Gesucht:
Beziehung mit Verantwortungslosikgeit
Rezension
von Candace Bushnell: Sex and the City. (Now includes
two new stories.) Abacus, London 2004 (first published
by Atlantic Monthly Press, USA 1996). 245 Seiten.
Wien,
am 23.2.2020
CARRIE
LIEBT MR. BIG NUR VORBEHALTLICH, DASS ER SIE LIEBT
Ich
beginne gleich mit dem interessantesten Punkt: Im folgenden
Zitat erklärt Carrie ihrem Freund Mr. Big, dass sie
nur in dem Fall bereit wäre zuzugeben, dass sie ihn
liebt, wenn er sie liebt.
Es
geht in dieser Szene aber nicht um eine Gegenseitigkeit
der Liebe (was ein wünschenswerter Zustand wäre),
sondern ganz im Gegenteil um einseitige Liebe. Carrie möchte
von Mr. Big geliebt werden, um verschiedene Vorteile materieller
und anderer Art, die für sie daraus erwachsen, genießen
zu können. Wenn er sie liebt, wäre sie bereit,
bei ihm zu bleiben und notfalls auch etwas für die
Beziehung zu tun, indem sie eingesteht, dass sie ihn auch
liebt. Ohne diese Sicherheit ist sie zu keinerlei emotionalem
Zugeständnis bereit. Im Gegenteil, sie entwertet ihre
Beziehung zu Mr. Big, die schon eine Weile läuft, in
grober Weise, indem sie behauptet, sie liebe ihn nicht.
ONE
OF THE RULES
„…he
said he didn’t know what to do. He couldn’t
move forward. He thought they should move on. He started
crying. Not for himself, for her. He’d rescued
her from her lousy life, and now he was throwing her
back. He felt like a shit for doing it, for things
having to be that way, for not being able to give
her what she wanted. The last thing he wanted was
to hurt her.
The only part that wasn’t in the manual was
her response: She started to laugh. “Oh, give
me a break,” she said.
“I know you’re really in love with me,”
he said.
“You think I’m really in love with you,”
she said.
“I know you are.”
“Do you?”
“Yes.”
“Well,” she said, “I’m not.”
“This is me,” he said. “You don’t
have to lie.”
“I’m not. How can I be in love with you
if you’re not in love with me? That’s
one of the rules. Don’t break the rules.””
S.
238 |
Die
Szene geht folgendermaßen weiter: Carrie sagt zu Mr.
Big, dass sie einander eben nur benutzt hätten und
dass Beziehungen nun einmal so seien. Mr. Big behauptet,
an wahre Liebe zu glauben, was Carrie verblüfft: Maybe
she didn’t have all the information.
Die
gesamte verfügbare Information hat sie freilich schon,
aber die beiden sprechen miteinander vor dem Hintergrund
von unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen, Beziehungskonzepten:
Mr. Big verfolgt offenbar ein partnerschaftliches Beziehungskonzept,
in welchem zwei Personen miteinander eine Beziehung führen;
für Carrie hingegen besteht „wahre Liebe“
darin, dass ein Mann verrückt nach einer Frau ist und
alles für sie tut.
“Don’t
worry about it,” she said. “Don’t
get your knickers in a twist. We both served a purpose
for each other and now it’s over. That’s
the way relationships are. Think of it as a learning
experience.”
“I don’t believe that,” he said.
“I believe in real love.”
Then she thought: Maybe she didn’t have all
the information.”
S.
239 |
„DU
KANNST ETWAS DAGEGEN TUN!“ – DIE ABGABE DER
VERANTWORTUNG AN DEN „BEZIEHUNGSPARTNER“
Ausgehend
vom ersten Zitat (ONE OF THE RULES) könnte man annehmen,
es gehe Carrie darum, vom wohlhabenden Mr. Big auf Händen
getragen zu werden und dass er ihr alle ihre materiellen
Wünsche erfüllt. Aus diesem Grund, würde
man denken, strebt Carrie eine einseitige Beziehung mit
Mr. Big an, in der er sie liebt und sie sich lieben lässt:
um in dieser Beziehung die Rolle der Empfängerin einzunehmen
und ihm die Rolle des Gebers zuzuweisen.
Das
mag auch bis zu einem gewissen Grad stimmen, ist aber nicht
alles. Es gibt noch mehr an Lernstoff in diesem Buch. Im
folgenden Zitat versucht Carrie, Mr. Big gleichsam sprachhandelnd
oder metasprachlich klarzumachen, dass sie von ihm erwartet,
dass er die Verantwortung für die (gemeinsame) Beziehung
übernimmt. Sie sagt ihm, „yes, cou can do something
about it“, also er habe es in der Hand, die Beziehung,
die gegenwärtig eine chronische Streiterei ist, zu
kitten. Was er dazu tun müsste, das weiß der
Leser des Buchs, weil immer wieder davon die Rede ist: Er
müsste ihr einen Heiratsantrag machen. Dergestalt dass
der geistig anspruchslose Mensch die Sache wohl so aufnehmen
würde, dass das Beziehungsproblem gelöst wäre,
wenn er sie nur heiraten würde.
Aber
mir scheint, das würde auch nicht genügen. Was
Carrie von Mr. Big zu wollen scheint, ist nicht nur die
Ehe, sondern dass er die Führung in der Beziehung übernimmt
– und damit auch, dass er jeweils schuld ist, wann
immer etwas schief läuft (denn er hatte es schließlich
so gewollt).
Auch
in diesem Zitat entwertet Carrie wieder ihre Beziehung mit
Mr. Big, indem sie sie als vergleichbar mit allen Männerbeziehungen,
die sie bisher hatte, einstuft und sie als bloß „sufficient“
charakterisiert.
YOU
CAN DO SOMETHING ABOUT IT, THAT’S THE POINT
“Then
Mr. Big was nice. He made her into pyjamas and sat
with her on the couch. “When I first met you,
I liked you,” he said. “Then I liked you
a lot. Now I… I’ve grown to love you.”
“Don’t make me vomit,” Carrie said.
“Why me, baby?” he asked. “With
all the guys you’ve gone out with, why do you
want to pick me?”
“Who said I did?”
“What is this, a pattern?” Mr. Big said.
“Now that I’m more involved, you want
to bail. You want to run away. Well, I can’t
do anything about that.”
“Yes, you can,” Carrie said. “That’s
the whole point.”
“I don’t get it,” Mr. Big said.
“How is our relationship different from all
the others you’ve had?”
“It’s not. It’s just the same,”
Carrie said. “So far, it’s just sufficient.””
S.
223 |
Diese
Szene hat übrigens noch ein interessantes Nachspiel:
Am folgenden Morgen, so erzählt Bushnell die Geschichte
weiter, fragt Mr. Big Carrie wie üblich, welche Krawatte
er wählen soll. Sie wirft einen kurzen Blick auf die
Krawatten, die er ihr zeigt, und wählt eine aus. Auf
Mr. Bigs Klage, sie habe sich die Krawatten nicht einmal
genau angeschaut, antwortet Carrie, dass letzten Endes doch
eine Krawatte wie die andere sei. Dass ist offenbar eine
Anspielung auf Mr. Big, die besagt, dass für Carrie
ein Mann wie der andere ist. Den einzigen Unterschied, den
es zwischen den Männern gibt, macht aus, wieviel sie
für Carrie zu tun bereit sind.
"Carrie
glanced at them briefly. “That one,” she
said. She threw off her glasses and lay back against
the pillows and closed her eyes. [S. 224]
“But you hardly even looked at them, “Mr.
Big said.
“That’s my final decision,” she
said. Besides, in the end, isn’t one tie very
much like another?””
S.
