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Gesucht: Beziehung mit Verantwortungslosikgeit

Rezension von Candace Bushnell: Sex and the City. (Now includes two new stories.) Abacus, London 2004 (first published by Atlantic Monthly Press, USA 1996). 245 Seiten.

Wien, am 23.2.2020

cover: sex and the city (book)


CARRIE LIEBT MR. BIG NUR VORBEHALTLICH, DASS ER SIE LIEBT

Ich beginne gleich mit dem interessantesten Punkt: Im folgenden Zitat erklärt Carrie ihrem Freund Mr. Big, dass sie nur in dem Fall bereit wäre zuzugeben, dass sie ihn liebt, wenn er sie liebt.

Es geht in dieser Szene aber nicht um eine Gegenseitigkeit der Liebe (was ein wünschenswerter Zustand wäre), sondern ganz im Gegenteil um einseitige Liebe. Carrie möchte von Mr. Big geliebt werden, um verschiedene Vorteile materieller und anderer Art, die für sie daraus erwachsen, genießen zu können. Wenn er sie liebt, wäre sie bereit, bei ihm zu bleiben und notfalls auch etwas für die Beziehung zu tun, indem sie eingesteht, dass sie ihn auch liebt. Ohne diese Sicherheit ist sie zu keinerlei emotionalem Zugeständnis bereit. Im Gegenteil, sie entwertet ihre Beziehung zu Mr. Big, die schon eine Weile läuft, in grober Weise, indem sie behauptet, sie liebe ihn nicht.

ONE OF THE RULES

„…he said he didn’t know what to do. He couldn’t move forward. He thought they should move on. He started crying. Not for himself, for her. He’d rescued her from her lousy life, and now he was throwing her back. He felt like a shit for doing it, for things having to be that way, for not being able to give her what she wanted. The last thing he wanted was to hurt her.
The only part that wasn’t in the manual was her response: She started to laugh. “Oh, give me a break,” she said.
“I know you’re really in love with me,” he said.
“You think I’m really in love with you,” she said.
“I know you are.”
“Do you?”
“Yes.”
“Well,” she said, “I’m not.”
“This is me,” he said. “You don’t have to lie.”
“I’m not. How can I be in love with you if you’re not in love with me? That’s one of the rules. Don’t break the rules.””

S. 238

Die Szene geht folgendermaßen weiter: Carrie sagt zu Mr. Big, dass sie einander eben nur benutzt hätten und dass Beziehungen nun einmal so seien. Mr. Big behauptet, an wahre Liebe zu glauben, was Carrie verblüfft: Maybe she didn’t have all the information.

Die gesamte verfügbare Information hat sie freilich schon, aber die beiden sprechen miteinander vor dem Hintergrund von unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen, Beziehungskonzepten: Mr. Big verfolgt offenbar ein partnerschaftliches Beziehungskonzept, in welchem zwei Personen miteinander eine Beziehung führen; für Carrie hingegen besteht „wahre Liebe“ darin, dass ein Mann verrückt nach einer Frau ist und alles für sie tut.

“Don’t worry about it,” she said. “Don’t get your knickers in a twist. We both served a purpose for each other and now it’s over. That’s the way relationships are. Think of it as a learning experience.”
“I don’t believe that,” he said. “I believe in real love.”
Then she thought: Maybe she didn’t have all the information.”

S. 239

 

„DU KANNST ETWAS DAGEGEN TUN!“ – DIE ABGABE DER VERANTWORTUNG AN DEN „BEZIEHUNGSPARTNER“

Ausgehend vom ersten Zitat (ONE OF THE RULES) könnte man annehmen, es gehe Carrie darum, vom wohlhabenden Mr. Big auf Händen getragen zu werden und dass er ihr alle ihre materiellen Wünsche erfüllt. Aus diesem Grund, würde man denken, strebt Carrie eine einseitige Beziehung mit Mr. Big an, in der er sie liebt und sie sich lieben lässt: um in dieser Beziehung die Rolle der Empfängerin einzunehmen und ihm die Rolle des Gebers zuzuweisen.

Das mag auch bis zu einem gewissen Grad stimmen, ist aber nicht alles. Es gibt noch mehr an Lernstoff in diesem Buch. Im folgenden Zitat versucht Carrie, Mr. Big gleichsam sprachhandelnd oder metasprachlich klarzumachen, dass sie von ihm erwartet, dass er die Verantwortung für die (gemeinsame) Beziehung übernimmt. Sie sagt ihm, „yes, cou can do something about it“, also er habe es in der Hand, die Beziehung, die gegenwärtig eine chronische Streiterei ist, zu kitten. Was er dazu tun müsste, das weiß der Leser des Buchs, weil immer wieder davon die Rede ist: Er müsste ihr einen Heiratsantrag machen. Dergestalt dass der geistig anspruchslose Mensch die Sache wohl so aufnehmen würde, dass das Beziehungsproblem gelöst wäre, wenn er sie nur heiraten würde.

Aber mir scheint, das würde auch nicht genügen. Was Carrie von Mr. Big zu wollen scheint, ist nicht nur die Ehe, sondern dass er die Führung in der Beziehung übernimmt – und damit auch, dass er jeweils schuld ist, wann immer etwas schief läuft (denn er hatte es schließlich so gewollt).

Auch in diesem Zitat entwertet Carrie wieder ihre Beziehung mit Mr. Big, indem sie sie als vergleichbar mit allen Männerbeziehungen, die sie bisher hatte, einstuft und sie als bloß „sufficient“ charakterisiert.

YOU CAN DO SOMETHING ABOUT IT, THAT’S THE POINT

“Then Mr. Big was nice. He made her into pyjamas and sat with her on the couch. “When I first met you, I liked you,” he said. “Then I liked you a lot. Now I… I’ve grown to love you.”
“Don’t make me vomit,” Carrie said.
“Why me, baby?” he asked. “With all the guys you’ve gone out with, why do you want to pick me?”
“Who said I did?”
“What is this, a pattern?” Mr. Big said. “Now that I’m more involved, you want to bail. You want to run away. Well, I can’t do anything about that.”
“Yes, you can,” Carrie said. “That’s the whole point.”
“I don’t get it,” Mr. Big said. “How is our relationship different from all the others you’ve had?”
“It’s not. It’s just the same,” Carrie said. “So far, it’s just sufficient.””

S. 223

Diese Szene hat übrigens noch ein interessantes Nachspiel: Am folgenden Morgen, so erzählt Bushnell die Geschichte weiter, fragt Mr. Big Carrie wie üblich, welche Krawatte er wählen soll. Sie wirft einen kurzen Blick auf die Krawatten, die er ihr zeigt, und wählt eine aus. Auf Mr. Bigs Klage, sie habe sich die Krawatten nicht einmal genau angeschaut, antwortet Carrie, dass letzten Endes doch eine Krawatte wie die andere sei. Dass ist offenbar eine Anspielung auf Mr. Big, die besagt, dass für Carrie ein Mann wie der andere ist. Den einzigen Unterschied, den es zwischen den Männern gibt, macht aus, wieviel sie für Carrie zu tun bereit sind.

"Carrie glanced at them briefly. “That one,” she said. She threw off her glasses and lay back against the pillows and closed her eyes. [S. 224]
“But you hardly even looked at them, “Mr. Big said.
“That’s my final decision,” she said. Besides, in the end, isn’t one tie very much like another?””

