
Erkenntniskonzept zu dynamisieren und auf diese Weise ein
realitätsgerechteres Bild zu erhalten vom Menschen,
wie er erkennt und lernt.
Aber
was erhalte ich auf diese Weise? Ich erhalte dadurch ein
Modell individualisierter, persönlicher Erkenntnis.
Dieses Modell mag richtig sein, aber es bringt mich nicht
soweit, durch emphatische Betonung der Radikalität
philosophischen Fragens zu übersehen, dass die überwiegende
Mehrheit alles dessen, was in unserer Gesellschaft unter
dem Titel „Erkenntnis“ läuft, nicht nach
diesem Modell funktioniert. Es scheint so zu sein –
und ich glaube, es ist auch so – dass sich diejenigen
Phänomene der Realität, die Dinge sind, tatsächlich
besser auf rationalistische oder empiristische Weise erkennen
lassen, auch wenn das begrenzte und einseitige Blickpunkte
sind und sie der spezifisch menschlichen Realität in
der Erkenntnis nicht gerecht werden.
Damit
will ich sagen, ich glaube, dass Marías nicht sagt,
was zu sagen ist angesichts der heutigen sozialen Realität
und dass er nicht reagiert auf die Vorstellungen, die die
heutigen Menschen in ihren Köpfen tragen und auf die
Vorwürfe, die sie einer Position wie der seinen machen
würden. Anstatt dessen zieht er sich zurück in
eine historische Situation, als der Theaterzauber von bärtigen
Männern, die umhüllt von Zigarrenrauch mit bedeutungsvoller
Stimme die Realität radikal hinterfragten, noch wirkte.
4.
Braucht der Mensch eine persönliche Erkenntnis?
Nimmt
man diesen Theaterzauber samt seinem Pathos weg, dann bleibt
eine einfachere Situation übrig, die sich ungefähr
so charakterisieren lässt: Die Wissenschaft erkennt
heute sehr erfolgreich die Dinge und liefert Erkenntnisse,
die auf die spezifische Perspektive des Menschen keine Rücksicht
nehmen. Die Lebensphilosophie Ortegas mag richtig sein,
aber die heutige Welt braucht sie nicht. Womit für
mich nur noch eine Frage zu beantworten bleibt: Was ist
mit dem einzelnen Menschen? Braucht er eine persönliche
Erkenntnis oder genügt ihm die unpersönliche und
anonyme Erkenntnis der Wissenschaft? Das Problem besteht
aus meiner Sicht also nicht so sehr darin, dass heute keine
radikalen philosophischen Fragen mehr gestellt werden, sondern
dass die persönliche Erkenntnis oder das Bedürfnis
nach ihr einfach übrigbleiben.
Wenn
wir uns dieses Problem zu Bewusstsein bringen, dann müssen
wir uns eigentlich Folgendes fragen: Haben wir heute überhaupt
noch einen Begriff von „Wissen“, in welchem
„Wissen“ irgendetwas anderes bedeutet als dingliches
Wissen? Antwort: Nein. Also, dass ein Mensch sich auskennt
und den Eindruck hat, seine Lebenssituation jetzt besser
zu verstehen, das würden wir heutigen Menschen nicht
mehr als „Wissen“ bezeichnen. Man hat zwar versucht,
so etwas „Orientierungswissen“ zu nennen und
der Philosophie dieses zuzuschreiben, aber mit geringem
Erfolg, denn Orientierungswissen würden die heutigen
Menschen nicht als Wissen bezeichnen.
Es ist
freilich im Grunde kurios, dass wir dasjenige, was der Mensch
wissen will und was ihn befriedigt, sobald er es bekommt,
nicht mehr als Wissen bezeichnen wollen. Aber es ist so:
Wir haben das Wort „Wissen“ heute reserviert
für universelles, zeitloses Wissen, welches nur von
einer Art von Erkenntnisgegenständen in der Wirklichkeit
wirklich befriedigend erfüllt werden kann – von
den Dingen. Die menschliche Realität oder die menschliche
Lebenswelt lassen sich damit grundsätzlich nicht begreifen.
Anstatt dessen wird heute versucht – in der Soziologie,
der Psychologie, der Kommunikationswissenschaft und den
übrigen Kulturwissenschaften – den Menschen zu
verstehen, insofern er ein Ding ist. Das funktioniert auch
ganz passabel, denn der Mensch ist zum Großteil ein
Ding. Es wäre auch nichts Schlechtes daran, wenn wir
uns dessen bewusst wären, was wir da tun; indem wir
also etwa sagten: „In der Psychologie wird der Mensch
erforscht, insofern er ein Ding ist und sein Verhalten wissenschaftlich
vorhersehbar ist.“ (Vorhersehbarkeit ist eine wesentliche
Eigenschaft von Dingen.)
