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Constanze Wechselburgers Sicht der Welt und der freien partnerschaftlichen Beziehung

Analyse von Eva Hellers Roman Beim nächsten Mann wird alles anders (1987)

Wien, am 20.9.2019

Eva Heller: Beim nächsten Mann wird alles anders

Wenn man die Buchrezensionen der LeserInnen dieses Buchs auf amazon.de, lovelybooks.de oder goodreads.com liest, gewinnt man den Eindruck, sie sehen alle nichts in diesem Buch. Sie halten es einfach für ein „lustiges“ Buch oder für „leichte Lektüre“, die die Geschlechterbeziehungen in den 1980er Jahren beschreibt. Vielleicht ist der Umstand, dass das Thema des Buchs den Menschen sehr nahe liegt schuld dran, dass sich niemand fragt: „Ja, was beschreibt die denn da eigentlich?“ Ein jeder und eine jede kennt das Beschriebene aus eigener Anschauung, hat sich seine/ihre Meinung darüber schon gebildet und ist aufgrund dessen unfähig geworden, neue Informationen aufzunehmen bzw. sich belehren zu lassen.

Dabei ist es durchaus erstaunlich, was Eva Heller in dem Buch schreibt. Nur: Falls das Buch so gemeint war, dass es Kritik üben sollte, so geht sie im Humor unter. Die LeserInnen fassen ein lustiges Buch als eines auf, das keine ernsthafte Auseinandersetzung verdient (denn hätte die Autorin eine ernsthafte Auseinandersetzung gewollt, dann hätte sie ja eine ernsthafte Kritik formuliert).

Dabei ist es, wie gesagt, durchaus erstaunlich, was Eva Heller in dem Buch schreibt, respektive Ende der 1980er Jahre schrieb. Kurz zusammengefasst handelt es sich in etwa um folgende Aussage: Dass in dieser Zeit, als in der Öffentlichkeit sehr stark über Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und über gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehungen diskutiert wurde, die Frauen in Wirklichkeit aber eigentlich doch eine ganz andere Art von Beziehung wollten. Aber sie nannten diese andere Art von Beziehung auch eine „gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung“, weil das die einzige Art von Beziehung war, über die in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und weil es für die Art von Beziehung, die sie suchten, gar keinen Namen gab.

Im Grund handelt es sich um ein ähnliches Problem wie das, dass lustige Bücher von niemandem aufmerksam gelesen werden und das Wichtige und Relevante, das in ihnen steht, von den Leuten auch nicht wahrgenommen wird: Bisweilen gibt es einen öffentlichen Diskurs, der die Dinge irgendwie benennt (z.B. „gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung“), und die Menschen übernehmen diese Begriffe und meinen, sich etwas zu wünschen, was diesen Begriffen entspricht, obwohl sie in Wirklichkeit ganz andere, diesen Begriffen oft entgegensetzte, Wünsche haben. Aber weil der öffentliche Diskurs so unmittelbar auf sie wirkt und ihre Lebenserfahrung sie ebenfalls unmittelbar beeindruckt, fehlt ihnen die Distanz zu den Wörtern, in die sie ihre Lebenserfahrungen gekleidet haben. (Nun, eigentlich haben sie sie nicht selbst in diese Wörter gekleidet, sondern sie haben nur die lautesten Ideen aus den Medien und aus ihrem sozialen Umfeld übernommen.) Und die Folge davon ist: Nachdem uns die Gesellschaft gesagt hat, wie die Dinge und wie unsere Gefühle heißen, wundern wir uns nicht mehr über sie; das Klima von Nähe und Vertrautheit übt eine einlullende Wirkung aus und verhindert, dass sich ein Impuls zum Nachdenken bildet.

Die Unter-Über-Beziehung oder: Beherrschung von unten

Welche Art von Beziehung will Constanze Wechselburger, die 27-jährige Protagonistin von Eva Hellers Roman denn eigentlich? Ich will diesem unbekannten Ding einmal einen provisorischen Namen geben, damit wir es überhaupt fassen, seine Konturen wahrnehmen können: Sie will eine Unter-Über-Beziehung.

Eine Unter-Über-Beziehung ist ein gedoppeltes, ein verschränktes Beziehungskonzept und ist deshalb nicht wahrnehmbar in einer Welt, in der nur einfache Beziehungskonzepte diskutiert werden. Die zwei Beziehungskonzepte, die in den 1980er Jahren diskutiert wurden und heute immer noch diskutiert werden sind:

  • Die Frau ordnet sich dem Mann unter (und wird folglich von ihm beherrscht) und
  • die Frau ist dem Mann gleichberechtigt (und sie entscheiden über alles gemeinsam).

Das Unter-Über-Beziehungskonzept hingegen hat den Inhalt:

  • Die Frau ordnet sich dem Mann unter (und beherrscht ihn eben dadurch).

Das Unter-Über-Beziehungskonzept hat gegenüber dem Konzept der gleichberechtigten, partnerschaftlichen Beziehung vor allem zwei Vorteile:

  1. Für das Unterhaltungsprogramm ist immer gesorgt, ohne dass die Frau die Initiative ergreifen muss. Da sie sich dem Mann unterordnet, liegt die Pflicht zur Initiative immer bei ihm;
  2. In einer Unter-Über-Beziehung kann die Frau die Verantwortung für ihre Handlungen und Wünsche abgeben, denn: Da die Verpflichtung, die Initiative zu ergreifen, bei ihrem „Partner“ liegt, handelt sie gar nicht, sie reagiert höchstens auf die Konsequenzen seines Handelns.