S. 223-224

 

WENN MR. BIG NICHT VERRÜCKT IST NACH CARRIE, DROHT SIE IHN ZU VERLASSEN

Folgendes Zitat ist ein weiteres Indiz für die aufgestellte These: Carrie bringt darin zum Ausdruck, dass sie von Mr. Big geliebt werden möchte, andernfalls sie ihn verlassen würde. Nun ist nichts daran falsch, geliebt werden zu wollen. Aber als glückliche Beziehungspartnerin könnte es Carrie morgens nach dem Aufwachen durchaus auch einfallen, Mr. Big mitteilen zu wollen, dass sie ihn liebt. Wenn sie das nicht tut, könnte es einen Grund haben – und der Grund könnte darin bestehen, dass sie sich am empfangenden Ende der Beziehung sehen will.

Diese Szene spielt sich (ebenso wie die vorher zitierten) vor dem Hintergrund ab, dass Carrie und Mr. Big eine Beziehung führen, in der er vieles für sie ist und tut. Er ist der finanziell wohlhabendere Beziehungspartner; er lässt sie bei sich in seinem Apartment wohnen (was Vorteile vor allem im Sommer hat, weil Carries Wohnung keine funktionierende Klimaanlage hat); er nimmt sie zum Sommerurlaub in die Hamptons mit und zum Winterurlaub nach Aspen, wo er ihr eine Schiausrüstung kauft und ihr Schifahren beibringt. Carrie profitiert also in vielerlei Hinsicht von dieser Beziehung, und sie „dankt“ es Mr. Big dadurch, dass sie wiederholt aus heiterem Himmel einen Streit mit ihm vom Zaun bricht und ihm die Beziehung so unangenehm wie möglich macht.

Dabei hat sie, scheint es, keine Angst davor, den Bogen zu überspannen – und der Grund dafür scheint in einer bestimmten gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellung von Normalität zu liegen: Carrie teilt mit ihren Freundinnen und mit vielen anderen Menschen in New York die Vorstellung, dass es normal sei, als Frau in einer Beziehung hohe Forderungen an den Mann zu stellen.

Auch in diesem Zitat sieht man übrigens wiederum, wie Mr. Big damit beschäftigt ist, was Carrie will. Daran zeigt sich, dass er ein partnerschaftliches Konzept von Beziehung verfolgt: Er möchte herausfinden, was seine Partnerin will, seine eigenen Wünsche einbringen und dann einen Kompromiss zwischen den beiden Parteien finden. Aber genau diese Strategie erweist sich in der Kommunikation mit Carrie immer wieder als der falsche Weg. Denn Carrie will ja nicht zugeben, dass sie irgendetwas will; sie will gewollt werden, weil sich daraus für sie die stärkere Verhandlungsposition ergibt. Wer etwas will, begibt sich in eine kritisierbare Position; wer gewollt wird, hat alle Macht und muss sich für nichts rechtfertigen.

IF YOU ARE NOT TOTALLY IN LOVE WITH ME

“I SHOULD LEAVE
I can’t take it, Carrie thinks, waking up one morning. She lies there watching Mr. Big until he opens his eyes. Instead of kissing her, he gets up to go to the bathroom. That’s it, she thinks.
When he comes back to bed, she says, “Listen, I’ve been thinking.”
“Yeah?” says Mr. Big.
“If you’re not totally in love with me and crazy about me, and if you don’t think I’m the most beautiful woman you’ve ever seen in your life, then I think I should leave.”
“Uh, huh,” says Mr. Big.
“Really, it’s no problem.”
“Okay,” Mr. Big says, somewhat cautiously.
“Soooooo … is that what you want?”
“Is it what you want?” says Mr. Big.
“No, not really. But I do want to be with someone who’s in love with me,” says Carrie.”

S. 152

 

WIE FINDET MAN JEMANDEN, DER EINEM ALLES GIBT?

Ein weiteres Indiz für die Suche Carries nach einer einseitigen Beziehung findet sich in der Erzählung vom Besuch Carries und ihre Freundinnen Belle, Sarah und Miranda bei Jolie Bernard in Greenwich. Jolie hat im Alter von 35 ihr Partyleben beendet und einen Investmentbanker geheiratet. Das Paar ist in die New Yorker Vorstadt gezogen, und Jolie hat Kinder bekommen.

Nach dem Besuch der Toilette schaut sich Carrie in Jolies Schlafzimmer um, ist beeindruckt von all den Zeichen des Wohlstands, die sie da sieht, und stellt sich die Frage: „How did you find someone who fell in love with you and gave you all this?“
Die Perspektive von Carrie ist also von Anfang an die, dass Beziehungen mit Männern für Frauen dazu da sind, um Gaben zu empfangen. Sie selbst sieht sich nicht auf der Geberseite. Und sie fügt dem hinzu, dass sie so aufgewachsen sei und immer schon geglaubt habe, dass sie so ein Leben (wie Jolie) haben könne. Sie glaubt also, einen Anspruch auf ein solches Leben zu haben. Es ist nun auch nicht so, dass sie es nicht haben könnte. Nur die Art der Männer, die sich ihr für ein solches Leben anbieten, sagt ihr nicht zu

Was daran beeindruckend ist, ist, dass Carrie gar nicht auf die Idee kommt, dass ihre Weltsicht etwas unausgeglichen sein könnte. Dergestalt nämlich, dass man es als „ungerecht“ ansehen könnte, wenn von den Männern erwartet wird, dass sie den Frauen alles geben, während die Frauen diese Gaben empfangen und selbst nichts geben. Diese schiefe Realität sieht Carrie als normal an; ungerecht behandelt fühlt sie sich, wenn der Mann, der dazu bereit ist, ihr die Welt zu Füßen zu legen, langweilig ist.

HOW DO YOU FIND SOMEONE WHO GIVES YOU ALL THIS?

„She went into Jolie’s bedroom. There was a thick white carpet on the floor and photographs everywhere in silver frames, some professional-looking shots of Jolie in a bathing suit, her long blond hair swinging over her shoulders.
Carrie stared at those photographs for a long time. What was it like to be Jolie? How did it happen? How did you find someone who fell in love with you and gave you all this? She was thirty-four and she’d never even come close, and there was a good chance she never would.
And this was the kind of life she’d grown up believing she would have, simply because she wanted it. But the men you wanted didn’t want it, or you; and the men who did want it were too boring.”

S. 85

 

DAS PERFEKTE LEBEN EINER FRAU ALS EINES, IN DEM SIE NICHT ARBEITEN MUSS

Ein weiteres Indiz für die These vom weiblichen Wunsch nach Abgabe der Verantwortung für das eigene Leben in einer zwischengeschlechtlichen Beziehung findet sich im nächsten Zitat. Es zeigt vor allem, dass Carrie diesen Wunsch nicht allein hegt, sondern dass er eine Erwartungshaltung darstellt, die zumindest auch unter Carries Freundinnen verbreitet ist.

Bei einer Party zeigt Carries Freundin Samantha auf eine Frau, die das „perfekte Leben“ hat. Zu diesem perfekten Leben gehört auch, dass sie nie arbeiten musste, weil ihr Mann genug Geld verdient. Ebenso gehört dazu, dass sie und ihr Mann eine Nanny, ein Apartment in der Stadt und ein Haus in den Hamptons haben. Mit einem Wort, diese Frau ist zu Wohlstand gekommen, ohne etwas dafür leisten zu müssen. Und das Mittel, mit dessen Hilfe sie es geschafft hat, ist die Heirat.

