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Vor dem sozialen Tod kann dich nur eine Frau bewahren!

Rezension von: Nick Hornby: High Fidelity Penguin Books, London 2000 (1995).

20.6.2020

Helmut Hofbauer

Cover: Nick Hornby: High Fidelity

Themenverfehlung

Den Roman High Fidelity hatte ich zu lesen begonnen, weil ich mir erhofft hatte, darin eine Reflexion über die Probleme von Männern, die Musikliebhaber sind und eine Plattensammlung besitzen, mit Frauen zu finden oder eine Darstellung der Reaktionen von Frauen auf Musikliebhaber und andere Sorten von Nerds (also von Männern, die irgendein spezielles Hobby/Interesse haben und darin ein gewisses Spezialistentum erlangt haben.)

Meine Erwartungshaltung wurde enttäuscht; davon handelt das Buch nicht. Wovon das Buch handelt, wurde mir erst langsam, Schritt für Schritt klar, zuerst auf Seite 171 (von 245) und dann, mit aller Deutlichkeit, auf Seite 188. Die Seiten nach 188 kann ich nur mehr als „Gehirnwäsche“ bezeichnen. Auf diesen letzten 50 Seiten wird der Hauptperson, dem nun 36jährigen Rob Fleming, der Kopf gewaschen und alles Unangepasste an ihm wird angepasst gemacht.

Zusammenfassung des Buchinhalts

So, wovon handelt dieses Buch nun?

High Fidelity handelt davon, so könnte man es zusammenfassen, dass ein jeder Mann, sobald er ein bestimmtes Lebensalter erreicht hat (spätestens mit 35 Jahren) eine feste Beziehung zu einer Frau braucht, weil er sonst seltsam wird. Er driftet sonst ab und entfernt sich immer weiter vom Normalen und von den normalen Leuten. Aus diesem Grund kann er dann nur noch Beziehungen zu anderen Spinnern unterhalten. Doch diese Beziehungen zu anderen Spinnern tragen nicht, weil Spinner Verlierer sind, die gerade aus diesem Grund spezielle Interessen entwickelt haben, weil sie eben im normalen Leben nicht Fuß fassen konnten.

Die zentrale These des Buchs

Die zentrale These von High Fidelity ist also, dass ein Mann von 35 Jahren eine Frau braucht, weil er sonst gar keine Freunde mehr hat. Weil sich alle seine Beziehungen zu anderen Menschen, die er auf der Basis von gemeinsamen Interessen aufgebaut haben, mit der Zeit auflösen, weil sie dem Druck des Lebens nicht standhalten können.

Meine Reaktion auf diese These ist: Vielleicht hat er ja recht! Möglicherweise stimmt das ja. Schließlich mache ich, männlich, 47 Jahre alt, Single, auch Erfahrungen von der Art: Freunde von früher sind beschäftigt mit ihren Jobs und ihren Familien und hören auf, sich zu melden. Die Frage ist aber, ob das ein „Naturgesetz“ des menschlichen Lebens ist oder eine Eigenschaft, die für unsere heutige Gesellschaft spezifisch ist?

Ich will damit sagen: Wenn es zum Beispiel in einer Gesellschaft eine Normalarbeitszeit von 40 oder 38,5 Wochenstunden gibt, dann ist das eine Rahmenbedingung, die bestimmte Arten von menschlichen Beziehungen ermöglicht und andere verunmöglicht oder zumindest erschwert. Und das ist ja nur eine von den Rahmenbedingungen, die unsere heutige Gesellschaft den Menschen vorgibt.

Jedenfalls musste ich bei der Geschichte, als Rob seinen 36. Geburtstag feiern will und keine Freunde findet, die ihn mit ihm feiern wollen (weil er in der Zwischenzeit den Freundeskreis seiner Freundin Laura übernommen und seinen eigenen aufgegeben hat), an Sokrates denken, dem es gelang, über Altersgrenzen hinweg mit den besten jungen Männern Athens zu verkehren und über Fragen zu diskutieren, die ihn interessierten, ohne dass seine Frau Xanthippe maßgeblich dafür verantwortlich gewesen wäre, Sokrates‘ soziale Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Wenn Nick Hornby recht hat, dann dürfte so etwas wie Sokrates überhaupt nicht möglich sein – oder zumindest ist es heutzutage nicht mehr möglich. Vielleicht war es damals, vor mehr als 2400 Jahren möglich, weil Athen eine kleine, übersichtliche Gemeinschaft war und Sokrates ein Mitglied dieser Gemeinschaft, während das London von heute ein anonymer Ameisenhaufen ist, in dem es keine Zugehörigkeit gibt, sondern nur Menschen auf der Straße.

