Constanze
Wechselburgers Sicht der Welt und der freien partnerschaftlichen
Beziehung
Analyse
von Eva Hellers Roman Beim nächsten Mann wird alles
anders (1987)
Wien,
am 20.9.2019
Wenn
man die Buchrezensionen der LeserInnen dieses Buchs auf
amazon.de, lovelybooks.de oder goodreads.com liest, gewinnt
man den Eindruck, sie sehen alle nichts in diesem Buch.
Sie halten es einfach für ein „lustiges“
Buch oder für „leichte Lektüre“, die
die Geschlechterbeziehungen in den 1980er Jahren beschreibt.
Vielleicht ist der Umstand, dass das Thema des Buchs den
Menschen sehr nahe liegt schuld dran, dass sich niemand
fragt: „Ja, was beschreibt die denn da eigentlich?“
Ein jeder und eine jede kennt das Beschriebene aus eigener
Anschauung, hat sich seine/ihre Meinung darüber schon
gebildet und ist aufgrund dessen unfähig geworden,
neue Informationen aufzunehmen bzw. sich belehren zu lassen.
Dabei
ist es durchaus erstaunlich, was Eva Heller in dem Buch
schreibt. Nur: Falls das Buch so gemeint war, dass es Kritik
üben sollte, so geht sie im Humor unter. Die LeserInnen
fassen ein lustiges Buch als eines auf, das keine ernsthafte
Auseinandersetzung verdient (denn hätte die Autorin
eine ernsthafte Auseinandersetzung gewollt, dann hätte
sie ja eine ernsthafte Kritik formuliert).
Dabei
ist es, wie gesagt, durchaus erstaunlich, was Eva Heller
in dem Buch schreibt, respektive Ende der 1980er Jahre schrieb.
Kurz zusammengefasst handelt es sich in etwa um folgende
Aussage: Dass in dieser Zeit, als in der Öffentlichkeit
sehr stark über Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern
und über gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehungen
diskutiert wurde, die Frauen in Wirklichkeit aber eigentlich
doch eine ganz andere Art von Beziehung wollten. Aber sie
nannten diese andere Art von Beziehung auch eine „gleichberechtigte,
partnerschaftliche Beziehung“, weil das die einzige
Art von Beziehung war, über die in der Öffentlichkeit
diskutiert wurde und weil es für die Art von Beziehung,
die sie suchten, gar keinen Namen gab.
Im
Grund handelt es sich um ein ähnliches Problem wie
das, dass lustige Bücher von niemandem aufmerksam gelesen
werden und das Wichtige und Relevante, das in ihnen steht,
von den Leuten auch nicht wahrgenommen wird: Bisweilen gibt
es einen öffentlichen Diskurs, der die Dinge irgendwie
benennt (z.B. „gleichberechtigte, partnerschaftliche
Beziehung“), und die Menschen übernehmen diese
Begriffe und meinen, sich etwas zu wünschen, was diesen
Begriffen entspricht, obwohl sie in Wirklichkeit ganz andere,
diesen Begriffen oft entgegensetzte, Wünsche haben.
Aber weil der öffentliche Diskurs so unmittelbar auf
sie wirkt und ihre Lebenserfahrung sie ebenfalls unmittelbar
beeindruckt, fehlt ihnen die Distanz zu den Wörtern,
in die sie ihre Lebenserfahrungen gekleidet haben. (Nun,
eigentlich haben sie sie nicht selbst in diese Wörter
gekleidet, sondern sie haben nur die lautesten Ideen aus
den Medien und aus ihrem sozialen Umfeld übernommen.)
Und die Folge davon ist: Nachdem uns die Gesellschaft gesagt
hat, wie die Dinge und wie unsere Gefühle heißen,
wundern wir uns nicht mehr über sie; das Klima von
Nähe und Vertrautheit übt eine einlullende Wirkung
aus und verhindert, dass sich ein Impuls zum Nachdenken
bildet.
Die
Unter-Über-Beziehung oder: Beherrschung von unten
Welche
Art von Beziehung will Constanze Wechselburger, die 27-jährige
Protagonistin von Eva Hellers Roman denn eigentlich? Ich
will diesem unbekannten Ding einmal einen provisorischen
Namen geben, damit wir es überhaupt fassen, seine Konturen
wahrnehmen können: Sie will eine Unter-Über-Beziehung.
Eine
Unter-Über-Beziehung ist ein gedoppeltes, ein verschränktes
Beziehungskonzept und ist deshalb nicht wahrnehmbar in einer
Welt, in der nur einfache Beziehungskonzepte diskutiert
werden. Die zwei Beziehungskonzepte, die in den 1980er Jahren
diskutiert wurden und heute immer noch diskutiert werden
sind:
-
Die Frau ordnet sich dem Mann unter (und wird folglich
von ihm beherrscht) und
-
die Frau ist dem Mann gleichberechtigt (und sie entscheiden
über alles gemeinsam).
Das
Unter-Über-Beziehungskonzept hingegen hat den Inhalt:
-
Die Frau ordnet sich dem Mann unter (und beherrscht ihn
eben dadurch).
Das
Unter-Über-Beziehungskonzept hat gegenüber dem
Konzept der gleichberechtigten, partnerschaftlichen Beziehung
vor allem zwei Vorteile:
- Für
das Unterhaltungsprogramm ist immer gesorgt, ohne dass
die Frau die Initiative ergreifen muss. Da sie sich dem
Mann unterordnet, liegt die Pflicht zur Initiative immer
bei ihm;
- In
einer Unter-Über-Beziehung kann die Frau die Verantwortung
für ihre Handlungen und Wünsche abgeben, denn:
Da die Verpflichtung, die Initiative zu ergreifen, bei
ihrem „Partner“ liegt, handelt sie gar nicht,
sie reagiert höchstens auf die Konsequenzen seines
Handelns.
Nun
will ich nichts behaupten, was nicht im Buch steht. Schauen
wir also, ob sich die Konturen der Unter-Über-Beziehung
in Eva Hellers Roman finden lassen. Die Autorin beschreibt
ein Jahr im Leben ihrer Protagonistin (das 28. Lebensjahr).