Auch hier wird wieder erwähnt „…and she’s never had to worry about anything“. Ebenso wie für Carrie ist auch für Samantha die Vorstellung von einem glücklichen Leben für eine Frau verbunden mit der Abgabe von Verantwortung und einem kindgleichen Leben in einer Situation, in der man so vollständig umsorgt wird, dass man sich selbst um nichts kümmern muss.

SIE MUSS NICHT ARBEITEN

“Sam picked up two glasses off the tray. She nodded across the room at a tall, tanned woman with short blond hair. “See that girl?” she asked. “She’s one of those girls who has a perfect life. Married at twenty-five to Roger, the guy next to her. The screenplay writer. His last three movies have been hits. She was just a girl, like us, not a model but beautiful – she met Roger, who I think is adorable, smart, sexy, nice, and really funny, she’s never had to work, they have two kids and a nanny and a great apartment in the city and the perfect house in the Hamptons, and she’s never had to worry about anything.”

S. 215

Interessanterweise kommt diese Frau dann auf Samantha und Carrie zu und erzählt ihnen, dass sie gerade von einem „well-known Hollywood director“ Geld für eine Dokumentation über „this year’s female political canditates“ bekommen hat und dass sie nicht in der Lage wäre, dieses Projekt durchzuführen, wenn ihr Mann ihr nicht das Selbstvertrauen dazu geben würde. „I couldn’t do it if I wasn’t married. Roger’s given me so much self-confidence. Anytime something goes wrong, I run into his office, screaming. I couldn’t handle it if I didn’t have him. I’d crumple up and never take any risks.” (S. 216) Wir können uns vorstellen, dass es nicht gerade zur Steigerung von Rogers Arbeitsproduktivität als Screenplay Writer beiträgt oder seinen Stresslevel senkt, wenn seine Frau bei jeder Gelegenheit schreiend in sein Büro gelaufen kommt.

Nun, das klingt nicht nach echtem Selbstvertrauen, wenn sie bei jeder Gelegenheit schreiend in sein Büro rennt; eher nach geborgtem Selbstvertrauen. Sie fügt noch hinzu: „I don’t know how you girls do it, being single for years and years.“ (Ebd.) Daraufhin ist Samantha verstimmt. Sie sagt: „That makes me sick […] [w]hy should she get money for doing a documentary? She’s never done a fucking thing in her life.”

Das ist eine bizarre, in sich widersprüchliche Situation in diesem Buch: Einerseits bewundern Samantha und Carrie diese Frau, weil sie heiraten und die Verantwortung für ihr Leben an einen wohlhabenden Mann abgeben konnte, andererseits verachten sie sie aber auch dafür und gönnen es ihr nicht, dass sie die Finanzierung für ein Projekt bekommen hat, ohne einen „track record“ an eigenen Leistungen vorweisen zu können.

 

QUALIFIKATIONSSTUFEN ABHAKEN

Folgendes Zitat weist darauf hin, dass Carrie nicht einfach einen bestimmten Mann heiraten will, weil sie ihn liebt, sondern dass Heirat und Kinder für sie eher so etwas wie Qualifikationsstufen im Leben einer Frau sind, die sie abgehakt sehen will, egal wen sie jetzt im Konkreten heiratet.

“The next morning, after the freakout, when Carrie was lying in Mr Big’s bed, she tried to think about what she really wanted. Life felt like it had changed, but had it really? She thinks: I’m still not married. I still don’t have kids. Will it ever happen?
When?”

S. 143

 

SPIELTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN

Das Buch Sex and the City beobachtete präsentiert dem Leser folgendes zwischengeschlechtliche Beziehungsmodell: Carrie quengelt und zickt in der Beziehung mit Mr. Big herum. Sie macht ihm die Beziehung unangenehm, weil sie etwas von ihm will. Er soll sie heiraten, und er soll die Verantwortung für diesen Schritt übernehmen.

Carrie kann das offenbar tun, weil Mr. Big sie mehr braucht als sie ihn. Es ist aber auch denkbar, dass viele Frauen in dieser Situation ein ähnliches Verhalten an den Tag legen und dass Mr. Big sich dessen bewusst ist. Er weiß also, dass er auch, wenn er eine andere Frau zur Freundin hätte, von ihr mit permanenten Forderungen konfrontiert würde und mit Streit als dem bevorzugten Mittel ihrer Wahl, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Mr. Big könnte nun Carrie in der Hoffnung heiraten, dass mit diesem Schritt ihre Forderungen erfüllt wären und sie wieder „nett“ zu ihm ist. Aber mit der Ehe würde sich gleichsam ein eiserner Ring um ihre Beziehung schließen. Droht Carrie durch ihr gegenwärtiges Verhalten noch, die Beziehung zu „sprengen“, weil sie beide (gegenwärtig noch) aus freiem Willen zusammen sind, so würde aus der Beziehung durch die Heirat ein Druckkochtopf, der sich nicht mehr ohne weiteres öffnen lässt.

Mr. Big wäre gefangen, und Carrie könnte sich in dem durch die eheliche Verbindung geschützten Raum ungeniert schlecht verhalten. Sie könnte die Nettigkeiten ganz einstellen und sich ausschließlich nur mehr kratzbürstig verhalten, und Mr. Big könnte sich nicht mehr ohne große Kosten von ihr zurückziehen: Scheidung, Rosenkrieg, Gerichtsverhandlungen, Alimente etc.

Wenn man also die spieltheoretischen Möglichkeiten abwägt, die es in der Situation gibt, in der Carrie und Mr. Big sich befinden, ergibt sich, dass ein Heiratsangebot Mr. Bigs Carrie voraussichtlich nicht zufriedenstellen wird, sondern einen Freibrief für sie darstellt, sich so – und so unerträglich – zu verhalten, wie sie nur will. Und Mr. Big wäre auch noch schuld daran, weil er es ja war, der die Ehe gewollt hat! Wenn sich Carrie nicht einmal in der gegenwärtigen Situation respektvoll gegenüber Mr. Big verhält, in der noch die Gefahr besteht, ihn zu verlieren, warum sollte sie es dann tun, wenn diese Gefahr nicht mehr besteht?

 

SELBST DIE ROMANTIK STELLT UNGERECHTFERTIGTE ANSPRÜCHE AN DIE FRAUEN

Wenn man sich vor Augen führt, was Carrie alles von ihrem Beziehungs-„partner“ erwartet, dann ist klar, dass sie das eigentlich nur von einem romantischen Mann bekommen kann; also von einem weißen Ritter, der vor seiner Prinzessin niederkniet und ihr schwört, für sie zu sterben ohne selbst etwas dafür von ihr zu fordern.
Das folgende Zitat zeigt, dass die Logik, wonach die Frau in einer Beziehung immer die empfangende Partei sein sollte, sogar das romantische Konzept überfordern kann.

Denn die Romantik schränkt die weiblichen Ansprüche doch insofern ein, dass die Frau für den Mann in irgendeiner Weise ein bewunderungswürdiges Wesen haben sollte, damit er bereit ist, alles für sie zu tun. In der Regel erscheint die Frau dem romantischen Mann als schön, unschuldig, rein, tugendhaft, liebenswert etc. Da Carrie sich als Frau auch von derartigen Anforderungen eingeschränkt fühlt und für sich das Recht beansprucht, sich so zu benehmen, wie sie will, lehnt sie konsequenterweise romantische Männer ab.