Geburtstag mit improvisierten Freunden

Im folgenden Zitat sitzt Rob mit der behelfsmäßigen Geburtstagsrunde, die er ad hoc zusammengetrommelt hat, in einem Londoner Pub. Die Leute kennen einander nicht, es ist laut (man versteht die Hälfte von dem, was gesprochen wird, nicht), und Rob hat den Eindruck, dass diese Konstellation von Personen, die heute zufällig beisammen ist, nie wieder zusammenkommen wird, weil die eingeladenen Gäste auch gar kein Interesse aneinander haben.

Es handelt sich um Dan Maskell und Steven Butler, zwei Plattensammler, die nicht miteinander reden können, weil Dan Musik von weißen Interpreten sammelt, während Steve nur an Black Music interessiert ist. Dazu kommen Marie LaSalle, eine amerikanische Country Music-Sängerin, die seit kurzem in London ist und mit der Rob einmal geschlafen hat, und ihr Musiker-Freund T-Bone.

HOME-SICK

“It’s supposed to be women who allow themselves to become isolated by relationships: they end up seeing more of the guy’s friends, and doing more of the guy’s things (poor Anna, trying to remember who Richard Thompson is, and being shown the error of her Simple Minded ways), and when they’re ditched, or when they ditch, they find they’ve floated too far away from friends they last saw properly three or four years before. And before Laura, that was what life was like for me and my partners too, most of them.
But Laura … I don’t know what happened. I liked her crowd. […] I liked them more than I liked my own and, before I knew it (I never knew it, really, until it was too late), my relationship was what gave me my sense of location. And if you lose your sense of location, you get home-sick."

Nick Hornby: High Fidelity. Penguin Books, London 2000 (1995), S. 171.

Dieses Zitat fasst eigentlich den Inhalt des ganzen Romans zusammen: Rob Flemings soziale Existenz bricht völlig zusammen, weil seine Freundin ihn verlassen hat. Mit der zwischengeschlechtlichen Beziehung zu seiner langjährigen (8 Jahre) Freundin hat er auch seinen Ort in der Sozialwelt verloren.

Wie sieht der soziale Tod aus?

Die Lage ist also dramatisch: Rob muss Laura, die ihn verlassen hat, unbedingt zurückbekommen; andernfalls kann er sich in der Gesellschaft nicht mehr verorten.

Aber wie sieht er denn eigentlich in concreto aus, dieser Zustand des sozialen Tods, des Ausgestoßenseins? Zur Illustration dieses Sachverhalts erzählt Hornby die Geschichte vom bemitleidenswertesten Mann der Welt.

THE MOST PATHETIC MAN IN THE WORLD

“Going to the pictures aged thirty-five with your mum and dad and their insane friends does not take your mind off things, I discover. […] the most pathetic man in the world gives me a smile of recognition. The Most Pathetic Man in the World has huge Dennis Taylor-style spectacles and buck teeth; he’s wearing a dirty fawn anorak and brown cord trousers which have been rubbed smooth at the [S. 110] knee; he, too is being taken to see Howard’ End by his parents despite the fact that he’s in his late twenties. And he gives me this terrible little smile because he has a spotted a kindred spirit. […]

This, really, is the bottom line, the chief attraction of the opposite sex for all of us, old and young, men and women: we need someone to save us from the sympathetic smiles in the Sunday night cinema queue, someone who can stop us from falling down into the pit where the permanently single live with their mums and dads.”

S. 109-110.

Der bemitleidenswerteste Mann der Welt ist also einer, der seine Eltern ins Kino begleitet, weil er keine Freundin/Frau hat und offenbar auch sonst niemanden, der mit ihm ins Kino geht. Dieser junge Mann, der um die 30 Jahre alt ist, lächelt Rob, der auch mit seinen Eltern im Kino ist, an – und Rob ist entsetzt, weil der Andere offenbar gar nicht erkennt, dass es einen Unterschied zwischen ihnen gibt. Dieser Unterschied besteht darin, dass Rob eben kein permanenter Single ist, kein Mann, der dem Single-Dasein ausgeliefert ist – obwohl er zugeben muss, dass dieser Unterschied an dem konkreten Tag tatsächlich nicht sichtbar ist. Und aus dieser Erfahrung im Kino zieht Rob nun den Schluss, dass junge Männer und Frauen in erster Linie einen andersgeschlechtlichen Partner brauchen, um nicht von den permanenten Singles als Ihresgleichen angesehen zu werden.