223-224 |
WENN
MR. BIG NICHT VERRÜCKT IST NACH CARRIE, DROHT SIE IHN
ZU VERLASSEN
Folgendes
Zitat ist ein weiteres Indiz für die aufgestellte These:
Carrie bringt darin zum Ausdruck, dass sie von Mr. Big geliebt
werden möchte, andernfalls sie ihn verlassen würde.
Nun ist nichts daran falsch, geliebt werden zu wollen. Aber
als glückliche Beziehungspartnerin könnte es Carrie
morgens nach dem Aufwachen durchaus auch einfallen, Mr.
Big mitteilen zu wollen, dass sie ihn liebt. Wenn sie das
nicht tut, könnte es einen Grund haben – und
der Grund könnte darin bestehen, dass sie sich am empfangenden
Ende der Beziehung sehen will.
Diese
Szene spielt sich (ebenso wie die vorher zitierten) vor
dem Hintergrund ab, dass Carrie und Mr. Big eine Beziehung
führen, in der er vieles für sie ist und tut.
Er ist der finanziell wohlhabendere Beziehungspartner; er
lässt sie bei sich in seinem Apartment wohnen (was
Vorteile vor allem im Sommer hat, weil Carries Wohnung keine
funktionierende Klimaanlage hat); er nimmt sie zum Sommerurlaub
in die Hamptons mit und zum Winterurlaub nach Aspen, wo
er ihr eine Schiausrüstung kauft und ihr Schifahren
beibringt. Carrie profitiert also in vielerlei Hinsicht
von dieser Beziehung, und sie „dankt“ es Mr.
Big dadurch, dass sie wiederholt aus heiterem Himmel einen
Streit mit ihm vom Zaun bricht und ihm die Beziehung so
unangenehm wie möglich macht.
Dabei
hat sie, scheint es, keine Angst davor, den Bogen zu überspannen
– und der Grund dafür scheint in einer bestimmten
gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellung von Normalität
zu liegen: Carrie teilt mit ihren Freundinnen und mit vielen
anderen Menschen in New York die Vorstellung, dass es normal
sei, als Frau in einer Beziehung hohe Forderungen an den
Mann zu stellen.
Auch
in diesem Zitat sieht man übrigens wiederum, wie Mr.
Big damit beschäftigt ist, was Carrie will. Daran zeigt
sich, dass er ein partnerschaftliches Konzept von Beziehung
verfolgt: Er möchte herausfinden, was seine Partnerin
will, seine eigenen Wünsche einbringen und dann einen
Kompromiss zwischen den beiden Parteien finden. Aber genau
diese Strategie erweist sich in der Kommunikation mit Carrie
immer wieder als der falsche Weg. Denn Carrie will ja nicht
zugeben, dass sie irgendetwas will; sie will gewollt werden,
weil sich daraus für sie die stärkere Verhandlungsposition
ergibt. Wer etwas will, begibt sich in eine kritisierbare
Position; wer gewollt wird, hat alle Macht und muss sich
für nichts rechtfertigen.
IF
YOU ARE NOT TOTALLY IN LOVE WITH ME
“I
SHOULD LEAVE
I can’t take it, Carrie thinks, waking up one
morning. She lies there watching Mr. Big until he
opens his eyes. Instead of kissing her, he gets up
to go to the bathroom. That’s it, she thinks.
When he comes back to bed, she says, “Listen,
I’ve been thinking.”
“Yeah?” says Mr. Big.
“If you’re not totally in love with me
and crazy about me, and if you don’t think I’m
the most beautiful woman you’ve ever seen in
your life, then I think I should leave.”
“Uh, huh,” says Mr. Big.
“Really, it’s no problem.”
“Okay,” Mr. Big says, somewhat cautiously.
“Soooooo … is that what you want?”
“Is it what you want?” says Mr. Big.
“No, not really. But I do want to be with someone
who’s in love with me,” says Carrie.”
S.
152 |
WIE
FINDET MAN JEMANDEN, DER EINEM ALLES GIBT?
Ein
weiteres Indiz für die Suche Carries nach einer einseitigen
Beziehung findet sich in der Erzählung vom Besuch Carries
und ihre Freundinnen Belle, Sarah und Miranda bei Jolie
Bernard in Greenwich. Jolie hat im Alter von 35 ihr Partyleben
beendet und einen Investmentbanker geheiratet. Das Paar
ist in die New Yorker Vorstadt gezogen, und Jolie hat Kinder
bekommen.
Nach
dem Besuch der Toilette schaut sich Carrie in Jolies Schlafzimmer
um, ist beeindruckt von all den Zeichen des Wohlstands,
die sie da sieht, und stellt sich die Frage: „How
did you find someone who fell in love with you and gave
you all this?“
Die Perspektive von Carrie ist also von Anfang an die, dass
Beziehungen mit Männern für Frauen dazu da sind,
um Gaben zu empfangen. Sie selbst sieht sich nicht auf der
Geberseite. Und sie fügt dem hinzu, dass sie so aufgewachsen
sei und immer schon geglaubt habe, dass sie so ein Leben
(wie Jolie) haben könne. Sie glaubt also, einen Anspruch
auf ein solches Leben zu haben. Es ist nun auch nicht so,
dass sie es nicht haben könnte. Nur die Art der Männer,
die sich ihr für ein solches Leben anbieten, sagt ihr
nicht zu
Was
daran beeindruckend ist, ist, dass Carrie gar nicht auf
die Idee kommt, dass ihre Weltsicht etwas unausgeglichen
sein könnte. Dergestalt nämlich, dass man es als
„ungerecht“ ansehen könnte, wenn von den
Männern erwartet wird, dass sie den Frauen alles geben,
während die Frauen diese Gaben empfangen und selbst
nichts geben. Diese schiefe Realität sieht Carrie als
normal an; ungerecht behandelt fühlt sie sich, wenn
der Mann, der dazu bereit ist, ihr die Welt zu Füßen
zu legen, langweilig ist.
HOW
DO YOU FIND SOMEONE WHO GIVES YOU ALL THIS?
„She
went into Jolie’s bedroom. There was a thick
white carpet on the floor and photographs everywhere
in silver frames, some professional-looking shots
of Jolie in a bathing suit, her long blond hair swinging
over her shoulders.
Carrie stared at those photographs for a long time.
What was it like to be Jolie? How did it happen? How
did you find someone who fell in love with you and
gave you all this? She was thirty-four and she’d
never even come close, and there was a good chance
she never would.
And this was the kind of life she’d grown up
believing she would have, simply because she wanted
it. But the men you wanted didn’t want it, or
you; and the men who did want it were too boring.”
S.
85 |
DAS
PERFEKTE LEBEN EINER FRAU ALS EINES, IN DEM SIE NICHT ARBEITEN
MUSS
Ein
weiteres Indiz für die These vom weiblichen Wunsch
nach Abgabe der Verantwortung für das eigene Leben
in einer zwischengeschlechtlichen Beziehung findet sich
im nächsten Zitat. Es zeigt vor allem, dass Carrie
diesen Wunsch nicht allein hegt, sondern dass er eine Erwartungshaltung
darstellt, die zumindest auch unter Carries Freundinnen
verbreitet ist.
Bei
einer Party zeigt Carries Freundin Samantha auf eine Frau,
die das „perfekte Leben“ hat. Zu diesem perfekten
Leben gehört auch, dass sie nie arbeiten musste, weil
ihr Mann genug Geld verdient. Ebenso gehört dazu, dass
sie und ihr Mann eine Nanny, ein Apartment in der Stadt
und ein Haus in den Hamptons haben. Mit einem Wort, diese
Frau ist zu Wohlstand gekommen, ohne etwas dafür leisten
zu müssen. Und das Mittel, mit dessen Hilfe sie es
geschafft hat, ist die Heirat.