Nun will ich nichts behaupten, was nicht im Buch steht. Schauen wir also, ob sich die Konturen der Unter-Über-Beziehung in Eva Hellers Roman finden lassen. Die Autorin beschreibt ein Jahr im Leben ihrer Protagonistin (das 28. Lebensjahr). Am Anfang dieses Jahres wirft Constanze ihren langjährigen Freund und Beziehungspartner Albert Auerbach aus ihrer Wohnung und am Ende desselben Jahres heiratet sie ihn. Auch während dieses Jahres der Trennung lässt sie ihn nicht in Ruhe, sondern ruft ihn regelmäßig an (sie rationalisiert das für ihre Zwecke mit dem Begriff der „harmonischen Trennung“). Eines Tages ruft Constanze Albert an, sie treffen einander, gehen spazieren und Constanze meint, ihrem ehemaligen „Partner“ erklären zu müssen, wie er sein sollte, damit er für sie als „Partner“ akzeptabel wäre. Als Vorbild dient ihr dabei Gottfried Schachtschnabel, ein vor sozialistischer Ideologie triefender Dozent auf der Filmakademie:

„„Was willst du eigentlich?“

Ich erzählte Albert also von der revolutionären Notwendigkeit, oberflächliche Interessengemeinschaften zu entlarven und sich von falschen bürgerlichen Formen der institutionalisierten Emotionalität zu befreien. Ich sagte, daß ich einen gleichberechtigen Partner suche, der mir Kommunikationsstrukturen bieten könnte, die auf das Wesentliche konzentriert sind. Ich sagte, daß zum Beispiel Gottfried Schachtschnabel meinem Denken einen tieferen Sinn gebe, indem er den Strukturen des Alltags eine ganz bestimmte, konkrete, politische Bewußtseinsbedeutung zubillige.

„Ach, Gottfried Schachtschnabel“, sagte Albert, „wie geht’s ihm denn?“ [S. 127]

[…]

„Soweit ich dich verstanden habe, suchst du einen Guru, der dir das Denken abnimmt.“ […] „Suchst du einen autoritären Macker, der Weisheiten absondert und keine Widerrede duldet? Ist es das, was du suchst, mein Zuckerpüppchen?“

- Jetzt versuchte er sarkastisch zu sein. Ich merkte es genau, sagte aber immer noch nichts, weil nämlich Sarkasmus meist versteckte Aggression ist.
„Da solltest du aber dein hübsches Köpfchen nicht unnötig anstrengen“, meckerte Albert weiter. „Möchte-gern-Gurus und Möchte-gern-Revolutionäre gibt es in jeder Eckkneipe.““

Eva Heller: Beim nächsten Mann wird alles anders. Lizenzausgabe des Deutschen Bücherbundes GmbH & Co. Stuttgart, München o.J. Copyright Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1987. S. 126-128

 

Einmal ganz abgesehen davon, dass die dargestellte Situation ziemlich merkwürdig ist, denn Constanze hat sich ja bereits von ihrem Freund Albert getrennt und nun „verhandelt“ sie dennoch weiter über ihre gemeinsame Beziehung, so als ob diese im Geheimen weitergehen würde … aber was sagt sie denn eigentlich in dem Zitat?
Sie sagt, sie suche einen gleichberechtigten Partner,

  • der ihr Kommunikationsstrukturen biete, die…
  • so wie Gottfried Schachtschnabel, der ihrem Denken einen tieferen Sinn gibt.

In beiden Beispielen handelt es sich also um etwas, das sie von ihrem „Partner“ erwartet. Sie ist nicht etwa der Meinung, dass sie als gleichberechtigte Partnerin die Kommunikationsstrukturen in der Partnerschaft mitbestimmen würde. Weiters erwartet Constanze von ihrem „Partner“, dass dieser ihrem Denken einen Sinn gibt. Sie scheint von einer Beziehung zu erwarten, dass der männliche „Partner“, die Interpretationshoheit über die gemeinsamen Erlebnisse sowie in Weltanschauungsangelegenheiten übernimmt. Sie als Frau möchte ihre eigenen Erfahrungen nicht selbst interpretieren.

Albert reagiert auf Constanzes Vorwürfe hellsichtig. Er wirft ihr vor, einen autoritären Guru zu suchen, der ihr das Denken abnimmt. Indem er das sagt, zeigt sich, dass Albert sich selbst eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung mit einer Frau wünscht. Er stellt sich vor, dass Constanze das auch will, schließlich redet sie immer von gleichberechtigten Beziehungen. Doch im weiteren Verlauf des Gesprächs rutscht es Constanze heraus, was sie an einer partnerschaftlichen Beziehung stört: Sie will, dass Albert im Beziehungsalltag regelmäßig die Initiative übernimmt. Er soll die Beziehung führen. Sie will ihren Beitrag zur Gestaltung der Partnerschaft nicht übernehmen.

„Weil ich aus wohlüberlegten Gründen immer noch nichts sagte, fragte er wieder: „Also, was willst du eigentlich?“ Und dann sagte er: „Also sag schon, wir reden darüber.“

Er hatte immer noch nicht kapiert, um was es mir ging! Ich war noch nicht geschult genug im konstruktiven Streiten, mir platzte der Kragen: Darüber reden! Ich hab’s satt, daß ich dir jedesmal alles vorkauen soll! Ich soll auch immer sagen, in welchen Film wir gehen sollen, wohin wir in Urlaub [S. 128] fahren sollen, wen wir einladen sollen, wann wir miteinander bumsen sollen. Du könntest vielleicht auch mal Initiative zeigen. Aber im Grunde ist dir alles egal. Unentschieden auf der ganzen Linie bist du.“

„Und wobei sollte ich konkret Initiative zeigen?“

Das war ja wohl der Witz des Tages! Er fragte mich, wo er konkret die Initiative zeigen sollte! Ich konnte mich nur noch fragen, ob ich drei Jahre mit einem Roboter zusammengewesen war.“

Ebd., gleich anschließend, S. 127-128.

 

Aus meiner Sicht ist diese Stelle der Kern des Buchs: Constanze Wechselburger meint – und das meint sie aufrichtig – eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung zu wollen, aber in Wirklichkeit will sie eine Beziehung, in der ihr „Partner“ die Initiative ergreift und das Programm macht. Ich setze den Begriff „Partner“ unter Anführungszeichen, weil mir nicht klar ist, wie man in einer solchen Beziehung noch eine Partnerschaft sehen kann.

Klar ist mir hingegen, dass diese Art von Beziehung, die Unter-Über-Beziehung, von den Menschen nicht gesehen werden konnte und wahrscheinlich bis heute nicht gesehen werden kann. Für Menschen, die einfach denken, muss nämlich jedes Argument eingliedrig sein. Deshalb ist für sie selbstverständlich:

  • Wenn der Mann der Frau übergeordnet ist, unterdrückt er sie.
  • Und nur wenn die Frau dem Mann gleichgestellt ist, wird sie nicht unterdrückt.