Am Anfang dieses Jahres wirft Constanze ihren langjährigen
Freund und Beziehungspartner Albert Auerbach aus ihrer Wohnung
und am Ende desselben Jahres heiratet sie ihn. Auch während
dieses Jahres der Trennung lässt sie ihn nicht in Ruhe,
sondern ruft ihn regelmäßig an (sie rationalisiert
das für ihre Zwecke mit dem Begriff der „harmonischen
Trennung“). Eines Tages ruft Constanze Albert an,
sie treffen einander, gehen spazieren und Constanze meint,
ihrem ehemaligen „Partner“ erklären zu
müssen, wie er sein sollte, damit er für sie als
„Partner“ akzeptabel wäre. Als Vorbild
dient ihr dabei Gottfried Schachtschnabel, ein vor sozialistischer
Ideologie triefender Dozent auf der Filmakademie:
„„Was
willst du eigentlich?“
Ich
erzählte Albert also von der revolutionären
Notwendigkeit, oberflächliche Interessengemeinschaften
zu entlarven und sich von falschen bürgerlichen
Formen der institutionalisierten Emotionalität
zu befreien. Ich sagte, daß ich einen gleichberechtigen
Partner suche, der mir Kommunikationsstrukturen bieten
könnte, die auf das Wesentliche konzentriert
sind. Ich sagte, daß zum Beispiel Gottfried
Schachtschnabel meinem Denken einen tieferen Sinn
gebe, indem er den Strukturen des Alltags eine ganz
bestimmte, konkrete, politische Bewußtseinsbedeutung
zubillige.
„Ach,
Gottfried Schachtschnabel“, sagte Albert, „wie
geht’s ihm denn?“ [S. 127]
[…]
„Soweit
ich dich verstanden habe, suchst du einen Guru, der
dir das Denken abnimmt.“ […] „Suchst
du einen autoritären Macker, der Weisheiten absondert
und keine Widerrede duldet? Ist es das, was du suchst,
mein Zuckerpüppchen?“
-
Jetzt versuchte er sarkastisch zu sein. Ich merkte
es genau, sagte aber immer noch nichts, weil nämlich
Sarkasmus meist versteckte Aggression ist.
„Da solltest du aber dein hübsches Köpfchen
nicht unnötig anstrengen“, meckerte Albert
weiter. „Möchte-gern-Gurus und Möchte-gern-Revolutionäre
gibt es in jeder Eckkneipe.““
Eva
Heller: Beim nächsten Mann wird alles anders.
Lizenzausgabe des Deutschen Bücherbundes GmbH
& Co. Stuttgart, München o.J. Copyright Fischer
Verlag, Frankfurt/Main 1987. S. 126-128
|
Einmal
ganz abgesehen davon, dass die dargestellte Situation ziemlich
merkwürdig ist, denn Constanze hat sich ja bereits
von ihrem Freund Albert getrennt und nun „verhandelt“
sie dennoch weiter über ihre gemeinsame Beziehung,
so als ob diese im Geheimen weitergehen würde …
aber was sagt sie denn eigentlich in dem Zitat?
Sie sagt, sie suche einen gleichberechtigten Partner,
-
der ihr Kommunikationsstrukturen biete, die…
-
so wie Gottfried Schachtschnabel, der ihrem Denken einen
tieferen Sinn gibt.
In
beiden Beispielen handelt es sich also um etwas, das sie
von ihrem „Partner“ erwartet. Sie ist nicht
etwa der Meinung, dass sie als gleichberechtigte Partnerin
die Kommunikationsstrukturen in der Partnerschaft mitbestimmen
würde. Weiters erwartet Constanze von ihrem „Partner“,
dass dieser ihrem Denken einen Sinn gibt. Sie scheint von
einer Beziehung zu erwarten, dass der männliche „Partner“,
die Interpretationshoheit über die gemeinsamen Erlebnisse
sowie in Weltanschauungsangelegenheiten übernimmt.
Sie als Frau möchte ihre eigenen Erfahrungen nicht
selbst interpretieren.
Albert
reagiert auf Constanzes Vorwürfe hellsichtig. Er wirft
ihr vor, einen autoritären Guru zu suchen, der ihr
das Denken abnimmt. Indem er das sagt, zeigt sich, dass
Albert sich selbst eine gleichberechtigte, partnerschaftliche
Beziehung mit einer Frau wünscht. Er stellt sich vor,
dass Constanze das auch will, schließlich redet sie
immer von gleichberechtigten Beziehungen. Doch im weiteren
Verlauf des Gesprächs rutscht es Constanze heraus,
was sie an einer partnerschaftlichen Beziehung stört:
Sie will, dass Albert im Beziehungsalltag regelmäßig
die Initiative übernimmt. Er soll die Beziehung führen.
Sie will ihren Beitrag zur Gestaltung der Partnerschaft
nicht übernehmen.
„Weil
ich aus wohlüberlegten Gründen immer noch
nichts sagte, fragte er wieder: „Also, was willst
du eigentlich?“ Und dann sagte er: „Also
sag schon, wir reden darüber.“
Er
hatte immer noch nicht kapiert, um was es mir ging!
Ich war noch nicht geschult genug im konstruktiven
Streiten, mir platzte der Kragen: Darüber reden!
Ich hab’s satt, daß ich dir jedesmal alles
vorkauen soll! Ich soll auch immer sagen, in welchen
Film wir gehen sollen, wohin wir in Urlaub [S. 128]
fahren sollen, wen wir einladen sollen, wann wir miteinander
bumsen sollen. Du könntest vielleicht auch mal
Initiative zeigen. Aber im Grunde ist dir alles egal.
Unentschieden auf der ganzen Linie bist du.“
„Und
wobei sollte ich konkret Initiative zeigen?“
Das
war ja wohl der Witz des Tages! Er fragte mich, wo
er konkret die Initiative zeigen sollte! Ich konnte
mich nur noch fragen, ob ich drei Jahre mit einem
Roboter zusammengewesen war.“
Ebd.,
gleich anschließend, S. 127-128.
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Aus
meiner Sicht ist diese Stelle der Kern des Buchs: Constanze
Wechselburger meint – und das meint sie aufrichtig
– eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung
zu wollen, aber in Wirklichkeit will sie eine Beziehung,
in der ihr „Partner“ die Initiative ergreift
und das Programm macht. Ich setze den Begriff „Partner“
unter Anführungszeichen, weil mir nicht klar ist, wie
man in einer solchen Beziehung noch eine Partnerschaft sehen
kann.
Klar
ist mir hingegen, dass diese Art von Beziehung, die Unter-Über-Beziehung,
von den Menschen nicht gesehen werden konnte und wahrscheinlich
bis heute nicht gesehen werden kann. Für Menschen,
die einfach denken, muss nämlich jedes Argument eingliedrig
sein. Deshalb ist für sie selbstverständlich:
-
Wenn der Mann der Frau übergeordnet ist, unterdrückt
er sie.