ROMANTIC MEN ARE DANGEROUS

“My friend Carrie jumped in. She knew the breed. “Every time a man tells me he’s romantic, I want to scream,” she said. “All it means is that a man has a romanticized view of you, and as soon as you become real and stop playing into his fantasy, he gets turned off. That’s what makes romantics dangerous. Stay away.”

S. 6

 

VORWÜRFE GEGEN MÄNNER, DIE NICHT HEIRATEN WOLLEN

Warum Männer nicht heiraten wollen, sollte aus dem Vorigen eigentlich schon hinreichend klar sein. Dass die Ehe für die Männer in New York ein schlechtes Geschäft sein könnte, wird in Bushnells Buch nicht diskutiert. Folgende Zitate zeigen, dass ein breiter kultureller Konsens – jedenfalls in New York, von dem das Buch handelt – besteht, der die Erwartungshaltungen von Frauen bezüglich Heirat und Ehe unterstützt.

Ewige Junggesellen werden als Zeichen einer verrottenden Gesellschaft dargestellt, als Menschen, die ihren Beitrag (wozu eigentlich?) nicht leisten möchten, als Menschen, die nicht erwachsen werden möchten, und als Menschen, die selbst nicht wissen, wie erbärmlich, sie sind. Speziell der Vorwurf, dass Männer, die nicht heiraten werden, nicht erwachsen werden wollen, entbehrt dabei nicht einer gewissen (unfreiwilligen) Ironie, nachdem wir gesehen haben, dass Frauen (wie Samantha und Carrie) heiraten wollen, um nicht erwachsen werden zu müssen und ein verantwortungsloses, kindgleiches und umsorgtes Leben führen zu können.

PERENNIAL BACHELORS

“There’s something rotten in New York society, and it’s the character formerly known as “eligible” bachelor. It’s not your imagination. Those men in their forties and fifties who have never been married, who have not, in years anyway, had a serious girlfriend, have acquired a certain unmistakable stink. The evidence is everywhere.”
S. 175

“Even so,” Chollie [ein Mann, Anm. philohof] said, leaning forward in his chair, “a lot of people are tired of these guys’ commitment problems. […] After all, it’s women who decide if a man is desirable or undesirable. And if a man is never going to make the effort to get married, if he’s never going to contribute … well, I think women are fed up. And for good reason.”
S. 176-177

““They are in their forties!” Amanda said. “It’s gross.”
“When are they going to grow up?” Miranda asked.”

S. 176

““Do you think these guys get it? Do you think they realize how pathetic they are?” Samantha asked.
“Nope,” Magda said.”

S. 177

 

DER BEGRIFF „COMMITMENT“

Für das Problem, das die Frauen New Yorks mit den Männern haben, gibt es ein Wort. „to commit“. Der Satz (oder die Klage) lautet: „Men (nowadays) do not want to commit to relationships.“ Im Internet findet man verschiedene Ratgeberseiten zum Thema: “How to get a guy to commit.” Linguee.de übersetzt „a committed relationship“ mit einer „festen Beziehung“. Aber „committed“ heißt ja nicht „fest“: Es gibt wohl keine direkte Übersetzung für dieses „to commit“ ins Deutsche. Aber gemeint ist offenbar „sich verpflichten“. Von Männern wird also erwartet, dass sie sich zu einer langfristigen Beziehung mit einer Frau verpflichten. Frauen haben dieses Problem nicht, dass sie sich zu etwas verpflichten müssen, sondern sie stellen diese Forderung an die Männer. Und wenn Männer dieser Forderung nicht nachkommen, erhalten sie den Vorwurf, nicht erwachsen werden zu wollen und nicht zu wissen, was sie wollen.

Es sind das Vorwürfe, die auf den ersten Blick berechtigt erscheinen, zeichnet sich doch ein kindischer Mensch dadurch aus, dass er seine Aufmerksamkeit nicht fokussieren kann und ihm immer das am interessantesten erscheint, was gerade unmittelbar vor seiner Nase ist. Die andere Seite der Angelegenheit (siehe den Abschnitt SPIELTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN) ist aber die, dass ein Mann als schwächerer Beziehungspartner eine Beziehung nur solange mitgestalten kann, als er jederzeit wegkann. Mit „schwächerer Beziehungspartner“ meine ich, dass die Frau üblicherweise das Ziel männlichen Begehrens ist und vom Mann umworben wird, während der Mann von der Frau nicht umworben wird, weil er anscheinend jeder Anziehungskraft entbehrt.

Schließlich heiratet der Mann die Frau, damit sie ihm nicht mehr entwischt. Aber sobald er mit ihr verheiratet ist, ist er in der Beziehung mir ihr eingeschlossen, und die Frau hat nun die „Lizenz zum Nörgeln“, ohne dass der Mann etwas dagegen unternehmen könnte.

 

MÄNNER MÜSSEN DISZIPLINIERT UND UMFASSEND KONTROLLIERT WERDEN

Es gibt ein eigenes Kapitel über das Problem, wie eine Frau einen Mann in Manhattan dazu bringt, sie zu heiraten. Die Lösungsansätze reichen vom Aufbringen des Themas Heirat gleich am Anfang der Beziehung, über Disziplinierungsmaßnahmen, permanente Überwachung, Entzug des persönlichen Freiraums, körperliche Bestrafungen bis hin dazu, dem Mann eindringlich klarzumachen, dass er nun kein eigenständiger Mensch mehr ist, der seine eigenen Entscheidungen treffen darf.

Es stellt sich die Frage, wie das mit dem oben dargestellten Wunsch Carries zusammengeht, einen Mann zu haben, der die Initiative in der Beziehung übernimmt und diese Führung aber ausschließlich dazu verwendet, um die Wünsche seiner Frau zu erahnen und sie zu erfüllen. Nun, die in den folgenden Zitaten dargestellten Maßnahmen stellen wohl eine Art Notwehr dar: Wenn Frauen ein gewisses Alter erreicht haben, ohne bis dahin den Mann gefunden zu haben, der in der Beziehung die Rolle des Alphamännchens oder Silberrückens übernehmen will, dann kann man es ihnen wohl nicht verübeln, wenn sie die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen und den von unserer Kultur verzogenen Männern mit Entschlossenheit den Weg weisen.

START TRAINING FROM DAY ONE

“So, when one of these New York women targets a man as a potential husband, there is usually very little he can do to get away.
“You have to start the training from day one,” said Britta. “I didn’t know that I wanted to marry my husband at the beginning. I only knew that I wanted him, and I would to whatever it took to get him.”

S. 149

“After that, Barry pretty much came around, except for two slightly sticky problems. He liked to look at another women, and he sometimes complained about not having his space, [S. 150] especially after she moved in with him.”
S. 149-150

“One time, when Barry’s eyes were wandering, I hit him over the head so hard he nearly fell off his chair. I told him, ‘Put your tongue back into your mouth and your tail between your legs and finish your dinner.’”
S. 150

[Rebecca, 39, journalist, who got married last year, says:] “Then I called him. He had the nerve to be livid with me for ‘interfering in his private business.’ I said, ‘Get one thing straight, buddy. When you’re with me, there is no private business.’”
S. 151

 

FAHRRADFAHRER SIND VERDÄCHTIGE CHARAKTERE

Das Interessant an den Geschlechterbeziehungen ist, dass alle Lebensbereiche davon betroffen sind. Es ist also nicht so, wie viele Menschen zu glauben scheinen, dass es Beziehungen gibt und daneben noch eine andere von den zwischengeschlechtlichen Beziehungen unberührte Realität, sondern alles, was ein Mann oder eine Frau tun und alles, was in Wirtschaft, Politik, Recht, Medizin, Wissenschaft und anderswo passiert, hat mit zwischengeschlechtlichen Beziehungen zu tun.