Dass die Möglichkeit besteht, dass sich die Frau dem Mann unterordnet und ihn dennoch beherrscht, ist für den Menschen mit einfacher Logik denkunmöglich, es erscheint wie ein Widerspruch in sich.

Aber wie ist denn nun eine Unter-Über-Beziehung möglich? Nehmen wir dann, dass von zwei „Partnern“ A und B der einen den anderen mehr begehrt oder braucht als der andere es tut. Sagen wir, B begehrt A stärker als A B. In dem Fall wird A von B erwarten, dass B mehr für die Beziehung tut als A. Denn A ist ja das begehrte Objekt, deshalb ist seine Aufgabe damit erfüllt, einfach nur anwesend zu sein. Weil ihm die Beziehung nicht so viel wert ist wie B, kann sich A wie in eine Hängematte in sie hineinfallen lassen. Wenn das B nicht gefällt, dann kann er ja gehen! B hingegen muss etwas tun, um seine Anwesenheit in der Beziehung zu rechtfertigen. Wenn das, was B tut, A angenehm ist, wird A bei B bleiben; ist es A nicht angenehm, wird er B verlassen. (Bevor er B verlässt, wird er ihm Vorwürfe machen und mit ihm streiten.) B muss also die Wünsche von A erfüllen, zum Teil, ohne sie zu kennen, weil A sie noch gar nicht geäußert hat – andernfalls A ihn verlässt. Auf diese Weise kann A B beherrschen, ohne sich in die aktive Rolle begeben zu müssen. Im Gegenteil, er überlässt die aktive Rolle B und fordert sogar noch, dass B besonders stark und mächtig sei, denn umso stärker der „stärkere“ „Partner“ ist, desto mehr kann er dem „schwächeren“ geben.

Oder, um es mit einer Metapher zu sagen: Weil die Prinzessinnen schön sind, kämpfen die Ritter im Turnier um ihre Gunst. Wären die Ritter schön, würden die Prinzessinnen um sie kämpfen. Aber weil die Ritter nichts an sich haben, was sie anziehend macht, können sich die Prinzessinnen auf der Tribüne zurücklehnen, während die Ritter sich für sie ins Zeug legen.

In einer Welt, in der nicht verstanden wird, dass Beziehungen möglich sind, in denen der schwächere „Partner“ den stärkeren beherrscht, kann folglich auch nicht gesehen werden, was der schwächere „Partner“ davon hat. Nun, es ergibt sich eine Variante der Herr-Knecht-Dynamik, wie sie Hegel schon ausformuliert hat: Der schwächere „Partner“ wird vom stärkeren von der Notwendigkeit zu handeln entlastet. Er muss sich nicht mehr überlegen, was er tun soll, denn er wird ja vom stärkeren permanent bespaßt.

Weil er nicht mehr handeln muss, ist der schwächere „Partner“ auch nicht mehr mit der Verantwortung für seine Handlungen konfrontiert. Aber nicht nur von der Verantwortung für seine Handlungen ist der schwächere Partner freigesprochen, sondern auch für die Verantwortung für seine Wünsche. Denn bei einer handelnden Person verhält es sich ja so, dass man sich etwas wünscht, sich darum bemüht, es dann vielleicht auch bekommt und sich aber dennoch enttäuscht fühlt. Die Angelegenheit hat sich in der Realität eben als nicht so toll herausgestellt, wie man sie sich vorgestellt hatte. Beim nichthandelnden „Partner“ hingegen verhält er sich so, dass er, statt selbst zu handeln, abwartet, was sein handelnder „Partner“ tut, und wenn sich das als unterhaltsam erweist, dann genießt er es; ist es hingegen am Ende nicht lustig, dann ist der handelnde Beziehungspartner dran schuld.

Das bedeutet, der nichthandelnde „Partner“ durchläuft nicht die Entwicklung, in der ein Wunsch in ihm stärker wird, bis er sich mit ihm identifiziert und daher für ihn kämpfen muss und sich am Ende eingestehen muss, dass er sich über die Realität getäuscht hat, wenn die erhaltene Wunscherfüllung nicht die erwartete Befriedigung mit sich bringt. Da der schwächere „Partner“ nicht handelt, sondern die Wunscherfüllung von seinem handelnden „Partner“ erwartet, verfestigen sich seine Launen nicht zu konkreten Wünschen, sondern können auf dem Niveau von flüchtigen Launen verbleiben.

Trifft nun in einer bestimmten Situation der handelnde „Partner“ mit seinem Geschenk oder seiner Wohltat, das oder die er sich für den nichthandelnden „Partner“ ausgedacht hat, dessen augenblickliche Laune, dann hat er Glück gehabt. Der Fall, der hingegen nicht eintreten kann, ist, dass der nichthandelnde „Partner“ sich bei einer erhaltenen Wohltat eingestehen muss: „Ja, das habe ich mir gewünscht! Wenn ich es nun trotzdem nicht als befriedigend empfinde, dann muss ich selber damit zurechtkommen.“

Anders gesagt, der nichthandelnde „Partner“ hat keine Veranlassung, mit sich selbst zurechtzukommen, weil er jedes Gefühl von Unzufriedenheit auf seinen „Partner“ abwälzen kann; was den nichthandelnden „Partner“ infantilisiert, sodass der handelnde „Partner“ es eigentlich nicht mehr mit einem selbstverantwortlichen Erwachsenen, sondern mit einem großen, verwöhnten, launischen Kind zu tun hat. Die Unter-Über-Beziehung eröffnet dem schwächeren „Partner“, der den stärkeren beherrscht, somit die Möglichkeit, sich ganz seinen Launen zu überlassen und sich gehen zu lassen.

Anführer, sozialer Status und Reichtum

Damit sind die beiden Zitate aus dem Gespräch von Constanze mit Albert, in dem sie ihm erklärt, wie er als „Partner“ zu sein hätte, aber immer noch nicht ausinterpretiert. Es geht nämlich in dem gesamten Buch sehr viel um Geld – begonnen damit, dass Constanze ihren Albert deshalb verlässt, weil er angeblich „geizig“ ist. Das Vorbild Gottfried Schachschnabels, das Constanze Albert vorhält, lässt vermuten, dass Albert nicht schon dadurch zu Constanzes Traummann würde, dass er seinen sparsamen Umgang mit Geld ablegen würde. Denn was Gottfried von Albert vor allem unterscheidet, ist ja etwas anderes: Es ist, dass Gottfried ein Anführer ist. Gottfried führt durch seinen politisierten Unterricht an der Filmakademie andere Menschen an, und er verspricht auch in der Beziehung jene Führungsrolle zu übernehmen, die Constanze sich wünscht, weil sie dann die Verantwortung für ihr eigenes Leben abgeben könnte.

