Geschäftsmodell
Gesundheit
Wie
die Ökonomie ein Sozialsystem bedroht, in dem ökonomische
Elemente kaum vorkommen
Rezension
von Giovanni Maio: Geschäftsmodell Gesundheit.
Wie der Markt die Heilkunst abschafft. Suhrkamp, Berlin
2014. 165 Seiten.
Gleich
vorweg: Dies ist kein Buch, das Sie lehrt, mit dem Geschäftsmodell
Gesundheit Geld zu verdienen. Weder lernen Sie daraus, in
welche Aktien von Klinikbetreibern oder Pharmafirmen Sie
ihr Erspartes investieren können, noch welche Fortbildungen
Sie machen können, um sich im Gesundheitsbereich beruflich
selbstständig zu machen. Und das ist schade, denn wir
leben doch alle in einer Wirtschaftswelt und müssen
uns unser materielles Auskommen durch harte Arbeit erstreiten.
Doch die Ökonomie ist Giovanni Maio ein Graus, jedenfalls
wenn die Medizin es mit ihr zu tun bekommt. Dennoch sei
der Hinweis angebracht, dass der Buchtitel irreführend
ist und man einen besseren hätte wählen können.
Es
ist das ein Buch, das geeignet ist für Anfänger
der Philosophie, weil es nach einem einfachen Schema aufgebaut
ist, das sich leicht knacken lässt. Dieses Schema funktioniert
so:
1.
Saubere Aufteilung der Realität in Gut und Böse
2. Dämonisierung des Bösen
Das
Böse in diesem Buch ist natürlich die Ökonomie;
und ihre Dämonisierung geschieht dadurch, dass sie
böser als böse darstellt wird. Die Ökonomie
ist besonders fähig zum Bösen. In der Realität
gibt es schlauere und weniger schlaue Kapitalisten, aber
so ein dämonisiertes ökonomisches Denken, das
kann fast alles: alles durchrationalisieren, auf Effizienz
trimmen, Menschen überwachen, Beziehungen durch Verhaltensroutinen
ersetzen, uns unter Zeitdruck setzen und unsere Werte durch
subtilen Druck in ihr Gegenteil verkehren.
Die
Dämonisierung hat aber vor allem einen Zweck: Sie bewirkt,
dass wir den Dämon nur noch entsetzt anstarren und
nicht mehr hinterfragen, ob wirklich alles an ihm so böse
ist wie dargestellt. Wir hinterfragen nicht einmal, ob denn
auch wirklich alles zu ihm gehört, was ihm da zugeschrieben
wird.
„Die
zweite große Säule des Gesundheitsstrukturgesetzes
war die Umstellung des Entgeltsystems. Hatte bis dahin
jedes Krankenhaus seine eigenen Pflegesätze,
[…] sollten nunmehr für alle Krankenhäuser
einheitliche Pflegekosten festgelegt werden; dies
war der erste Schritt auf dem Weg zu einem Fallpauschalensystem.
[…] Fortsetzung dieser Politik und ein Paradigmenwechsel
war im Jahr 2003 die endgültige Einführung
der sogenannten DRGs, der Fallpauschalen für
die gesamte Medizin […] Die Finanzierung der
Krankenhäuser erfolgt seitdem nicht mehr wie
früher durch eine retrospektive Finanzierung,
also dadurch, dass erst nach der Behandlung die Kosten
festgestellt und ersetzt werden, sondern stattdessen
durch ein prospektive Finanzierung, also schon bevor
die Behandlung des Patienten begonnen hat. […]
Auf diese Weise sind die Krankenhäuser einer
betriebswirtschaftlichen Effizienz- und Wettbewerbslogik
unterworfen.“
(S. 16-17) |
Gut,
es gibt also diese DRGs, und die fordern beispielsweise,
dass nur eine DRG als Hauptdiagnose abgerechnet werden kann.
Was dazu führt, dass beispielsweise ein Patient, bei
dem man neben Steinen im Gallengang noch weitere in der
Gallenblase findet, nach der Entfernung des Steins aus dem
Gallengang vom Spital entlassen und vom Hausarzt neu eingewiesen
werden muss. Denn entfernt das Spital alle Steine auf einmal,
bekommt es aufgrund von DRG-Regelung nur denjenigen Eingriff
bezahlt, für den der Patient ursprünglich eingewiesen
worden ist, und das war der Stein im Gallengang (vgl. S.
