Bambi
und der Wolf
Rezension
von Roman Maria Koidl:
Scheißkerle.
Warum es immer die Falschen sind.
Hoffmann
und Campe, Hamburg 2010 (8. Auflage)
10.6.2019
„Anders
als Männer haben viele Frauen zudem die Neigung, zwischenmenschliche
Probleme auf sich zu beziehen,
zunächst Fehler bei sich selbst zu suchen.“
(Koidl:
Scheißkerle, S. 64)
Philosophieren
ist hinterfragen – und sonst nichts
Wenn
Sie philosophieren wollen, dann müssen Sie die Dinge
hinterfragen, sagte mein Philosophieprofessor Herbert Warnung
am Gymnasium in Horn/Niederösterreich.
„Hinterfragen“,
dieses Wort allein bringt die Methode der Philosophie zum
Ausdruck. Wir fragen nicht einfach, sondern wir hinterfragen.
„Hinterfragen“ meint: Voraussetzungen infrage
stellen. Wenn uns jemand eine Geschichte erzählt oder
eine Argumentation auftischt, dann beruhen seine Argumente
gewöhnlich auf Voraussetzungen, die nicht diskutiert
werden, weil der Autor/die Autorin meint, dass sie so klar
und offensichtlich sind, dass sie nicht thematisiert zu
werden brauchen.
Hier
setzt Philosophie an: bei dem, was „eh klar“
ist. Und zwar indem sie zeigt, dass es eben nicht klar ist.
Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang zu betonen,
dass derjenige Mensch, der hinterfragt, bereits philosophiert.
Man braucht nichts über die Geschichte der Philosophie
zu wissen und keinen einzigen großen, toten Philosophen
kennen, um philosophieren zu können. Es genügt,
die unhinterfragten Voraussetzungen unserer Gesprächspartner
infrage zu stellen, um ein echter Philosoph zu sein.
(Eine
neumodische intellektuelle Strömung hat diese Methode
auch als „Dekonstruktion“ bezeichnet, aber seien
Sie beruhigt, es bleibt das gleiche: hinterfragen.)
Scheißkerle
– ein schlaues, berechnendes Buch
Roman
Maria Koidls Buch Scheißkerle ist ein ziemlich schlechtes
Buch. Anstatt die in unserer Gesellschaft vorherrschenden
Konzepte zu hinterfragen und sie aufzuklären, wiederholt
und bestätigt es sie. Es ist damit ein Buch für
Menschen, die nicht nachdenken wollen.
Wahrscheinlich
ist damit auch sein kommerzieller Erfolg verbunden: Durch
die Senkung des Niveaus vergrößert sich die Zielgruppe.
Immerhin kann man sich durch die Lektüre des Buches
in Erinnerung rufen, welches die gesellschaftlich vorherrschenden
Vorurteile zum Thema Männer, Frauen und Beziehungen
sind.
Das
Strickmuster des Buches habe ist im Titel dieses Textes
zusammengefasst. Die Männer sind nicht nur immer an
allem schuld, das schiefläuft, sondern die Frauen sind
auch gänzlich unschuldig. Sie sind Bambis und haben
unschuldige Bambiwünsche, die keiner Fliege ein Haar
krümmen können. Die Männer dagegen sind Wölfe,
die sich immer an anderen Lebewesen vergreifen, Scheißkerle
eben.
Man
erkennt in dem Buch eine Art Geschlechterdynamik mit der
Grundstruktur: Männer haben nur Bedürfnisse, die
darauf aus sind, auf andere Personen überzugreichen,
sie zu übertrumpfen, sie auszustechen, sie zu übertölpeln
und zu benutzen, während die Bedürfnisse von Frauen
rein kooperativ, auf gegenseitiges Vertrauren, Verständigung
und Gemeinschaft ausgerichtet sind. Mit einem Wort, dass
Frauen die reinsten Engel sind. Das ist unwahrscheinlich,
schon deshalb, weil Frauen auch Menschen sind – und
es stellt sich die Frage, warum die Gesellschaft nicht dazu
bereit ist, die beiden Geschlechter realistisch zu sehen?
Denn
es ist ja keinerlei Herausforderung, Koidl selbst zu dekonstruieren.