Auch
hier wird wieder erwähnt „…and she’s
never had to worry about anything“. Ebenso wie für
Carrie ist auch für Samantha die Vorstellung von einem
glücklichen Leben für eine Frau verbunden mit
der Abgabe von Verantwortung und einem kindgleichen Leben
in einer Situation, in der man so vollständig umsorgt
wird, dass man sich selbst um nichts kümmern muss.
SIE
MUSS NICHT ARBEITEN
“Sam
picked up two glasses off the tray. She nodded across
the room at a tall, tanned woman with short blond
hair. “See that girl?” she asked. “She’s
one of those girls who has a perfect life. Married
at twenty-five to Roger, the guy next to her. The
screenplay writer. His last three movies have been
hits. She was just a girl, like us, not a model but
beautiful – she met Roger, who I think is adorable,
smart, sexy, nice, and really funny, she’s never
had to work, they have two kids and a nanny and a
great apartment in the city and the perfect house
in the Hamptons, and she’s never had to worry
about anything.”
S.
215 |
Interessanterweise
kommt diese Frau dann auf Samantha und Carrie zu und erzählt
ihnen, dass sie gerade von einem „well-known Hollywood
director“ Geld für eine Dokumentation über
„this year’s female political canditates“
bekommen hat und dass sie nicht in der Lage wäre, dieses
Projekt durchzuführen, wenn ihr Mann ihr nicht das
Selbstvertrauen dazu geben würde. „I couldn’t
do it if I wasn’t married. Roger’s given me
so much self-confidence. Anytime something goes wrong, I
run into his office, screaming. I couldn’t handle
it if I didn’t have him. I’d crumple up and
never take any risks.” (S. 216) Wir können uns
vorstellen, dass es nicht gerade zur Steigerung von Rogers
Arbeitsproduktivität als Screenplay Writer beiträgt
oder seinen Stresslevel senkt, wenn seine Frau bei jeder
Gelegenheit schreiend in sein Büro gelaufen kommt.
Nun,
das klingt nicht nach echtem Selbstvertrauen, wenn sie bei
jeder Gelegenheit schreiend in sein Büro rennt; eher
nach geborgtem Selbstvertrauen. Sie fügt noch hinzu:
„I don’t know how you girls do it, being single
for years and years.“ (Ebd.) Daraufhin ist Samantha
verstimmt. Sie sagt: „That makes me sick […]
[w]hy should she get money for doing a documentary? She’s
never done a fucking thing in her life.”
Das
ist eine bizarre, in sich widersprüchliche Situation
in diesem Buch: Einerseits bewundern Samantha und Carrie
diese Frau, weil sie heiraten und die Verantwortung für
ihr Leben an einen wohlhabenden Mann abgeben konnte, andererseits
verachten sie sie aber auch dafür und gönnen es
ihr nicht, dass sie die Finanzierung für ein Projekt
bekommen hat, ohne einen „track record“ an eigenen
Leistungen vorweisen zu können.
QUALIFIKATIONSSTUFEN
ABHAKEN
Folgendes
Zitat weist darauf hin, dass Carrie nicht einfach einen
bestimmten Mann heiraten will, weil sie ihn liebt, sondern
dass Heirat und Kinder für sie eher so etwas wie Qualifikationsstufen
im Leben einer Frau sind, die sie abgehakt sehen will, egal
wen sie jetzt im Konkreten heiratet.
“The
next morning, after the freakout, when Carrie was
lying in Mr Big’s bed, she tried to think about
what she really wanted. Life felt like it had changed,
but had it really? She thinks: I’m still not
married. I still don’t have kids. Will it ever
happen?
When?”
S.
143 |
SPIELTHEORETISCHE
ÜBERLEGUNGEN
Das
Buch Sex and the City beobachtete präsentiert dem Leser
folgendes zwischengeschlechtliche Beziehungsmodell: Carrie
quengelt und zickt in der Beziehung mit Mr. Big herum. Sie
macht ihm die Beziehung unangenehm, weil sie etwas von ihm
will. Er soll sie heiraten, und er soll die Verantwortung
für diesen Schritt übernehmen.
Carrie
kann das offenbar tun, weil Mr. Big sie mehr braucht als
sie ihn. Es ist aber auch denkbar, dass viele Frauen in
dieser Situation ein ähnliches Verhalten an den Tag
legen und dass Mr. Big sich dessen bewusst ist. Er weiß
also, dass er auch, wenn er eine andere Frau zur Freundin
hätte, von ihr mit permanenten Forderungen konfrontiert
würde und mit Streit als dem bevorzugten Mittel ihrer
Wahl, um ihre Forderungen durchzusetzen.
Mr.
Big könnte nun Carrie in der Hoffnung heiraten, dass
mit diesem Schritt ihre Forderungen erfüllt wären
und sie wieder „nett“ zu ihm ist. Aber mit der
Ehe würde sich gleichsam ein eiserner Ring um ihre
Beziehung schließen. Droht Carrie durch ihr gegenwärtiges
Verhalten noch, die Beziehung zu „sprengen“,
weil sie beide (gegenwärtig noch) aus freiem Willen
zusammen sind, so würde aus der Beziehung durch die
Heirat ein Druckkochtopf, der sich nicht mehr ohne weiteres
öffnen lässt.
Mr.
Big wäre gefangen, und Carrie könnte sich in dem
durch die eheliche Verbindung geschützten Raum ungeniert
schlecht verhalten. Sie könnte die Nettigkeiten ganz
einstellen und sich ausschließlich nur mehr kratzbürstig
verhalten, und Mr. Big könnte sich nicht mehr ohne
große Kosten von ihr zurückziehen: Scheidung,
Rosenkrieg, Gerichtsverhandlungen, Alimente etc.
Wenn
man also die spieltheoretischen Möglichkeiten abwägt,
die es in der Situation gibt, in der Carrie und Mr. Big
sich befinden, ergibt sich, dass ein Heiratsangebot Mr.
Bigs Carrie voraussichtlich nicht zufriedenstellen wird,
sondern einen Freibrief für sie darstellt, sich so
– und so unerträglich – zu verhalten, wie
sie nur will. Und Mr. Big wäre auch noch schuld daran,
weil er es ja war, der die Ehe gewollt hat! Wenn sich Carrie
nicht einmal in der gegenwärtigen Situation respektvoll
gegenüber Mr. Big verhält, in der noch die Gefahr
besteht, ihn zu verlieren, warum sollte sie es dann tun,
wenn diese Gefahr nicht mehr besteht?
SELBST
DIE ROMANTIK STELLT UNGERECHTFERTIGTE ANSPRÜCHE AN
DIE FRAUEN
Wenn
man sich vor Augen führt, was Carrie alles von ihrem
Beziehungs-„partner“ erwartet, dann ist klar,
dass sie das eigentlich nur von einem romantischen Mann
bekommen kann; also von einem weißen Ritter, der vor
seiner Prinzessin niederkniet und ihr schwört, für
sie zu sterben ohne selbst etwas dafür von ihr zu fordern.
Das folgende Zitat zeigt, dass die Logik, wonach die Frau
in einer Beziehung immer die empfangende Partei sein sollte,
sogar das romantische Konzept überfordern kann.
Denn
die Romantik schränkt die weiblichen Ansprüche
doch insofern ein, dass die Frau für den Mann in irgendeiner
Weise ein bewunderungswürdiges Wesen haben sollte,
damit er bereit ist, alles für sie zu tun. In der Regel
erscheint die Frau dem romantischen Mann als schön,
unschuldig, rein, tugendhaft, liebenswert etc. Da Carrie
sich als Frau auch von derartigen Anforderungen eingeschränkt
fühlt und für sich das Recht beansprucht, sich
so zu benehmen, wie sie will, lehnt sie konsequenterweise
romantische Männer ab.