Was aus Constanzes Gespräch mit Albert hervorgeht, ist also: Jedenfalls für Constanze geht in der Partnerwahl Anführertyp vor Versorgertyp.
Das ist insofern interessant, weil vom Gesichtspunkt des materiellen Wohlstands her gesehen Albert die bessere Wahl für sie wäre. Albert ist Assistenzarzt in einem Spital, während Gottfried Dozent auf einer unbefristeten universitären Stelle ist. Die berufliche Karriere Alberts verspricht daher um einiges glatter und finanziell ergiebiger zu verlaufen als die Gottfrieds. Constanzes Freundinnen Birgit und Julia raten ihr ohnedies zu Albert. Im folgenden Zitat wird sichtbar, dass sie sogar einen Schritt weiter denken, über die Beziehung hinausdenken: auch die Scheidung von einem Arzt ist erstrebenswertes „Asset“ für eine Frau:

„„Du hast gut reden, du hast einen festen Freund“, seufzte Birgit – offenbar hatte sie Julia über mich informiert, und dann fragte sie: „Warum heiratest du ihn nicht?“

Ich war fassungslos. So ein Blödsinn. Aber Julia lachte und sagte, sie fände diese Idee von Birgit nicht schlecht. Es wäre sehr günstig für mich, wenn ich bei den schlechten Berufsaussichten als Filmemacherin einen Arzt heiraten würde.

„Und die Scheidung von einem Arzt ist Gold wert“, lachte sie.“

Ebd., S. 70.

 

Aber bevor wir zum Geld kommen, bleiben wir noch einen Augenblick beim Thema Führungspersönlichkeit. Folgendes Zitat weist nach, dass Constanzes Bewunderung für Gottfried zu einem wesentlichen Teil auf diesem Aspekt beruht. Aber das Zitat gefällt mir noch aus einem anderen Grund: Es zeigt auf, dass die politische Ideologie des Sozialismus, des Kommunismus oder der Sozialdemokratie, die vom Ansatz her ja eigentlich egalitär ist, darauf aufbaut, dass es Führer und Geführte gibt. Es gibt die stumme arbeitende Klasse und die muss von sprachbegabten Intellektuellen vertreten bzw. angeführt werden. Das bedeutet, beim Sozialismus suchen nicht nur solche Menschen Zuflucht, die ein ehrliches Bedürfnis nach Gleichheit zwischen den Menschen haben, sondern auch solche, die nach einer Anführerrolle für sich suchen. Der Sozialismus bietet solche Rollen, auch wenn Gottfried Schachtschnabel es nicht so „drastisch“ ausdrücken würde.

„„Wir Intellektuellen dürfen die stumme Aufforderung der arbeitenden Klasse, uns als ihre Interessenvertreter erkennen zu geben und zu bekennen, nicht länger überhören“, dozierte Gottfried.

Ich blickte ihn bewundernd an. Wie intellektuell er war! „Genau“, sagte ich, „die Leute sind nämlich doof, sie brauchen jemand, der ihnen sagt, was gut für sie ist, sie wollen einen Führer…“

„So drastisch würde ich es zwar nicht ausdrücken“, sagte Gottfried, „aber man darf vor diesem Problem nicht länger die Augen verschließen.“

Ebd., S. 231.

Wieder sind wir erinnert an die schon erwähnten Beispiele

  • von den lustigen Büchern, die es nicht erlauben, dass man ihren Inhalt bewusst wahrnimmt, weil lustige Bücher doch nicht dazu da sind, um ernsthaft über sie nachzudenken und
  • vom öffentlichen Diskurs über die gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung, der es den Menschen nicht erlaubt zu erkennen, dass sie sich in Wirklichkeit eine Beziehung wünschen, in der sie ihren Partner beherrschen, weil der öffentliche Diskurs die privaten Vorstellungen der Menschen in ein falsches und irreführendes Begriffsgewand kleidet.
    Zu ihnen gesellt sich nun, wie es scheint, als drittes
  • die politische Ideologie des Sozialismus, die es uns schwer macht, ihn als eine politische Kraft wahrzunehmen, die für Ungleichheit steht, weil er sich so lautstark als Vertreter von Gleichheit und Gerechtigkeit verkauft.

Constanze heiratet einen Mann, den sie nicht will

Wenn man wiederum LeserInnenrezensionen auf amazon.de, lovelybooks.de und goodreads.com liest, dann reichen diese von Personen, denen das Buch sehr gut gefallen hat, bis zu solchen, denen es gar nicht gefallen hat. Manche finden es lustig, andere finden es nicht lustig und um 50 Seiten zu lang. Ich glaube zu wissen, warum es einem zu lang werden kann: Das Buch erzählt von einem ganzen Jahr im Leben einer jungen, attraktiven Frau in Berlin, und in diesem Zeitraum lernt sie kaum neue Leute kennen. Außerdem heißt das Buch „Beim nächsten Mann wird alles anders“ – und man wartet darauf, dass sie den nächsten Mann kennenlernt und will wissen, wie der ist. Aber sie lernt keinen kennen. Die Autorin enttäuscht also die Erwartungshaltung ihrer LeserInnen.