Er widerspricht sich in dem Buch häufig selber. Das
Buch ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig. (Hingegen
werden es meine Texte es nie mit dem Erfolg von Koidls Büchern
aufnehmen können und werden infolge dessen auch von
viel weniger Menschen gelesen werden.) Koidl schlägt
bewusst nur jene Saiten an, von denen er weiß, dass
sie bei den meisten Leuten Resonanz erzeugen. Er ist nicht
dumm, sondern berechnend.
Offenbar
wollte er ein Buch schreiben, dass sich gut verkauft und
hat das geschafft, indem er die „richtigen Register
gezogen“ hat. Interessant sind also nicht Koidls Meinungen
und Argumente, sondern die Überzeugungen unserer Gesellschaft,
auf die sich Koidl bezieht, und was hinter ihnen steckt.
Warum hämmert man uns immer wieder den Wert von „Beziehung“,
„Partnerschaft“, „Kommunikation“
und „Ehrlichkeit“ ein? Was erhofft sich die
Gesellschaft davon? Brave Staatsbürger und folgsame
Arbeitnehmer?
1.
Beziehung
Unhinterfragtes
Vorurteil: Das Konzept der „Beziehung“ wird
in Koidls Buch in der bekannten und üblichen Weise
dargestellt: Frauen wollen ja nur Beziehungen. Eine Beziehung
ist etwas uneingeschränkt Positives, der Wunsch nach
einer Beziehung ist etwas Verständliches und Unschuldiges.
Männer „versündigen“ sich gegen das
positive Konzept Beziehung, wenn sie echte Gefühle
vortäuschen, in Wirklichkeit aber „nur“
Sex wollen.
Möglichkeiten
der Hinterfragung: Beim Begriff der Beziehung enden meistens
alle Diskussionen. Was kann man schon gegen Beziehung haben?
Und das Bedürfnis danach ist doch allzu verständlich:
Niemand will schließlich einsam sein. Aber ist die
Sache wirklich so klar? Gehen Menschen wirklich nur Beziehungen
ein, um sich nicht allein zu fühlen, um geliebt zu
werden? Oder versuchen sie nicht oft auch einen Vorteil
für sich daraus zu schlagen?
Das
Konzept der „Beziehung“ wird üblicherweise
so dargestellt, als ob es ein Ziel in sich selbst wäre.
Das lenkt natürlich davon ab, dass jemand mit seiner
Beziehung auch noch andere Ziele verfolgen könnte.
Was
wären andere mögliche Ziele: sozialer Aufstieg;
Statusgewinn durch Teilhabe am sozialen Status des Partners;
Zugewinn an materiellen Ressourcen; Erregung von Neid und
Bewunderung bei den eigenen Freunden/Freundinnen dafür,
dass der Partner so toll ist; Möglichkeit der Abwälzung
von unangenehmen Tätigkeiten/Problemen auf den Partner/die
Partnerin, Disziplinierung des Partners durch Verbringen
gemeinsamer Zeit, in welcher der Partner für die Erhaltung
einer positiven Stimmung verantwortlich gemacht wird.
Grundsätzlich
wäre zu fragen: Warum überhaupt eine Beziehung
und nicht eine Freundschaft? Worin unterscheiden sich die
beiden? Wenn sich eine Freundschaft dadurch auszeichnet,
dass man gemeinsame Interessen und Werte hat – ist
eine Beziehung vielleicht nicht nur ein Zusammensein, bei
dem die Partner nichts gemeinsam haben, außer dass
der Sexualtrieb sie zusammenhält?
Oder
ist Beziehung Freundschaft plus Sex? Das aber würden
viele Frauen bestreiten, und auch bei Koidl erscheinen Männer
in einem schlechten Licht, die eine Beziehung anstreben,
um Sex haben zu können. Sex ist ja ach so wertlos gegenüber
einer tief gefühlten Beziehung.