34.).
Das
ist ein Beispiel für das Übergreifen der ökonomischen
auf die medizinische Logik, die Giovanni Maio in seinem
Buch wortreich beklagt.
„Die
Überführung der Medizin in einen Wirtschaftsbetrieb
bedeutet den Verlust all der Werte, die sich nicht
am Kalkül des Eigennutzes und der Gewinnmaximierung
orientieren.“ (S. 88) |
Aber
ich frage mich halt: Wenn die Krankenkasse bestimmte Leistungen
bezahlt und andere nicht – was hat das mit Ökonomie
zu tun? Würden wir ein zentral gelenktes System, das
bestimmt, was als Leistung gilt und welche Preise die verschiedenen
Leistungen haben, als ökonomisch bezeichnen? Nein,
wir würden es wohl eher für das Gegenteil von
ökonomisch halten, jedenfalls insofern wir „Ökonomie“
mit „Marktwirtschaft“ assoziieren. Die Phänomene,
die Giovanni Maio beschreibt, entstammen jedoch so gut wie
alle (mir ist keine Ausnahme aufgefallen) einer zentral
gelenkten Planwirtschaft.
Was
macht nun Maio anstatt seine zentralen theoretischen Annahmen
zu hinterfragen? Denn irgendwie muss er ja das Buch füllen.
Was er anstatt dessen macht, ist, dem Bösen einen ganzen
Strauß von Eigenschaften zuzuschreiben. Diese Eigenschaften
der Ökonomie sind natürlich alle ebenso böse
wie die Ökonomie selber, und sie werden von Maio parallelisiert.
Das bedeutet, sie kommen einander nicht ins Gehege, sondern
stehen alle nebeneinander auf Seiten des Bösen, und
ihnen gegenüber stehen ebenso viele Eigenschaften des
Guten, die von den bösen Eigenschaften gefährdet
werden.
Eine
solche Eigenschaft des Wesens des Ökonomischen ist
beispielsweise die standardisierte Dienstleistung, die dem
ärztlichen Gespräch gegenübersteht. Die Orientierung
am Gewinnstreben bedroht das Soziale, der Eigennutz den
Altruismus. Der Zeitdruck verunmöglicht den Beziehungsaufbau
zwischen Arzt und Patienten, rationale Automatismen gefährden
persönliche Entscheidungen, die Fixierung aufs Zählen
und Messen zerstört die ganzheitliche Wahrnehmung des
Patienten als ganzen Menschen. Medizin ist persönlicher
Kontakt, Ökonomie dagegen Entpersonalisierung. Der
Vertrag ist die Verneinung der Moral, die Eigenverantwortung
des Patienten bürdet diesem die Schuld für seinen
Gesundheitszustand auf. Das Streben nach Effizienz führt
zur Vorenthaltung von Behandlungen bei Patienten mit schlechten
Prognosen, und die allseits geforderte Nützlichkeit
der Medizin führt nur dazu, dass den Patienten „Therapien“
verkauft werden, die diese gar nicht brauchen. Etc., etc.
Es wäre
eine schöne Übung, falls Sie sich die Arbeit machen
wollen, das Buch durchzugehen und dabei alle Gegenüberstellungen
von Eigenschaften des Guten und des Bösen zu suchen
und sie in Gestalt einer Liste mit zwei Spalten zu notieren.
Als
Argumentationsstrategie ist diese Methode des Parallelisierens
von schlechten Eigenschaften jedoch nicht besonders tauglich.