ROMANTIC
MEN ARE DANGEROUS
“My
friend Carrie jumped in. She knew the breed. “Every
time a man tells me he’s romantic, I want to
scream,” she said. “All it means is that
a man has a romanticized view of you, and as soon
as you become real and stop playing into his fantasy,
he gets turned off. That’s what makes romantics
dangerous. Stay away.”
S.
6 |
VORWÜRFE
GEGEN MÄNNER, DIE NICHT HEIRATEN WOLLEN
Warum
Männer nicht heiraten wollen, sollte aus dem Vorigen
eigentlich schon hinreichend klar sein. Dass die Ehe für
die Männer in New York ein schlechtes Geschäft
sein könnte, wird in Bushnells Buch nicht diskutiert.
Folgende Zitate zeigen, dass ein breiter kultureller Konsens
– jedenfalls in New York, von dem das Buch handelt
– besteht, der die Erwartungshaltungen von Frauen
bezüglich Heirat und Ehe unterstützt.
Ewige
Junggesellen werden als Zeichen einer verrottenden Gesellschaft
dargestellt, als Menschen, die ihren Beitrag (wozu eigentlich?)
nicht leisten möchten, als Menschen, die nicht erwachsen
werden möchten, und als Menschen, die selbst nicht
wissen, wie erbärmlich, sie sind. Speziell der Vorwurf,
dass Männer, die nicht heiraten werden, nicht erwachsen
werden wollen, entbehrt dabei nicht einer gewissen (unfreiwilligen)
Ironie, nachdem wir gesehen haben, dass Frauen (wie Samantha
und Carrie) heiraten wollen, um nicht erwachsen werden zu
müssen und ein verantwortungsloses, kindgleiches und
umsorgtes Leben führen zu können.
PERENNIAL
BACHELORS
“There’s
something rotten in New York society, and it’s
the character formerly known as “eligible”
bachelor. It’s not your imagination. Those men
in their forties and fifties who have never been married,
who have not, in years anyway, had a serious girlfriend,
have acquired a certain unmistakable stink. The evidence
is everywhere.”
S. 175
“Even
so,” Chollie [ein Mann, Anm. philohof] said,
leaning forward in his chair, “a lot of people
are tired of these guys’ commitment problems.
[…] After all, it’s women who decide if
a man is desirable or undesirable. And if a man is
never going to make the effort to get married, if
he’s never going to contribute … well,
I think women are fed up. And for good reason.”
S. 176-177
““They
are in their forties!” Amanda said. “It’s
gross.”
“When are they going to grow up?” Miranda
asked.”
S. 176
““Do
you think these guys get it? Do you think they realize
how pathetic they are?” Samantha asked.
“Nope,” Magda said.”
S. 177 |
DER
BEGRIFF „COMMITMENT“
Für
das Problem, das die Frauen New Yorks mit den Männern
haben, gibt es ein Wort. „to commit“. Der Satz
(oder die Klage) lautet: „Men (nowadays) do not want
to commit to relationships.“ Im Internet findet man
verschiedene Ratgeberseiten zum Thema: “How to get
a guy to commit.” Linguee.de übersetzt „a
committed relationship“ mit einer „festen Beziehung“.
Aber „committed“ heißt ja nicht „fest“:
Es gibt wohl keine direkte Übersetzung für dieses
„to commit“ ins Deutsche. Aber gemeint ist offenbar
„sich verpflichten“. Von Männern wird also
erwartet, dass sie sich zu einer langfristigen Beziehung
mit einer Frau verpflichten. Frauen haben dieses Problem
nicht, dass sie sich zu etwas verpflichten müssen,
sondern sie stellen diese Forderung an die Männer.
Und wenn Männer dieser Forderung nicht nachkommen,
erhalten sie den Vorwurf, nicht erwachsen werden zu wollen
und nicht zu wissen, was sie wollen.
Es
sind das Vorwürfe, die auf den ersten Blick berechtigt
erscheinen, zeichnet sich doch ein kindischer Mensch dadurch
aus, dass er seine Aufmerksamkeit nicht fokussieren kann
und ihm immer das am interessantesten erscheint, was gerade
unmittelbar vor seiner Nase ist. Die andere Seite der Angelegenheit
(siehe den Abschnitt SPIELTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN)
ist aber die, dass ein Mann als schwächerer Beziehungspartner
eine Beziehung nur solange mitgestalten kann, als er jederzeit
wegkann. Mit „schwächerer Beziehungspartner“
meine ich, dass die Frau üblicherweise das Ziel männlichen
Begehrens ist und vom Mann umworben wird, während der
Mann von der Frau nicht umworben wird, weil er anscheinend
jeder Anziehungskraft entbehrt.
Schließlich
heiratet der Mann die Frau, damit sie ihm nicht mehr entwischt.
Aber sobald er mit ihr verheiratet ist, ist er in der Beziehung
mir ihr eingeschlossen, und die Frau hat nun die „Lizenz
zum Nörgeln“, ohne dass der Mann etwas dagegen
unternehmen könnte.
MÄNNER
MÜSSEN DISZIPLINIERT UND UMFASSEND KONTROLLIERT WERDEN
Es
gibt ein eigenes Kapitel über das Problem, wie eine
Frau einen Mann in Manhattan dazu bringt, sie zu heiraten.
Die Lösungsansätze reichen vom Aufbringen des
Themas Heirat gleich am Anfang der Beziehung, über
Disziplinierungsmaßnahmen, permanente Überwachung,
Entzug des persönlichen Freiraums, körperliche
Bestrafungen bis hin dazu, dem Mann eindringlich klarzumachen,
dass er nun kein eigenständiger Mensch mehr ist, der
seine eigenen Entscheidungen treffen darf.
Es
stellt sich die Frage, wie das mit dem oben dargestellten
Wunsch Carries zusammengeht, einen Mann zu haben, der die
Initiative in der Beziehung übernimmt und diese Führung
aber ausschließlich dazu verwendet, um die Wünsche
seiner Frau zu erahnen und sie zu erfüllen. Nun, die
in den folgenden Zitaten dargestellten Maßnahmen stellen
wohl eine Art Notwehr dar: Wenn Frauen ein gewisses Alter
erreicht haben, ohne bis dahin den Mann gefunden zu haben,
der in der Beziehung die Rolle des Alphamännchens oder
Silberrückens übernehmen will, dann kann man es
ihnen wohl nicht verübeln, wenn sie die Angelegenheit
selbst in die Hand nehmen und den von unserer Kultur verzogenen
Männern mit Entschlossenheit den Weg weisen.
START
TRAINING FROM DAY ONE
“So,
when one of these New York women targets a man as
a potential husband, there is usually very little
he can do to get away.
“You have to start the training from day one,”
said Britta. “I didn’t know that I wanted
to marry my husband at the beginning. I only knew
that I wanted him, and I would to whatever it took
to get him.”
S. 149
“After
that, Barry pretty much came around, except for two
slightly sticky problems. He liked to look at another
women, and he sometimes complained about not having
his space, [S. 150] especially after she moved in
with him.”
S. 149-150
“One
time, when Barry’s eyes were wandering, I hit
him over the head so hard he nearly fell off his chair.
I told him, ‘Put your tongue back into your
mouth and your tail between your legs and finish your
dinner.’”
S. 150
[Rebecca,
39, journalist, who got married last year, says:]
“Then I called him. He had the nerve to be livid
with me for ‘interfering in his private business.’
I said, ‘Get one thing straight, buddy. When
you’re with me, there is no private business.’”