Das ganze Jahr über hält sich Constanze in ihrem relativ kleinen Freundeskreis auf, der hauptsächlich besteht aus ihren Freundinnen Julia, Birgit und Sieglinde Schadler sowie deren Freund und späteren Ehemann Wolf-Dietrich Lamar, ihrem Ex-Freund Albert und dessen neuer Freundin Anna, ihrem Dozenten Gottfried Schachtschnabel, ihren Eltern, ihrem Ferialjob in einer Werbeagentur und dem Wirt ihrer Stammkneipe Café „Kaputt“. Es fehlt die soziale Dynamik, Constanze bewegt sich nicht im sozialen Universum. Die ganze Zeit fragt man sich, warum sie nicht mal was unternimmt.
Es ist hochgradig unwahrscheinlich, dass eine junge Frau in Berlin in einem ganzen Jahr keine neuen Männer kennenlernt, die sie zumindest soweit interessieren, dass sie sich an ihre Namen erinnert und eine kleine Geschichte über sie zu erzählen hat. Aus dem Grund scheint es mir kein Zufall zu sein, dass Eva Heller nicht davon erzählt, wie Constanze andere Männer kennenlernt und wie die anders sind als Albert oder dass die auch nicht anders sind. Wenn sie das erzählen hätte wollen, hätte sie es erzählt. Anstatt dessen kam es ihr offenbar darauf an, Constanze über 300 Seiten im Sud desselben kleinen, sich nicht erweiternden, sozialen Universums köcheln zu lassen, um einen Punkt zu machen.

Und der Punkt lautet: Constanze heiratet Albert, obwohl sie ihn nicht liebt, ja im Grunde nicht einmal respektiert:

„Aber wenigstens eines war sicher: Etwas Besseres als Albert würde ich überall finden.“

Ebd., S. 128.

„Wenn Albert schon nicht der Liebhaber meiner Träume sein sollte, dann konnte er wenigstens einmal so tun, als ob.“

Ebd., S. 334.

„Albert war zwar nicht der Mann meines Lebens, aber vielleicht würde er der Mann meines Lebens werden?“

Ebd., S. 334.

„Sicher, es ist nicht die Lösung aller Probleme, wenn man den Mann seines Lebens gefunden hat. Aber den Mann seines Lebens nicht gefunden zu haben, macht auch nicht besonders glücklich.“

Ebd., S. 327.

 

Mit einem Wort, Beim nächsten Mann wird alles anders ist kein Liebesroman, keine Romantic Novel, denn bei einem Liebesroman liebt die Protagonistin den Mann ihrer Träume und freut sich, wenn sie ihn am Ende bekommt. In Eva Hellers Buch dagegen geht es darum, Kompromisse einzugehen und Entscheidungen zu treffen, die einem keine Freude machen, und Rechtfertigungsgründe zu finden, warum schlechte Ergebnisse besser sind als gar keine. Es sei sicherlich auch nicht die Lösung für alle Probleme, wenn man den Mann seines Lebens findet, rationalisiert Constanze dann. Aber weil es eben auch nicht angenehm ist, allein zu sein, tut sie sich mit Albert zusammen, der ihren Vorstellungen nicht entspricht.

Und warum entscheidet sie sich für Albert? Das hat mit Albert selber gar nichts zu tun, sondern damit, dass sie 28 Jahre alt wird. Es gibt einen Grund dafür, warum es für mich als Mann lohnend ist, auch Erzählungen von Frauen zu lesen: Selbst wenn die Darstellung in einem Text oberflächlich oder nicht besonders wahrhaftig sein sollte, sobald sich eine ausreichende Anzahl an Seiten aneinanderreiht, ist es kaum vermeidlich, dass das weibliche Unbewusste sich einbringt und die weibliche Perspektive auf die Welt und das Leben irgendwie zur Darstellung kommt. Und das Lebensalter hat bei den Frauen aufgrund der Tatsache der zeitlichen Begrenztheit ihrer biologischen Fruchtbarkeit eindeutig einen Stellenwert. Am besten ist es, Texte von Frauen immer mit der Frage zu lesen: Ließe sich die Perspektive in der hier beschriebenen Situation auch umdrehen? Würde das ein Mann auch so schreiben? Hier ist es eindeutig: Für einen Mann würde es absolut keinen Unterschied machen, ob er 28 oder 29 oder 30 wird.

„In drei Wochen würde ich achtundzwanzig werden. Welche Zukunft hat man als Frau mit achtundzwanzig? Hat man überhaupt noch eine Zukunft. Oder sollte ich mich besser sofort um einen Platz in einem netten Altersheim bemühen?“

Ebd., S. 307

„Jetzt war ich achtundzwanzig. Ich legte mich wieder ins Bett und wartete auf die Torschlußpanik. Viele Frauen, die bis achtundzwanzig ihr Leben nicht geordnet haben, bekommen Torschlußpanik – hatte ich kürzlich gelesen. […]“

Ebd., S. 327

 

Allerdings ist das Thema der Rolle der Zeit in der Partnerwahl der Frau umfassender und nicht auf die Aussage reduzierbar, dass sie zu einem gewissen Zeitpunkt (es muss nicht der 28. Geburtstag sein) Torschlusspanik verspürt und nun endlich einen festen Partner haben will. Es beginnt damit, dass Constanze an der Filmakademie studiert (warum ausgerechnet an der Filmakademie?), wo sie schlechte Berufschancen hat. Eva Heller erzählt von Constanzes Studium außerdem so, dass man nicht den Eindruck gewinnt, dass es Constanze wichtig wäre, in ihrem Studium etwas weiterzubringen. Hingegen geht es das ganze Buch darum, einen Mann zu finden – und Constanze teilt dieses Anliegen mit ihren Freundinnen Birgit, Julia und Sieglinde, mit denen sie sich gut über dieses Thema unterhalten kann. Wenn man einen Schritt zurücktreten würde, würde man sich fragen: Was erzählt denn die Eva Heller da überhaupt? Warum steht in dieser Erzählung die Suche nach einem Mann über den Dingen, mit denen sich die Frauen tagtäglich beschäftigen und die den Inhalt ihrer Arbeit ausmachen?

Aber wenn man einen Schritt zurücktreten würde, dann würde man sich auch Folgendes fragen: Die Frauen in diesem Buch scheinen sich die ganze Zeit mit der Suche nach einem Mann zu beschäftigen, aber suchen sie denn tatsächlich nach einem Mann? Wonach könnten sie denn sonst suchen? Nun: Sie könnten danach suchen, „ihr Leben geordnet zu haben“.

Hier liegt der eigentliche Wendepunkt zwischen der männlichen und der weiblichen Perspektive: Ein Mann wünscht sich eine Frau, weil dadurch zu seinem Leben etwas dazukommt. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit, mit der er sich identifiziert und die seinen Lebensinhalt ausmacht, hat er nun auch noch eine Beziehung. Die Frau wünscht sich einen Mann, aber nicht um des Mannes willen, sondern um der Struktur willen, die eine langfristige Beziehung ihrem Leben verleiht und die in der Gestalt der Ehe zur sozialen Institution geworden ist.