Ehrlich gesagt, um zu so einem Schluss zu kommen und um so eine Wahrnehmung überhaupt zu machen, muss man schon von der Kultur seiner Gesellschaft entsprechend vorkonditioniert sein. Man kann durchaus auch mit seinen Eltern oder anderen Verwandten ins Kino gehen, ohne etwas in fremde Leute, die einem zulächeln, hineinzuinterpretieren. Rob Fleming erzählt seine Urteile wie ein Schulbub, der unreflektiert wiederholt, was seine Klassenkammeraden cool oder uncool finden. Das macht sicherlich auch zum Teil den sprachlichen Reiz dieses Romans aus, weil er mit dieser Haltung („Du weißt ja eh, wie das ist…!“) sehr flott erzählen kann. Aber es liefert ihn diesen Urteilen und Vorurteilen eben auch aus, indem es ihm den Freiraum nimmt, in dem seine eigene Reflexion sich bewegen könnte.

Ein weiteres Beispiel für die Übernahme fremder Werte

MAN IN A SUIT

“This man comes into the shop a buy thee Fireball XL5 theme tune for his wife’s birthday […]. And he’s maybe two or three years younger than me, but he’s well-spoken, and he’s wearing a suit, and he’s dangling his car keys and for some reason these three things make me feel maybe two decades younger than him, twenty or so to his fortysomething. And I suddenly have this burning desire to find out what he thinks of me. I don’t give in to it, of course (‘There’s your change, there’s your record, now come on, be honest, I’m a waster, don’t you?’), but I think about it for ages afterwards, what I must look like to him.

I mean he’s married, which is a scary thing, and he’s got the sort of car keys that you jangle confidently… […] I’m a bit smarter than usual today – I’ve got my newish black denims on, [….] but even so I’m patently not a grown-up man in a grown-up job. Do I want to be like him? Not really, I don’t think.”

S. 129.

Da kommt also eines Tages ein Mann in einem Anzug in Robs Plattenladen und lässt seinen Autoschlüssel sehen – und obwohl dieser Mann ein paar Jahre jünger ist als Rob, fühlt sich Rob jünger als er. Der Grund für diesen Eindruck liegt im sozialen Alter: Der Kunde Robs hat in seinem Leben schon einige Meilensteine erreicht, die allgemein mit einem bestimmten Lebensalter assoziiert werden: Ehe, berufliche Stabilisierung, Auto etc.

Da Rob in seinem Leben diese Meilensteine nicht erreicht hat, fühlt er sich „nicht erwachsen“. Aber auch hier haben wir es wieder mit derselben Situation zu tun: Rob macht eine Erfahrung, denkt aber nicht nach über sie. Er fragt sich nicht, woher diese Wertung, dass man in einem bestimmten Alter diese konkreten Kennzeichen für sozialen Status erworben haben muss, kommt. Er fragt sich nicht danach, ob das auch seine Werte sind (obwohl klar ist, dass er sie nie angestrebt hat). Und er fragt sich auch nicht danach, welche Erfahrungen mit Ehe, Beruf und Autos (vielleicht jene seiner Eltern) es gewesen sind, die ihn nach einem anderen Lebensentwurf haben suchen lassen.

Ist man nur prinzipielle dagegen oder hat man seine eigenen Werte?
Die Frage, ob Rob seine eigenen Werte hat oder ob er nur die Werte der Gesellschaft bislang abgelehnt hat, weil er, ja weil er noch zu „unreif“ für sie war, beantwortet der Protagonist im Anschluss an das Begräbnis von Lauras Vater. Er sagt, er habe bisher aus Angst vor dem Tod in einer permanenten Gegenwart gelebt.

FEAR OF DEATH

“What happened to me during the funeral was something like this: I saw, for the first time, how scared I am of dying, and of other people dying, and how this fear has prevented me from doing all sorts of things, like giving up smoking (because if you take death too seriously or not seriously enough, as I have been doing up till now, then what’s the point?), and thinking about my life, especially my job, in a way that contains a concept of the future (too scary, because the future ends in death). But most of all it has prevented me from sticking with a relationship, because if you stick with a relationship, and your life becomes dependent on that person’s life, and then they die, as they are bound to do, […] well, you’re up a creek without a paddle, aren’t you?

[…] To me, it makes more sense to hop from woman to woman until you’re too old to do it any more, and then you live alone and die alone and what’s so terrible about that, when you look at the alternatives?

[…] He sleeps with other women because he has fear of death! – well, I’m sorry, but that’s the way things are.”