Mit
einer Beziehung ist natürlich immer verbunden, dass
sie langfristig sein muss. Denn wenn sie kurzfristig wäre,
wäre sie ja eine Affäre – und das ist schon
fast so übel und billig wie Sex. Wozu hat man schließlich
Affären? Um Sex zu haben. Umso langfristiger also,
als desto besser gilt die Beziehung. Dagegen wäre zu
sagen, dass Beziehungen nicht immer angenehm und förderlich
sein müssen. Es gibt auch ungute Beziehungen, die man
besser beendet. Insofern sind also eine missglückte
Affäre oder schlechter Sex im Vergleich zu einer unglücklichen
Beziehung durchaus im Vorteil, indem sie ein kurzes Übel
sind, die Beziehung aber ist ein langes Übel.
Worauf
bei Beziehungen auch immer wieder Aufmerksamkeit gelegt
wird, ist das Zeit-miteinander-Verbringen. Das zwecklose
Zeit-miteinander-Verbringen, ohne irgendein Ziel damit zu
verfolgen. Das einzige Ziel ist, dass beide sich (angeblich)
wohlfühlen und die Beziehung selbst dadurch gestärkt
wird. Es darf einem wohl nicht verübelt werden, dass
einem unter diesen Bedingungen der Verdacht kommt, dass
eine Beziehung in Wirklichkeit ein Dressurprogramm des einen
Beziehungspartners durch den anderen ist.
Während
bei der Freundschaft klar ist, dass man beisammen ist, weil
man gemeinsame Interessen (beispielsweise ein Hobby) hat
und jeder jederzeit nach Hause gehen kann, wenn er das Zusammensein
nicht mehr als lustig empfindet, kann man das bei der Beziehung
nicht, weil eine Beziehung ja nicht auf einer Gemeinsamkeit
aufgebaut ist, sondern auf dem inhaltsleeren Kult des Zusammenseins
selbst.
2.
Sex
Unhinterfragtes
Vorurteil: Frauen wollen auch Sex, aber sie wollen ihn meistens
nur im Rahmen einer Beziehung, in der wahre Gefühle
und Geborgenheit herrschen. Männer wollen oft möglichst
viele Frauen erobern, was letztlich ein Anzeichen dafür
ist, dass sie ein schwaches Selbstwertgefühl haben.
In jedem Fall gilt es als frivol und oberflächlich,
wenn man nur Sex haben will statt Sex als ein Element innerhalb
einer Beziehung.
Möglichkeiten
der Hinterfragung: Was mir dazu als Erstes einfällt,
ist, dass es doch heute eigentlich nicht mehr die allgemeingültige
moralische Regel ist, dass Sex nur im Rahmen von langfristigen
Beziehungen akzeptabel ist. Im Gegenteil, wir haben heute
eine Verhandlungsethik, in der Sex vertretbar ist, sobald
beide Partner ihm aus freien Stücken zustimmen. Sex
per se gilt heute also nicht mehr als schlecht (so wie damals,
in Zeiten, die noch vom Katholizismus dominiert waren).
Umso verwunderlicher ist es, dass Koidl sich nach wie vor
auf den Publikumsreflex verlassen kann, dass Sex nur im
Rahmen einer Beziehung und verbunden mit wahren Gefühlen
seinen Platz hat.
Ein
zweiter Ansatz wäre zu sagen: Wenn die Bedürfnisse
von Frauen und Männern verschieden sein sollten dergestalt,
dass Frauen Sex nur in Beziehungen erleben wollen und Männer
einfach Sex haben wollen unabhängig davon, ob sie sich
in einer Beziehung befinden oder nicht, sagt man dann dass
die Bedürfnisse von Frauen moralisch gut sind und die
von Männern nicht? Auf welcher Grundlage spricht man
den natürlichen Bedürfnissen bestimmter Menschen
moralische Qualität zu und jenen anderer Menschen die
moralische Qualität ab? Sind die Bedürfnisse mancher
Menschen besser oder schlechter als die anderer Menschen?
3.
Kommunikation
Unhinterfragtes
Vorurteil: Frauen denken in Maßstäben von Kommunikation,
Männer in Machtstrukturen. Kommunikation ist immer
gut, Machstrukturen sind böse. Mit Kommunikation strebt
man immer nur Verständigung an und die Stärkung
des gemeinsamen Projekts, der Beziehung.
Möglichkeiten
der Hinterfragung: Die Richtung der Hinterfragung drängt
sich hier von selbst auf: Kommunizieren Menschen immer nur
dazu, um Machtausübung durch Kommunikation zu ersetzen?
