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Wie einer dazu kommt, sich einen Garten ganz genau anzuschauen.
Ein phänomenologischer Jugendroman.


Rezension von Malcom J Bosse: Ein Garten so groß wie die Welt (1979)

von HELMUT HOFBAUER

(11.1.2020)

Malcom J. Bosse: Ein Garten so groß wie die Welt. Benziger, Zürich-Köln 1984. (Originalausgabe: The 79 Squares. Thomas Y. Crowell Junior Books, New York 1979.)

Malcolm J. Bosse: Ein Garten so groß wie die Welt

Vom stundenlangen Sitzen in einem fremden Garten

Meiner Meinung nach ist dieses Buch absolut ungewöhnlich – und meiner Meinung nach checken das viele nicht, die es gelesen haben (wobei es wohl eher in der angelsächsischen Welt gelesen worden ist als bei uns).

Das Erstaunliche ist, dass darin erzählt wird, wie ein junger Bursch, Eric, sich dazu bereitfindet, in einem fremden Garten je eine Stunde lang in einem von ihm selbst abgesteckten, vier Quadratmeter großen, Feld zu sitzen und diesen Vorgang so lange zu wiederholen, bis er alle 79 Felder, aus denen der Garten besteht, durch hat. (Das Buch heißt im Original „The 79 Squares“ – die 79 Felder; bei der deutschen Ausgabe hat man sich diesen Titel offenbar nicht getraut.) Das tut Eric auf das ungreifbare und abstrakte Versprechen eines alten Mannes hin, ihm den Garten „zu sehen lehren“.

Also wenn das keine abgefahrene Geschichte ist!

Tatsächlich lernt Eric beim Sitzen in Mr. Becks Garten auch etwas. Er borgt sich Bücher aus der Stadtbücherei aus, um all die verschiedenen Pflanzen und Tiere, die er in dem Garten sieht, bestimmen zu können. Sein Wissen in Biologie nimmt also zu.

Was sicherlich auch zunimmt, ist seine Geduld mit den Dingen. Welcher Jugendliche hat schon die Geduld, seine Sommerferien in abgesteckten Feldern in einem fremden Garten zu versitzen? Geduld mit den Dingen ist durchaus eine Fähigkeit, und Eric lernt sie ausführlich. Was er aber bis zum Schluss nicht weiß, ist, wozu das ganze denn gut sein soll.

DIE 79 FELDER

„„Schnitze vier Holzpflöcke – für die Schnur. Binde die – Schnur an die – Pflöcke.“ Er mußte anhalten, um Luft zu schnappen. […]

Innerhalb einer halben Stunde hatte Eric aus dem Ast einer Pappel die vier Pflöcke geschnitzt und die Schnur daran befestigt. […]

„Gut!“ lobte Mr. Beck mit geschürzten Lippen. „Und jetzt nimm das Zeug, geh damit zur Südwestecke des Hauses und steck ein Feld ab.“

Eric tat es. Die helle Schnur war straff zwischen den Pflöcken gespannt.

„Klettere hinein!“ befahl Mr. Beck. […]

„Da drinnen bleibst du jetzt eine Stunde. Dann nimmst du die beiden äußeren Pflöcke heraus und steckst sie auf der anderen Seite wieder in den Boden, damit das zweite Feld unmittelbar an das erste anschließt. Kapiert?“
Eric nickte.

„Und dann setzt du dich in das neue Feld und bleibst eine Stunde drin.“ […]

„Du gehst ein Feld nach dem anderen durch“, erläuterte Mr. Beck jetzt. „Bis du den ganzen Garten kennst. Alle neunundsiebzig Felder.““

S. 60-61.


Warum tut er’s denn?

Die Frage, die sich daher ein jeder Leser, der bei Verstand ist, stellen sollte, ist: Warum tut er es dann? Warum lässt sich Eric von Mr. Beck dazu überreden, sich je eine Stunde in ein vier Quadratmeter großes Feld des Gartens zu setzen, auf das bloße Versprechen hin, dass es interessant sein werde?

Die erste Antwort, die mir dazu einfällt, ist, dass Eric überall sonst ja auch nichts lernt. Er riskiert also nichts weiter als einen Teil seiner Lebenszeit, wenn er diesem möglicherweise verrückten alten Mann ein Stück weit folgt. Es fallen keine weiteren Kosten für ihn an.

Was die Kosten betrifft, hat vor allem die Schule Eric weit ins emotionale und existenzielle Minus gedrückt. Zuerst einmal dadurch, dass er in ihr nichts gelernt hat, was seinen Lernbedarf und sein Lernbedürfnis befriedigt hätte. Um sich für diese Misshandlung zu revanchieren hat Eric, gemeinsam mit einem Freund, die Fenster des Schulhauses mit Steinen eingeschossen.