S. 188-189.

Ich will nun nicht sagen, dass es dieses Phänomen des In-der-Gegenwart-Lebens, weil man das An-die-Zukunft-Denken nicht ertragen kann, nicht gibt, sondern nur, dass Hornby es verwendet, um uns eine falsche Alternative aufzuschwätzen: Die Alternative ist nicht, ob man sich nicht für bestimmte Werte entscheidet, weil man in einer permanenten Gegenwart leben will, oder ob man sich für die Werte der anderen Leute entscheidet, sondern die Alternative ist, ob man sich für die Werte der anderen Leute entscheidet oder selbst herausfindet, was man im Leben will.

philohof

Die Erkenntnis Robs aus der Einsicht beim Begräbnis von Lauras Vater ist: Offenbar habe ich es bisher bei keiner Frau ausgehalten, weil ich Angst vor dem Altwerden und dem Tod gehabt habe, also mache ich ab jetzt das Gegenteil. Aber warum das Gegenteil seiner bisherigen Verweigerung, sich im Leben zu positionieren, jetzt das Richtige sein sollte, das klärt er nicht.

Auf dass dich dein Leben lebt, anstatt dass du dein Leben lebst
Im Laufe der Lektüre von High Fidelity habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen: Hier ist jemand, der nicht bereit ist, herauszufinden, was er will, also geschieht es ihm recht, wenn er immer mehr muss.

Aber es ist nun nicht so, als hätte Rob das nicht schon früher gesagt, nämlich bereits auf Seite 59. Ich habe es mir sogar angestrichen: Er braucht mehr Ballast, um nicht abzutreiben:

BALLAST

“It’s only just beginning to occur to me that it’s important to have something going on somewhere, at work or at home, otherwise you’re just clinging on. If I lived in Bosnia, then not having a girlfriend wouldn’t seem like the most important thing in the world, but here in Crouch End it does. You need as much ballast as possible to stop you floating away; you need people around you, things going on, otherwise life is like some film where the money ran out, and there are no sets, or locations, or supporting actors, and it’s just one bloke on his own staring into the camera with nothing to do and nobody to speak to, and who’d believe in this character then? I’ve got to get more stuff, more clutter, more detail in here, because at the moment I’m in danger of falling off the edge.”

S. 59.

Wäre er im Krieg (in Bosnien war 1994 Krieg), dann wäre er beschäftigt, und die Frage, ob er eine Freundin hat oder nicht, wäre nicht so wichtig. Aber da kein Kriegsgeschehen ihn beschäftigt, beschäftigt ihn seine Freundin, die ihn verlassen hat – denn Rob hat zu wenig Belastung, er droht an der „Leichtigkeit des Seins“ zugrunde zu gehen. Was wir hier vor uns haben, ist, metaphorisch gesprochen, ein Esel, der danach lechzt, Lasten aufgeladen zu bekommen.

Die Selbstaufgabe

Dergestalt dass Rob Laura schließlich einen Heiratsantrag macht. Aber was für einen Heiratsantrag! So einen Heiratsantrag, dass verständlich ist, dass Laura nicht unbedingt begeistert ist – und auch vorerst auch nicht „ja“ sagt.

Rob sagt ihr nämlich, er habe es satt, immer übers Heiraten nachzudenken; er wolle sich wieder mit anderen Dingen beschäftigen; deshalb sollten sie heiraten, damit er es hinter sich habe.

Was daran interessant ist, ist die Umdeutung von Freiheit, die in Robs Kopf vor sich gegangen ist, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Rob wollte bisher nicht heiraten, um frei zu sein – und frei zu sein bedeutete für ihn, sich alle Optionen offen halten. Nun gibt er dem Begriff Freiheit eine neue „Bedeutung“: endlich nicht mehr übers Heiraten und über all die offenen Optionen nachdenken zu müssen.

Ein bisschen wirkt das so, als würde ein Vogel argumentieren, das Fliegen in der freien Natur sei ihm zu beschwerlich, weil man jede beliebige Richtung fliegen könne; er möchte lieber in den Käfig hinein, da bekäme er täglich Futter und hätte Zeit, sich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen. (Wir sollten also vielleicht nicht annehmen, dass der Käfig für den Vogel Unfreiheit bedeutet, und das Außerhalb-des-Käfigs Freiheit – vielleicht kann es auch umgekehrt sein.)

BEFREIUNG DURCH HEIRAT

[Rob hat gerade Laura einen Heiratsantrag gemacht.]
“’I’m just sick of thinking about it all the time.’
‘All what?’
‘This stuff. Love and marriage. I want to think about something else.’
‘I’ve changed my mind. That’s the most romantic thing I’ve ever heard. I do. I will.’
‘Shut up. I’m only trying to explain.’
‘Sorry. Carry on.’
‘See, I’ve always been afraid of marriage because of, you know, ball and chain, I want my freedom, all that. But when I was thinking about that stupid girl I suddenly saw it was the opposite: that if you got married to someone you know you love, and you sort yourself out, it frees you up for other things.”