Oder kommunizieren sie denn nicht auch manchmal, um durch
Kommunikation Macht auszuüben? Kann man immer davon
ausgeht, dass derjenige Mensch, der nur kommuniziert, weil
er nicht handelt, weil er zu schwach oder zu ängstlich
zum Handeln ist, nur das Gute im Sinn hat, der Handelnde
hingegen, weil er einfach tut, was er will, ohne viel zu
fragen, das Böse?
Und
weiter, hat Kommunikation immer die Stärkung des Gemeinsamen
im Sinn, während Machtstreben auf den eigenen Vorteil
abzielt? Denken wir an die Ehe: Hier wird durch Kommunikation
eine Machtstruktur erzeugt. Menschen wollen ihren Beziehungspartner
heiraten, damit sie Macht über ihn ausüben können
und er ihnen nicht so leicht wieder entkommt. Aber wir müssen
nicht bis zur Ehe gehen: Auch das fortwährende Gerede
von der „Beziehung“ erzeugt eine Machtstruktur,
in der ein Beziehungspartner vom anderen Zugeständnisse
verlangen kann im Namen der Beziehung. An einer Beziehung
muss man fortwährend arbeiten, wie wir alle schon gehört
haben, das heißt Opfer bringen – und für
wen: für denjenigen von den beiden Beziehungspartnern,
der durch Kommunikation die Beziehungsziele für beide
bestimmt.
4.
Unehrlichkeit
Unhinterfragtes
Vorurteil: Ehrlichkeit und eine langfristige, für beide
Partner befriedigende Beziehung gehen Hand in Hand. Wenn
Männer Frauen Gefühle vortäuschen, um sie
ins Bett zu bekommen oder wenn sie sie mit anderen Frauen
betrügen, während sie in einer Beziehung sind,
dann „versündigen“ sie sich am Wert der
Beziehung.
Möglichkeiten
der Hinterfragung: In dem Fall konterkariert sich Koidl
selber:
„Es
beeindruckt immer, wenn ein Mann versucht, mit großem
Gerät zu vermitteln, sie sei die Frau fürs
Leben (im ersten Gespräch!), dabei geht es ihm
nur um Sex. […] Der Fairness halber muss gesagt
werden: Gäbe er zu, dass es ihm nur um Sex geht,
würden seine Chancen zum Zug zu kommen, gegen
null tendieren…“
(Roman
Maria Koidl: Scheißkerle. Hoffmann
und Campe, Hamburg 2010 (8. Aufl.). S. 39)
|
Wenn
das stimmt, dann folgt daraus, dass Männer gar nicht
die Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse ehrlich
zu äußern, wenn sie bei Frauen Erfolg haben wollen.
Und es folgt daraus, dass sie das wissen, bevor sie mit
einer Frau sprechen, die sie noch gar nicht kennen. Und
es folgt auch daraus, dass die Frauen es auch wissen, dass
Männer Sex wollen und von Liebe sprechen, um zu Sex
zu kommen.
Es
herrscht also nicht nur so etwas wie eine Nötigung
der Männer zum Lügen durch die Frauen, sondern
sogar so etwas wie eine allgemeine gesellschaftliche Konvention,
die zum Inhalt hat, dass alle Beteiligten wissen, dass beim
Anbandeln geschummelt wird, dass sich die Balken biegen.
(Warum hieße es auch sonst „eine Frau verführen“.
Wäre Ehrlichkeit im Spiel, gäbe es keine Verführung.)
Es ist wirklich schwer zu verstehen, wie bestimmten Beteiligten
in einem Spiel Unehrlichkeit vorgeworfen wird, in dem alle
Unehrlichkeit erwarten.
Gefühlskopien
aus Fernsehserien
Die
Forderung der Frauen nach wahren Emotionen bei Männern
steht übrigens auch im Gegensatz dazu, dass viele Frauen,
nach Experten Koidl, kaum in der Lage sind ihre eigenen
Gefühle ohne Fernsehvorlage wahrzunehmen. Wie können
Menschen von anderen Menschen „wahre Gefühle“
einfordern, die selbst nur zu Gefühlen aus zweiter
Hand fähig sind?