Die Gesellschaft hat die Handlung der beiden Jugendlichen freilich nicht aus dieser Perspektive und mit Nachsicht interpretiert. Seitdem müssen Eric und Bones sich alle zwei Wochen (jeder für sich) bei Polizeiinspektor Nolan melden. Sie stehen unter Bewährung. (Übrigens scheint die Schule, an der sie sich gerächt haben, so etwas wie eine Junior High School zu sein – fest steht jedenfalls, dass nach den Sommerferien der Aufenthalt in einer weiteren Schule auf Erics Lebensprogramm steht.)

DIE SCHULE

„Die Geschichte war knapp vor Schulschluß passiert. Bones und er waren in Larrys Restaurant gewesen, hatten sich dann auf die Räder gesetzt und waren losgebraust: mit einer Mordswut im Bauch, ohne besondere Absicht, einfach genervt von dem Gedanken an die Schule und die Zukunft ganz allgemein. Und sie mußten den Druck irgendwie loswerden. So waren sie dahingeradelt, und plötzlich starrten ihnen in der Abenddämmerung die Fenster des Schulhauses entgegen. Ihre Schule, von der sie nun bald abgehen würden. Ihre Schule, in der man sie gedemütigt, verraten und schamlos ausgenutzt hatte.“

S. 12.

 

Erics soziale Umwelt

Die soziale Situation, in der Eric steckt und, wie jeder Jugendliche, gefangen ist, erinnert mich an mein eigenes Heranwachsen (obwohl ich in einem ganz anderen sozialen Milieu aufgewachsen bin), und ich mutmaße deshalb, dass sie in den wesentlichen Zügen oder Rahmenbedingungen typisch für das männliche Geschlecht der menschlichen Rasse ist.

Wenn ich versuche, diese soziale Situation zu charakterisieren, dann würde ich sie als einen Mangel, beziehungsweise eigentlich: als ein absolutes Fehlen an Ansprechpartnern/Bezugspersonen beschreiben, mit denen man sich als junger Mann über seine eigenen Erfahrungen und Zukunftspläne austauschen kann.

Gehen wir die wichtigsten Bezugspersonen in Erics Leben der Reihe nach durch.

 

1. Die Mutter

Erics Eltern sind wohlhabend, sie wohnen in einer „guten“ Wohngegend. Armut ist also nicht schuld an Erics sozialer Verwahrlosung. Von Erics Mutter erfahren wir, dass sie sich so intensiv für verschiedene Wohlfahrtskomitees engagiert, dass ihr die Zeit für die Hausarbeit abgeht. Erics Mutter ist ein Fixstern im gesellschaftlichen Leben der Stadt, aber ein Komet in Erics Leben – jemand, der mal schnell hastig vorbeiläuft und dabei den Kopf schon wieder bei anderen Dingen hat. Eine Ansprechpartnerin ist die Mutter für Eric nicht.
Diese Beschreibung mag wie ein Vorwurf gegen die Mutter klingen, aber das würde zu kurz greifen: Zu hinterfragen wäre nämlich auch dieses soziale Spiel von Wohlfahrtskomitees und Dinner Partys, das eine Gesellschaft wie die amerikanische veranstaltet, um die Rolle der Frau in der Gesellschaft aufzuwerten und das für die Frauen in der Folge auch mit Zwängen (jedes Mal dabei sein zu müssen) verbunden ist. Möglicherweise hat die Mutter die Alternativen, sich entweder aus dem ganzen Wohlfahrts-Business herauszuhalten – dann hat sie Zeit, aber keine sozialen Beziehungen – oder sich heftig darin zu engagieren – dann hat sie soziale Beziehungen, aber für nichts sonst Zeit mehr.

DIE MUTTER

„Auf dem Frühstückstisch standen die Teller und Gläser und warteten auf die Haushaltshilfe, die nun jeden Tag kam, seit Erics Mutter pausenlos für ihre zahllosen Wohlfahrtskomitees unterwegs war.“

S. 14.

„Seit sie sich in den vielen Komitees engagierte, gab es kaum noch einen Abend, an dem sie nicht zu einer Dinner Party mußte.“

S. 52.

 

2.Der Vater

Erics Vater ist Börsenmakler. Er hat also einen Beruf, den nicht jedermann hat. Trotzdem schafft er es nicht, für Eric ein Rollenvorbild zu sein. Ganz im Gegenteil: Was Eric von seinem Vater wahrnimmt, ist, dass er von seiner Arbeit aufgefressen wird. So hat er sich zum Beispiel eine Heimwerkerausrüstung gekauft, nur um kurz danach festzustellen, dass er für dieses Hobby ohnehin keine Zeit hat. Erics Vater hat aber nicht nur keine Zeit für ein Leben neben der Arbeit, er hat vor allem keine Energie dafür. Wenn er von der Arbeit heimkommt, ist er gerade noch zum Fernsehen fähig.