Wem dieser Gedanke zu holzschnittartig vorkommt, der möge sich fragen: Frauen suchen immer nach langfristigen Beziehungen und sprechen sich häufig entschieden gegen One-Night-Stands aus – ja, warum denn? Ich glaube nicht, dass der Grund dafür darin liegt, dass Frauen treuer oder tugendhafter wären als Männer. Der Grund liegt wohl eher darin, dass ihnen One-Night-Stands wenig Spaß machen und sie etwas anderes suchen als Sex. Wenn sie keinen Sex suchen, dann suchen sie vielleicht – nächste Alternative – einen Mann, weil sie sich vom Männlichen angezogen fühlen und sich in einer langfristigen Beziehung mit einem Mann wohl fühlen?

Ja, aber Constanze heiratet doch einen Mann, den sie gar nicht will! Also muss es noch etwas anderes sein: Sie will gar keinen Mann, sondern „ihr Leben geordnet haben“.

Warum sie es geordnet haben will, wird von Eva Heller nicht thematisiert. Das heißt, Constanze denkt nicht über dieses Thema nach. Aber es wird angedeutet durch Constanzes Freundin Julia, eine Psychologin, die nach der Ehescheidung von einem Mann sofort bereit ist, mit dem nächsten Kandidaten wiederum eine Ehe einzugehen. Julia vertritt die Ansicht, dass gesellschaftliche Institutionen dem menschlichen Leben eine Struktur geben, ohne die es in sich zusammenbrechen würde. Also sie ist der Ansicht, dass menschliche Gefühle und der Wille des einzelnen Menschen keine ausreichend starken Kräfte sind, um ein Menschenleben zu gestalten. Für sie scheint der menschliche Wille etwas Ohnmächtiges zu sein, so wie der Wille eines Rauchers, der sich immer wieder bemüht, mit dem Rauchen aufzuhören und es dennoch nicht schafft. Wenn Julias Position die richtige ist, macht es absolut Sinn für Constanze, Albert zu heiraten.

„„Warum kapierst du das nicht? Die Ehe schafft mehr Gemeinsamkeiten als alle romantischen Wallungen. Und wenn das einzige, was zwei Leute verbindet, nur das momentane Gefühl ist, dann ist das viel zu stressig auf die Dauer. Aber das hab ich dir wirklich schon gesagt“, Julia seufzte.

Ebd., S. 195.

 

Womit noch die Frage bleibt: Aber warum macht denn Albert eigentlich Constanze einen Heiratsantrag? Darüber können wir aus der Lektüre eines aus der weiblichen Perspektive geschriebenen Texts keine Aufklärung erwarten. Immerhin ist eindrucksvoll, mit welcher Selbstverständlichkeit die Bereitschaft zur Ehelichung Constanzes in diesem Roman von Albert erwartet wird. Als Leser möchte man ja zu Albert sagen: „Bitte, nicht! Diese Frau liebt dich nicht! Sie respektiert dich nicht! Es wird Streit geben, oft, vielleicht täglich. Sie wird dich anschreien. Sie wird Dinge nach dir werfen. Sie wird Dinge, die dir gehören, kaputt machen. So wie sie die Uhr, die sie dir geschenkt hatte, ins Klo runtergespült hat. Diese Frau ist eine ernsthafte Gefahr für dich, und zwar nicht nur für deine Finanzen, sondern auch für deine Gesundheit und dein Leben!“

Das alles ist voraussehbar. Warum heiratet er sie trotzdem? Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Weil er sie noch mehr braucht sie ihn. Warum er sie braucht, wissen wir nicht, wir erfahren es jedenfalls nicht in diesem Buch. Was wir aus diesem Buch erfahren ist nur, dass die Frauen darum wissen, dass die Männer sie mehr brauchen als umgekehrt – und dass keinerlei Unglaubwürdigkeit darin liegt, wenn man davon erzählt, wie ein Mann wie Albert, der von seiner Freundin angeschrien, mit Gegenständen beworfen und aus der Wohnung geschmissen wird, am Ende bereit ist, sie zu heiraten.

Die leichte Verfügbarkeit von Männern

Zu einem gewissen Zeitpunkt im Verlauf der Erzählung ist Constanze frustriert über die Entwicklung ihrer Affäre mit Gottfried Schachtschnabel, und sie gönnt sich eine Pizza und zwei Frascati in einem Lokal und danach einen One-Night-Stand, um ihre Stimmung aufzuhellen und ihr Selbstwertgefühl zu aufzumöbeln. Der Sex gefällt ihr nicht. Das Erstaunliche an der Darstellung dieser Episode in dem Buch ist aber, wie leicht Constanze zu ihrem Sexpartner kommt. Sie nimmt ihn sich einfach. Er macht einfach mit, ohne Widerstand zu leisten. Sie muss nicht um ihn werben, ihn nicht überzeugen. Es ist schlichte Machtausübung durch Constanze, das Ausschöpfen einer praktischen Handlungsmöglichkeit, von der sie weiß, dass sie sie jederzeit hat. Wenn sie Sex haben will, dann weiß sie, braucht sie nur am Abend in ein Lokal zu gehen, und es wird sich ein Typ finden, der mit ihr ins Bett gehen will. Männer für Sex sind für eine junge Frau wie Constanze eine jederzeit verfügbare Ressource. Vielleicht nimmt Constanze diese Möglichkeit an diesem Tag in Anspruch, weil sie Schwierigkeiten hat, denjenigen Mann zu bekommen, den sie sich in den Kopf gesetzt hat, und sich beweisen will, dass sie jederzeit irgendeinen bekommen kann.