„Fast
keine Frau, mit der ich gesprochen habe, war dazu
in der Lage, Gefühle uneingeschränkt wahrzunehmen
und zu empfinden.“
(Roman
Maria Koidl: Scheißkerle, S. 208)
„Ich
habe mit Frauen gesprochen, die letztlich zugeben
mussten, sich an den Gefühlsrollen aus Gute Zeiten,
schlechte Zeiten, einer Daily-Soap, zu orientieren,
weil sie sich im Hinblick auf die Äußerung
ihrer eigenen Gefühle unsicher und unwissend
fühlten.“
(Ebd.,
S. 182) |
5.
Schwaches Selbstwertgefühl
Unhinterfragtes
Vorurteil: Männer, die Frauen täuschen und sie
mit anderen Frauen betrügen oder auch narzisstische
und sadistische Männer, die Frauen demütigen,
leiden in Wirklichkeit an einem schwachen Selbstwertgefühl.
Möglichkeiten
der Hinterfragung: Ja, das ist eine Merkwürdigkeit
des Buches: Tätern als scheinbare Erklärung für
ihr böses Handeln ein schwaches Selbstwertgefühl
zuzusprechen. Es erscheint so, als wollte Koidl die Männer,
nachdem er sie zu Schurken gemacht hat, noch nachträglich
verspotten: Sie sind Halunken, aber nicht einmal in ihren
üblen Taten sind sie groß, weil diese von einem
schwachen Selbstwertgefühl motiviert waren.
Die
Alternative ist, dass man einfach gerade denkt und die naheliegendste
Erklärung wählt. Bei einem Sadisten ist die naheliegendste
Erklärung für seinen Sadismus die, dass er eben
sadistisch ist. Bei einem Serienfremdgänger die, dass
er eben sexsüchtig ist. Es ist unverständlich,
was das Gerede vom „schwachen Selbstwertgefühl“
zu diesen Erklärungen noch dazugeben soll. Umso interessanter
ist es, dass diese umständliche Erklärung an den
Haaren herbeigezogen wird. Was steckt dahinter? Eine Verherrlichung
von Menschen, die langfristige Beziehungen leben, als starke
Charaktere?
6.
(Alle) Männer sind Scheißkerle
Unhinterfragtes
Vorurteil: Koidl sagt nicht, alle Männer seien Scheißkerle,
wenn er auch mal sagt, es gebe deutlich mehr gute Frauen
als gute Männer (S. 12). Aber das Buch ist durchaus
so geschrieben, dass sich jeder Mann, der es liest, gemeint
fühlen könnte, und dass jede Frau, die es liest,
von ihren eigenen Erfahrungen mit Männern auf alle
Männer schließen könnte.
Möglichkeiten
der Hinterfragung: Wenn man ein wenig zurücktritt,
um sich zu wundern, könnte man sich fragen, warum hier
ein Mann seine Geschlechtsgenossen als „Scheißkerle“
verunglimpft. Aber Koidl verrät sich an einer Stelle,
an der er, im Zusammenhang der Vater-Tochter-Thematik, sagt:
„Selbstverständlich gibt es auch „vergessene
Söhne“, die jedoch auch Gründen des Themas
dieses Buches hier außer Betracht bleiben“ (S.
134). Will sagen: Das Buch heißt „Scheißkerle“,
also mussten auch Scheißkerle in das Buch hinein.
Eine ausgewogene Darstellung wäre gewissermaßen
aus Sicht des Zwecks, den das Buch verfolgt, einer Themenverfehlung
gleichgekommen.
Aber
was drängt sich einem auf, wenn man diesen Reigen von
Frauen, die nach langfristigen Beziehungen suchen, und Männern,
die sie betrügen, in Koidls Buch beobachtet? Man erinnert
sich an die Erfahrung, dass ja nicht alle Männer von
den Frauen begehrt und als Beziehungs- oder Sexpartner gewählt
werden. Das hat Konsequenzen, denn um ein Scheißkerl
werden zu können, ist Grundvoraussetzung, zuerst einmal
in eine Beziehung mit einer Frau zu kommen.