Es ist kein Wunder, dass Eric, wenn er seinen Vater betrachtet und sich fragt: „Welches Leben möchte ich in Zukunft einmal führen?“ – sagt: „Nein, danke! So ein Leben will ich nicht.“

Und ich glaube, so geht es den meisten Söhnen mit ihren Vätern. Es scheint gerade so zu sein, als hätte die Gesellschaft keine attraktiven beruflichen Positionen anzubieten. Warum kann es nicht so sein, dass Eric stolz ist, dass sein Vater Börsenmakler ist und es nicht erwarten kann, diesen Beruf einmal selbst auch zu ergreifen? Haben wir es hier nur mit der Unfähigkeit eines Vaters zu tun, seinem Sohn die Vorzüglichkeit und das Privileg seines Berufs und der damit verbundenen sozialen Stellung zu kommunizieren? In dem Fall würde die „Schuld“ beim Vater liegen.

Trotzdem ist es erstaunlich: Wir haben es hier mit einem Vater zu tun, der einen guten Beruf hat und wahrscheinlich ordentlich Geld verdient – und dennoch sieht sein Sohn ihn an und sieht dabei keine Zukunft für sein eigenes Leben.

DER VATER

„Auf dem Schoß hatte er ein kleines Notizbuch und den Taschenrechner liegen. Er hämmerte auf die Tasten ein und war ganz in seine Arbeit versunken; wahrscheinlich berechnete er Aktienkurse.“

S. 49.

„Dort befand sich die komplette Heimwerkerausrüstung, die Vater letztes Jahr in einem Anfall von Enthusiasmus gekauft hatte, um sich ein neues Hobby zuzulegen. Wie üblich hatte der Eifer kaum eine Woche angehalten, bis Vater erkannte, daß ihm nach der täglichen Arbeit für nichts anderes Zeit blieb, als zu essen und dann im Halbschlaf vor dem Fernseher zu hocken.“

S. 76.

 

3. Der kleine Bruder

Eric teilt mit seinem kleinen Bruder Roddy das Zimmer. Er hat Roddy gern, kann aber nicht mit ihm reden, weil Roddy sich in einer anderen Entwicklungsphase befindet als Eric. Roddy hat ein starkes Bedürfnis, seine motorischen Fähigkeiten zu entwickeln, und als jemand, der auch einmal eine Schule besucht hat und weiß, wie stark die soziale Stellung in der Klassenhierarchie von den sportlichen Leistungen abhängt, habe ich dafür vollstes Verständnis für Roddy.

Aber Eric ist jetzt auch einem anderen Trip: Er ist auf Sinnsuche und macht sich Gedanken über sein zukünftiges Leben. Daran aber hat Roddy kein Interesse. Roddy befindet sich, sagen wir das einmal so, noch im beneidenswerten Paradies kindlichen Spiels. Dieses Paradies ist zwar auch nicht immer lustig, aber eben doch beschränkt, derart, dass Roddy sich ohne Gedanken an die Zukunft den ganzen Sommer lang dem Ballwerfen widmen kann.

DER KLEINE BRUDER

„„Du redest überhaupt nicht mehr mit mir“, grollte Roddy.

„Der Bruder von Peter Brook – Keith heißt er und ist in der Klasse über dir -, der übt jeden Nachmittag mit ihm Ballwerfen. Deshalb kann Peter jetzt so gut fangen.“ […]

Eric blickte ihn von der Seite an. Er hätte sich Roddy gern anvertraut. Noch vor einem Jahr waren sie regelrechte Kumpel gewesen; aber in letzter Zeit hatte sich das irgendwie geändert. Es schien, als würde er immer älter und Roddy immer jünger. Sie hatten kaum noch etwas gemeinsam. Roddy interessierte sich nur noch für die Sportresultate und fürs Balltraining. […]

Sie hatten einander nichts mehr zu sagen. Der Altersunterschied war unüberwindlich.“

S. 53-54.

 

4. Die große Schwester

Mit seiner großen Schwester Susan kann Eric leider auch nicht reden. Oder sollte ich nicht besser sagen: Gerade mit ihr kann Eric überhaupt nicht reden. Susan ist sich nämlich gerade der sozialen Macht ihrer weiblichen Reize bewusst geworden, und diese Reize heben sie in eine ganz andere Liga als die, in der Eric spielt. Sie ist damit nämlich imstande, ältere Burschen für sich zu interessieren, sogar solche, die schon studieren. Damit ist sie, die kaum älter ist als Eric, ihm gleichsam schon in die Erwachsenenwelt entwischt.

Es gibt kaum eine Fähigkeit, die Eric besitzen könnte, die ihn in die Lage versetzen würde, von Studenten ernstgenommen zu werden. Susan besitzt zwar auch keine solche Fähigkeit, aber sie besitzt einen Körper, der in die Phase der Pubertät gekommen ist und weibliche Formen angenommen hat. Diese Formen reichen, obwohl Susan als pummelig und nicht als besonders attraktiv beschrieben wird, ganz und gar aus, um in ein ganz andere soziale Dimension katapultiert zu werden als Eric und um ihren jüngeren Bruder von oben herab behandeln zu können.