-
Und nur wenn die Frau dem Mann gleichgestellt ist, wird
sie nicht unterdrückt.
Dass
die Möglichkeit besteht, dass sich die Frau dem Mann
unterordnet und ihn dennoch beherrscht, ist für den
Menschen mit einfacher Logik denkunmöglich, es erscheint
wie ein Widerspruch in sich.
Aber
wie ist denn nun eine Unter-Über-Beziehung möglich?
Nehmen wir dann, dass von zwei „Partnern“ A
und B der einen den anderen mehr begehrt oder braucht als
der andere es tut. Sagen wir, B begehrt A stärker als
A B. In dem Fall wird A von B erwarten, dass B mehr für
die Beziehung tut als A. Denn A ist ja das begehrte Objekt,
deshalb ist seine Aufgabe damit erfüllt, einfach nur
anwesend zu sein. Weil ihm die Beziehung nicht so viel wert
ist wie B, kann sich A wie in eine Hängematte in sie
hineinfallen lassen. Wenn das B nicht gefällt, dann
kann er ja gehen! B hingegen muss etwas tun, um seine Anwesenheit
in der Beziehung zu rechtfertigen. Wenn das, was B tut,
A angenehm ist, wird A bei B bleiben; ist es A nicht angenehm,
wird er B verlassen. (Bevor er B verlässt, wird er
ihm Vorwürfe machen und mit ihm streiten.) B muss also
die Wünsche von A erfüllen, zum Teil, ohne sie
zu kennen, weil A sie noch gar nicht geäußert
hat – andernfalls A ihn verlässt. Auf diese Weise
kann A B beherrschen, ohne sich in die aktive Rolle begeben
zu müssen. Im Gegenteil, er überlässt die
aktive Rolle B und fordert sogar noch, dass B besonders
stark und mächtig sei, denn umso stärker der „stärkere“
„Partner“ ist, desto mehr kann er dem „schwächeren“
geben.
Oder,
um es mit einer Metapher zu sagen: Weil die Prinzessinnen
schön sind, kämpfen die Ritter im Turnier um ihre
Gunst. Wären die Ritter schön, würden die
Prinzessinnen um sie kämpfen. Aber weil die Ritter
nichts an sich haben, was sie anziehend macht, können
sich die Prinzessinnen auf der Tribüne zurücklehnen,
während die Ritter sich für sie ins Zeug legen.
In
einer Welt, in der nicht verstanden wird, dass Beziehungen
möglich sind, in denen der schwächere „Partner“
den stärkeren beherrscht, kann folglich auch nicht
gesehen werden, was der schwächere „Partner“
davon hat. Nun, es ergibt sich eine Variante der Herr-Knecht-Dynamik,
wie sie Hegel schon ausformuliert hat: Der schwächere
„Partner“ wird vom stärkeren von der Notwendigkeit
zu handeln entlastet. Er muss sich nicht mehr überlegen,
was er tun soll, denn er wird ja vom stärkeren permanent
bespaßt.
Weil
er nicht mehr handeln muss, ist der schwächere „Partner“
auch nicht mehr mit der Verantwortung für seine Handlungen
konfrontiert. Aber nicht nur von der Verantwortung für
seine Handlungen ist der schwächere Partner freigesprochen,
sondern auch für die Verantwortung für seine Wünsche.
Denn bei einer handelnden Person verhält es sich ja
so, dass man sich etwas wünscht, sich darum bemüht,
es dann vielleicht auch bekommt und sich aber dennoch enttäuscht
fühlt. Die Angelegenheit hat sich in der Realität
eben als nicht so toll herausgestellt, wie man sie sich
vorgestellt hatte. Beim nichthandelnden „Partner“
hingegen verhält er sich so, dass er, statt selbst
zu handeln, abwartet, was sein handelnder „Partner“
tut, und wenn sich das als unterhaltsam erweist, dann genießt
er es; ist es hingegen am Ende nicht lustig, dann ist der
handelnde Beziehungspartner dran schuld.
Das
bedeutet, der nichthandelnde „Partner“ durchläuft
nicht die Entwicklung, in der ein Wunsch in ihm stärker
wird, bis er sich mit ihm identifiziert und daher für
ihn kämpfen muss und sich am Ende eingestehen muss,
dass er sich über die Realität getäuscht
hat, wenn die erhaltene Wunscherfüllung nicht die erwartete
Befriedigung mit sich bringt. Da der schwächere „Partner“
nicht handelt, sondern die Wunscherfüllung von seinem
handelnden „Partner“ erwartet, verfestigen sich
seine Launen nicht zu konkreten Wünschen, sondern können
auf dem Niveau von flüchtigen Launen verbleiben.
Trifft
nun in einer bestimmten Situation der handelnde „Partner“
mit seinem Geschenk oder seiner Wohltat, das oder die er
sich für den nichthandelnden „Partner“
ausgedacht hat, dessen augenblickliche Laune, dann hat er
Glück gehabt. Der Fall, der hingegen nicht eintreten
kann, ist, dass der nichthandelnde „Partner“
sich bei einer erhaltenen Wohltat eingestehen muss: „Ja,
das habe ich mir gewünscht! Wenn ich es nun trotzdem
nicht als befriedigend empfinde, dann muss ich selber damit
zurechtkommen.“
Anders
gesagt, der nichthandelnde „Partner“ hat keine
Veranlassung, mit sich selbst zurechtzukommen, weil er jedes
Gefühl von Unzufriedenheit auf seinen „Partner“
abwälzen kann; was den nichthandelnden „Partner“
infantilisiert, sodass der handelnde „Partner“
es eigentlich nicht mehr mit einem selbstverantwortlichen
Erwachsenen, sondern mit einem großen, verwöhnten,
launischen Kind zu tun hat. Die Unter-Über-Beziehung
eröffnet dem schwächeren „Partner“,
der den stärkeren beherrscht, somit die Möglichkeit,
sich ganz seinen Launen zu überlassen und sich gehen
zu lassen.
Anführer,
sozialer Status und Reichtum
Damit
sind die beiden Zitate aus dem Gespräch von Constanze
mit Albert, in dem sie ihm erklärt, wie er als „Partner“
zu sein hätte, aber immer noch nicht ausinterpretiert.
Es geht nämlich in dem gesamten Buch sehr viel um Geld
– begonnen damit, dass Constanze ihren Albert deshalb
verlässt, weil er angeblich „geizig“ ist.