Was
nun, wenn die Frauen von allen Männern nur einen kleinen
Teil begehren? Sagen wir, alle Frauen wollen nur 10% aller
Männer zum Partner haben. Dieses Gedankenspiel würde
alles ändern, ohne auch nur irgendetwas an den Einstellungen
und Handlungen der beteiligten Personen zu ändern.
Wenn
wir davon ausgehen, wie Koidl das unausgesprochen tut, das
alle Frauen und alle Männer von den in seinem Buch
ausgebreiteten Geschichten betroffen sind, dann erscheint
es so, als wollten Frauen nur ehrliche Beziehungen und als
seien Männer nur Scheißkerle. Wenn wir hingegen
davon ausgehen, dass sich alle Frauen nur um 10% aller Männer
schlagen, während die anderen für sie unsichtbar
bleiben, dann erscheint es so, dass die wenigen von den
Frauen begehrten Männer sich unter den Frauen die Rosinen
aussuchen können und die Frauen ihnen das übelnehmen,
weswegen sie ihnen als „Scheißkerle“ gelten.
Umgekehrt
würde unser Gedankenspiel natürlich auch nicht
bedeuten, dass die 90% der Männer, die von den Frauen
nicht begehrt werden, keine „Scheißkerle“
sind. Sie bringen es nur einfach nicht zum „Scheißkerlstatus“,
weil sie keine Freundin finden. Daraus folgt, dass das Buch
von vielen Männern gar nicht spricht, sie bleiben im
Dunkeln.
Weibliche
Werte beherrschen die Gesellschaft
Im
Vorigen habe ich einige Konzepte hinterfragt, die auf dem
Grund oder Fundament von Koidls Buch liegen und unhinterfragt
bleiben, weil der Autor und unsere Gesellschaft meinen,
dass sie klar und unproblematisch sind. Dazu gehört,
dass Frauen immer nur eine Beziehung wollen, die langfristig
ist, in der ein Vertrauensverhältnis herrscht und man
über alles offen reden (Kommunikation) kann.
Diese
Begriffe erscheinen deshalb klar und unproblematisch, weil
sie suggerieren, dass Menschen, die das wollen, nur ein
(verständliches) Grundbedürfnis befriedigen wollen,
nicht aber sich einen Vorteil gegenüber anderen verschaffen.
Wir denken also: Wer eine Beziehung eingeht, der will nur
nicht mehr allein sein. Und nicht: Wer eine Beziehung eingeht,
will sich über den „Partner“ Zugang zu
materiellen Ressourcen verschaffen, in der sozialen Hierarchie
aufsteigen und den „Partner“ durch fortwährend
Aufforderung zur Beziehungsarbeit disziplinieren.
Ziel
der Argumentationsstrategie von Koidl ist es, die Frauen
zu entschuldigen, indem er die Männer beschuldigt.
Das allein wäre noch nicht bemerkenswert, schließlich
wollte er den Frauen ein Buch verkaufen. Bemerkenswert ist,
dass die Werkzeuge dazu in Gestalt der unhinterfragten Begriffe,
von denen ich in diesem Text einige besprochen habe, schon
fertig sind und zum Gebrauch bereitliegen.
Das
bedeutet, man muss in unserer Gesellschaft heute gar nicht
mehr davon überzeugen, dass Männer Scheißkerle
und Frauen unschuldige Bambis sind, denn das ist in Konzepten
wie Beziehung, Sex nur innerhalb von Beziehungen, Vertrauen,
Kommunikation etc. bereits angelegt.
Am
auffälligsten ist dieses Phänomen beim Begriff
„Sex“, weil man an ihm sehen kann, dass sich
die weibliche Interpretation (Sex ist nur im Rahmen einer
Beziehung akzeptabel.) im öffentlichen Diskurs sogar
über den gesellschaftlichen Grundkonsens (Wenn beide
Partner einverstanden sind, ist Sex in Ordnung.) gelegt
und das Übergewicht über ihn gewonnen hat. Das
bedeutet: Was die Beziehungen zwischen den Geschlechtern
betrifft, haben die weiblichen Wertvorstellungen sich durchgesetzt
und beherrschen die gesamte Gesellschaft.