Man könnte definieren: Ein junger Mann ist ein Mensch, dem die weiblichen Reize eines Mädchens fehlen. Susan jedenfalls ist sich, wie aus der Beschreibung ihres Verhaltens hervorgeht, der sozialen Macht, die mit ihrer Weiblichkeit verbunden ist, bewusst. Es ist verständlich, dass sie sich mit Danny Richmond beschäftigt, weil dieser Student in der Reichweite ihres Handelns liegt, ebenso wie es verständlich ist, dass Eric sich mit den Gräsern und Insekten innerhalb von vier Quadratmeter großen Feldern beschäftigt, weil kein anderer Mensch in seiner Altersklasse oder älter für ihn erreichbar ist.

DIE GROSSE SCHWESTER

„Und jetzt fühlte er, wie sie ihn abschätzend betrachtete. Er blickte von seinem Marmeladenglas auf und war keineswegs besänftigt von ihrem Lächeln. Es war nicht amüsiert-verächtlich wie sonst; es war anders: berechnend, analysierend. Susan wollte etwas von ihm.

Er hatte sich nicht geirrt. Plötzlich schnurrte sie: „Tust du mir einen Gefallen?“ Den Tonfall kannte er; so sprach sie mit ihren Eroberungen.

„Das kommt darauf an“, erwiderte er vorsichtig.

„Wenn du Danny Richmond siehst, bestell ihm einen Gruß von mir.“

Danny Richmond war Badewärter im Schwimmbad – ein Student, groß, schlank und blond.“

S. 56-57.

 

5. Die Nachbarin

Auch die Nachbarin, Mrs. Wilson, bietet ein Bild der Wohlstandsverwahrlosung. Sie stellt für Eric gewiss auch ein Hinweis dafür dar, dass Wohlstand die Lebensprobleme eines Menschen nicht lösen kann, denn Mrs. Wilson hat alles, was sie zum Leben braucht, aber es geht ihr nicht gut.

Umgekehrt hat Mrs. Wilson aber auch alle Zeit der Welt, und sie hätte also etwa die Zeit für die Heimwerkerausrüstung, die Erics Vater fehlt. Aber sie unternimmt nichts. Wiederum erhebt sich die Frage nach Frauen- und Männerschicksalen: Können wir uns einen Mann vorstellen, der das gleiche Verhalten wie Mrs. Wilson – nur ohne lackierte Zehennägel – an den Tag legt? (Oder spielt Mrs. Wilson eben die Rolle einer reichen Frau, die sie deshalb spielen kann, weil sie einen reichen Mann hat, und zwar einen, der möglicherweise deshalb nie da ist, weil er mit Geldverdienen beschäftigt ist?)

MRS. WILSON

„Mrs. Wilson war etwa in Mutters Alter, aber kinderlos; eine reiche Frau, deren Mann sich selten blicken ließ. Sie tat ihm leid: eine gelangweilte Person mit Sommersprossen und lackierten Zehennägeln, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatte, als unter einem Sonnenschirm im Garten zu sitzen und sich mit Whisky vollaufen zu lassen.“

S. 76-77.

 

6. Die Bande

Was wäre die Alternative zu den Mitgliedern seiner Familie? Die Alternative wäre natürlich, dass Eric die Kameradschaft mit gleichaltrigen Burschen sucht. Das erschiene uns erwartbar und verständlich. Das tut Eric auch, indem er Aufnahme in eine Bande findet, die aus Zap, Horse, Superkool und Bones besteht. Aber das bringt ihm kein Glück. Seine Freunde wissen nämlich, ebenso wie er, nichts vom Leben. Das einzige, das sie wissen ist, dass ihnen dieses Leben, das ihnen von der Gesellschaft vorgesetzt wird (die Schule, das Vorbild ihrer Eltern etc.) auf den Kecks geht, und sie suchen Mittel und Wege, um daraus auszubrechen.

Einmal wollen sie Haschisch rauchen, dann tauchen sie ein kleines Mädchen im Schwimmbad unter, dann trinken sie Whisky in der Umkleide des Schwimmbads. Es sind das alles Aktivitäten, die sie in die Kritik der ehrbaren Bürger der Stadt und in die Nähe der Kriminalität bringen. Tatsächlich haben sie auch eine Hochachtung vor Kriminellen, weil sie in ihnen Tugenden wie Mut, Stärke und Entschlossenheit sehen.

Wieder muss ich sagen: Man kann sich nicht genug darüber wundern, denn die Väter von Horse und Superkool sind Rechtsanwälte. Sie sollten von ihren Söhnen bewundert werden, denn sie gehören zu denjenigen, die es in der Gesellschaft geschafft haben. Doch ihre Söhne schauen nicht zu ihnen auf; ganz im Gegenteil: ihre Söhne können sich nicht vorstellen, in ihrem Leben einmal denselben Weg zu gehen wie ihre Väter.