Das Vorbild Gottfried Schachschnabels, das Constanze Albert
vorhält, lässt vermuten, dass Albert nicht schon
dadurch zu Constanzes Traummann würde, dass er seinen
sparsamen Umgang mit Geld ablegen würde. Denn was Gottfried
von Albert vor allem unterscheidet, ist ja etwas anderes:
Es ist, dass Gottfried ein Anführer ist. Gottfried
führt durch seinen politisierten Unterricht an der
Filmakademie andere Menschen an, und er verspricht auch
in der Beziehung jene Führungsrolle zu übernehmen,
die Constanze sich wünscht, weil sie dann die Verantwortung
für ihr eigenes Leben abgeben könnte.
Was
aus Constanzes Gespräch mit Albert hervorgeht, ist
also: Jedenfalls für Constanze geht in der Partnerwahl
Anführertyp vor Versorgertyp.
Das ist insofern interessant, weil vom Gesichtspunkt des
materiellen Wohlstands her gesehen Albert die bessere Wahl
für sie wäre. Albert ist Assistenzarzt in einem
Spital, während Gottfried Dozent auf einer unbefristeten
universitären Stelle ist. Die berufliche Karriere Alberts
verspricht daher um einiges glatter und finanziell ergiebiger
zu verlaufen als die Gottfrieds. Constanzes Freundinnen
Birgit und Julia raten ihr ohnedies zu Albert. Im folgenden
Zitat wird sichtbar, dass sie sogar einen Schritt weiter
denken, über die Beziehung hinausdenken: auch die Scheidung
von einem Arzt ist erstrebenswertes „Asset“
für eine Frau:
„„Du
hast gut reden, du hast einen festen Freund“,
seufzte Birgit – offenbar hatte sie Julia über
mich informiert, und dann fragte sie: „Warum
heiratest du ihn nicht?“
Ich
war fassungslos. So ein Blödsinn. Aber Julia
lachte und sagte, sie fände diese Idee von Birgit
nicht schlecht. Es wäre sehr günstig für
mich, wenn ich bei den schlechten Berufsaussichten
als Filmemacherin einen Arzt heiraten würde.
„Und
die Scheidung von einem Arzt ist Gold wert“,
lachte sie.“
Ebd.,
S. 70.
|
Aber
bevor wir zum Geld kommen, bleiben wir noch einen Augenblick
beim Thema Führungspersönlichkeit. Folgendes Zitat
weist nach, dass Constanzes Bewunderung für Gottfried
zu einem wesentlichen Teil auf diesem Aspekt beruht. Aber
das Zitat gefällt mir noch aus einem anderen Grund:
Es zeigt auf, dass die politische Ideologie des Sozialismus,
des Kommunismus oder der Sozialdemokratie, die vom Ansatz
her ja eigentlich egalitär ist, darauf aufbaut, dass
es Führer und Geführte gibt. Es gibt die stumme
arbeitende Klasse und die muss von sprachbegabten Intellektuellen
vertreten bzw. angeführt werden. Das bedeutet, beim
Sozialismus suchen nicht nur solche Menschen Zuflucht, die
ein ehrliches Bedürfnis nach Gleichheit zwischen den
Menschen haben, sondern auch solche, die nach einer Anführerrolle
für sich suchen. Der Sozialismus bietet solche Rollen,
auch wenn Gottfried Schachtschnabel es nicht so „drastisch“
ausdrücken würde.
„„Wir
Intellektuellen dürfen die stumme Aufforderung
der arbeitenden Klasse, uns als ihre Interessenvertreter
erkennen zu geben und zu bekennen, nicht länger
überhören“, dozierte Gottfried.
Ich
blickte ihn bewundernd an. Wie intellektuell er war!
„Genau“, sagte ich, „die Leute sind
nämlich doof, sie brauchen jemand, der ihnen
sagt, was gut für sie ist, sie wollen einen Führer…“
„So
drastisch würde ich es zwar nicht ausdrücken“,
sagte Gottfried, „aber man darf vor diesem Problem
nicht länger die Augen verschließen.“
Ebd.,
S. 231.
|
Wieder
sind wir erinnert an die schon erwähnten Beispiele
- von
den lustigen Büchern, die es nicht erlauben, dass
man ihren Inhalt bewusst wahrnimmt, weil lustige Bücher
doch nicht dazu da sind, um ernsthaft über sie nachzudenken
und
-
vom öffentlichen Diskurs über die gleichberechtigte,
partnerschaftliche Beziehung, der es den Menschen nicht
erlaubt zu erkennen, dass sie sich in Wirklichkeit eine
Beziehung wünschen, in der sie ihren Partner beherrschen,
weil der öffentliche Diskurs die privaten Vorstellungen
der Menschen in ein falsches und irreführendes Begriffsgewand
kleidet.
Zu ihnen gesellt sich nun, wie es scheint, als drittes
-
die politische Ideologie des Sozialismus, die es uns schwer
macht, ihn als eine politische Kraft wahrzunehmen, die
für Ungleichheit steht, weil er sich so lautstark
als Vertreter von Gleichheit und Gerechtigkeit verkauft.
Constanze
heiratet einen Mann, den sie nicht will
Wenn
man wiederum LeserInnenrezensionen auf amazon.de, lovelybooks.de
und goodreads.com liest, dann reichen diese von Personen,
denen das Buch sehr gut gefallen hat, bis zu solchen, denen
es gar nicht gefallen hat. Manche finden es lustig, andere
finden es nicht lustig und um 50 Seiten zu lang. Ich glaube
zu wissen, warum es einem zu lang werden kann: Das Buch
erzählt von einem ganzen Jahr im Leben einer jungen,
attraktiven Frau in Berlin, und in diesem Zeitraum lernt
sie kaum neue Leute kennen. Außerdem heißt das
Buch „Beim nächsten Mann wird alles anders“
– und man wartet darauf, dass sie den nächsten
Mann kennenlernt und will wissen, wie der ist. Aber sie
lernt keinen kennen. Die Autorin enttäuscht also die
Erwartungshaltung ihrer LeserInnen.
Das
ganze Jahr über hält sich Constanze in ihrem relativ
kleinen Freundeskreis auf, der hauptsächlich besteht
aus ihren Freundinnen Julia, Birgit und Sieglinde Schadler
sowie deren Freund und späteren Ehemann Wolf-Dietrich
Lamar, ihrem Ex-Freund Albert und dessen neuer Freundin
Anna, ihrem Dozenten Gottfried Schachtschnabel, ihren Eltern,
ihrem Ferialjob in einer Werbeagentur und dem Wirt ihrer
Stammkneipe Café „Kaputt“. Es fehlt die
soziale Dynamik, Constanze bewegt sich nicht im sozialen
Universum. Die ganze Zeit fragt man sich, warum sie nicht
mal was unternimmt.