Sie zwingt einen nämlich dazu, dass man einzelne Phänomene
eindeutig zuordnen und als rein gut oder böse deklarieren
muss, was sie aber oft nicht sind. So muss Maio dann eben
doch zugeben, dass die Medizin den Hang zum Zählen
und Messen nicht erst von der Ökonomie bekommen hat,
sondern ihn schon früher für sich übernahm,
als sie begann, sich als angewandte Naturwissenschaft zu
verstehen:
„Schon
seit dem 19 Jahrhundert versteht sich die Medizin
vornehmlich als angewandte Naturwissenschaft, der
es ja dadurch schon um das Verdinglichen, um den Ersatz
des Mitfühlens durch den Messwert ging. Erst
dieses verinnerlichte naturwissenschaftliche Paradigma
hat die Medizin anfällig werden lassen, sich
der nächsten Ideologie, nämlich der Ökonomie,
ganz zu übergeben.“ (S 66.) |
Wenn
man sich umgekehrt vor Augen führt, wie Maio die medizinische
Behandlung als jeweils singulären Einzelfall ansehen
möchte, der durch nichts anderes als durch die Beziehung
zwischen Arzt und Patient sowie durch die professionelle
Erfahrung des Arztes bestimmt sein kann, dann kann man sich
gut vorstellen, wie ein Arzt mit einer solchen Grundeinstellung
leicht auch mit der Medizin als Naturwissenschaft in Konflikt
kommen kann.
Denn
Wissenschaft bedeutet letztlich eben doch nicht, dass man
geschult wird, um nach Abschluss seiner Ausbildung vernünftig
und autonom entscheiden zu können, sondern es bedeutet,
dass man in einen sozialen Bereich eintritt, der sehr stark
von Regeln bestimmt ist, denen man folgen muss. In der Medizin
sind das heute etwa die „Evidence Based Medicine“
(EBM) oder die Guidelines für verschiedene Krankheitsentitäten,
die von medizinischen Gesellschaften herausgegeben werden.
Maio aber will sich die Entscheidungshoheit des einzelnen
Arztes nicht nehmen lassen:
„Grundmoment
einer jeden Behandlung ist doch gerade, dass man sich
der unverwechselbaren Person zuwendet und eine Therapieentscheidung
fällt, die eben nur für diese Person die
geeignete ist und die deshalb nicht eine Therapie
von der Stange sein kann. Diese unabdingbare Ausrichtung
auf den Einzelfall birgt jedoch aus Sicht der Ökonomie
die Gefahr der Ineffizienz und wird als störend
empfunden.“ (S.64) |
Mit
der Parallelisierung von Eigenschaften und ihrer Gegenüberstellung
als gute und böse kann man sich aber auch richtiggehend
vergaloppieren. Diesen Punkt erreicht Maio, wenn er den
Vertrag als unmoralisch bezeichnet und Ärzten, die
sich nach der Vertragslogik verhalten, das Arztsein rundweg
abspricht, weil sie nicht mehr länger die bedingungslose
Anwaltschaft für ihre Patienten übernähmen.
„Der
Vertrag geht folglich gerade nicht mit einer genuin
moralischen und persönlichen Verpflichtung einher.“
(S. 108)
„Wenn
allein die rechtlichen Regeln das Verhältnis
bestimmen, dann besteht keine persönliche Nähe
mehr und somit kein Bewusstsein der moralischen Verbundenheit;
es sind dann moralisch Fremde, die sich gegenübertreten.“
(ebd., S. 108)
„Die
Vertragspflicht zu erfüllen ist nicht wirklich
der Kern der Moral. Wenn man nämlich nur die
Pflichten erfüllt, die der Vertrag vorgibt, bleibt
die innere Motivation, etwas Gutes zu tun, auf der
Strecke.“ (S. 110)
„Die
Aufgabe des Ökonomen besteht darin, eine Motivationsstruktur
zu schaffen, die bewirken soll, dass die Funktionsfähigkeit
des Systems möglichst wenig von Moral und Gemeinsinn
abhängt. (S. 112)
|
Die
Argumentationsstrategie von Giovanni Maio an dieser Stelle
lässt sich beschreiben mit „das Kind mit dem
Bade ausschütten“. Wenn ich allerdings auf so
etwas hinweise, dann ist es nicht meine Absicht, das Recht
und die Ökonomie zu verteidigen. Recht und Ökonomie
sind keine freundlichen Phänomene, und das Zusammentreffen
mit ihnen kann schmerzhaft sein. Es ist aber problematisch,
Menschen, die sich nach den Regeln der geltenden Gesetze
verhalten, aus der Sicht eines noch anspruchsvolleren Standards
für das menschliche Zusammenlebens „unmoralisch“
zu nennen. Gewiss, in einem Gemeinwesen, das ausschließlich
aus Mutter Theresas besteht, würden Recht und Ökonomie
als moralisch minderwertig erscheinen. Aber
in einer solchen Gesellschaft leben wir nicht, und die Argumentation
von Maio gelangt an dieser Stelle hart an die Grenze zum
Realitätsverlust.