Ein beindruckendes Beispiel dafür sind die Bicycle Boys von New York, die von Bushnell ebenfalls in einem eigenen Kapitel diskutiert werden. Es scheint sich bei den New Yorker Fahrradfahrern zwar um eine eigene Art zu handeln – um Männer, die in Tweed-Anzügen auf Retrofahrrädern fahren und einen besonderen Bildungsdünkel haben; die Vorwürfe, die den radfahrenden Männern gemacht werden, lassen sich aber auch auf andere Weltgegenden übertragen.

Grundsätzlich ist ein Mann, der ein Fahrrad fährt, jemand, der sich nicht darauf vorbereitet, eine Frau zu chauffieren (to give someone a lift). Damit man von dieser Feststellung allerdings zu dem Urteil kommt, Radfahren sei „egoistisch“, muss man schon die Möglichkeit, jemanden chauffieren zu können, zum Standardfall erheben, damit das Alleine-Fahren mit dem Rad als (ungerechtfertigte) Ausnahme erscheinen kann.

Wir lesen, mit Erstaunen, dass ein Rad einen Mann zu einem verdächtigen Charakter macht, weil es ihn zu mobil und unabhängig werden lässt. Wie kann ein Rad einen mobiler und unabhängiger machen als ein Auto, mit dem man viel weiter fahren kann? Die Antwort auf diese Frage muss schon in einer besonderen Art von Logik zu suchen sein, die ungefähr so geht: Ein Rad macht einen Menschen deshalb unabhängiger als ein Auto, weil es nicht darauf abzielt, die Bedürfnisse eines anderen Menschen zu befriedigen. Ein Radfahrer befriedigt mit dem Rad nur seine eigenen Mobilitätsbedürfnisse: Er lebt also nur für sich selbst und nicht für einen anderen. Wenn das stimmt, dann können wir daraus schließen, dass ein Mann, der nicht für eine Frau lebt, als egoistisch und als ein verdächtiger Charakter angesehen wird.

Radfahren ist außerdem Peter Pan-isch; das bedeutet, dass jemand, der Rad fährt, damit zeigt, dass er nicht erwachsen werden will. Außerdem weist es ihn als einen geizigen („cheap“) Menschen aus. Womit wir es hier zu tun haben, ist eine Gesellschaft und Kultur, die Männer dazu erzieht, die Gebenden zu sein. Ein Fahrrad befähigt nicht zum Geben, deshalb wird es kritisiert. Das bedeutet, dass ein Mann sich bereits dadurch auf eine künftige Beziehung zu einer Frau vorbereitet, indem er sich entscheidet, dass er ein Auto fahren will und welches es sein soll. Aber auch natürlich dadurch, dass er eine Wohnung mietet mit dem Gedanken „Könnte ich hier eine Frau hereinbitten?“; dass er einen Beruf ergreift mit dem Gedanken „Könnte ich damit eine Frau und eine Familie versorgen?“; und dass er Lokale und Restaurants auswählt mit der Frage „Könnte ich hierher eine Frau ausführen?“

FAHRRADFAHRER SIND ZU UNABHÄNGIG

““Whether or not a woman lets you bring your bike into her house is an indication of how well adjusted she is,” said Mr. Eccles. “If she’s anal-retentive, she won’t want the bike anywhere near her stuff.”
But sometimes a bike is not just a bike – and women seem to know this. “One is viewed as a suspicious character. You’re too mobile and independent,” said Mr. Eccles. “And certainly a bit undignified in the end.”
“There is something Peter Pan-ish about it,” said Kip. “That’s part of the reason I don’t take it everywhere anymore.”
“It implies a certain selfishness,” agreed Mr. Eccles. “You can’t give anyone a lift. And there’s a little too much freedom associated with a man who rides a bike.” Mr. Eccles added that, being in his early fifties, there were about ten reasons why he wasn’t married, “none of them particularly good ones.”
It also can imply a certain cheapness.”

S. 77

 

FRAUEN WOLLEN KEINEN SEX, SONDERN AUFMERKSAMKEIT

Aufschlussreich ist auch das Kapitel über „threesomes“, auf Deutsch: „flotte Dreier“. Denn es wird ja immer gesagt: Männer seien mehr auf Sex aus als Frauen, aber Frauen hätten durchaus auch Lust auf Sex.

Nun, es könnte beim „Sex“ wie bei der „Liebe“ sein: dass also Männer und Frauen dasselbe Wort verwenden aber Unterschiedliches damit meinen. Durch die Beschäftigung mit „threesomes“ nähern wir uns dem Thema Sex gewissermaßen von der Seite und können überraschende Beobachtungen machen.

Candace Bushnell macht es von Anfang an klar: Frauen stehen nicht auf „threesomes“. Sie finden flotte Dreier nicht erregend. Aber warum ist das so? Männer streben nach Sex; und Sex mit zwei Frauen ist für sie sozusagen doppelt so viel Sex. Die sexuelle Erfahrung wird für Männer beim Sex zu dritt vielfältiger und stärker.

THE IDEA OF MORE

“Peter jumped back in. “It’s more experiences, every day, therefore you have to do more and constantly faster! […]” […] Tad started to agree with Peter. “It’s the whole idea of more,” said Tad. “It’s four breasts, not two.””

S. 62-63

Frauen hingegen suchen im Sex die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Partners. Sex zu dritt ist für sie daher nicht doppelt so viel Sex, sondern nur halb so viel. So zeigt sich also in der Untersuchung von flotten Dreiern in Sex and the City, dass es gar nicht Sex ist, was Frauen wollen, sondern Aufmerksamkeit. Sex ist für sie dabei ein Nebenprodukt, vielleicht ist Sex für Frauen nicht unbedingt etwas Unangenehmes, aber Sex erscheint als etwas, das Frauen „in Kauf nehmen“, wenn sie dafür Aufmerksamkeit erhalten.

GIRLS DON’T LIKE THREESOMES BECAUSE THE LIKE THE ATTENTION

“I think every girl’s least favourite thing is a threesome,” Chloe said. She said it like she was talking about hair accessories. “Girls like one-on-one,” she said. “They like the attention.”

S. 65

 

ABER WAS IST DENN EIGENTLICH „AUFMERKSAMKEIT“?

Aufmerksamkeit ist doch nun nichts Schlechtes, wird man sagen. Das ist richtig, falls es stimmt, dass die gegenseitige Aufmerksamkeit der beiden Beziehungspartner füreinander gemeint ist. Wieder könnte es sein, dass etwas anderes gemeint ist als gesagt wird.

Betrachten wir das folgende Zitat: Carrie und Mr. Big streiten. Sie will reden, er nicht. Das bedeutet: Sie streitet, er nicht. Warum streitet sie mit ihm? Sie will mehr Aufmerksamkeit. Er möchte sich nicht bemühen, ihr mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er wirft ihr vor, wie seine Ex-Frauen zu sein. Er erlebt diese Verhaltensweise von Frauen also nicht zum ersten Mal. Immer verlangten sie etwas von ihm.

