Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie

An dieser Stelle eine neue (2017) Antwort auf die Frage nach dem Nutzen der Philosophie, über die ich immer wieder mal nachgedacht habe.

Erstens würde ich sagen, dass Philosophie gar keinen Nutzen hat, sondern nur das Philosophieren. Wer den Unterschied nicht kennt: Die Philosophie ist ein Fach, das Philosophieren eine Tätigkeit.

Zweitens würde ich sagen: Der Hauptnutzen des Philosophierens für mich besteht darin, dass ich durch Nachdenken viele Dinge wieder aus meinem Kopf rausbekomme, die man mir da im Laufe der Zeit - in Familie, Schule, Universität, durch die Medien etc. - hineingesetzt hat. Also Philosophie hat für mich primär eine befreiende Funktion. Und zwar nicht direkt psychotherapeutischer Natur, aber doch als eine Pflege der Psychohygiene, indem ich mir den geistigen Mist aus dem Kopf räume durch rationale Einsicht, dass es tatsächlich Mist ist.

Drittens würde ich sagen, Philosophieren ist gut, um sich im selbstständigen Denken zu betätigen und zu üben. Ob aber das selbstständige Denken nützlich für Sie ist, das hängt davon ab, was sie wollen. Wenn Sie eigenständige Entscheidungen treffen wollen und nicht die Fehler der Anderen blind nachmachen (wenn Sie also das, was Warren Buffett den "institutionellen Imperativ" nennt, vermeiden wollen), dann ist Selberdenken was für Sie.

Selberdenken kann Ihnen aber auch beruflich zum Nachteil gereichen. Denn erstens wird es generell nicht gern gesehen, wenn ein Mensch eine eigene Meinung hat, und zweitens könnte es sein, dass Ihre Vorgesetzten keine Mitarbeiter mit einer eigenen Meinung schätzen. Generell ist es in hierarchischen Organisationen so, dass die Berufsanfänger auf eine eigene Meinung verzichten sollten. Eine eigene Meinung leisten können Sie sich nach 20 Jahren, wenn Sie eine leitende Position erreicht haben. Zusammengefasst: Es gibt im sozialen Leben Bereiche, wo Anpassung verlangt wird. Dort sollten Sie nicht selbstständig denken - oder zumindest niemandem davon erzählen.

Viertens, und das wird für mich immer wichtiger, verhilft Philosophie mit der Zeit zu einem eigenen Geistesleben. Ich meine das so: Wenn ich den Begriff "Selberdenken" erwähne, könnten Sie dabei auch an objektive Sachverhalte denken, die Sie eben selber einsehen. Aber wer wirklich selber denkt, der denkt über seinen eigenen Kram nach - und nicht über fremde Probleme, die man ihm stellt. Wer sich also einen Vorrat an eigenen Themen, Ausgangspunkten und Überzeugungen aufgebaut hat, der denkt selber auch in dem Sinn, dass er eine eigene Geisteswelt hat voll mit Fragen, die ihn interessieren. Er muss nicht in der großen weiten Welt nach Themen suchen, sondern hat seine eigenen Themen, die ihn zum Weiterdenken anspornen.

Ein Gedanke, den ich schon einmal in einem Text formuliert habe und der ein wenig schwierig ist, behandelt die Frage, warum Philosophieren in der heutigen Gesellschaft keinen Nutzen haben kann. Das Argument geht in etwa so: Unsere heutige Gesellschaft ist hochgradig organisiert - und alles, was sich nicht organisieren lässt, fällt aus ihr raus. Beim Philosophieren macht aus meiner Sicht ein Mensch etwas für sich selber oder vielleicht für einen einzelnen anderen Menschen (=Philosophie wendet sich immer ans Individuum). Aber wie soll solch eine individualistische Tätigkeit organisierbar sein? Das geht nicht. Und weil die Gesellschaft den einzelnen Menschen in seiner Individualität nicht wirklich wahrnehmen kann, kann sie für eine solche Tätigkeit, die sich nur allein an die Individualität des Einzelmenschen richtet, keine Belohnungen einrichten - und weil die Menschen fürs Philosophieren keine materiellen Belohnungen von der Gesellschaft bekommen, sagen sie (mit Recht), Philosophie sei nutzlos.

Mit einem Wort, es kommt auf Sie an, sich zu entscheiden, ob Sie Philosophie für sich persönlich für nützlich halten wollen oder nicht. Auf gesellschaftlicher Ebene kann sie es nicht sein, es sei denn man beschließt plötzlich, eine große Philosophieprüfung sei notwendig für alle Lehramtskandidaten. Ja, in dem Fall wird Philosophienachhilfe von den Lehramtskandidaten nachgefragt werden (=sie wird nütztlich für sie sein), ansonsten aber nicht. Es gibt im Übrigen viele Menschen, die Philosophie auch als persönliche Tätigkeit für etwas Schlechtes halten, weil sie sagen, der Mensch werde dadurch zu sehr "verkopft" und spüre seinen Körper und seine Emotionen nicht mehr genug. Ob Philosophie also etwas Gutes oder Schlechtes für den Menschen ist, ist umstritten.

11.7.2017

© helmut hofbauer 2017