Lesen
Sie das Buch, und Sie werden fühlen, wie den Ärzten
durch ihre weißen Mäntel Engelsflügerl wachsen,
weil sie nur von Altruismus angetrieben sich um ihre Patienten
kümmern. Es erhebt sich also die Frage, ob der Anspruch
an das Niveau des menschlichen Zusammenlebens in Bezug auf
Verständigung, Kooperation und soziale Harmonie, den
Maio seiner Argumentation zugrundelegt, nicht bei weitem
zu hoch angesetzt ist? Schon im normalen Leben scheitert
Verständigung zwischen Menschen meistens, jedenfalls
in all den Fällen, die über Small Talk hinausgehen;
wir sind schlechte Zuhörer und unbeständige Begleiter
unserer Freunde. Und in der ärztlichen Beziehung soll
all das nun funktionieren, was außerhalb ihrer (auch)
nicht funktioniert?
An
dieser Stelle sei eine Warnung angebracht: Wenn jemand sich
gegen die Ökonomie stellt und lauthals behauptet, seine
Argumente seien völlig unökonomisch, muss das
längst nicht der Fall sein. Es kann genauso gut sein,
dass die offen dargestellte Wirtschaftsfeindlichkeit in
Wirklichkeit den eigenen ökonomischen Interessen (oder
denen der eigenen Gruppe) dient.
„Für
den Dienst am anderen angemessen bezahlt zu werden
muss eine Selbstverständlichkeit sein, an die
man nicht bei jeder therapeutischen Entscheidung denken
muss.“ (S. 118)
„Kurzum:
Für die effektive Behandlung von ernsthaft kranken
und chronisch kranken Menschen bedarf es einer Kombination
von Evidenz und Beziehung. Dass es diese Kombination
bereits möglichst früh im Studium und später
in der Weiterbildung zu erlernen und erfahren gilt,
versteht sich von selbst, aber es muss auch finanziell
belohnt werden, wenn man eine Beziehungsmedizin lebt.“
(S. 151)
|
Giovanni
Maio will also, dass die Ärzte finanziell belohnt werden,
wenn sie ihren altruistischen Trieben folgen – und
diesen folgen sie in erster Linie aus dem Grund, wie Maio
nicht müde wird zu versichern, weil sie ihre berufliche
Tätigkeit andernfalls nicht als sinnvoll ansehen könnten.
Aber
das ist nicht Giovann Maios einziges Motiv. Er will auch,
dass die Ärzte mehr Zeit haben und vom Klinikzeitplan
nicht so sehr gehetzt werden, wie das jetzt der Fall ist.
Er will auch, dass sie von den Krankenkassen nicht länger
mit Anfragen belästigt werden, die schriftlich zu beantworten
sind. Was ihn aber am meisten zu wurmen scheint, ist jenes
Phänomen, das im Buch bisweilen unter Stichwörtern
wie „Deprofessionalisierung“ oder „Herabwürdigung
der ärztlichen Qualität“ auftaucht:
„Und
dieses Praxisverständnis macht eine reflektierende
Urteilskraft notwendig, die nicht aufgehen kann in
einer reinen Regelbefolgung, gerade weil ärztliches
Handeln letzten Endes eine Kunstfertigkeit
darstellt, die nicht restlos formalisierbar ist.“
(S. 73) |
Also
es geht ihm darum, dass die Ärzte in einem Klinikbetrieb
durch die zunehmend standardisierten Behandlungsmethoden
nicht austauschbar gemacht werden. Sie sollen diesen äußerlichen
Zwängen gegenüber ihre Autonomie und Entscheidungshoheit
in Therapiefragen behalten. Diese Autonomie des Arztes beruht
seiner Meinung nach sachlich darauf, dass im Umgang mit
Patienten auch sehr viel implizites, nicht mess- und planbares
Wissen zur Anwendung kommt. Und diese ungreifbaren Elemente
ärztlichen Handelns sollten ausreichen, um zu verhindern,
dass der Arzt - durch die Standardisierung der Behandlungsabläufe
im Krankenhaus - von außen gesteuert wird.