Aus
dem Grund muss ein Autor nicht mit Widerspruch rechnen,
wenn er Männer, die Sex mit mehreren Partnerinnen suchen
oder zu Prostituierten gehen, heruntermacht. In einer Gesellschaft,
in der in Bezug auf Sex die Verhandlungsethik obenauf wäre,
würde das nicht unwidersprochen bleiben.
Und
– warum suchen sich Frauen immer die Falschen aus?
Koidl
erklärt die unglückliche Partnerwahl der Frauen
damit, dass sie in ihrer Kindheit von ihren Vätern
zu wenig beachtet wurden. Im späteren Leben suchen
sie sich dann wiederum – infolge eines psychischen
Wiederholungszwangs – Männer, die sie nicht beachten
und um deren Aufmerksamkeit sie kämpfen müssen.
Diese Erklärung erfüllt wiederum Koidls Erklärungsziel
in diesem Buch: Die Männer sind an allem schuld; nur
sind es diesmal nicht die Partner, sondern die Väter.
Diese
Erklärung ist prinzipiell möglich, aber weit hergeholt
und umständlich. Es gibt auch einen direkteren Weg,
um zu erklären, warum Frauen auf Blender und Sadisten
„hereinfallen“. Koidl, der sich in seinem Buch
andauernd widerspricht, nennt ihn auch selbst: Frauen suchen
einen tollen Mann und Blender und Sadisten haben ein starkes
Selbstvertrauen und verstehen es blendend, sich zu verkaufen.
„Sadisten
werden von der Gesellschaft in gewisser Weise bewundert,
schlimmer noch, sie werden sogar von ihr gefürchtet.
Diese Ausstrahlung hat auf Frauen wiederum eine höchst
erotische Wirkung… […] Sadisten verstehen
es, als Sieger zu glänzen… […] Während
andere Männer schlicht als Waschlappen dastehen,
werden Frauen […] durch diese vermeintliche
Stärke von Sadisten angelockt. Sie haben das
Gefühl, einen durchsetzungsfähigen Mann
[…] gefunden zu haben.“
(Roman
Maria Koidl: Scheißkerle, S. 112-113)
|
Der
Nachteil dieser direkten Erklärung liegt natürlich
wiederum darin, dass er am Unschuldsimage der Frauen kratzt:
Frauen suchen sich einen Mann nicht einfach nur, um nicht
mehr einsam zu sein, sondern sie wollen einen durchsetzungsfähigen
Mann, um dadurch Vorteile für sich zu erlangen. Bambi
krallt sich einen Seeräuberkapitän und wird Piratenbraut,
wobei ihr wichtig ist, dass ihr Partner sich ihr gegenüber
wie ein perfekter Gentleman benimmt, während er nach
außen hin der Gesetzlose ist, der Handelsschiffe kapert.
Ein bisschen Realitätssinn sagt uns, dass diese Kombination
nicht funktionieren wird. Bestehen bleibt die Tatsache,
dass Frauen sich, wie Koidl sagt, von Sadisten erotisch
angezogen fühlen, weil sie stark erscheinen.
Koidl
sagt dasselbe auch in anderen Varianten, etwa so:
„Bei
einer Freundin beinhaltet der in aller Detailliertheit
ausgestaltete Lebenstraum ein Haus auf der Schwäbischen
Alb mit Mann, Kind und einem Mercedes „T-Modell“…
[…] Das viel realistischere Beziehungsmodell,
in dem ein Arbeitsloser die Kinder versorgt, während
Mutti in der Vorstandssitzung wirbelt, kommt in den
Träumen von Single-Frauen nicht vor… […]
Frauen suchen […] den Duft des Versorgers, nicht
den des Versagers.“
(Roman
Maria Koidl: Scheißkerle, S. 15) |
In
diesem Bild von einem Lebenstraum begegnet uns materieller
Wohlstand in Verbindung mit Beziehung (=Familie). Von wem
dieser materielle Wohlstand wohl kommt? Das fragt sich insbesondere
in Anbetracht des folgenden Kontrastbildes, bei dem wir
auch von materiellem Wohlstand ausgehen können, der
jedoch in diesem Fall von der Frau (als Vorstand eines Unternehmens)
erwirtschaftet wurde. Wobei das Kontrastbild, wie Koidl
uns aufklärt, von jungen Frauen abgelehnt wird.