Das was ihre Väter machen, sieht in den Augen ihrer Söhne einfach nicht attraktiv aus. Wieder stehen wir vor der Wahl: Ist diese Gesellschaft so pathologisch, dass dasjenige, was bewundernswert ist, nicht als bewundernswert wahrgenommen wird, und dasjenige, das verabscheuungswürdig ist, als attraktiv erscheint, weil es von der kleinlichen Welt, in der man sich gefangen fühlt, zu befreien verspricht? Oder sind die Väter von Horse und Superkool unfähig, ihren Söhnen die Werte zu vermitteln, die mit ihrer beruflichen Stellung verbunden sind, und sie für das zu interessieren, womit sie sich den Großteil ihrer Lebenszeit beschäftigen?

HORSE UND SUPERKOOL

„…die Bande traf sich Tag für Tag – meist in Larrys Schnellimbiß – bei einem Hamburger und einer Coca-Cola. […] Wer einmal den täglichen Treff in Larrys Restaurant versäumte, wurde unweigerlich anderentags zur Rede gestellt: „Wo bist du gewesen?“ […]

Er [Eric, Anm. philohof] bemühte sich vor allem, guten Eindruck auf Superkool zu machen, denn der galt mehr als Horse, obwohl Horse um einen Kopf größer war.

Superkool war kräftig und muskulös. Er trug sein blondes Haar betont lang, und die Art, wie er sich gab, bewirkte zwangsläufig, daß man ihn ernst nahm. Er hatte immer ein Messer bei sich, und prahlte, daß er es jedem in den Leib rennen würde, der ihm vor die Klinge käme.“

S. 5-6.

 

7. Mr. Beck

Es ist kein Wunder, dass sich Eric angesichts des Fehlens realer Vorbildfiguren mit der Zeit Mr. Beck zum Vorbild nimmt. Aber diese Fährte führt meines Erachtens in die Irre. Mr. Beck, der alte Herr, der Eric „lehrt“, seinen „Garten zu sehen“, bietet sich ihm nämlich gar nicht als Vorbild an. Im Gegenteil, er behandelt ihn ziemlich schroff und distanziert. Man kommt fast auf den Gedanken: Eric befindet sich nur deshalb in seinem Garten, weil er sonst niemanden hat, zu dem er gehen könnte.

Tatsächlich lässt ihn Mr. Beck zu ihm kommen, und Mr. Beck redet mit ihm, solange Eric bereit ist, seinen merkwürdigen Befehlen Folge zu leisten.

MR. BECK

„Er war ein einsamer Held, wie Mr. Beck, einer, den die feine Gesellschaft mit Verachtung straft. Er hatte keine Lust, ein Börsenmakler zu werden wie sein Vater, ein Rechtsanwalt wie der Vater von Horse und Superkool, oder sonst irgendein stinkanständiger, ehrsamer Bürger.“

S. 90.

 

Die Suche nach sozialen Krücken oder die Anerkennung des Alleinseins

Hier ist auch der Punkt, an dem ich glaube, dass viele LeserInnen in der Interpretation dieser Geschichte fehlgehen. Ich habe nämlich, wie üblich, wieder einige Rezensionen auf goodreads.com und Amazon.com gelesen und erfahren, dass die meisten Menschen offenbar glauben, es gehe darin um die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen einem jungen Burschen und einem 82 Jahre alten Mann.

WAS ANDERE LEUTE ÜBER DAS BUCH SAGEN.

“Then one day he meets mister Beck. While nobody wants Solo to hang with this old man (82), Eric doesn't care. Beck is his friend, his only friend, and he won't let him go. This is a story about friendship, patience and seeing the world beyond yourself.”

(Ilja, 6. Nov. 2019)

„However, the book communicates valuable themes about making cross-generational friendships, not judging a person by his past, and of connecting with nature.”

(Sheila, 4. März 2017)

“This is a book that I stumbled upon while in Middle School a little over 30 years ago. I fell in love with the book then because the message that it provides the reader with regarding perspective is, in and of itself, a good reason to read the book. There are other tween themes, elderly themes and the overarching theme of friendships of all shapes and sizes.”

(Rejennevate, 13. Februar 2019)

“The 79 Squares is a poignant coming-of age tale about friendship, love and trust.”

Auf google.books

 

Die Frage ist, warum die meisten LeserInnen die Botschaft die Buchs soweit verfehlen? Die Antwort auf diese Frage scheint mir folgende zu sein: Wir können es uns nicht vorstellen, dass ein Mensch innerhalb der Gesellschaft allein und isoliert, sozusagen intern ausgestoßen sein könnte. So etwas ist nicht nur „unerhört“, es ist auch undenkbar. Wir können uns das nicht vorstellen. Wir haben keine Konzepte dafür. Es fehlen uns die entsprechenden Erzählungen dazu, auf die wir uns beziehen und mit denen wir diese Erfahrung vergleichen könnten. Deshalb denken die allermeisten Menschen, es müsse immer um Beziehungen gehen. Eine Erzählung könne gar keinen anderen Inhalt haben als Beziehungen.