S. 241.

Das Schlüsselwort in diesem Zitat ist natürlich “to sort oneself out” – sich „aussortieren“, sich auf die Reihe kriegen, mit sich ins Reine kommen. High Fidelity ist eine Art „Entwicklungsroman“, in dem Rob als jemand dargestellt wird, dessen Problem darin besteht, dass er sich nicht „aussortiert“ und aus diesem Grund nicht weiß, was er im Leben will. Es geht in diesem Roman nicht darum, dass ihn seine Freundin verlässt – das ist nur ein Mittel seiner sozialen Umwelt, ihn in die gewünschte Richtung zu drängen. Er wird dazu ge“nudged“, „to sort himself out”, also “to make up his mind”.

Dabei gibt es nur eine Option, wie er sich entscheiden könnte, nämlich für Ehe und Familie. Eine andere Option wird von Hornby gar nicht erwogen. Wenn sich der 36jährige Delinquent, dessen Verbrechen darin besteht, sich bisher nicht „aussortiert“ zu haben, sich ins Unvermeidliche fügt und seinen Eigenwillen aufgibt, dann kommt das dem Übertritt von einer verlängerten Adoleszenz ins Erwachsenenalter gleich.

Robs Selbstaufgabe in Bezug auf die Musik

Robs Selbstaufgabe geht aber übrigens über seine Beziehung zu Laura hinaus. Das zeigt sich, gleichsam als symbolischer Höhepunkt des Romans, als er von der Journalistin Caroline gefragt wird: „‘What are your five favourite records of all time?‘“ (S. 233) – und er weiß sie nicht mehr. (Immer wieder hat er sich ausgemalt, genau das gefragt zu werden – und jetzt weiß er sie nicht mehr!) Das Treffen mit dieser nicht ganz Journalistin, sondern Studentin, die nicht ganz für eine Zeitschrift schreibt, sondern für die Gratispublikation Tufnell Parker, die meist ungelesen weggeworfen wird, findet statt, weil Laura Robs DJ-Abend „Groucho Club“ wiederauferstehen hat lassen. (Sie hält es für das, was Rob in seinem tiefsten Inneren will, aber offenbar hat er diese Persönlichkeitsphase bereits hinter sich gelassen.)

Rob ist also schon gar nicht mehr der, als der er sich einst konzipiert hat. Man könnte es so auffassen: Die Gleichgültigkeit der anonymen Stadt gegenüber seinen Werten hat mit der Zeit auch ihm die Dinge, die er geschätzt hat, gleichgültig werden lassen.

To sort oneself out

Um zu zeigen, dass ich mir meine Interpretationen nicht aus der Nase ziehe, bringe ich Zitate. Die folgenden beiden Zitate zeigen: Die Frauen wissen gut Bescheid über die Schwierigkeiten der Männer, sich in ihr vorgezeichnetes Schicksal zu fügen. Natürlich hat Laura Rob nur verlassen, weil es ihm anscheinend unmöglich war, „to sort himself out“ (und nicht wegen dem Nachbar Ian, wie Rob glaubt, der hörbar so gut im Bett ist); und Robs Mutter weiß es auch: Es ist alles mit ihrem Sohn in Ordnung; das einzige Problem, das er hat, ist, dass er sich nicht „aussortiert“.

TO SORT ONESELF OUT (I)

[Laura:] “I left because we weren’t really getting on, or even talking, very much, and I’m at an age where I want to sort myself out, and I couldn’t see that ever happening with you, mostly because you seem incapable of sorting yourself out.”

S. 84.

Aber die in die Beziehung mit Rob heimgekehrte Laura hat ihn nun fest im Griff: Er wird sich „aussortieren“, verspricht sie Robs Mutter. Sie, Laura wird ihm schon sagen, was er zu tun hat.

TO SORT ONESELF OUT (II)

[Rob’s mother and Laura:]
“’Oh, he’s a good lad, really. I just wish he’d sort himself out.’
‘He will.’ And they both look at me fondly.”

S. 126.

Was Rob zu tun hat

Und Laura sagt es ihm, was er zu tun hat. Wie ich bereits gesagt habe, ist alles ab Seite 188 nur mehr Gehirnwäsche. Aber ich habe auch gesagt, dass Rob seine Lektion verdient. Hätte er Laura nicht danach gefragt, was er tun soll, so hätte sie es ihm nicht gesagt. Aber er war nicht bereit, es selbst herauszufinden; also muss er hören:

KEEPING YOUR OPTIONS OPEN

“’So what should I be doing?’
‘I don’t know. Something. Working. Seeing people. Running a scout troop, or running a club even. Something more than waiting for life to change and keeping your options open. You’d keep your options open for the rest of your life, if you could. You’ll be lying on your deathbed, dying of some smoking-related disease, and you’ll be thinking, well, at least I’ve kept my options open. At least I never ended up doing something I couldn’t back out of. And all the time you’re keeping your options open, you’re closing them off. You’re thirty-six and you don’t have children. So when are you going to have them? When you’re forty? Fifty? Say you’re forty, and say your kid doesn’t want kids until he’s thirty-six. That means you’d have to live much longer than your allotted three-score years and ten just to catch so much as a glimpse of your grandchild. See how you are denying yourself things?’
[…]
I’m just trying to wake you up. I’m just trying to show you that you’ve lived half your life, but for all you’ve got to show for it you might as well be nineteen, and I’m not talking about money or property or furniture.’"

S. 203.

Natürlich sagt ihm Laura nicht einfach so, was er tun soll. Er muss es schon selbst herausfinden. Aber er muss auf jeden Fall etwas anfangen, und zwar etwas, in das er sich verstrickt, sodass er sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf Jahre oder Jahrzehnte nicht mehr daraus befreien kann. Rob muss aufhören, seine „Optionen offen zu halten“, weil er sonst nichts vom Leben hat. Worauf das „Sich-Aussortieren“ rausläuft, ist, sich in lebenslängliche Abhängigkeiten zu begeben. Wer dazu nicht bereit ist, sagen die Frauen in High Fidelity, ist kein erwachsener Mensch.

Schuld an allem ist die Popmusik

Gegen Ende des Romans High Fidelity kommt Laura zu Rob zurück, und alles in Robs Leben kommt wieder in Ordnung. Er hat nun wieder Freunde, beruflichen Erfolg (den Laura ihm organisiert), und sogar mit seinen Eltern kann er jetzt wieder reden (weil sie mit Laura über ihn reden statt mit ihm): „My mum and my dad like me more, when I have someone, and they seem more comfortable; [S 225] it’s as if Laura becomes a sort of human microphone, somebody we speak into to make ourselves heard.“ (S. 224-225)

Rob hat also nun kein eigenes Leben mehr; er lebt durch Laura. Aber aus dem Grund hat er sie ja zurückbekommen wollen: Schon bei seiner improvisierten Geburtstagsfeier war ihm aufgefallen, dass er nicht mehr alleine leben kann – ohne Laura. Sein soziales Umfeld funktionierte nicht mehr ohne weibliche Partnerin.

Nun ist es so, dass das gesamte Buch ein Leitmotiv hat: Schuld an allem ist die Popmusik. Der Vorwurf lautet in etwa: Die Popmusik spielt uns allüberall permanent starke Gefühle vor. Mit solchen übertriebenen Erwartungen an seine eigenen Gefühle kann man nicht leben, zumindest hält das keine zwischengeschlechtliche Beziehung aus. Bitte, beachte, dass im folgenden Zitat schon wieder unser neues Lieblingswort „to sort oneself out“ vorkommt:

POP MUSIC

“So maybe what I said before, about how listening to too many records messes your life up … maybe there’s something in it after all. […] I’m unmarried – at the moment as unmarried as it’s possible to be – and I’m the owner of a failing record shop. It seems to me that if you place music (and books, probably, and films, and plays, and anything that makes you feel) at the centre of your being, then you can’t afford to sort out your love life, start to think of it as the finished product. You’ve got to pick at it, keep it alive and in turmoil, you’ve got to pick at it and unravel it until it all comes apart and you’re compelled to start [S. 131] all over again. Maybe we all live life at too high a pitch, those of us who absorb emotional things all day, and as a consequence we can never feel merely content: we have to be unhappy, or ecstatically, head-over-heels happy, and those states are difficult to achieve within a stable, solid relationship.”

S. 130-131.

Man muss also im Leben an das Laue und Fade gewöhnt werden; denn zwischengeschlechtliche Beziehungen sind halt nun mal nicht die ganze Zeit ekstatisches Glücksgefühl. Interessant ist, dass in dem gesamten Roman niemals die alternative Frage analysiert wird: Warum singen uns die allermeisten Popsongs von der zwischengeschlechtlichen Beziehung und stellen sie und so dar, als wäre sie die einzig mögliche zwischenmenschliche Beziehung? Sind die Popsongs nicht deshalb schuld am zwischengeschlechtlichen Beziehungsleid, weil sie alle Leute in sexuelle Beziehungen und Liebesbeziehungen hineindrängen und ihnen nicht den Urlaub der Freundschaft, Verwandtschaft oder der Kollegialität zugestehen?