Es ist hochgradig unwahrscheinlich, dass eine junge Frau
in Berlin in einem ganzen Jahr keine neuen Männer kennenlernt,
die sie zumindest soweit interessieren, dass sie sich an
ihre Namen erinnert und eine kleine Geschichte über
sie zu erzählen hat. Aus dem Grund scheint es mir kein
Zufall zu sein, dass Eva Heller nicht davon erzählt,
wie Constanze andere Männer kennenlernt und wie die
anders sind als Albert oder dass die auch nicht anders sind.
Wenn sie das erzählen hätte wollen, hätte
sie es erzählt. Anstatt dessen kam es ihr offenbar
darauf an, Constanze über 300 Seiten im Sud desselben
kleinen, sich nicht erweiternden, sozialen Universums köcheln
zu lassen, um einen Punkt zu machen.
Und
der Punkt lautet: Constanze heiratet Albert, obwohl sie
ihn nicht liebt, ja im Grunde nicht einmal respektiert:
„Aber
wenigstens eines war sicher: Etwas Besseres als Albert
würde ich überall finden.“
Ebd.,
S. 128.
„Wenn
Albert schon nicht der Liebhaber meiner Träume
sein sollte, dann konnte er wenigstens einmal so tun,
als ob.“
Ebd.,
S. 334.
„Albert
war zwar nicht der Mann meines Lebens, aber vielleicht
würde er der Mann meines Lebens werden?“
Ebd.,
S. 334.
„Sicher,
es ist nicht die Lösung aller Probleme, wenn
man den Mann seines Lebens gefunden hat. Aber den
Mann seines Lebens nicht gefunden zu haben, macht
auch nicht besonders glücklich.“
Ebd.,
S. 327.
|
Mit
einem Wort, Beim nächsten Mann wird alles anders
ist kein Liebesroman, keine Romantic Novel, denn bei einem
Liebesroman liebt die Protagonistin den Mann ihrer Träume
und freut sich, wenn sie ihn am Ende bekommt. In Eva Hellers
Buch dagegen geht es darum, Kompromisse einzugehen und Entscheidungen
zu treffen, die einem keine Freude machen, und Rechtfertigungsgründe
zu finden, warum schlechte Ergebnisse besser sind als gar
keine. Es sei sicherlich auch nicht die Lösung für
alle Probleme, wenn man den Mann seines Lebens findet, rationalisiert
Constanze dann. Aber weil es eben auch nicht angenehm ist,
allein zu sein, tut sie sich mit Albert zusammen, der ihren
Vorstellungen nicht entspricht.
Und
warum entscheidet sie sich für Albert? Das hat mit
Albert selber gar nichts zu tun, sondern damit, dass sie
28 Jahre alt wird. Es gibt einen Grund dafür, warum
es für mich als Mann lohnend ist, auch Erzählungen
von Frauen zu lesen: Selbst wenn die Darstellung in einem
Text oberflächlich oder nicht besonders wahrhaftig
sein sollte, sobald sich eine ausreichende Anzahl an Seiten
aneinanderreiht, ist es kaum vermeidlich, dass das weibliche
Unbewusste sich einbringt und die weibliche Perspektive
auf die Welt und das Leben irgendwie zur Darstellung kommt.
Und das Lebensalter hat bei den Frauen aufgrund der Tatsache
der zeitlichen Begrenztheit ihrer biologischen Fruchtbarkeit
eindeutig einen Stellenwert. Am besten ist es, Texte von
Frauen immer mit der Frage zu lesen: Ließe sich die
Perspektive in der hier beschriebenen Situation auch umdrehen?
Würde das ein Mann auch so schreiben? Hier ist es eindeutig:
Für einen Mann würde es absolut keinen Unterschied
machen, ob er 28 oder 29 oder 30 wird.
„In
drei Wochen würde ich achtundzwanzig werden.
Welche Zukunft hat man als Frau mit achtundzwanzig?
Hat man überhaupt noch eine Zukunft. Oder sollte
ich mich besser sofort um einen Platz in einem netten
Altersheim bemühen?“
Ebd.,
S. 307
„Jetzt
war ich achtundzwanzig. Ich legte mich wieder ins
Bett und wartete auf die Torschlußpanik. Viele
Frauen, die bis achtundzwanzig ihr Leben nicht geordnet
haben, bekommen Torschlußpanik – hatte
ich kürzlich gelesen. […]“
Ebd.,
S. 327
|
Allerdings
ist das Thema der Rolle der Zeit in der Partnerwahl der
Frau umfassender und nicht auf die Aussage reduzierbar,
dass sie zu einem gewissen Zeitpunkt (es muss nicht der
28. Geburtstag sein) Torschlusspanik verspürt und nun
endlich einen festen Partner haben will. Es beginnt damit,
dass Constanze an der Filmakademie studiert (warum ausgerechnet
an der Filmakademie?), wo sie schlechte Berufschancen hat.
Eva Heller erzählt von Constanzes Studium außerdem
so, dass man nicht den Eindruck gewinnt, dass es Constanze
wichtig wäre, in ihrem Studium etwas weiterzubringen.
Hingegen geht es das ganze Buch darum, einen Mann zu finden
– und Constanze teilt dieses Anliegen mit ihren Freundinnen
Birgit, Julia und Sieglinde, mit denen sie sich gut über
dieses Thema unterhalten kann. Wenn man einen Schritt zurücktreten
würde, würde man sich fragen: Was erzählt
denn die Eva Heller da überhaupt? Warum steht in dieser
Erzählung die Suche nach einem Mann über den Dingen,
mit denen sich die Frauen tagtäglich beschäftigen
und die den Inhalt ihrer Arbeit ausmachen?
Aber
wenn man einen Schritt zurücktreten würde, dann
würde man sich auch Folgendes fragen: Die Frauen in
diesem Buch scheinen sich die ganze Zeit mit der Suche nach
einem Mann zu beschäftigen, aber suchen sie denn tatsächlich
nach einem Mann? Wonach könnten sie denn sonst suchen?
Nun: Sie könnten danach suchen, „ihr Leben geordnet
zu haben“.
Hier
liegt der eigentliche Wendepunkt zwischen der männlichen
und der weiblichen Perspektive: Ein Mann wünscht sich
eine Frau, weil dadurch zu seinem Leben etwas dazukommt.