Hier schließt sich der Kreis zu dem zuvor Gelernten: „Aufmerksamkeit“ ist nur ein anderer Ausdruck für das einseitige Beziehungskonzept, das Carrie vorschwebt: Sie will mit Mr. Big zusammen sein, aber die Aufmerksamkeit soll dabei auf ihr liegen, nicht auf Mr. Big. Die zwischengeschlechtliche Beziehung ist also keine Partnerschaft, sondern ein Vehikel zur Befriedigung der Wünsche des weiblichen Beziehungspartners.

Doch selbst diese Beschreibung ist noch nicht umfassend genug, denn es geht Carrie nicht bloß darum, dass Mr. Big ihr alle Wünsche erfüllt, die sie hat, sondern dass er alle ihre Launen und emotionalen Zustände beobachtet und zu erraten versucht, welche Wünsche daraus entstehen könnten. Diese permanente und selbstlose Beobachtung der emotionalen Zustände der Frau durch den Mann sowie die Selbstbeobachtung der eigenen Zustände durch die Frau in dem Bewusstsein, dass diese das Zentrum der Beziehung bilden (und dass es dabei nebensächlich ist, wie sich der Mann fühlt), heißt „Aufmerksamkeit“. Aufmerksamkeit bekommt eine Frau dann, wenn sich in einer Beziehung alles nur um sie dreht.

Das Ziel des weiblichen Wunsches nach „Aufmerksamkeit“ ist ein Leben in Verantwortungslosigkeit: Ihre Wünsche sollen vom liebenden „Partner“ in statu nascendi, also in dem Augenblick, wo sie entstehen, erraten und erfüllt werden; in einer Phase also, in der sie sich noch nicht zu Wünschen verfestigen und formuliert werden wollen. Denn sobald man einen konkreten Wunsch hat, ist man für ihn verantwortlich und muss sich für ihn rechtfertigen, und man ist „schuld“ für ihn, zumindest in der Hinsicht, dass man die Enttäuschung selbst tragen muss, wenn man das Gewünschte bekommt, sich das Gefühl der Befriedigung aber aus irgendeinem unbekannten Grund nicht einstellt.

Wenn man sich ein Leben wünscht, in dem man gedankenlos seinen Launen folgen kann, dann benötigt man Umstände, in denen man nicht auf seine Wünsche festgenagelt werden kann. (Das war auch der Grund, warum Carrie Mr. Big ins Leere fahren lässt, wenn er sich dafür interessiert, was sie will (vgl. Zitat weiter oben: IF YOU ARE NOT TOTALLY IN LOVE WITH ME): Sie empfindet es als Einschränkung, auf ihren Willen „reduziert“ zu werden.)

SHE WANTED MORE ATTENTION

“The fights were: She wanted to talk, he didn’t. She wanted more attention; he didn’t want to make the effort. “Now you sound like all my ex-wives,” he’d say. “Always demanding something. […]”
Why had she thought that if they were married, she’d get the attention she wanted? Why didn’t she understand that if they did get married, she’d become more and more of an accessory? That was a pattern.”

S. 230

 

CARRIE VERLÄSST MR. BIG

Weil Carrie Mr. Big nicht zu ihren Bedingungen bekommt (=Heiratsantrag von ihm auf seine eigene Initiative), verlässt sie ihn. Aber nicht ohne vorher noch einmal heftig Theater gespielt zu haben. Wie bereits beschrieben, hatte sie vorher schon bei jeder Gelegenheit an seinem Nervenkostüm gezwickt und gezogen, um ihn zur Ehe zu motivieren. Nun steigert sie sich in die Vorstellung hinein, wie schlecht es ihr geht.

Weil es ihr nicht gelingt, Mr. Big zu einer Beziehung zu motivieren, in der sie sich verhalten kann, als wäre sie eine Zwölfjährige, verhält sie sich wie eine Zwölfjährige. Mr. Big bleibt standhaft und rät ihr zu einer Dusche.

Wenn wir das folgende Zitat lesen, müssen wir uns vor Augen halten: Carrie ist wahrscheinlich eine junge, schöne Frau. Aber sie wird von Bushnell auch als eine kettenrauchende Alkoholikerin geschildert, die die Nacht zum Tag macht und morgens in Mr. Bigs Apartment kommt, um zu schlafen, wenn es für ihn Zeit ist, zur Arbeit zu gehen. Sie bemüht sich also in keiner Weise darum, bei ihm den Anschein zu erwecken, dass sie in irgendeiner Weise an sich arbeiten würde, dass sie etwas aus ihrem Leben machen möchte oder dass sie irgendwelche Ziele verfolgt, bei deren Erreichung er sie unterstützen könnte.

SHE WANTED NO RESPONSIBILITY

„The bad day, the day that tipped the balance so to speak occurred back in June… […] At eight in the morning she turned up at Mr. Big’s apartment.
“I’m not even going to ask,” he said. […]
After he left to go to work, she began crying uncontrollably. […] At eleven A.M., Carrie called his office. “I want to go to an insane asylum.”
She wanted to put herself in someone else’s hands. She wanted no responsibility. She wanted to lie in a white room and watch TV, and maybe make pot-holders. You can’t act like you’re twelve.
“Take a shower,” Mr. Big said.

S. 242-243

 

MENSCHLICHES PAARUNGSVERHALTEN BEI ÜBERBEVÖLKERUNG

Eigentlich ist Sex and the City ein Buch über menschliches Paarungsverhalten bei Überbevölkerung. Auf diese Thematik wird auch explizit hingewiesen, wie wir im folgenden Zitat sehen können, das auf wissenschaftliche Studien mit Ratten anspielt, die sich unter Bedingungen von Überbevölkerung ungewöhnlich und merkwürdig verhalten.

RATS AND THE CITY

“Peter broke the tension. “The underground reality of this is the biological rat studies,” he said. “Density, stress, and the overcrowding of the niche structures. The first phenomenon of overcrowded rats is the separation of the sexes. And in this city, with all the lawyers and all the overcrowded niche structures, you have incredible pressure. Pressure fucks up the hormones; when the hormones are screwed up, there are more homosexuals; and homosexuality is nature’s way of cutting down on population. All of these unnatural things we’re talking about exponentially expand.”
“That sums it all up,” Tad said dryly.
“We’re leading sensory-saturated lives,” Peter said. “High density. Intensity. Millions of appointments. Millions of lawyer appointments. A simple thing is no longer fun. Now you have to have two or three girls, or exotic strippers at Pure Platinum.”

S. 61

Ob die Überflutung mit Sinnesreizung zu Abstumpfung führt und Stress zu abnormen hormonellen Reaktionen führt, kann ich nicht entscheiden; aber halten wir einmal die These fest, dass menschliche Sexualität vielleicht nur unter einem Mangel an zur Verfügung stehenden Sexpartnern gut funktioniert. In dem Fall wäre die Gegenthese, dass menschliche Sexualität nicht gut funktioniert, wenn die Leute zu viele Wahlmöglichkeiten haben.

Candace Bushnells Buch berichtet nur von den Problemen der Reichen und Schönen; was bedeutet, dass wir davon, wie es den Armen und Hässlichen in New York mit der Partnersuche geht, daraus sehr wenig erfahren.

Die reichen und schönen Männer und Frauen haben prinzipiell dasselbe Problem: Durch die hohe Anzahl an reichen und schönen Menschen in New York sind sie ersetzbar und können leicht ausgetauscht werden. Was die gefragten Eigenschaften betrifft, sehen wir allerdings eine Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern: Frauen haben in erster Linie schön zu sein, Männer reich oder beruflich erfolgreich. (Mr. Big ist wohlhabender als Carrie und stößt sich nicht daran; ob Carrie einen Mann wählen würde, der ärmer ist als sie, erfahren wir nicht, weil es nicht erzählt wird, aber es sieht nicht danach aus.)