S. 151 |
FAHRRADFAHRER
SIND VERDÄCHTIGE CHARAKTERE
Das
Interessant an den Geschlechterbeziehungen ist, dass alle
Lebensbereiche davon betroffen sind. Es ist also nicht so,
wie viele Menschen zu glauben scheinen, dass es Beziehungen
gibt und daneben noch eine andere von den zwischengeschlechtlichen
Beziehungen unberührte Realität, sondern alles,
was ein Mann oder eine Frau tun und alles, was in Wirtschaft,
Politik, Recht, Medizin, Wissenschaft und anderswo passiert,
hat mit zwischengeschlechtlichen Beziehungen zu tun.
Ein
beindruckendes Beispiel dafür sind die Bicycle Boys
von New York, die von Bushnell ebenfalls in einem eigenen
Kapitel diskutiert werden. Es scheint sich bei den New Yorker
Fahrradfahrern zwar um eine eigene Art zu handeln –
um Männer, die in Tweed-Anzügen auf Retrofahrrädern
fahren und einen besonderen Bildungsdünkel haben; die
Vorwürfe, die den radfahrenden Männern gemacht
werden, lassen sich aber auch auf andere Weltgegenden übertragen.
Grundsätzlich
ist ein Mann, der ein Fahrrad fährt, jemand, der sich
nicht darauf vorbereitet, eine Frau zu chauffieren (to give
someone a lift). Damit man von dieser Feststellung allerdings
zu dem Urteil kommt, Radfahren sei „egoistisch“,
muss man schon die Möglichkeit, jemanden chauffieren
zu können, zum Standardfall erheben, damit das Alleine-Fahren
mit dem Rad als (ungerechtfertigte) Ausnahme erscheinen
kann.
Wir
lesen, mit Erstaunen, dass ein Rad einen Mann zu einem verdächtigen
Charakter macht, weil es ihn zu mobil und unabhängig
werden lässt. Wie kann ein Rad einen mobiler und unabhängiger
machen als ein Auto, mit dem man viel weiter fahren kann?
Die Antwort auf diese Frage muss schon in einer besonderen
Art von Logik zu suchen sein, die ungefähr so geht:
Ein Rad macht einen Menschen deshalb unabhängiger als
ein Auto, weil es nicht darauf abzielt, die Bedürfnisse
eines anderen Menschen zu befriedigen. Ein Radfahrer befriedigt
mit dem Rad nur seine eigenen Mobilitätsbedürfnisse:
Er lebt also nur für sich selbst und nicht für
einen anderen. Wenn das stimmt, dann können wir daraus
schließen, dass ein Mann, der nicht für eine
Frau lebt, als egoistisch und als ein verdächtiger
Charakter angesehen wird.
Radfahren
ist außerdem Peter Pan-isch; das bedeutet, dass jemand,
der Rad fährt, damit zeigt, dass er nicht erwachsen
werden will. Außerdem weist es ihn als einen geizigen
(„cheap“) Menschen aus. Womit wir es hier zu
tun haben, ist eine Gesellschaft und Kultur, die Männer
dazu erzieht, die Gebenden zu sein. Ein Fahrrad befähigt
nicht zum Geben, deshalb wird es kritisiert. Das bedeutet,
dass ein Mann sich bereits dadurch auf eine künftige
Beziehung zu einer Frau vorbereitet, indem er sich entscheidet,
dass er ein Auto fahren will und welches es sein soll. Aber
auch natürlich dadurch, dass er eine Wohnung mietet
mit dem Gedanken „Könnte ich hier eine Frau hereinbitten?“;
dass er einen Beruf ergreift mit dem Gedanken „Könnte
ich damit eine Frau und eine Familie versorgen?“;
und dass er Lokale und Restaurants auswählt mit der
Frage „Könnte ich hierher eine Frau ausführen?“
FAHRRADFAHRER
SIND ZU UNABHÄNGIG
““Whether
or not a woman lets you bring your bike into her house
is an indication of how well adjusted she is,”
said Mr. Eccles. “If she’s anal-retentive,
she won’t want the bike anywhere near her stuff.”
But sometimes a bike is not just a bike – and
women seem to know this. “One is viewed as a
suspicious character. You’re too mobile and
independent,” said Mr. Eccles. “And certainly
a bit undignified in the end.”
“There is something Peter Pan-ish about it,”
said Kip. “That’s part of the reason I
don’t take it everywhere anymore.”
“It implies a certain selfishness,” agreed
Mr. Eccles. “You can’t give anyone a lift.
And there’s a little too much freedom associated
with a man who rides a bike.” Mr. Eccles added
that, being in his early fifties, there were about
ten reasons why he wasn’t married, “none
of them particularly good ones.”
It also can imply a certain cheapness.”
S.
77 |
FRAUEN
WOLLEN KEINEN SEX, SONDERN AUFMERKSAMKEIT
Aufschlussreich
ist auch das Kapitel über „threesomes“,
auf Deutsch: „flotte Dreier“. Denn es wird ja
immer gesagt: Männer seien mehr auf Sex aus als Frauen,
aber Frauen hätten durchaus auch Lust auf Sex.
Nun,
es könnte beim „Sex“ wie bei der „Liebe“
sein: dass also Männer und Frauen dasselbe Wort verwenden
aber Unterschiedliches damit meinen. Durch die Beschäftigung
mit „threesomes“ nähern wir uns dem Thema
Sex gewissermaßen von der Seite und können überraschende
Beobachtungen machen.
Candace
Bushnell macht es von Anfang an klar: Frauen stehen nicht
auf „threesomes“. Sie finden flotte Dreier nicht
erregend. Aber warum ist das so? Männer streben nach
Sex; und Sex mit zwei Frauen ist für sie sozusagen
doppelt so viel Sex. Die sexuelle Erfahrung wird für
Männer beim Sex zu dritt vielfältiger und stärker.
THE
IDEA OF MORE
“Peter
jumped back in. “It’s more experiences,
every day, therefore you have to do more and constantly
faster! […]” […] Tad started to
agree with Peter. “It’s the whole idea
of more,” said Tad. “It’s four breasts,
not two.””
S.
62-63 |
Frauen
hingegen suchen im Sex die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres
Partners. Sex zu dritt ist für sie daher nicht doppelt
so viel Sex, sondern nur halb so viel. So zeigt sich also
in der Untersuchung von flotten Dreiern in Sex and the City,
dass es gar nicht Sex ist, was Frauen wollen, sondern Aufmerksamkeit.
Sex ist für sie dabei ein Nebenprodukt, vielleicht
ist Sex für Frauen nicht unbedingt etwas Unangenehmes,
aber Sex erscheint als etwas, das Frauen „in Kauf
nehmen“, wenn sie dafür Aufmerksamkeit erhalten.
GIRLS
DON’T LIKE THREESOMES BECAUSE THE LIKE THE ATTENTION
“I
think every girl’s least favourite thing is
a threesome,” Chloe said. She said it like she
was talking about hair accessories. “Girls like
one-on-one,” she said. “They like the
attention.”
S.
65 |
ABER
WAS IST DENN EIGENTLICH „AUFMERKSAMKEIT“?
Aufmerksamkeit
ist doch nun nichts Schlechtes, wird man sagen. Das ist
richtig, falls es stimmt, dass die gegenseitige Aufmerksamkeit
der beiden Beziehungspartner füreinander gemeint ist.
Wieder könnte es sein, dass etwas anderes gemeint ist
als gesagt wird.
Betrachten
wir das folgende Zitat: Carrie und Mr. Big streiten. Sie
will reden, er nicht. Das bedeutet: Sie streitet, er nicht.
Warum streitet sie mit ihm? Sie will mehr Aufmerksamkeit.
Er möchte sich nicht bemühen, ihr mehr Aufmerksamkeit
zu schenken. Er wirft ihr vor, wie seine Ex-Frauen zu sein.
Er erlebt diese Verhaltensweise von Frauen also nicht zum
ersten Mal. Immer verlangten sie etwas von ihm.