Diese Verfügbarkeit von Männern für Frauen ist auch etwas, das die weibliche Perspektive von der männlichen unterscheidet. Viele Männer haben Schwierigkeiten, eine Sexpartnerin zu finden, und sie müssen oft in Lokale gehen, viele Frauen ansprechen und manchmal über Monate oder sogar Jahre an diesem Problem arbeiten. Ein Bekannter von mir bezeichnete es gar als seine „Mondladung auf einer Frau“, nachdem er unter Aufwendung vieler Mühen und Kosten zum ersten Mal eine Frau gefunden hatte, die bereit gewesen ist, mit ihm ins Bett zu gehen. Oder man denke an Tisserand, eine Figur in Michel Houellebecqs Roman Ausweitung der Kampfzone, die sich so lange darum bemüht, Frauen kennenzulernen und ihnen näherzukommen, bis er aus Verzweiflung auf der Autobahn Selbstmord verübt. Dagegen steht die leichte Verfügbarkeit von Männern für Frauen, die für die Frauen keinerlei Mühen und Kosten bedeutet, was zur Folge hat, dass der Sex mit einem Mann für eine Frau auch keinerlei Wert hat. Sex mit Männern hat für Frauen keinen Preis, daher hat er für sie auch keinen Wert.

Wenn wir wiederum in die männliche Perspektive wechseln: Es ist unwahrscheinlich, dass ein Mann nach gelungenem Aufriss so über den Sex, der ihm nicht gefallen hat, sprechen würde wie Constanze in den folgenden beiden Zitaten. Immerhin hat er seine Angst überwunden, eine Frau anzusprechen, seine Scham besiegt, einen Annäherungsversuch zu wagen, bei dem er zurückgewiesen werden könnte, wahrscheinlich hat er schon mehrere unglückliche Ansprechversuche bei Frauen hinter sich, und wahrscheinlich hat er die Zeche für sie beide bezahlt. Also wird er wahrscheinlich sagen: „Es war zwar nicht so toll, aber immerhin habe ich bei einer Frau landen können!“

„Martin oder so ähnlich hieß der Typ, mit dem ich nachts um 3 Uhr aus dem Cookies [ein Lokal, Anm. philohof] kam. Wir gingen zu ihm, weil er in der Nähe wohnte und keine U-Bahn mehr fuhr.

Ich wußte schon vorher, daß es mir peinlich sein würde, neben ihm aufzuwachen. Mit ihm zusammen auch noch Kaffee zu trinken, hätte meine soziale Kompetenz überstrapaziert.“

Ebd., S. 203.

„Ich spüre noch seine Brusthaare auf meinem Rücken. – Sexuelle Frustration, das klingt immer so, als seien nur die frustriert, die es nicht tun. Da kann ich nur lachen. Wir frustriert erst die sind, die es tun! Die es nicht tun, bewahren sich wenigstens die Illusion. Er hatte so komische Pickel auf dem Rücken gehabt, viel lieber, als mit ihm zu bumsen, hätte ich diese komischen Pickel ausgequetscht.“

Ebd., S. 203.

 

Sex macht Constanze offenbar keinen Spaß, also vielleicht eine Affäre! Wenn ihr Ex Albert schon eine Neue hat, dann darf sie nicht zurückstehen. Das Problem ist nur, ihr Neuer, Joseph, ist Elektriker – und ein Elektriker steht niedriger in der sozialen Hierarchie als ein Arzt. Wiederum wäre das, wenn man in die männliche Perspektive wechselte, kein Problem. Denn wenn sie einen Mann wollte, ist ein Elektriker in Ordnung, das ist genauso ein Mann, es muss kein Arzt oder Filmakademiedozent sein. Die Tatsache, dass es für Constanze eine so große Rolle spielt, dass Joseph Elektriker ist oder dass er ein paar wenige Jahre jünger ist als sie, weist also wiederum darauf hin, dass sie im Grunde keinen Mann will. Was sie will, ist die soziale Stellung, das Sozialprestige dieses Mannes. Constanze behandelt Joseph übrigens ziemlich respektlos, was zur Folge hat, dass Joseph die Affäre eines Tages abbricht.

„Es mußte etwas geschehen. „Liebe ist machbar“ – das war es doch, was Julia predigte. Mein Opfer hieß Joseph. Seine Freunde nannten ihn Joschi. Er war zwar nicht mein Typ, zu groß, zu blond, zu sehr Sportler, zu jung – er war erst 23 Jahre alt, und er war Elektriker. „Technischer Angestellter eines internationalen Nachrichten-Konzerns“ dürfte er sich nennen, sagte Joseph lachend. Er war nicht mein Typ, aber er war nett, weil er Frauen wie seinesgleichen behandelte. […]

Joschi sollte mit mir auf bessere Zeiten warten. Weil er mich liebte und ich ihn nicht, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Er war vier Jahre jünger als ich, so machte er mich automatisch zu einer älteren Frau. „Was willst du mit der Oma?“ fragte ihn sein Kumpel Didi eines Abends leis, aber ich hatte es hören sollen. Egal, die Freunde von Joseph waren nicht mein Problem. Mein Problem waren meine Freunde. Sieg-[S. 257]linde würde mich garantiert fragen, was ich mit einem Elektriker wolle – als hätte ich mich das nicht selbst gefragt.“

Ebd., S. 254

Geiz, Geld und Großzügigkeit

Am Anfang des Buchs verlässt Constanze Albert, weil er angeblich „geizig“ ist. Aber wenn jemand als „geizig“ bezeichnet wird, muss man sich überlegen, was eigentlich gemeint ist. Es könnte tatsächlich sein, dass er geizig ist und dass einem das an Kleinigkeiten auffällt und dass einen diese Kleinigkeiten im Verhalten des Anderen stören; es könnte aber auch sein, dass etwas anderes dahintersteckt.
Tatsache ist, dass Constanze Albert in dem ganzen Buch nicht einmal danach fragt, welche finanziellen Ziele er hat, und dass sie nicht über dieses Thema sprechen. Wenn man über finanzielle Ziele sprechen könnte, über die eigenen und über die des Anderen, dann könnte man auch über gemeinsame finanzielle Ziele sprechen und dann wäre es für den jeweils anderen „Partner“ verständlich, warum der andere für dieses oder jenes Geld ausgibt oder kein Geld ausgibt. Aber so funktioniert das Medium Geld im Rahmen einer Beziehung zwischen den Geschlechtern offenbar nicht.

Wie es aussieht, muss die Rolle des Geldes im Rahmen einer Beziehung zwischen Mann und Frau unthematisiert bleiben, damit kein Abkommen über den Umgang mit Geld getroffen werden kann. So bleibt es immer Gegenstand von Verhandlungen und damit immer der Inhalt von Forderungen und Schuldgefühlen, von Liebesbeweisen und Dankbarkeit für erwiesene Liebesbeweise.