Nun kann es sein, dass reiche Männer in früheren Zeiten, als sie noch nicht so viel Auswahl hatten, noch motiviert waren, all die Forderungen, die anspruchsvolle schöne Frauen in sie in Beziehungen stellen, hinzunehmen, aber heute steht ihnen eine riesige Schar von jungen Fotomodels zur Verfügung, die das Angebot, Wohlstand und sozialen Status gegen weibliche Schönheit zu tauschen, gern annehmen. Kurz, wenn ein wohlhabender New Yorker in einer Beziehung mit einer zickenden Carrie konfrontiert ist, muss er das nicht hinnehmen, denn er hat Alternativen.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch New Yorkerinnen, so schön sind, dass sie sich mit einem Mr. Big nicht begnügen müssen, sondern einen Mann wählen können, der noch wohlhabender ist und ihnen noch mehr Wünsche erfüllt. Wer sind die Stärkeren in diesem Wettkampf, die schönen New Yorkerinnen oder die reichen New Yorker – und wo pendelt sich ein neues soziales Gleichgewicht ein? Das weiß ich nicht; fest steht aber, dass dieses Spiel des Sich-Weiterhangelns von einem „Partner“ zum nächsten, besseren, Zeit beansprucht und die involvierten Personen dabei älter werden. Am Ende sind sie oft nicht mehr in der Lage, einen definitiven Deal abzuschließen (=zu heiraten). Bisweilen sind sie aber auch nicht mehr bereit dazu, sich dauerhaft auf einen Beziehungspartner einzulassen, weil sie als Verhaltensregel gelernt haben, dass man einen Partner wechselt, wenn einem etwas an ihm stört (und nicht: dass man es trotzdem versucht, mit ihm zurechtzukommen).

Was neu ist (oder 1996 neu war, als das Buch geschrieben wurde), ist, dass heute auch viele Frauen materiellen Wohlstand genießen und in beruflich einflussreichen Positionen tätig sind. Für sie stellt sich die Frage: „Warum sollte ich noch Geduld mit einem Mann haben, wenn er mir nicht alle Wünsche erfüllt?“ Die Zeiten, als ein Mann für viele Frauen ein Mittel war, um zu Wohlstand zu kommen, sind vorbei.

WOMEN WHO HAVE AS MUCH MONEY AND POWER AS MEN

"This is a real question for women in New York these days. For the first time in Manhattan history, many women in their thirties to early forties have as much money and power as men – or at least enough to feel like they don’t need a man, except for sex.”

S. 41

Was lernen wir daraus? Dass ländliche Verhältnisse und Armut bei Frauen gut sind für langfristige Beziehungen und gute Ehen. Ländliche Verhältnisse, weil der Mann Geduld hat mit seiner Frau, weil er abschätzen kann, dass er in der Umgebung keine Schönere mehr finden wird. Und Armut bei den Frauen, weil sie für die charakterlichen Schwächen des Mannes mehr Verständnis haben werden, wenn sie finanziell auf ihn angewiesen sind.

Man kann diese Entwicklung des Überflusses (an Menschen und an Reichtum) bedauern, man kann sie aber auch positiv sehen: Vielleicht hatten wir bisher ein viel zu positives Bild von der Liebe der Frauen zu den Männern, die in Wirklichkeit ihre Ursache in der materiellen Bedürftigkeit oder im sozialen Aufstiegswillen der Frauen hatten. Falls das der Fall ist, werden wir in Hinkunft bei materiell unabhängigen Frauen sehen können, wie sehr (oder wie wenig) die Frauen die Männer wirklich lieben – und das wird ein Schritt hin zu einer realitätsgerechteren Einschätzung von zwischengeschlechtlichen Beziehungen in der menschlichen Spezies sein.

 

“THIS IS THE WORST BOOK I HAVE EVER READ IN MY LIFE!”

Als ich Sex and the City las, dachte ich, es handle sich um Frauenliteratur. Zu meinem Erstaunen lernte ich, dass das nicht der Fall ist, als ich die Rezensionen zum Buch auf goodreads.com durchsah.

Der Tenor ist, dass die Leserinnen das Buch lasen, weil sie Fans der Fernsehserie sind und dann furchtbar enttäuscht waren, weil das Buch nicht so ist wie die Fernsehserie. Einige finden das Buch verwirrend, weil es nicht separate Geschichten erzählt, sondern eher so etwas wie eine Collage aus verschiedenen Szenen ist. Sie vermissen in dem Buch Geschichten über die Freundschaft von vier Frauen in New York. In Bushnells Buch spielt Freundschaft auch tatsächlich kaum eine Rolle; jede und jeder kämpft für sich allein.

Viele wundern sich, wie dieses Buch zur Grundlage gleichnamigen Fernsehserie werden konnte, die sie mit Befriedigung geschaut haben. Einige geben zu, dass sie nicht imstande waren, das Buch zu Ende zu lesen, weil es darin nichts gibt, das ihre Aufmerksamkeit gefesselt hat. Die Charaktere im Buch werden von den Leserinnen als oberflächlich empfunden, Candace Bushnell als schlechte Autorin eingestuft.

“Oh my god, if you buy this book because you love the show and you want to read about a group of friends navigating the struggles of friendship and dating in New York City - STOP. PUT THE BOOK DOWN. BACK AWAY SLOWLY. This book is nothing like the tv show and will only make you regret the money and time you spent on it.”
[Allgra S, 22. April 2014]

“Let's get straight to the point. This is one of the worst books that I have ever read (as far as I can remember). The series is so much better than the book.”
[Ivana Books Are Magic, 31. Mai 2016]

“This book literally drained me of happiness for the amount of time that it took me to read it.”
[Olesya, 30. Juli 2011]

https://www.goodreads.com/book/show/7455.Sex_and_the_City

Nun habe ich nur die erste Seite (von 10) an Leserinnenkommentaren (hauptsächlich waren es Leserinnen) auf goodreads.com gelesen, aber eines erscheint mir klar: Es gefällt den Leserinnen nicht, wie die Frauen in Candace Bushnells Buch dargestellt sind, vor allem, dass sie nicht als sympathisch und liebenswürdig erscheinen. Dieses Anliegen ist verständlich, denn wenn es tatsächlich der Fall ist, dass Frauen so einseitige und schiefe Beziehungsmuster verfolgen, wie es im Buch dargestellt ist, dann sollten sie das zumindest hinter ein wenig Liebenswürdigkeit verstecken, damit man es nicht auf den ersten Blick sieht und unangenehm berührt ist.