Zusätzlich zu seiner Tätigkeit, mit der er sich
identifiziert und die seinen Lebensinhalt ausmacht, hat
er nun auch noch eine Beziehung. Die Frau wünscht sich
einen Mann, aber nicht um des Mannes willen, sondern um
der Struktur willen, die eine langfristige Beziehung ihrem
Leben verleiht und die in der Gestalt der Ehe zur sozialen
Institution geworden ist.
Wem
dieser Gedanke zu holzschnittartig vorkommt, der möge
sich fragen: Frauen suchen immer nach langfristigen Beziehungen
und sprechen sich häufig entschieden gegen One-Night-Stands
aus – ja, warum denn? Ich glaube nicht, dass der Grund
dafür darin liegt, dass Frauen treuer oder tugendhafter
wären als Männer. Der Grund liegt wohl eher darin,
dass ihnen One-Night-Stands wenig Spaß machen und
sie etwas anderes suchen als Sex. Wenn sie keinen Sex suchen,
dann suchen sie vielleicht – nächste Alternative
– einen Mann, weil sie sich vom Männlichen angezogen
fühlen und sich in einer langfristigen Beziehung mit
einem Mann wohl fühlen?
Ja,
aber Constanze heiratet doch einen Mann, den sie gar nicht
will! Also muss es noch etwas anderes sein: Sie will gar
keinen Mann, sondern „ihr Leben geordnet haben“.
Warum
sie es geordnet haben will, wird von Eva Heller nicht thematisiert.
Das heißt, Constanze denkt nicht über dieses
Thema nach. Aber es wird angedeutet durch Constanzes Freundin
Julia, eine Psychologin, die nach der Ehescheidung von einem
Mann sofort bereit ist, mit dem nächsten Kandidaten
wiederum eine Ehe einzugehen. Julia vertritt die Ansicht,
dass gesellschaftliche Institutionen dem menschlichen Leben
eine Struktur geben, ohne die es in sich zusammenbrechen
würde. Also sie ist der Ansicht, dass menschliche Gefühle
und der Wille des einzelnen Menschen keine ausreichend starken
Kräfte sind, um ein Menschenleben zu gestalten. Für
sie scheint der menschliche Wille etwas Ohnmächtiges
zu sein, so wie der Wille eines Rauchers, der sich immer
wieder bemüht, mit dem Rauchen aufzuhören und
es dennoch nicht schafft. Wenn Julias Position die richtige
ist, macht es absolut Sinn für Constanze, Albert zu
heiraten.
„„Warum
kapierst du das nicht? Die Ehe schafft mehr Gemeinsamkeiten
als alle romantischen Wallungen. Und wenn das einzige,
was zwei Leute verbindet, nur das momentane Gefühl
ist, dann ist das viel zu stressig auf die Dauer.
Aber das hab ich dir wirklich schon gesagt“,
Julia seufzte.
Ebd.,
S. 195.
|
Womit
noch die Frage bleibt: Aber warum macht denn Albert eigentlich
Constanze einen Heiratsantrag? Darüber können
wir aus der Lektüre eines aus der weiblichen Perspektive
geschriebenen Texts keine Aufklärung erwarten. Immerhin
ist eindrucksvoll, mit welcher Selbstverständlichkeit
die Bereitschaft zur Ehelichung Constanzes in diesem Roman
von Albert erwartet wird. Als Leser möchte man ja zu
Albert sagen: „Bitte, nicht! Diese Frau liebt dich
nicht! Sie respektiert dich nicht! Es wird Streit geben,
oft, vielleicht täglich. Sie wird dich anschreien.
Sie wird Dinge nach dir werfen. Sie wird Dinge, die dir
gehören, kaputt machen. So wie sie die Uhr, die sie
dir geschenkt hatte, ins Klo runtergespült hat. Diese
Frau ist eine ernsthafte Gefahr für dich, und zwar
nicht nur für deine Finanzen, sondern auch für
deine Gesundheit und dein Leben!“
Das
alles ist voraussehbar. Warum heiratet er sie trotzdem?
Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Weil er
sie noch mehr braucht sie ihn. Warum er sie braucht, wissen
wir nicht, wir erfahren es jedenfalls nicht in diesem Buch.
Was wir aus diesem Buch erfahren ist nur, dass die Frauen
darum wissen, dass die Männer sie mehr brauchen als
umgekehrt – und dass keinerlei Unglaubwürdigkeit
darin liegt, wenn man davon erzählt, wie ein Mann wie
Albert, der von seiner Freundin angeschrien, mit Gegenständen
beworfen und aus der Wohnung geschmissen wird, am Ende bereit
ist, sie zu heiraten.
Die
leichte Verfügbarkeit von Männern
Zu
einem gewissen Zeitpunkt im Verlauf der Erzählung ist
Constanze frustriert über die Entwicklung ihrer Affäre
mit Gottfried Schachtschnabel, und sie gönnt sich eine
Pizza und zwei Frascati in einem Lokal und danach einen
One-Night-Stand, um ihre Stimmung aufzuhellen und ihr Selbstwertgefühl
zu aufzumöbeln. Der Sex gefällt ihr nicht. Das
Erstaunliche an der Darstellung dieser Episode in dem Buch
ist aber, wie leicht Constanze zu ihrem Sexpartner kommt.
Sie nimmt ihn sich einfach. Er macht einfach mit, ohne Widerstand
zu leisten. Sie muss nicht um ihn werben, ihn nicht überzeugen.
Es ist schlichte Machtausübung durch Constanze, das
Ausschöpfen einer praktischen Handlungsmöglichkeit,
von der sie weiß, dass sie sie jederzeit hat. Wenn
sie Sex haben will, dann weiß sie, braucht sie nur
am Abend in ein Lokal zu gehen, und es wird sich ein Typ
finden, der mit ihr ins Bett gehen will. Männer für
Sex sind für eine junge Frau wie Constanze eine jederzeit
verfügbare Ressource. Vielleicht nimmt Constanze diese
Möglichkeit an diesem Tag in Anspruch, weil sie Schwierigkeiten
hat, denjenigen Mann zu bekommen, den sie sich in den Kopf
gesetzt hat, und sich beweisen will, dass sie jederzeit
irgendeinen bekommen kann.
Diese
Verfügbarkeit von Männern für Frauen ist
auch etwas, das die weibliche Perspektive von der männlichen
unterscheidet. Viele Männer haben Schwierigkeiten,
eine Sexpartnerin zu finden, und sie müssen oft in
Lokale gehen, viele Frauen ansprechen und manchmal über
Monate oder sogar Jahre an diesem Problem arbeiten. Ein
Bekannter von mir bezeichnete es gar als seine „Mondladung
auf einer Frau“, nachdem er unter Aufwendung vieler
Mühen und Kosten zum ersten Mal eine Frau gefunden
hatte, die bereit gewesen ist, mit ihm ins Bett zu gehen.