Oder
so:
„Als
sehr präzisen Schlüsselreiz für ihre
Beziehungsstrategie formuliert sie [Mara aus Stuttgart,
eine 32-jährige Product-Managerin, Anm.] einen
hochgestellten Polohemdkragen. […] Das „Polohemd“
hatten jene Jungs im Gymnasium von Mara an, die aus
dem Milieu wohlhabender Stuttgarter Mittelstandsfamilien
kamen, in dem sie selbst aufgewachsen war.“
(Roman
Maria Koidl: Scheißkerle, S. 70) |
Hier
ersetzt das Polohemd als erotischer Reiz für die Frau
die Persönlichkeit des Mannes. Hintergrund ist die
soziale Hierarchie, in welcher der hochgestellte Polohemdkragen
die Zugehörigkeit zu einer bestimmten wohlhabenden
städtischen Bevölkerungsschicht zum Ausdruck bringt.
Die „Beziehungsstrategie“ von Mara zielt also
gar nicht auf eine Beziehung ab, sondern diese ist nur die
Eintrittskarte in den Club der wohlhabenden Stuttgarter,
der erotische Anziehungskraft auf sie ausübt.
Kosmetik
„Tatsächlich
gibt es nur wenige Frauen, die sich so, wie sie sind,
gut finden. Dieses selbstempfundene Defizit ist ein
Milliardengeschenk an die Kosmetik- und Modeindustrie,
an Weight-Watchers-Kurse, Botox-to-go-Shops und die
plastische Chirurgie.“
(Roman
Maria Koidl: Scheißkerle, S. 139) |
Auch
am Konsum von Kosmetikprodukten ist, nach Koidl, die Vater-Tochter-Beziehung
schuld, in der die Töchter zu wenig Aufmerksamkeit
erfahren. Möglich, aber: Warum nicht die direkte Erklärung
versuchen, dass Frauen sich durch Kosmetik einen Vorteil
im Leben verschaffen können? Kann man aus der Tatsache,
dass Frauen mit anderen Mitteln um soziale Vorteile kämpfen
als Männer, mit Mitteln, die (wie Beziehung, Kommunikation,
Kosmetik etc.) nicht so einfach als Waffen im Daseinskampf
erkennbar sind, ableiten, dass sie nicht auf ihren Vorteil
aus sind, dass sie friedliche Bambis sind, unfähig
zu jedem Zickenkrieg?
Schluss
- Argumentieren mit buzz words
Belassen
wir es dabei, sonst wird der Text noch länger. Ich
wollte ja auch nur zeigen, dass es möglich ist, dass
jemand Argumentationen vorbringt, die in zwei Sätzen
hinterfragt werden können (die also weder schwierig
noch undurchsichtig sind), und trotzdem in den Augen der
meisten Menschen recht behält – und zwar einfach
deshalb, weil die Gesellschaft seiner Meinung schon ist.
Denn
Koidl hat ja nichts anderes getan als herrschende gesellschaftliche
Vorurteile zu übernehmen. Und es gibt natürlich
nichts Stärkeres, auf dem man sein Haus bauen kann,
als auf dem, was die Gesellschaft für wahr hält.
Die Wahrheit muss demgegenüber immer den Kürzeren
ziehen.
In
dem Zusammenhang erinnere ich mich immer wieder an Jörg
Haider, dem man hohe rhetorische Fähigkeiten zugesprochen
hat. Ich selbst habe ihn immer als rhetorisch ziemlich schlecht
empfunden, weil er mich nicht überzeugt hat. Aber seine
Anhänger konnte er freilich überzeugen, indem
er einfach bestimmte „buzz words“, bestimmte
„Summwörter“ verwendet hat, die allen im
Kopf rumsummen.
Es
gib gewisse Wörter, die als unhinterfragte Voraussetzungen
am Anfang von Argumentationsketten liegen und den menschlichen
Verstand gewissermaßen kurzschließen: Indem
man sie akzeptiert, werden bestimmte Folgerungen unausweichlich
und eine Alternative ist nicht mehr vorstellbar. Beim Philosophieren
muss man deshalb immer ganz am Anfang anfangen, das nennt
man „hinterfragen“.
|