“Unlike TV Carrie, Book Carrie is never portrayed as anything other than a complete disaster of a human being. The first time we meet her she's described point blank as an alcoholic and a bitch.”
[Isa K. 8. August 2014]

„I really do applaud the creators of the show as I have no idea how they can read this and think “oh wow, let’s turn this into a witty, amazing television show that has characters the viewers will actually like”.
[Taneika, 7. Juni 2011]

https://www.goodreads.com/book/show/7455.Sex_and_the_City

Was mir bei der Lektüre der Rezensionen auf goodreads.com aufgefallen ist, ist so eine Art Automatismus in den Folgerungen, die aus den Vorwürfen der Rezensentinnen gegen das Buch folgen. Zum Beispiel suggeriert der Vorwurf „Die Charaktere sind flach, Candace Bushnell muss eine schlechte Autorin sein.“ – dass alle Menschen immer tiefe und gehaltvolle Charaktere haben und dass es nur einen guten Schriftsteller braucht, um sie darzustellen. Wenn das aber so ist, dann wird es unmöglich, Menschen als flache Charaktere darzustellen, wenn sie sich nämlich in einem konkreten Umfeld tatsächlich so verhalten, weil man dadurch den Vorwurf auf sich zöge, ein schlechter Schriftsteller zu sein. Eine solche Einstellung verhindert die Darstellung der Wahrheit überall dort, wo die Wahrheit flach, primitiv, kleinlich und hässlich ist und nicht den erhabenen Vorstellungen entspricht, die wir von großer Literatur haben.

sex and the city: the worst book i have ever read

Auch die Rezension von heffa auf Youtube (vom 5.2.2019) möchte ich empfehlen, die über das Buch sagt: „The fact that this was published is a crime against humanity“: https://www.youtube.com/watch?v=eEsao3zutBc. Es ist offenbar tatsächlich ein großer Zufall, dass das Buch Sex and the City von Candace Bushnell gedruckt worden ist angesichts der Menge an Widerwillen, den es bei den meisten seiner Leserinnen erregt.

LEARNINGS AUS DEM BUCH

Mir ist beim Lesen von Candace Bushnells Buch Sex and the City an keiner Stelle die Zeit lang geworden, und ich habe vieles daraus gelernt. Was ich alles daraus gelernt habe, ist mir interessanterweise in keiner der Rezensionen, die ich gelesen oder gehört habe, wiederbegegnet. Man kann also davon ausgehen, dass die Rezensentinnen bei ihrer Lektüre ganz andere Dinge für wichtig empfunden haben als ich. Man kann wahrscheinlich auch vermuten, dass diejenigen Elemente, die ich in meiner Rezension hervorgehoben habe, für die Leserinnen des Buchs so normal sind, dass sie unsichtbar sind, wie die Luft, die man atmet – währenddessen ich mich an ihnen gestoßen habe, weil ich als Ausgangsvorstellung das partnerschaftliche Konzept von Beziehung gewählt habe, dem die Erwartungen der Frauen in Sex and the City nicht entsprechen, wodurch sie – durch den Kontrast zu ihnen – sichtbar werden mussten.

Im Folgenden will ich versuchen, die wichtigsten Learnings noch einmal zusammenzufassen:

  1. „Beziehung“ scheint für Männer und Frauen unterschiedliche Bedeutungen haben. Viele Männer gehen heute von einem partnerschaftlichen Beziehungsbegriff aus, weil man ihnen so viel von Gleichberechtigung und Partnerschaft erzählt. Dann kommen sie nicht auf die Idee, dass ihre Freundin oder Frau ein anderes Beziehungskonzept verfolgen könnte – eines, in dem der Mann vor Liebe verrückt nach der Frau ist und deshalb bereit ist, ihr alle Wünsche zu erfüllen. Frauen könnten also ein Konzept von Beziehung haben, in dem vieles von dem, was partnerschaftliche Beziehungen auszeichnet und sie oft auch mühsam macht (Herausfinden, was die beiden Partner wollen, Ausverhandeln von Kompromissen, gemeinsames Umsetzen von Entscheidungen) gar nicht vorkommt.
  2. „Liebe“ scheint für Männer und Frauen ebenfalls unterschiedliche Bedeutungen zu haben. Während das Wort für Männer bedeutet, dem Beachtung zu schenken, was Frauen wollen, und auch darauf, ob die Frau den Mann liebt, bedeutet es für Frauen, dass Männer vor Liebe so verrückt nach einer Frau sind, dass sie ihr alles schenken oder für sie tun, wonach immer ihr gerade der Sinn steht – ohne darauf zu achten, ob sie selbst der Frau auch etwas bedeuten.
  3. Auch wenn Männer und Frauen von „Sex“ reden, scheinen sie Unterschiedliches damit meinen. Der Mann sucht Sinnenlust, wenn er Sex will, die Frau Aufmerksamkeit. Es geht dabei nicht nur allein um die Tatsache, dass dieser Umstand Quelle von Missverständnissen zwischen den Geschlechtern sein kann, sondern: Als Mann stellt man sich ja auch vor, dass die Frau sich in ähnlicher Weise von einem erotisch angezogen fühlt, wie man sich selbst von ihr. Wenn man draufkommt, dass ihr erotisches Begehren von ganz anderer Art ist wie das eigene, fühlt sich das recht unsexy an. Wenn man als Mann beim Sex Sex will und die Frau will beim Sex Aufmerksamkeit, dann ist man sozusagen mit seinem sexuellen Begehren alleingelassen.
  4. Auch „Aufmerksamkeit“ scheint so ein missverständliches Wort zu sein, bei dem beide Geschlechter was anderes meinen. Während Männer glauben, dass in einer Beziehung die Aufmerksamkeit des einen Beziehungspartners jeweils auf den anderen gerichtet ist, scheint für Frauen die Vorstellung zu gelten, dass die Aufmerksamkeit beider Beziehungspartner ausschließlich um die Bedürfnisse der Frau kreisen sollten.
  5. Ja, und dann haben wir es noch mit etwas zu tun, das keinen Namen hat. Ich habe es in meinen Ausführungen provisorisch benannt mit: Der Mann „übernimmt die Führung in einer Beziehung“, und die Frau strebt danach, „die Verantwortung für ihr Leben an den Mann abzugeben“. Es ist ein Phänomen, das im Laufe des Buchs immer wieder durchscheint und deshalb auch in mehreren Zitaten dieser Rezension vorkommt. Das Interessante an diesem Wunsch nach einem Leben in Verantwortungslosigkeit ist, dass er nicht nur Partnerschaften sprengt (weil die Frau sich dem Mann nicht als Beziehungspartner präsentiert) und Beziehungen belastet (weil es mit viel Aufwand und Geduld verbunden ist, ein launisches erwachsenes Kleinkind zu betreuen), sondern auch die Persönlichkeit der Frau auflöst (die Frau hört auf, jemand zu sein, der für etwas steht, sondern löst sich in ein Bündel von emotionalen Impulsen und momentanen, oft von Alkohol oder Drogengenuss verstärkten, Launen auf).

Es war mir wichtig, über dieses Buch einen Text zu schreiben und ein paar bemerkenswerte Punkte festzuhalten, weil ich befürchte, dass die darin enthaltenen Inhalte sonst untergehen. Das hat natürlich einerseits mit der Existenz der Fernsehserie „Sex and the City“ zu tun, die bewirkt, dass auch das Buch mit leichter Unterhaltung assoziiert und nicht ernstgenommen wird. Andererseits ist es aber auch so, dass ich im Internet nachgeforscht habe und keine gehaltvolle Analyse des Buchs gefunden habe, die zu denjenigen Punkten Stellung nimmt, die ich hier diskutiert habe. Vielleicht sind sie also nur mir wichtig; andererseits kann auch Mr. Big seine Probleme mit Carrie nicht lösen, weil er das Konzept der verantwortungslosen Rolle in der Beziehung für die Frau nicht kennt und nicht einmal auf die Idee kommt zu vermuten, dass es so etwas geben könnte.

© helmut hofbauer 2020