Oder man denke an Tisserand, eine Figur in Michel Houellebecqs
Roman Ausweitung der Kampfzone, die sich so lange
darum bemüht, Frauen kennenzulernen und ihnen näherzukommen,
bis er aus Verzweiflung auf der Autobahn Selbstmord verübt.
Dagegen steht die leichte Verfügbarkeit von Männern
für Frauen, die für die Frauen keinerlei Mühen
und Kosten bedeutet, was zur Folge hat, dass der Sex mit
einem Mann für eine Frau auch keinerlei Wert hat. Sex
mit Männern hat für Frauen keinen Preis, daher
hat er für sie auch keinen Wert.
Wenn
wir wiederum in die männliche Perspektive wechseln:
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Mann nach gelungenem Aufriss
so über den Sex, der ihm nicht gefallen hat, sprechen
würde wie Constanze in den folgenden beiden Zitaten.
Immerhin hat er seine Angst überwunden, eine Frau anzusprechen,
seine Scham besiegt, einen Annäherungsversuch zu wagen,
bei dem er zurückgewiesen werden könnte, wahrscheinlich
hat er schon mehrere unglückliche Ansprechversuche
bei Frauen hinter sich, und wahrscheinlich hat er die Zeche
für sie beide bezahlt. Also wird er wahrscheinlich
sagen: „Es war zwar nicht so toll, aber immerhin habe
ich bei einer Frau landen können!“
„Martin
oder so ähnlich hieß der Typ, mit dem ich
nachts um 3 Uhr aus dem Cookies [ein Lokal, Anm. philohof]
kam. Wir gingen zu ihm, weil er in der Nähe wohnte
und keine U-Bahn mehr fuhr.
Ich
wußte schon vorher, daß es mir peinlich
sein würde, neben ihm aufzuwachen. Mit ihm zusammen
auch noch Kaffee zu trinken, hätte meine soziale
Kompetenz überstrapaziert.“
Ebd.,
S. 203.
„Ich
spüre noch seine Brusthaare auf meinem Rücken.
– Sexuelle Frustration, das klingt immer so,
als seien nur die frustriert, die es nicht tun. Da
kann ich nur lachen. Wir frustriert erst die sind,
die es tun! Die es nicht tun, bewahren sich wenigstens
die Illusion. Er hatte so komische Pickel auf dem
Rücken gehabt, viel lieber, als mit ihm zu bumsen,
hätte ich diese komischen Pickel ausgequetscht.“
Ebd.,
S. 203.
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Sex
macht Constanze offenbar keinen Spaß, also vielleicht
eine Affäre! Wenn ihr Ex Albert schon eine Neue hat,
dann darf sie nicht zurückstehen. Das Problem ist nur,
ihr Neuer, Joseph, ist Elektriker – und ein Elektriker
steht niedriger in der sozialen Hierarchie als ein Arzt.
Wiederum wäre das, wenn man in die männliche Perspektive
wechselte, kein Problem. Denn wenn sie einen Mann wollte,
ist ein Elektriker in Ordnung, das ist genauso ein Mann,
es muss kein Arzt oder Filmakademiedozent sein. Die Tatsache,
dass es für Constanze eine so große Rolle spielt,
dass Joseph Elektriker ist oder dass er ein paar wenige
Jahre jünger ist als sie, weist also wiederum darauf
hin, dass sie im Grunde keinen Mann will. Was sie will,
ist die soziale Stellung, das Sozialprestige dieses Mannes.
Constanze behandelt Joseph übrigens ziemlich respektlos,
was zur Folge hat, dass Joseph die Affäre eines Tages
abbricht.
„Es
mußte etwas geschehen. „Liebe ist machbar“
– das war es doch, was Julia predigte. Mein
Opfer hieß Joseph. Seine Freunde nannten ihn
Joschi. Er war zwar nicht mein Typ, zu groß,
zu blond, zu sehr Sportler, zu jung – er war
erst 23 Jahre alt, und er war Elektriker. „Technischer
Angestellter eines internationalen Nachrichten-Konzerns“
dürfte er sich nennen, sagte Joseph lachend.
Er war nicht mein Typ, aber er war nett, weil er Frauen
wie seinesgleichen behandelte. […]
Joschi
sollte mit mir auf bessere Zeiten warten. Weil er
mich liebte und ich ihn nicht, hatte ich ein schlechtes
Gewissen. Er war vier Jahre jünger als ich, so
machte er mich automatisch zu einer älteren Frau.
„Was willst du mit der Oma?“ fragte ihn
sein Kumpel Didi eines Abends leis, aber ich hatte
es hören sollen. Egal, die Freunde von Joseph
waren nicht mein Problem. Mein Problem waren meine
Freunde. Sieg-[S. 257]linde würde mich garantiert
fragen, was ich mit einem Elektriker wolle –
als hätte ich mich das nicht selbst gefragt.“
Ebd.,
S. 254
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Geiz,
Geld und Großzügigkeit
Am
Anfang des Buchs verlässt Constanze Albert, weil er
angeblich „geizig“ ist. Aber wenn jemand als
„geizig“ bezeichnet wird, muss man sich überlegen,
was eigentlich gemeint ist. Es könnte tatsächlich
sein, dass er geizig ist und dass einem das an Kleinigkeiten
auffällt und dass einen diese Kleinigkeiten im Verhalten
des Anderen stören; es könnte aber auch sein,
dass etwas anderes dahintersteckt.
Tatsache ist, dass Constanze Albert in dem ganzen Buch nicht
einmal danach fragt, welche finanziellen Ziele er hat, und
dass sie nicht über dieses Thema sprechen. Wenn man
über finanzielle Ziele sprechen könnte, über
die eigenen und über die des Anderen, dann könnte
man auch über gemeinsame finanzielle Ziele sprechen
und dann wäre es für den jeweils anderen „Partner“
verständlich, warum der andere für dieses oder
jenes Geld ausgibt oder kein Geld ausgibt. Aber so funktioniert
das Medium Geld im Rahmen einer Beziehung zwischen den Geschlechtern
offenbar nicht.