In High Fidelity werden wesentliche Fragen werden nicht gestellt
Überhaupt scheint mir das Buch einiges zu versprechen, beziehungsweise Themen anzureißen, und die Versprechungen dann nicht zu halten. Mich hat es ja auch verführt: Ich erwartete darin, etwas über das Liebesleben eines DJs und Plattenhändlers zu finden und gefunden habe ich einen ziellosen Menschen, der durch die Gewalt seiner sozialen Umwelt an sein Schicksal in der Gesellschaft angepasst wird.

Dabei enthält das Buch einige interessante Beobachtungen, die es wert sein könnten, hinterfragt zu werden.

YOUNG MEN IN RECORD SHOPS

“I get by because of the people who make a special effort to shop here Saturdays – young men, always young men, with John Lennon specs and leather jackets and armfuls of square carrier bags – and because of the mail order: I advertise in the back of the glossy rock magazines, and get letters from young men, always young men, in Manchester and Glasgow and Ottawa, young men who seem to spend a disproportionate amount of their time looking for deleted Smiths singles and [S. 31] ‘ORIGINAL NOT RE-RELEASED’ underlined Frank Zappa albums. They are as close to being mad as makes no difference.”

S. 30-31.

Ja, so wie Rob von diesen jungen Männern erzählt, ist sein Urteil natürlich schon gefällt. Ich habe schon gesagt, er urteilt zu schnell, er denkt nicht nach. Dabei wäre es doch interessant zu fragen: Warum sind es denn immer junge Männer, die samstagsvormittags in Plattenläden stehen und Tonträger suchen? (Das Buch stammt aus der Tonträgerepoche; ich weiß nicht, wo es die jungen Männer heute in der Streaming- und Download-Zeit hintreibt.) Was fehlt denn diesen jungen Männern, das junge Frauen offenbar haben, das sie in die Plattenläden treibt? Welches Defizit müssen sie mit diesem Verhalten kompensieren, das junge Frauen offenbar nicht kompensieren müssen, weshalb sie samstagsvormittags in Plattenläden auch nicht zu finden sind?

Eine besonders faszinierende Beobachtung ist Nick Hornby in dem folgenden Zitat gelungen. Es würde Stoff für eine längere Reflexion geben. Er sagt, die durchschnittlichen Männer finden bald heraus, dass sie keine Topfrauen bekommen können. Aber was sie nicht so schnell herausfinden, ist, dass die Frauen, die sie bekommen können, auch ihrerseits von ihnen nicht in der Weise begeistert sein werden, wie sie von Topmännern begeistert wären. Sobald die durchschnittlichen Männer also alle Hindernisse überwunden haben und bei einer, zugegeben, ihren ursprünglichen Erwartungen nicht entsprechenden Frau angekommen sein werden, dann werden sie von dieser auch nicht besonders verliebt angeschaut werden, sondern nur relativ wenig verliebt – und es komme für die Männer darauf an, mit diesem Grad an abasement, Erniedrigung, klar zu kommen.

DER GRAD DER ERNIEDRIGUNG ZÄHLT

“Women get it wrong when they complain about media images of women. Men understand that not everyone has Bardot’s breasts, or Jamie Lee Curtis’ neck, or Felicity Kendall’s bottom, and we don’t mind at all. Obviously we’d take Kim Basinger over Hattie Jacques, just as women would take Keanu Reeves over Bernard Manning, but it’s not the body that’s important, it’s the level of abasement. We worked out very [S. 210] quickly that Bond girls were out of our league, but the realization that women don’t ever look at us the way Ursula Andress looked at Sean Connery, or even in the way that Doris Day looked at Rock Hudson, was much slower to arrive, for most of us. In my case, I’m not at all sure that it ever did.
[…] It’s not thee cellulite or the crow’s feet. It’s the … the … disrespect.”

S. 209-210.

Beziehungen in der anonymen Gesellschaft

Das große Thema, das Nick Hornby mit seinem Roman High Fidelity aufmacht, ist, ob andere Beziehungen als zwischengeschlechtliche in unserer heutigen Gesellschaft denn überhaupt noch stabil genug sind, um über Jahre aufrechterhalten zu werden. Und ich habe gesagt, dass er vielleicht mit der These Recht hat, dass das in unserer heutigen Gesellschaft nicht der Fall ist – und dass man sich als junger Mann deshalb fest mit einer Frau verbinden muss, weil man sonst gar keine Gesellschaft hat und vereinsamt und bitter wird. Allerdings ist die Frage, welchen Anteil an der Situation die menschliche Natur hat und welchen der gegenwärtige Zustand der Gesellschaft?