Meiner Auffassung nach handelt dieser Roman davon, dass ein junger Bursch im Garten eines fremden Mannes in innere Klausur geht, weil ihm die Menschen seiner Umgebung gar keine andere (das heißt: bessere) Möglichkeit lassen. Es handelt davon, dass ein junger Mann von einem Ex-Sträfling dasjenige lernt, was dieser in 40 Jahren Gefängnis gelernt hat:

SICH KONZENTRIEREN

„„Kein Grund zum Staunen, Eric. Wenn man vierzig Jahre lang eingesperrt ist, lernt man, was es heißt, sich zu konzentrieren. Entweder man lernt es, oder man dreht durch. Meine Zelle war winzig klein; also habe ich gelernt, sie auszuweiten.“ Mr. Beck breitete seine zitternden Arme aus, als wolle er damit den ganzen Garten umfassen. „Ich habe mich in der Zeit und im Raum verloren.“
Er blinzelte Eric prüfend zu. „Kannst du dir eigentlich vorstellen, wovon ich spreche?“

„Nicht genau.“

„Das denke ich mir. […]“

S. 46.

Die Botschaft des Buchs ist außerdem, dass Eric es auch lernen muss, sich zu „konzentrieren“, weil seine Situation nicht besser ist als die eines Gefangenen, obwohl er nicht im Gefängnis ist und gegenwärtig sogar Sommerferien hat.

Wenn ich weiter darüber nachdenke, warum die LeserInnen das Buch nicht begreifen, dann stelle ich mir auch die Frage: Wer kann es überhaupt begreifen. Ich bezweifle, dass es junge Mädchen und Frauen begreifen können, denn ihnen geht es (oder ging es) wie Susan, Erics Bruder: In der Pubertät entwickelten sich ihre weiblichen Reize, und die Burschen – sogar die um einige Jahre älteren – beginnen sich für sie zu interessieren. Sie machen die Erfahrung, dass sie begehrt werden, ohne etwas dafür tun zu müssen – einfach deshalb, weil sie von Natur aus anziehend sind.

Ja, und die Burschen oder Männer, die dieses Buch gelesen haben? Sie könnten genau dieselbe Erfahrung der Isolation wie Eric gemacht haben, aber ohne sie zu verstehen. Und was die (mittlerweile) erwachsenen männlichen Leser betrifft: Sie könnten diese Erfahrung gemacht haben aber heute denken, sie in der Zwischenzeit überwunden zu haben. Denn, wie gesagt: Es ist in unserer Gesellschaft völlig undenkbar und unvorstellbar, so etwas wie eine überflüssige Drohne im Bienenstock der Menschheit zu sein, sodass man diese Idee am liebsten so schnell wie möglich vergisst, wenn sie einen einmal überraschend besucht hat.

Normalerweise geht der unbeliebte Mensch ja so vor: Sobald er merkt, dass er mit seinen körperlichen Eigenschaften seine Mitmenschen nicht begeistern kann, sucht er sich „soziale Krücken“. Er liest sich zum Beispiel Wissen an, damit Menschen, die nicht an seinen Lippen hängen, weil sie sich sexuell von ihm angezogen fühlen, zumindest deshalb mit ihm reden, weil er etwas Interessantes zu erzählen hat. Er memoriert ein paar Witze, um unterhaltsam zu sein oder beginnt, etwas zu sammeln, um sich interessant zu machen. (Oft geht das schief, und er sammelt etwas, das nur ihm allein gefällt.) Später einmal ergreift er einen gutbezahlten Beruf und macht Karriere. Er strebt nach Wohlstand und nach Aufstieg in der sozialen Hierarchie, um auf diesem Weg zu erreichen, was ihm immer verwehrt geblieben ist: von den anderen Menschen gemocht zu werden.

Aber er wird natürlich auch weiterhin nicht gemocht; gemocht werden nur seine sozialen Krücken und seine Nützlichkeit für andere Menschen. Sobald sie eine Familie gegründet und sich dadurch, nach traditioneller Auffassung, sozial stabilisiert haben, glauben viele Männer, sie würden nun ihrer selbst wegen geliebt. Sie seien endlich „angekommen“, sie seien auch Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft geworden. Aber insgeheim haben sie natürlich trotzdem Angst: „Was, wenn ich meinen Job verliere? Was, wenn ich meine Nützlichkeit verliere oder gar für meine unmittelbaren Mitmenschen zur Belastung werde?“

Sie könnten, mit Mr. Beck, ganz einfach einsehen, dass sie allein sind. Aber zu diesem Gedanken fehlen ihnen, wie ich ausgeführt habe, die sozialen Interpretationsinstrumente. Immer wird uns gesagt, der Mensch sei ein „soziales Wesen“, was dazu führt, dass die Menschen nicht lernen, diejenigen sozialen Phänomene wahrzunehmen, die gegen diese Überzeugung sprechen.