Wie
es aussieht, muss die Rolle des Geldes im Rahmen einer Beziehung
zwischen Mann und Frau unthematisiert bleiben, damit kein
Abkommen über den Umgang mit Geld getroffen werden
kann. So bleibt es immer Gegenstand von Verhandlungen und
damit immer der Inhalt von Forderungen und Schuldgefühlen,
von Liebesbeweisen und Dankbarkeit für erwiesene Liebesbeweise.
„„Also
ich heirate aus Liebe“, sagte Sieglinde und
räumte das Teflonbügeleisen weg. „Und
daß Wolf-Dietrich so viel Geld hat und Hausbesitzer
wird, spielt für mich überhaupt keine Rolle.
Und stell dir vor, seine Mutter schenkt mir zur Hochzeit
ihr massiv goldenes Armband! 34 Gramm Gold sind das!“
Sieglinde lachte laut.
„39
Gramm Gold“, berichtigte Wolf-Dietrich.“
Ebd.,
S. 214.
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Dieselbe
Einstellung, die Constanze bei ihrer Freundin Sieglinde
ablehnt, weil sie ein bisschen zu offensichtlich ist, hegt
sie in Wirklichkeit selber. Nur, dass sie sie eben „Großzügigkeit“
nennt und „Geiz“ für eine Spießeruntugend
hält. Als Albert ihr gesteht, dass er sie gern heiraten
würde, fordert Constanze von ihm einen formellen Heiratsantrag
mit einem großen Strauß Rosen. Sie sticht sogar
noch nach, indem sie selbst Albert per Post einen Strauß
Rosen schickt und sich auf der beiliegenden Karte über
seinen Heiratsantrag lustig macht. Die Rosensendung per
Post zeigt, dass auch Constanze Albert heiraten will; sie
will nur, dass er sich in die Rolle des Antrags- oder Bittstellers
begibt, wie es sich für einen Mann gehört. Und
sie will, dass er Kosten auf sich nimmt, um sie zu bekommen.
Das
Wort „investieren“ im folgenden Zitat zeigt,
worum es Constanze geht: Ein Rosenstrauch ist keine Investition.
Rosen sind ein schnell verderbliches Gut, das keinerlei
Rendite abwirft. Worum es Constanze geht, ist, dass Albert
die Bereitschaft zeigen soll, Geld für sie auszugeben
– auszugeben oder sogar für schnell verderbliche
Güter zu verschwenden. Ja, „verschwenden“
wäre das treffendere Wort in diesem Satz: Wenn Albert
Constanze haben wollte, dann müsste er verstehen, dass
er Geld für sie verschwenden muss – nämlich
für Sachen, die ihr Spaß machen und nicht für
solche, die er für sinnvoll hält.
„War
das Albert gewesen? War er jetzt endlich zur Einsicht
gekommen, daß er endlich etwas investieren mußte,
wenn er mich haben wollte?“
Ebd.,
S. 334
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Womit
wir ein letztes Mal zur Umkehrung der Perspektive kommen.
Warum schenken Männer Frauen Rosen und nicht umgekehrt?
Oder, umfassender gefragt, warum hat sich die Erwartungshaltung
institutionalisiert, dass Männer Frauen Rosen schenken
und nicht umgekehrt? Die Antwort kann nur die sein, dass
Männer Frauen wollen und dafür akzeptieren, dass
Frauen ihnen Kosten verursachen – und dass Frauen
Rosen wollen und andere Dinge, die Männer ihnen geben
können, wenn sie ein gutes Einkommen und hohen sozialen
Status haben.
Anders
wäre das nur, wenn Constanze der Sex mit Martin Spaß
machen würde. Denn dann würde sie sich nur einen
Mann wünschen und nicht das, was ihr ein großzügiger
Mann geben kann. Ich glaube, das ist es, was man sich vor
Augen halten muss, wenn man liest, dass Constanze Albert
verlässt, weil er „geizig“ ist: Wenn Constanze
Albert so sehr begehren würde, dass sie damit zufrieden
wäre, dass er einfach nur da ist und bei ihr bleibt,
dann wäre ihr sein „Geiz“ egal. Großzügigkeit
verlangt sie von ihm nur deshalb, weil seine bloße
Anwesenheit ihr Herz nicht erfüllt. Deshalb muss er
ihr noch etwas zusätzlich bieten, um wenigstens als
Gesamtpaket akzeptabel zu erscheinen. (Für Albert verhält
es sich umgekehrt so, dass er sie so sehr begehrt, dass
er damit zufrieden ist, dass sie einfach nur da ist. Anders
wäre nicht verständlich, warum er dazu bereit
sein sollte, für sie Kosten auf sich zu nehmen. Würde
er sie weniger stark begehren, würde er von ihr erwarten,
zusätzliche Leistungen in die Beziehung einzubringen
bzw. ihn zu beschenken.)
In
meiner Rezension oder Analyse von Eva Hellers Buch Beim
nächsten Mann wird alles anders habe ich mich
auf das bezogen, was in dem Buch tatsächlich zu finden
ist: Es ist darin viel von Geld, sozialem Status, und (von
weiblicher Seite geforderten) männlichem Dominanzverhalten
die Rede; eine geringe Rolle spielen Sex, Liebe und gegenseitige
Verständigung im Gespräch. Das ist auch aus den
Zitaten ersichtlich (und falls man sich mit der Bedeutung
von Geld für zwischengeschlechtliche Beziehungen aus
weiblicher Sicht beschäftigt, kann man noch viel mehr
Zitate in diesem Roman finden).
Die
Frage ist: Wieso ist so viel von Geld, sozialem Status und
männlichem Dominanzverhalten die Rede, wenn eine Frau
von Beziehungen zwischen Mann und Frau erzählt? Wieso
träumt Constanze Wechselburger in ihren Wunschträumen
davon, Prinzessin Diana von England zu sein und heute ihre
neue rosa Bluse tragen zu können? Warum träumt
Constanze, wenn sie sich eine Beziehung wünscht, von
einem Mann wie Prinz Charles, der optisch nicht ihr Typ
sind, aber dafür von teuren Gegenständen, die
im Rahmen dieser Beziehung mit einem Prinzen für sie
verfügbar werden?
Oder,
kürzer, warum will Constanze keinen Mann, wenn sie
einen Mann will, sondern Rosen, Großzügigkeit,
ein tägliches Unterhaltungsprogramm und ein geordnetes
Leben? Könnte es sein, dass sie gar keinen Mann will
und auch keine partnerschaftliche Beziehung will, sondern
nur ein bevorzugtes Leben mit Sonderbehandlung, sozusagen
ein Upgrade in die Business Class mit den angenehmen Sitzen
auf diesem Flug durchs Leben?
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