Hier
schließt sich der Kreis zu dem zuvor Gelernten: „Aufmerksamkeit“
ist nur ein anderer Ausdruck für das einseitige Beziehungskonzept,
das Carrie vorschwebt: Sie will mit Mr. Big zusammen sein,
aber die Aufmerksamkeit soll dabei auf ihr liegen, nicht
auf Mr. Big. Die zwischengeschlechtliche Beziehung ist also
keine Partnerschaft, sondern ein Vehikel zur Befriedigung
der Wünsche des weiblichen Beziehungspartners.
Doch
selbst diese Beschreibung ist noch nicht umfassend genug,
denn es geht Carrie nicht bloß darum, dass Mr. Big
ihr alle Wünsche erfüllt, die sie hat, sondern
dass er alle ihre Launen und emotionalen Zustände beobachtet
und zu erraten versucht, welche Wünsche daraus entstehen
könnten. Diese permanente und selbstlose Beobachtung
der emotionalen Zustände der Frau durch den Mann sowie
die Selbstbeobachtung der eigenen Zustände durch die
Frau in dem Bewusstsein, dass diese das Zentrum der Beziehung
bilden (und dass es dabei nebensächlich ist, wie sich
der Mann fühlt), heißt „Aufmerksamkeit“.
Aufmerksamkeit bekommt eine Frau dann, wenn sich in einer
Beziehung alles nur um sie dreht.
Das
Ziel des weiblichen Wunsches nach „Aufmerksamkeit“
ist ein Leben in Verantwortungslosigkeit: Ihre Wünsche
sollen vom liebenden „Partner“ in statu nascendi,
also in dem Augenblick, wo sie entstehen, erraten und erfüllt
werden; in einer Phase also, in der sie sich noch nicht
zu Wünschen verfestigen und formuliert werden wollen.
Denn sobald man einen konkreten Wunsch hat, ist man für
ihn verantwortlich und muss sich für ihn rechtfertigen,
und man ist „schuld“ für ihn, zumindest
in der Hinsicht, dass man die Enttäuschung selbst tragen
muss, wenn man das Gewünschte bekommt, sich das Gefühl
der Befriedigung aber aus irgendeinem unbekannten Grund
nicht einstellt.
Wenn
man sich ein Leben wünscht, in dem man gedankenlos
seinen Launen folgen kann, dann benötigt man Umstände,
in denen man nicht auf seine Wünsche festgenagelt werden
kann. (Das war auch der Grund, warum Carrie Mr. Big ins
Leere fahren lässt, wenn er sich dafür interessiert,
was sie will (vgl. Zitat weiter oben: IF YOU ARE NOT TOTALLY
IN LOVE WITH ME): Sie empfindet es als Einschränkung,
auf ihren Willen „reduziert“ zu werden.)
SHE
WANTED MORE ATTENTION
“The
fights were: She wanted to talk, he didn’t.
She wanted more attention; he didn’t want to
make the effort. “Now you sound like all my
ex-wives,” he’d say. “Always demanding
something. […]”
Why had she thought that if they were married, she’d
get the attention she wanted? Why didn’t she
understand that if they did get married, she’d
become more and more of an accessory? That was a pattern.”
S.
230 |
CARRIE
VERLÄSST MR. BIG
Weil
Carrie Mr. Big nicht zu ihren Bedingungen bekommt (=Heiratsantrag
von ihm auf seine eigene Initiative), verlässt sie
ihn. Aber nicht ohne vorher noch einmal heftig Theater gespielt
zu haben. Wie bereits beschrieben, hatte sie vorher schon
bei jeder Gelegenheit an seinem Nervenkostüm gezwickt
und gezogen, um ihn zur Ehe zu motivieren. Nun steigert
sie sich in die Vorstellung hinein, wie schlecht es ihr
geht.
Weil
es ihr nicht gelingt, Mr. Big zu einer Beziehung zu motivieren,
in der sie sich verhalten kann, als wäre sie eine Zwölfjährige,
verhält sie sich wie eine Zwölfjährige. Mr.
Big bleibt standhaft und rät ihr zu einer Dusche.
Wenn
wir das folgende Zitat lesen, müssen wir uns vor Augen
halten: Carrie ist wahrscheinlich eine junge, schöne
Frau. Aber sie wird von Bushnell auch als eine kettenrauchende
Alkoholikerin geschildert, die die Nacht zum Tag macht und
morgens in Mr. Bigs Apartment kommt, um zu schlafen, wenn
es für ihn Zeit ist, zur Arbeit zu gehen. Sie bemüht
sich also in keiner Weise darum, bei ihm den Anschein zu
erwecken, dass sie in irgendeiner Weise an sich arbeiten
würde, dass sie etwas aus ihrem Leben machen möchte
oder dass sie irgendwelche Ziele verfolgt, bei deren Erreichung
er sie unterstützen könnte.
SHE
WANTED NO RESPONSIBILITY
„The
bad day, the day that tipped the balance so to speak
occurred back in June… […] At eight in
the morning she turned up at Mr. Big’s apartment.
“I’m not even going to ask,” he
said. […]
After he left to go to work, she began crying uncontrollably.
[…] At eleven A.M., Carrie called his office.
“I want to go to an insane asylum.”
She wanted to put herself in someone else’s
hands. She wanted no responsibility. She wanted to
lie in a white room and watch TV, and maybe make pot-holders.
You can’t act like you’re twelve.
“Take a shower,” Mr. Big said.
S.
242-243 |
MENSCHLICHES
PAARUNGSVERHALTEN BEI ÜBERBEVÖLKERUNG
Eigentlich
ist Sex and the City ein Buch über menschliches Paarungsverhalten
bei Überbevölkerung. Auf diese Thematik wird auch
explizit hingewiesen, wie wir im folgenden Zitat sehen können,
das auf wissenschaftliche Studien mit Ratten anspielt, die
sich unter Bedingungen von Überbevölkerung ungewöhnlich
und merkwürdig verhalten.
RATS
AND THE CITY
“Peter
broke the tension. “The underground reality
of this is the biological rat studies,” he said.
“Density, stress, and the overcrowding of the
niche structures. The first phenomenon of overcrowded
rats is the separation of the sexes. And in this city,
with all the lawyers and all the overcrowded niche
structures, you have incredible pressure. Pressure
fucks up the hormones; when the hormones are screwed
up, there are more homosexuals; and homosexuality
is nature’s way of cutting down on population.
All of these unnatural things we’re talking
about exponentially expand.”
“That sums it all up,” Tad said dryly.
“We’re leading sensory-saturated lives,”
Peter said. “High density. Intensity. Millions
of appointments. Millions of lawyer appointments.
A simple thing is no longer fun. Now you have to have
two or three girls, or exotic strippers at Pure Platinum.”
S.
61 |
Ob
die Überflutung mit Sinnesreizung zu Abstumpfung führt
und Stress zu abnormen hormonellen Reaktionen führt,
kann ich nicht entscheiden; aber halten wir einmal die These
fest, dass menschliche Sexualität vielleicht nur unter
einem Mangel an zur Verfügung stehenden Sexpartnern
gut funktioniert. In dem Fall wäre die Gegenthese,
dass menschliche Sexualität nicht gut funktioniert,
wenn die Leute zu viele Wahlmöglichkeiten haben.
Candace
Bushnells Buch berichtet nur von den Problemen der Reichen
und Schönen; was bedeutet, dass wir davon, wie es den
Armen und Hässlichen in New York mit der Partnersuche
geht, daraus sehr wenig erfahren.
Die
reichen und schönen Männer und Frauen haben prinzipiell
dasselbe Problem: Durch die hohe Anzahl an reichen und schönen
Menschen in New York sind sie ersetzbar und können
leicht ausgetauscht werden. Was die gefragten Eigenschaften
betrifft, sehen wir allerdings eine Aufgabenteilung zwischen
den Geschlechtern: Frauen haben in erster Linie schön
zu sein, Männer reich oder beruflich erfolgreich. (Mr.