Mit dem Fehlen von Ansprechpartnern/Bezugspersonen für Eric habe ich ein solches Phänomen beschrieben. Aber auch auf der anderen Seite von Erics Alleingelassenheit spielt sich dasselbe Elend ab: Erics Freunde, denen es genauso geht wie ihm und die keinerlei Zukunft für sich sehen, wenn sie ihre Väter und deren Berufe betrachten; oder Erics Vater und die Väter seiner Freunde, die ihre Beziehung zu ihren Söhnen schon verloren haben, weil sie fortwährend mit „Krückensammeln“ beschäftigt sind, um von den Anderen als respektable Mitglieder der Gesellschaft respektiert zu werden.

Könnte es sich denn bei all diesen Formen von fehlender oder scheiternder Kommunikation nicht um erwachsene Männer handeln, die aus einer gefestigten Identität als „unbeliebte Menschen“ heraus nach sozialem Anschluss suchen (und das genaue Gegenteil damit erreichen)?

Erics Freunde und er können sich noch nicht vorstellen, dass sie einst auch in dieses fürchterliche männliche Schicksal des unbeliebten Menschen hineinmüssen – doch sehr wohl: sie müssen. Was ich damit sagen will, ist, dass Männer diesen Weg der sozialen Isolierung und Vereinsamung gehen, ohne ihn zu begreifen, weil er so eine „Das-kann-doch-nicht-sein-Idee“ darstellt, und dass sie in der Folge immer wieder in die Auffassung „Wir sind doch alle soziale Wesen und Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft!“ – zurückfallen. Aus dem Grund muss Malcom J. Bosses Buch verständlicherweise für die allermeisten Menschen unverständlich bleiben. Umso überraschender und eigentlich völlig unbegreiflich ist es, dass es überhaupt geschrieben worden ist!

Wahrnehmungen kann man nicht teilen

Einen Höhepunkt hat das Buch für mich an der Stelle, an der Eric auf einen Baum klettert und den Garten von Mr. Beck während eines heftigen Gewitters beobachtet. Wieder würde man sagen: Warum sollte jemand, der bei Verstand ist, so etwas tun? Nun, Malcom J. Bosse erklärt nichts, aber er stellt einiges Merkwürdige vor den Leser hin, das dieser so oder auch anders interpretieren kann.

Der/die LeserIn könnte sich zum Beispiel sagen: „Eric hat den Garten Mr. Becks bereits viele Stunden lang bei Sonnenschein betrachtet, jetzt möchte er ihn einmal – zur Abwechslung – bei Regen sehen.“ Das mit der Abwechslung mag auch ein Stück weit stimmen, aber es erklärt das größere Bild nicht. Dieses größere Bild tritt dann in unser Bewusstsein, wenn wir uns wieder daran erinnern, dass Eric ja gar nichts dazu zwingt, in Mr. Becks Garten zu gehen und dort 79 Stunden in 79 Feldern zu sitzen. Das größere Bild besagt, meiner Interpretation nach, dass Eric nichts Besseres zu tun hat, als zu Mr. Beck zu gehen, dass es die am wenigsten schlechte Alternative ist, die er wählen kann.

So verhält es sich, glaube ich, auch bei seinem Entschluss, auf die Eiche zu klettern, als die ersten Regentropfen zu fallen beginnen und dort das ganze Gewitter hindurch verharrt, während in den Nussbaum ein paar Meter weiter, der Blitz einschlägt: So handelt jemand, der versucht, allein mit der Natur klarzukommen. So verhält sich jemand, der weiß, dass er allein ist und der versucht, sein Allein-Sein unter verschiedenen Umständen zu erleben und auszuhalten. So verhält sich jemand, der es übt, allein zu sein. (Ich glaube, Erics Schwester Susan wäre nie auf so eine Idee gekommen – dafür ist sie viel zu sehr ein „soziales Wesen“.)

Das heißt aber nicht, dass sich Eric seiner sozialen Ausgestoßenheit in vollem Ausmaß bewusst ist. Er ist schließlich auch ein Mensch, und Menschen wollen immer mitleben, sie wollen immer in Gemeinschaft leben, selbst wenn sie aus der Behandlung, die andere ihnen angedeihen lassen, lernen könnten, dass sie de facto nicht mehr Mitglieder einer Gemeinschaft sind. So kommt es, dass Eric, nachdem es zu regnen aufgehört hat, ein schlechtes Gewissen hat, weil er Mr. Beck während seines aufregenden Erlebnisses auf dem Baum vollkommen vergessen hat.