„„Also ich heirate aus Liebe“, sagte Sieglinde und räumte das Teflonbügeleisen weg. „Und daß Wolf-Dietrich so viel Geld hat und Hausbesitzer wird, spielt für mich überhaupt keine Rolle. Und stell dir vor, seine Mutter schenkt mir zur Hochzeit ihr massiv goldenes Armband! 34 Gramm Gold sind das!“ Sieglinde lachte laut.

„39 Gramm Gold“, berichtigte Wolf-Dietrich.“

Ebd., S. 214.

 

Dieselbe Einstellung, die Constanze bei ihrer Freundin Sieglinde ablehnt, weil sie ein bisschen zu offensichtlich ist, hegt sie in Wirklichkeit selber. Nur, dass sie sie eben „Großzügigkeit“ nennt und „Geiz“ für eine Spießeruntugend hält. Als Albert ihr gesteht, dass er sie gern heiraten würde, fordert Constanze von ihm einen formellen Heiratsantrag mit einem großen Strauß Rosen. Sie sticht sogar noch nach, indem sie selbst Albert per Post einen Strauß Rosen schickt und sich auf der beiliegenden Karte über seinen Heiratsantrag lustig macht. Die Rosensendung per Post zeigt, dass auch Constanze Albert heiraten will; sie will nur, dass er sich in die Rolle des Antrags- oder Bittstellers begibt, wie es sich für einen Mann gehört. Und sie will, dass er Kosten auf sich nimmt, um sie zu bekommen.

Das Wort „investieren“ im folgenden Zitat zeigt, worum es Constanze geht: Ein Rosenstrauch ist keine Investition. Rosen sind ein schnell verderbliches Gut, das keinerlei Rendite abwirft. Worum es Constanze geht, ist, dass Albert die Bereitschaft zeigen soll, Geld für sie auszugeben – auszugeben oder sogar für schnell verderbliche Güter zu verschwenden. Ja, „verschwenden“ wäre das treffendere Wort in diesem Satz: Wenn Albert Constanze haben wollte, dann müsste er verstehen, dass er Geld für sie verschwenden muss – nämlich für Sachen, die ihr Spaß machen und nicht für solche, die er für sinnvoll hält.

„War das Albert gewesen? War er jetzt endlich zur Einsicht gekommen, daß er endlich etwas investieren mußte, wenn er mich haben wollte?“

Ebd., S. 334

Womit wir ein letztes Mal zur Umkehrung der Perspektive kommen. Warum schenken Männer Frauen Rosen und nicht umgekehrt? Oder, umfassender gefragt, warum hat sich die Erwartungshaltung institutionalisiert, dass Männer Frauen Rosen schenken und nicht umgekehrt? Die Antwort kann nur die sein, dass Männer Frauen wollen und dafür akzeptieren, dass Frauen ihnen Kosten verursachen – und dass Frauen Rosen wollen und andere Dinge, die Männer ihnen geben können, wenn sie ein gutes Einkommen und hohen sozialen Status haben.

Anders wäre das nur, wenn Constanze der Sex mit Martin Spaß machen würde. Denn dann würde sie sich nur einen Mann wünschen und nicht das, was ihr ein großzügiger Mann geben kann. Ich glaube, das ist es, was man sich vor Augen halten muss, wenn man liest, dass Constanze Albert verlässt, weil er „geizig“ ist: Wenn Constanze Albert so sehr begehren würde, dass sie damit zufrieden wäre, dass er einfach nur da ist und bei ihr bleibt, dann wäre ihr sein „Geiz“ egal. Großzügigkeit verlangt sie von ihm nur deshalb, weil seine bloße Anwesenheit ihr Herz nicht erfüllt. Deshalb muss er ihr noch etwas zusätzlich bieten, um wenigstens als Gesamtpaket akzeptabel zu erscheinen. (Für Albert verhält es sich umgekehrt so, dass er sie so sehr begehrt, dass er damit zufrieden ist, dass sie einfach nur da ist. Anders wäre nicht verständlich, warum er dazu bereit sein sollte, für sie Kosten auf sich zu nehmen. Würde er sie weniger stark begehren, würde er von ihr erwarten, zusätzliche Leistungen in die Beziehung einzubringen bzw. ihn zu beschenken.)

In meiner Rezension oder Analyse von Eva Hellers Buch Beim nächsten Mann wird alles anders habe ich mich auf das bezogen, was in dem Buch tatsächlich zu finden ist: Es ist darin viel von Geld, sozialem Status, und (von weiblicher Seite geforderten) männlichem Dominanzverhalten die Rede; eine geringe Rolle spielen Sex, Liebe und gegenseitige Verständigung im Gespräch. Das ist auch aus den Zitaten ersichtlich (und falls man sich mit der Bedeutung von Geld für zwischengeschlechtliche Beziehungen aus weiblicher Sicht beschäftigt, kann man noch viel mehr Zitate in diesem Roman finden).

Die Frage ist: Wieso ist so viel von Geld, sozialem Status und männlichem Dominanzverhalten die Rede, wenn eine Frau von Beziehungen zwischen Mann und Frau erzählt? Wieso träumt Constanze Wechselburger in ihren Wunschträumen davon, Prinzessin Diana von England zu sein und heute ihre neue rosa Bluse tragen zu können? Warum träumt Constanze, wenn sie sich eine Beziehung wünscht, von einem Mann wie Prinz Charles, der optisch nicht ihr Typ sind, aber dafür von teuren Gegenständen, die im Rahmen dieser Beziehung mit einem Prinzen für sie verfügbar werden?

Oder, kürzer, warum will Constanze keinen Mann, wenn sie einen Mann will, sondern Rosen, Großzügigkeit, ein tägliches Unterhaltungsprogramm und ein geordnetes Leben? Könnte es sein, dass sie gar keinen Mann will und auch keine partnerschaftliche Beziehung will, sondern nur ein bevorzugtes Leben mit Sonderbehandlung, sozusagen ein Upgrade in die Business Class mit den angenehmen Sitzen auf diesem Flug durchs Leben?

 

 

© helmut hofbauer 2019