Big ist wohlhabender als Carrie und stößt sich
nicht daran; ob Carrie einen Mann wählen würde,
der ärmer ist als sie, erfahren wir nicht, weil es
nicht erzählt wird, aber es sieht nicht danach aus.)
Nun
kann es sein, dass reiche Männer in früheren Zeiten,
als sie noch nicht so viel Auswahl hatten, noch motiviert
waren, all die Forderungen, die anspruchsvolle schöne
Frauen in sie in Beziehungen stellen, hinzunehmen, aber
heute steht ihnen eine riesige Schar von jungen Fotomodels
zur Verfügung, die das Angebot, Wohlstand und sozialen
Status gegen weibliche Schönheit zu tauschen, gern
annehmen. Kurz, wenn ein wohlhabender New Yorker in einer
Beziehung mit einer zickenden Carrie konfrontiert ist, muss
er das nicht hinnehmen, denn er hat Alternativen.
Auf
der anderen Seite gibt es aber auch New Yorkerinnen, so
schön sind, dass sie sich mit einem Mr. Big nicht begnügen
müssen, sondern einen Mann wählen können,
der noch wohlhabender ist und ihnen noch mehr Wünsche
erfüllt. Wer sind die Stärkeren in diesem Wettkampf,
die schönen New Yorkerinnen oder die reichen New Yorker
– und wo pendelt sich ein neues soziales Gleichgewicht
ein? Das weiß ich nicht; fest steht aber, dass dieses
Spiel des Sich-Weiterhangelns von einem „Partner“
zum nächsten, besseren, Zeit beansprucht und die involvierten
Personen dabei älter werden. Am Ende sind sie oft nicht
mehr in der Lage, einen definitiven Deal abzuschließen
(=zu heiraten). Bisweilen sind sie aber auch nicht mehr
bereit dazu, sich dauerhaft auf einen Beziehungspartner
einzulassen, weil sie als Verhaltensregel gelernt haben,
dass man einen Partner wechselt, wenn einem etwas an ihm
stört (und nicht: dass man es trotzdem versucht, mit
ihm zurechtzukommen).
Was
neu ist (oder 1996 neu war, als das Buch geschrieben wurde),
ist, dass heute auch viele Frauen materiellen Wohlstand
genießen und in beruflich einflussreichen Positionen
tätig sind. Für sie stellt sich die Frage: „Warum
sollte ich noch Geduld mit einem Mann haben, wenn er mir
nicht alle Wünsche erfüllt?“ Die Zeiten,
als ein Mann für viele Frauen ein Mittel war, um zu
Wohlstand zu kommen, sind vorbei.
WOMEN
WHO HAVE AS MUCH MONEY AND POWER AS MEN
"This
is a real question for women in New York these days.
For the first time in Manhattan history, many women
in their thirties to early forties have as much money
and power as men – or at least enough to feel
like they don’t need a man, except for sex.”
S. 41 |
Was
lernen wir daraus? Dass ländliche Verhältnisse
und Armut bei Frauen gut sind für langfristige Beziehungen
und gute Ehen. Ländliche Verhältnisse, weil der
Mann Geduld hat mit seiner Frau, weil er abschätzen
kann, dass er in der Umgebung keine Schönere mehr finden
wird. Und Armut bei den Frauen, weil sie für die charakterlichen
Schwächen des Mannes mehr Verständnis haben werden,
wenn sie finanziell auf ihn angewiesen sind.
Man
kann diese Entwicklung des Überflusses (an Menschen
und an Reichtum) bedauern, man kann sie aber auch positiv
sehen: Vielleicht hatten wir bisher ein viel zu positives
Bild von der Liebe der Frauen zu den Männern, die in
Wirklichkeit ihre Ursache in der materiellen Bedürftigkeit
oder im sozialen Aufstiegswillen der Frauen hatten. Falls
das der Fall ist, werden wir in Hinkunft bei materiell unabhängigen
Frauen sehen können, wie sehr (oder wie wenig) die
Frauen die Männer wirklich lieben – und das wird
ein Schritt hin zu einer realitätsgerechteren Einschätzung
von zwischengeschlechtlichen Beziehungen in der menschlichen
Spezies sein.
“THIS
IS THE WORST BOOK I HAVE EVER READ IN MY LIFE!”
Als
ich Sex and the City las, dachte ich, es handle sich um
Frauenliteratur. Zu meinem Erstaunen lernte ich, dass das
nicht der Fall ist, als ich die Rezensionen zum Buch auf
goodreads.com durchsah.
Der
Tenor ist, dass die Leserinnen das Buch lasen, weil sie
Fans der Fernsehserie sind und dann furchtbar enttäuscht
waren, weil das Buch nicht so ist wie die Fernsehserie.
Einige finden das Buch verwirrend, weil es nicht separate
Geschichten erzählt, sondern eher so etwas wie eine
Collage aus verschiedenen Szenen ist. Sie vermissen in dem
Buch Geschichten über die Freundschaft von vier Frauen
in New York. In Bushnells Buch spielt Freundschaft auch
tatsächlich kaum eine Rolle; jede und jeder kämpft
für sich allein.
Viele
wundern sich, wie dieses Buch zur Grundlage gleichnamigen
Fernsehserie werden konnte, die sie mit Befriedigung geschaut
haben. Einige geben zu, dass sie nicht imstande waren, das
Buch zu Ende zu lesen, weil es darin nichts gibt, das ihre
Aufmerksamkeit gefesselt hat. Die Charaktere im Buch werden
von den Leserinnen als oberflächlich empfunden, Candace
Bushnell als schlechte Autorin eingestuft.
“Oh
my god, if you buy this book because you love the
show and you want to read about a group of friends
navigating the struggles of friendship and dating
in New York City - STOP. PUT THE BOOK DOWN. BACK AWAY
SLOWLY. This book is nothing like the tv show and
will only make you regret the money and time you spent
on it.”
[Allgra S, 22. April 2014]
“Let's
get straight to the point. This is one of the worst
books that I have ever read (as far as I can remember).
The series is so much better than the book.”
[Ivana Books Are Magic, 31. Mai 2016]
“This
book literally drained me of happiness for the amount
of time that it took me to read it.”
[Olesya, 30. Juli 2011]
https://www.goodreads.com/book/show/7455.Sex_and_the_City |
Nun
habe ich nur die erste Seite (von 10) an Leserinnenkommentaren
(hauptsächlich waren es Leserinnen) auf goodreads.com
gelesen, aber eines erscheint mir klar: Es gefällt
den Leserinnen nicht, wie die Frauen in Candace Bushnells
Buch dargestellt sind, vor allem, dass sie nicht als sympathisch
und liebenswürdig erscheinen. Dieses Anliegen ist verständlich,
denn wenn es tatsächlich der Fall ist, dass Frauen
so einseitige und schiefe Beziehungsmuster verfolgen, wie
es im Buch dargestellt ist, dann sollten sie das zumindest
hinter ein wenig Liebenswürdigkeit verstecken, damit
man es nicht auf den ersten Blick sieht und unangenehm berührt
ist.
“Unlike
TV Carrie, Book Carrie is never portrayed as anything
other than a complete disaster of a human being. The
first time we meet her she's described point blank
as an alcoholic and a bitch.”
[Isa K. 8. August 2014]
„I
really do applaud the creators of the show as I have
no idea how they can read this and think “oh
wow, let’s turn this into a witty, amazing television
show that has characters the viewers will actually
like”.