An und für sich ist Gesellschaft ja der Gegenbegriff zur Gemeinschaft und meint jene anonyme Anhäufung von Menschen, in der man als Individuum allein ist. Deshalb bin ich auch mit Sokrates gekommen und habe gefragt, wie er es geschafft hat, mit den jungen Männern Athens zu diskutieren, ohne dass seine Frau Xanthippe diese Sozialkontakte für ihn arrangiert hat? Nun, vielleicht spielte der Umstand eine Rolle, dass das Athen von damals eben nicht wie das London von heute eine anonyme Ansammlung von Menschen war?

Ich kann mich auch dunkel an eine Analyse von Norbert Elias über die Gelehrten in Europa vor einigen Jahrhunderten erinnern, die einander über Staatsgrenzen hinweg zahlreiche Briefe schrieben, weil es damals nur wenige Gelehrte gab und sie wussten, dass sich nur wenige Menschen für dieselben Themen interessierten wie sie selber. Heute ist es so, dass es sehr viele Gelehrte gibt und jeder von ihnen ist so extrem spezialisiert, dass die eigenen Erkenntnisinteressen für gewöhnlich nicht mit seinem Fokus übereinstimmen. (Es geht einem mit den Gelehrten also so wie es Dan Maskell und Steven Butler miteinander geht: Beide sammeln Platten, bevorzugen aber verschiedene Musikstile und können deshalb nicht miteinander reden können.)

Es gibt also immer gesellschaftliche Umstände, die zwischenmenschliche Beziehungen befördern oder erschweren – und es kann gut sein, dass heutzutage zwischenmenschliche Beziehungen, die auf gemeinsamen Interessen und/oder Tätigkeiten beruhen, nicht mehr halten – und das einzige, das noch relativ standhält (denn die Scheidungsrate liegt bei ca. 40%) die zwischengeschlechtliche Beziehung ist. Wenn das stimmt, würde das aber auch bedeuten, dass heute generell eine schlechte Zeit für zwischenmenschliche Beziehungen ist. Aber das sagen uns die Soziologen ja auch, sie nennen es „Atomisierung“ des Individuums.

Möglicherweise bringt ja das Internet eine Veränderung dieser Situation? High Fidelity spielt der Vor-Internet-Zeit, als die Städte schon groß geworden waren, aber ohne dass man irgendjemanden mit ähnlichen Interessen in ihnen hätte finden können. Heute findet man vielleicht solche Menschen, einen in Canada, den anderen in Australien, den dritten in Indien, über Internetforen. Vielleicht bricht also wieder so eine Zeit an wie jene, als die wenigen Gelehrten in Europa einander Briefe schrieben?

Vielleicht bricht sie aber auch nicht an; in dem Fall hätte Nick Hornby recht: Dann würden uns nur die zwischengeschlechtlichen Beziehungen zusammenhalten, weil zuerst das sexuelle Bedürfnis zwei Menschen zusammenbringt, die einander wenig zu sagen haben, und dann die Institution der Ehe und die gemeinsamen Kinder sie aneinander fesseln, sobald das sexuelle Bedürfnis nachgelassen hat.

Resümee

In Nick Hornbys Roman High Fidelity wird uns eine Niederlage als Sieg verkauft: Rob Fleming, der im Laufe der Jahre seine persönlichen Werte verloren hat, wird an die gesellschaftlichen Erwartungen von einem ordnungsgemäßen männlichen Leben angepasst. Dieser Vorgang wird von Hornby als ein Prozess dargestellt, in dem Rob schrittweise die Irrigkeit seines früheren Lebensentwurfs einsieht und „endlich erwachsen“ wird. Das Buch ist gleichsam eine hippe Einladung, den Kopf auszuschalten und mit dem Nachdenken aufzuhören, der wahrscheinlich viele Leute, die es gelesen haben, gern angenommen haben.

Wenn man hingegen über das Paradigma der zwischengeschlechtlichen Beziehung hinausdenkt, dann sieht man, dass Hornby vom anonymen Großstadtleben erzählt, in dem alle zwischenmenschlichen Beziehungen zerfallen und die zwischengeschlechtliche Beziehung sich den Einsamen als die einzige Option anbietet, die stark genug ist, der Erosion sozialer Beziehungen über die Zeit hinweg zumindest ein wenig standzuhalten. Gewissermaßen: Bemüh dich um eine Beziehung zu einer Frau, sonst wirst du gar keine Freunde haben!

Wenn nun Hornby über dieses Thema hätte schreiben wollen, dann hätte er thematisieren können, was ein Mensch heutzutage tut, um in der Sozialwüste Stadt seine persönlichen Beziehungen und Werte aufrechtzuerhalten anstatt in Coolness und mit fetziger Sprache auszumalen, wie einer seine Werte aufgibt, um in eine Beziehung zu einer Frau hineinzupassen.

© helmut hofbauer 2020