Doch Mr. Beck rückt ihm den Kopf zurecht, indem er Eric erklärt, es sei unmöglich, jemand anderen mitzunehmen, wenn man etwas wahrnimmt. Die Wahrnehmung sei ein ganz subjektiver, persönlicher Vorgang der Weltaneignung, der andere Menschen ausschließt. Man bedenke nur einmal die Relevanz dieser Behauptung in einer Gesellschaft wie der unseren, die versucht, alles zu vergemeinschaften, auch die Wahrnehmung, indem uns beispielsweise weisgemacht wird, wissenschaftliches Wissen sei solches, dass von mehreren Menschen übereinstimmend wahrgenommen worden sei. Die Wissenschaft glaubt, uns damit etwas Gutes zu tun; in Wirklichkeit nimmt sie uns aber unsere Wahrnehmungen weg (das heißt unser Anrecht auf unsere eigenen Wahrnehmungen).

Mr. Beck reagiert da ganz anders, er sagt, sein Garten „gehöre“ Eric, weil niemand sich bis dahin die Zeit genommen habe, ihn so genau zu betrachten, wie Eric das getan hat. Aber das alleinige Eigentum der eigenen Wahrnehmungen hat natürlich auch seinen Preis: Eric kann sie nicht mit anderen Menschen teilen. Er kann ja nicht einmal irgendjemandem in vernünftiger Art und Weise erklären, was er in Mr. Becks Garten gemacht hat, denn er weiß: Es klingt zu verrückt; niemand würde es verstehen! Superkool hat Eric in Mr. Becks Garten beobachtet, aber was könnte Eric ihm erzählen? Er könnte anfangen, ihm die Angelegenheit zu erklären – aber bis zum Ende versteht sie Eric selber nicht.

JEMAND ANDEREN IN DIE EIGENEN WAHRNEHMUNGEN MITNEHMEN WOLLEN

„„Wie ist das? Wolltest du mich – mitnehmen?“ Mr. Becks Stimme klang fest, kalt, vorwurfsvoll. „Weißt du denn nicht, daß das unmöglich ist? Wenn du etwas siehst, dann siehst du es. Du kannst andere nicht mitnehmen, Eric. So wie ich dich nicht in meine Bilder mitnehmen kann, die dir nicht gefallen.“

Eric wollte protestieren, aber Mr. Beck hob abwehrend die Hand und brachte ihn zum Schweigen. „Du magst meine Bilder nicht“, stellte er fest. „Warum solltest du sie auch mögen? Sie sind das Ergebnis meiner Betrachtungen. Ich habe viel Zeit dafür aufgewendet, das Gefängnis zu sehen. Also gehört das Ergebnis mir – so, wie dieser Garten dir gehört. Ich habe dir nur einen Weg gezeigt und eine Gelegenheit geboten, mehr nicht. Versuche nicht, mich mitzunehmen. Was du siehst, gehört dir.“

S. 137.

 

Im Titel meines Aufsatzes habe ich dieses Buch als „phänomenologischen Jugendroman“ bezeichnet. In der Phänomenologie geht es ums Wahrnehmen, um die eigene Anschauung. In Malcom J. Bosses Roman Ein Garten so groß wie die Welt geht es meiner Auffassung nach um den notwendigen Grad an Vereinsamung und Entsozialisierung, der Vorbedingung dafür ist, dass ein Mensch damit beginnen kann, die Dinge genau anzuschauen, dass er damit beginnt, wie Mr. Beck sagt, sich zu „konzentrieren“.

(An dieser Stelle darf ich eine Spitze gegen die Phänomenologie nicht vergessen: Sie wird als eine -logie bezeichnet, und schon von ihrem Gründer, Edmund Husserl, wurde sie als eine -logie bezeichnet, weil man nicht verstanden hat, dass Wahrnehmungen nicht auf andere Personen übertragbar sind. "Phänomenologie" hat so ungefähr die Bedeutung: "Wir nehmen alle gemeinsam zur selben Zeit dasselbe wahr." Aber so funktioniert die Wahrnehmung von Phänomenen eben genau nicht. Man hat die Phänomenologie also schon ganz von Anfang an grundverkehrt aufgesetzt.)

Damit ein Mensch beginnen kann zu schauen, muss er aus seinen Beziehungen zu anderen Menschen herausfallen, er muss auf sich selbst zurückfallen. Die Dinge anzuschauen ist, wie auf unabsehbar lange Zeit in einem Gefängnis eingesperrt zu sein. Man muss aufhören, ein Mensch zu sein, ein Mensch unter Menschen zu sein, auch wenn das ein ganz unvorstellbarer Gedanke ist. Man muss auf das fortwährende zerstreuende Geschwätz der Menschen verzichten und ist dadurch gezwungen zu schauen. Man muss tatsächlich dazu gezwungen sein, denn wenn man Spaß mit seinen Freunden haben kann, dann macht man lieber etwas anderes als zu schauen.

© helmut hofbauer 2020