[Taneika,
7. Juni 2011]
https://www.goodreads.com/book/show/7455.Sex_and_the_City |
Was
mir bei der Lektüre der Rezensionen auf goodreads.com
aufgefallen ist, ist so eine Art Automatismus in den Folgerungen,
die aus den Vorwürfen der Rezensentinnen gegen das
Buch folgen. Zum Beispiel suggeriert der Vorwurf „Die
Charaktere sind flach, Candace Bushnell muss eine schlechte
Autorin sein.“ – dass alle Menschen immer tiefe
und gehaltvolle Charaktere haben und dass es nur einen guten
Schriftsteller braucht, um sie darzustellen. Wenn das aber
so ist, dann wird es unmöglich, Menschen als flache
Charaktere darzustellen, wenn sie sich nämlich in einem
konkreten Umfeld tatsächlich so verhalten, weil man
dadurch den Vorwurf auf sich zöge, ein schlechter Schriftsteller
zu sein. Eine solche Einstellung verhindert die Darstellung
der Wahrheit überall dort, wo die Wahrheit flach, primitiv,
kleinlich und hässlich ist und nicht den erhabenen
Vorstellungen entspricht, die wir von großer Literatur
haben.
Auch
die Rezension von heffa auf Youtube (vom 5.2.2019) möchte
ich empfehlen, die über das Buch sagt: „The fact
that this was published is a crime against humanity“:
https://www.youtube.com/watch?v=eEsao3zutBc.
Es ist offenbar tatsächlich ein großer Zufall,
dass das Buch Sex and the City von Candace Bushnell gedruckt
worden ist angesichts der Menge an Widerwillen, den es bei
den meisten seiner Leserinnen erregt.
LEARNINGS
AUS DEM BUCH
Mir
ist beim Lesen von Candace Bushnells Buch Sex and the City
an keiner Stelle die Zeit lang geworden, und ich habe vieles
daraus gelernt. Was ich alles daraus gelernt habe, ist mir
interessanterweise in keiner der Rezensionen, die ich gelesen
oder gehört habe, wiederbegegnet. Man kann also davon
ausgehen, dass die Rezensentinnen bei ihrer Lektüre
ganz andere Dinge für wichtig empfunden haben als ich.
Man kann wahrscheinlich auch vermuten, dass diejenigen Elemente,
die ich in meiner Rezension hervorgehoben habe, für
die Leserinnen des Buchs so normal sind, dass sie unsichtbar
sind, wie die Luft, die man atmet – währenddessen
ich mich an ihnen gestoßen habe, weil ich als Ausgangsvorstellung
das partnerschaftliche Konzept von Beziehung gewählt
habe, dem die Erwartungen der Frauen in Sex and the City
nicht entsprechen, wodurch sie – durch den Kontrast
zu ihnen – sichtbar werden mussten.
Im
Folgenden will ich versuchen, die wichtigsten Learnings
noch einmal zusammenzufassen:
- „Beziehung“
scheint für Männer und Frauen unterschiedliche
Bedeutungen haben. Viele Männer gehen heute von einem
partnerschaftlichen Beziehungsbegriff aus, weil man ihnen
so viel von Gleichberechtigung und Partnerschaft erzählt.
Dann kommen sie nicht auf die Idee, dass ihre Freundin
oder Frau ein anderes Beziehungskonzept verfolgen könnte
– eines, in dem der Mann vor Liebe verrückt
nach der Frau ist und deshalb bereit ist, ihr alle Wünsche
zu erfüllen. Frauen könnten also ein Konzept
von Beziehung haben, in dem vieles von dem, was partnerschaftliche
Beziehungen auszeichnet und sie oft auch mühsam macht
(Herausfinden, was die beiden Partner wollen, Ausverhandeln
von Kompromissen, gemeinsames Umsetzen von Entscheidungen)
gar nicht vorkommt.
- „Liebe“
scheint für Männer und Frauen ebenfalls unterschiedliche
Bedeutungen zu haben. Während das Wort für Männer
bedeutet, dem Beachtung zu schenken, was Frauen wollen,
und auch darauf, ob die Frau den Mann liebt, bedeutet
es für Frauen, dass Männer vor Liebe so verrückt
nach einer Frau sind, dass sie ihr alles schenken oder
für sie tun, wonach immer ihr gerade der Sinn steht
– ohne darauf zu achten, ob sie selbst der Frau
auch etwas bedeuten.
- Auch
wenn Männer und Frauen von „Sex“ reden,
scheinen sie Unterschiedliches damit meinen. Der Mann
sucht Sinnenlust, wenn er Sex will, die Frau Aufmerksamkeit.
Es geht dabei nicht nur allein um die Tatsache, dass dieser
Umstand Quelle von Missverständnissen zwischen den
Geschlechtern sein kann, sondern: Als Mann stellt man
sich ja auch vor, dass die Frau sich in ähnlicher
Weise von einem erotisch angezogen fühlt, wie man
sich selbst von ihr. Wenn man draufkommt, dass ihr erotisches
Begehren von ganz anderer Art ist wie das eigene, fühlt
sich das recht unsexy an. Wenn man als Mann beim Sex Sex
will und die Frau will beim Sex Aufmerksamkeit, dann ist
man sozusagen mit seinem sexuellen Begehren alleingelassen.
- Auch
„Aufmerksamkeit“ scheint so ein missverständliches
Wort zu sein, bei dem beide Geschlechter was anderes meinen.
Während Männer glauben, dass in einer Beziehung
die Aufmerksamkeit des einen Beziehungspartners jeweils
auf den anderen gerichtet ist, scheint für Frauen
die Vorstellung zu gelten, dass die Aufmerksamkeit beider
Beziehungspartner ausschließlich um die Bedürfnisse
der Frau kreisen sollten.
- Ja,
und dann haben wir es noch mit etwas zu tun, das keinen
Namen hat. Ich habe es in meinen Ausführungen provisorisch
benannt mit: Der Mann „übernimmt die Führung
in einer Beziehung“, und die Frau strebt danach,
„die Verantwortung für ihr Leben an den Mann
abzugeben“. Es ist ein Phänomen, das im Laufe
des Buchs immer wieder durchscheint und deshalb auch in
mehreren Zitaten dieser Rezension vorkommt. Das Interessante
an diesem Wunsch nach einem Leben in Verantwortungslosigkeit
ist, dass er nicht nur Partnerschaften sprengt (weil die
Frau sich dem Mann nicht als Beziehungspartner präsentiert)
und Beziehungen belastet (weil es mit viel Aufwand und
Geduld verbunden ist, ein launisches erwachsenes Kleinkind
zu betreuen), sondern auch die Persönlichkeit der
Frau auflöst (die Frau hört auf, jemand zu sein,
der für etwas steht, sondern löst sich in ein
Bündel von emotionalen Impulsen und momentanen, oft
von Alkohol oder Drogengenuss verstärkten, Launen
auf).
Es
war mir wichtig, über dieses Buch einen Text zu schreiben
und ein paar bemerkenswerte Punkte festzuhalten, weil ich
befürchte, dass die darin enthaltenen Inhalte sonst
untergehen. Das hat natürlich einerseits mit der Existenz
der Fernsehserie „Sex and the City“ zu tun,
die bewirkt, dass auch das Buch mit leichter Unterhaltung
assoziiert und nicht ernstgenommen wird. Andererseits ist
es aber auch so, dass ich im Internet nachgeforscht habe
und keine gehaltvolle Analyse des Buchs gefunden habe, die
zu denjenigen Punkten Stellung nimmt, die ich hier diskutiert
habe. Vielleicht sind sie also nur mir wichtig; andererseits
kann auch Mr. Big seine Probleme mit Carrie nicht lösen,
weil er das Konzept der verantwortungslosen Rolle in der
Beziehung für die Frau nicht kennt und nicht einmal
auf die Idee kommt zu vermuten, dass es so etwas geben könnte. |