Aber
das tun wir nicht, wir halten psychologische und andere
wissenschaftliche Erkenntnisse vom Menschen für Erkenntnisse
an sich vom Menschen und, weil es sich um wissenschaftliche
Erkenntnisse handelt, halten wir sie noch für besonders
gute Erkenntnisse. Das bedeutet, dass im Wissen heute die
persönliche Perspektive auf die Wirklichkeit ganz und
gar ausgeschaltet wird. Ja, wir nennen eben sogar dieses
Ausschalten der persönlichen Erkenntnis „Wissen“
(denn die persönliche Perspektive auf die Wirklichkeit
heißt ja im Gegensatz dazu „Meinung“).
Ich selbst
bin schon der Meinung, dass ich eine persönliche Erkenntnis
der Wirklichkeit brauche. Doch nicht nur das: Ich bin eigentlich
auch davon überzeugt, dass die Realität, so wie
sie von einem einzelnen Menschen in der Perspektive seiner
persönlichen Lebensentwicklung aufgenommen und verstanden
wird, nicht als „falsch“ oder „unwahr“
bezeichnet werden kann, nur weil sie den Anforderungen an
dingliches Wissen, die wir heute als die Anforderungen an
Wissen überhaupt auffassen, nicht entsprechen kann.
Das ist es ja, was Ortega nachgewiesen hat: dass der Maßstab
für die Erkenntnis der Realität nicht unabhängig
von ihr in unveränderlicher Weise besteht, sondern
dass er sich im Erkenntnissubjekt schrittweise aufbaut.
Der einzelne Mensch ist nun (neben der sozialen Institution
der Wissenschaft) zweifellos auch ein Erkenntnissubjekt,
und was es erkennt, hat daher seine prinzipielle Berechtigung.
Es kann nicht falsch sein, wenn der einzelne Mensch dasjenige,
was er erkennt, formuliert, um es den Anderen mitzuteilen.
Wenn
man dem einzelnen Menschen mit Hinweis auf die Anforderungen
universellen Wissens abspricht, dasjenige mitzuteilen, was
ihm unter der Brille seines persönlichen Lebens als
Erkenntnis erscheint, so ist das also schon einmal grundsätzlich
und von der Sache her unberechtigt. Eine andere Frage ist
freilich, in welchem Ausmaß die Einzelmenschen persönliche
Erkenntnis brauchen. Gestützt auf eigene Erfahrung
würde ich mutmaßen: Verschiedene Menschen brauchen
persönliche Erkenntnis in sehr unterschiedlichem Grade.
Manchen hilft es sehr, sich ihre persönliche Situation
bewusst zu machen, um bestimmte Gegenstände besser
zu verstehen. Für sie bleiben Lerninhalte schlichtweg
unverdaulich, wenn sie nicht sehen können, wo sie in
Relation zu diesen Inhalten selber stehen und wie diese
Inhalte Teil ihres Lebens werden können. Andere Menschen
wiederum scheinen sich durch solche Erwägungen bloß
aus dem Gleichgewicht gebracht zu sehen. Sie fühlen
sich, wie es aussieht, nur sicher auf dem Boden der objektiven
Tatsachen, auf dem sie selbst transparent werden und aufhören
zu existieren im Licht der Dinge, die das einzige sind,
was für sie besteht und Realität hat.
Wenn
das so ist, dann würde das auch bedeuten, dass Ortegas
Lebensphilosophie ebenfalls nicht an sich gilt, sondern
nur für eine bestimmte Art von Menschen, für solche,
denen die Charaktereigenschaft fehlt, sich selbst in der
Erkenntnis ganz zurücknehmen zu können. Würde
es andererseits nur objektive Menschen geben, dann hätte
die Menschheit sicherlich schon ganz aufgehört zu erzählen,
und es gäbe keine Erzählungen, Romane, Theaterstücke
und Filme mehr. Was den „Objektiven“ in der
heutigen Zeit freilich schon gelungen ist, ist, die persönliche
Erkenntnis ganz aus dem Bereich von Wissen und Erkenntnis
zu verbannen. Heutige Menschen sind nicht länger in
der Lage zu begreifen, dass persönliche Erkenntnis
unternommen wird zu dem Zweck, Erkenntnis zu sein oder dass
eine Geschichte erzählt wird zu dem Zweck, eine persönliche
Erkenntnis anderen Menschen zu kommunizieren.
Aber
man kan nicht, wie Julián Marías es tut, protestieren,
indem man darauf verweist, dass diese Einzelmenschen „radikale
Fragen“ stellen, während die wissenschaftliche
Erkenntnis immer nur abgeleitete Erkenntnis sei. Denn man
muss sich dessen bewusst werden, dass die dingliche Erkenntnis
heute so allgemein geworden ist, dass die Menschen sich
nicht mehr vorstellen können, dass es noch etwas anderes
gibt – und sie können sich deshalb nicht einmal
vorstellen, wovon wir reden. Mein Vorschlag, es den Menschen
zu erklären, bestünde daher darin, nicht zu sagen,
DIE Philosophie stellt „radikale Fragen“, sondern:
„Schau auf den einzelnen Menschen und darauf, wie
er die Wirklichkeit in der Erkenntnis aufnimmt!“ Wer
versteht, wie Erkenntnis im Prozessmodell des einzelnen
Menschen geschieht, ist ohnehin aus der dinglichen Erkenntnis
bereits ausgestiegen. Er oder sie wird dann erkennen, dass
alles, was dieser Mensch als Erkenntnissubjekt erkennt,
einen Bezugspunkt hat, nämlich das Leben dieses Menschen
und dass es sich in einem dynamischen Prozess entwickelt,
so dass man nicht sagen kann: „Das ist es jetzt!“
– oder „So ist es wirklich!“
Aber
eine Frage wird auch derjenige oder diejenige, der/die das
einmal verstanden hat, noch weiterhin haben: Es ist das
die Frage, wie man die persönliche Erkenntnis in der
heutigen Welt, in der alle Erkenntnis unpersönlich
ist, denn nennen kann und wo man sie hintun soll, wenn in
den Schubladen „Erkenntnis“ und „Wissen“
kein Platz für sie ist. (So wie sich für den Philosophierenden
heute ja auch die Frage stellt, ob er sich nicht um ein
Literaturstipendium bewerben soll, wenn er merkt, dass dasjenige,
was er macht, im Grunde nicht zur Wissenschaft gehört.)
21. Dezember 2012
Kurzeinführung
in
die Lebensphilosophie von José Ortega y Gasset
„Diese
elementare Wirklichkeit, die jeder Deutung voraufgeht
und der wir, ob wir wollen oder nicht, ins Auge sehen
müssen, nennt Ortega die Grundwirklichkeit. Im
konkreten Sinne muß jede übrige Wirklichkeit
zu ihr in Bezug stehen und in ihr auf die eine oder
andere Art als Seinsweise in Erscheinung treten. Welches
ist diese Grundwirklichkeit?
Nicht
die Dinge, wie der Realismus zweitausend Jahre lang
glaubte. In erster Linie deshalb nicht, weil alle
Dinge sich irgendwo befinden und schon darum ge-gründet
sind. In zweiter Linie nicht, weil diese Dinge nicht
unabhängig von mir sind; denn ich treffe sie
nie allein an, sondern immer mit mir zusammen und
ohne mein Ich weiß ich nichts von ihnen. […]
Auch
das Ich des modernen idealistischen Denkens kann nicht
die Grundwirklichkeit sein. Zwar finde ich immer meine
eigene Wirklichkeit, während die Dinge meiner
Umgebung ständig wechseln. Aber ich bin nie allein,
sondern immer schon von den Dingen umgeben, von diesen
oder jenen, aber nie ganz allein. Das Ich, das Denken
als denkendes Ding, als res cogitans, als
autonome und denkende Wirklichkeit, ist nur eine ideologische
Konstruktion… […]
Die
Antwort Ortegas ist eindeutig: unser Leben selbst
ist das Wirkliche. Man könnte meinen, das wäre
eine neue Theorie. Tatsächlich handelt es sich
um eine bloße Feststellung. Unter Leben versteht
Ortega nicht irgendeine Lebenstheorie, sondern das
Leben selbst als nackte Wirklichkeit, jeder Theorie
und Deutung vorgängig. Ortega selbst definiert
es an einer Stelle folgendermaßen: „Was
wir tun und was uns widerfährt.“ Das Leben
ist jeweils das meinige, jeweils das des
einzelnen; das Leben so betrachtet ist die Grundwirklichkeit.
Wenn
wir diese Wirklichkeit kurz beschreiben, stoßen
wir auf die folgende Formel: „Ich bin ich und
meine Um-Stände“. Das heißt, jeder
Mensch ist hier und jetzt in einer bestimmten Lage,
umgeben von Dingen, die ihn umschließen, und
die er, um zu leben, handhaben muß. Jeder steht
also innerhalb des Lebens. Im Leben begegne
ich den Dingen und mir selbst.
[…] Ich und die Um-Stände besitzen nur
dadurch Wirklichkeit, daß sie im Gegensatz zueinander
und in funktioneller Abhängigkeit voneinander
stehen. […]
Ortega
geht einen Schritt weiter: Das Leben, sagt er, ist
mir nicht als fertige Tatsache gegeben, sondern als
ein „quehacer“ – eine Be-schäftigung.
Deswegen macht uns das Leben so viel zu schaffen.
Leben heißt immer, etwas mit den Dingen zu tun
zu haben. Es ist eine dynamische Wirklichkeit. Es
ist kein Zustand, sondern eine Tätigkeit.“
Aus:
Julián Marías: José Ortega
y Gasset und die Idee der lebendigen Vernunft. Eine
Einführung in seine Philosophie. Deutsche
Verlags-Anstalt, Stuttgart 1952. S. 28-30.
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