So könnte
man das zumindest sehen; man kann es aber auch so sehen,
dass er den Ärzten eine angenehme Arbeitsumgebung erhalten
(oder zurückerstreiten) will. Aber wer hat denn noch
einen gemütlichen Job in unserer heutigen Welt?
Wie
dem auch sei, aus Giovanni Maios Buch Geschäftsmodell
Gesundheit lässt sich wenig über die Wirklichkeit
lernen. Wenn man die Realität verstehen will, darf
man sich von Maios Gerede über die Ökonomie, die
das ärztliche Handeln bedrohe, nicht irreführen
lassen, sondern muss sich danach fragen, wie denn die gegenwärtige
Situation wirklich ist. Und wenn wir das tun, dann sehen
wir, dass wir es beim Gesundheitssystem mit einem System
von hochgradig organisierten und interagierenden Körperschaften
zu tun haben, die von der Realität wirtschaftlichen
Austauchs relativ weit entfernt sind. Wenn es denn stimmt,
wie Maio an verschiedenen Stellen versichert, dass der Patient
vor allem als Person behandelt werden und eine individuelle
Behandlung bekommen will, dann wäre doch eigentlich
sogar ein wenig mehr Ökonomie in der Medizin wünschenswert.
Denn dann wären das Gespräch zwischen Arzt und
Patienten und die persönliche Begleitung des Patienten
durch den Arzt genau jene Werte, die für den Patienten
als Kunden wirklich zählen. Und in der Ökonomie
zählen eben jene Werte, die für den Kunden zählen.
„Im
Zuge der exzessiven Ökonomisierung erleben wir
insofern einen besorgniserregenden Trend zur Herabsetzung
des Arztberufs, im Zuge dessen wegrationalisiert wird,
was der Patient sich vor allem anderen wünscht:
als Person gesehen zu werden, die eine individuelle
Behandlung erfährt, und nicht nur als Träger
objektiver Zeichen, die standardisiert durchgeschleust
werden.“ (S 77) |
Das
Problem im Gesundheitssystem ist aber, dass der Patient
gar nicht sein Kunde ist. Das Krankenhaus verkauft seine
Leistungen nicht an die Patienten, sondern an die Krankenkassen
– und dort sitzen Beamte, die sich eine abstrakte
Vorstellung von Krankheit und von der Natur des ärztlichen
Handelns machen. Für diese Beamten – ebenso wie
für die Gesundheitspolitiker – gleicht die ärztliche
Behandlung eher einer Reparatur von Menschen. Dementsprechend
werden auch die finanziellen Anreize in Richtung Reparaturaktivitäten
gelenkt (invasive Eingriffe statt ärztliches Gespräch).
Wie
man das Gesundheitssystem und sein Anreizsystem verbessert,
da bin ich überfragt. Aber ich möchte ja auch
nur sagen, dass es nicht Ökonomie ist, wenn irgendwo
ein Mensch sitzt und die Regeln für andere macht, deren
Situation er nicht kennt und deren Schicksal ihn nicht betrifft.
Und
das gilt auch für den Fall, dass diesem Menschen –
oder dieser Gruppe von Menschen – einfallen sollte,
dass ab nun gespart werden müsse oder dass die Krankenhäuser
miteinander konkurrieren sollten. Sparen
wird gemeinhin mit Ökonomie assoziiert, aber Sparen
ist nicht per se ökonomisch; ebenso wie auf der anderen
Seite Verschwendung, auch wenn sie als unökonomisch
gilt, dennoch zum Phänomen der Wirtschaft gehört.
Sparen und Verschwenden sind einfach zwei unterschiedliche
wirtschaftliche Verhaltensmöglichkeiten. Auf dieselbe
Weise ist eine Monopolstellung ebenso ein wirtschaftliches
Phänomen wie ihr Gegenteil, der Konkurrenzkampf. Lasst
euch also von den Wörtern und dem, was sie zu sagen
scheinen, nicht irren!
Der
Untertitel des Buchs lautet: „Wie der Markt die Heilkunst
abschafft“ – aber es sind gar nicht die Auswirkungen
des Marktes, mit denen es Maio in seinem Buch zu tun hat,
sondern die die Folgen von politischen und bürokratischen
Entscheidungen.
Das
eigentliche Problem ist nicht im Eingriff des ökonomischen
Denkens in das ärztliche Handeln und in die Krankenhäuser
zu finden, sondern es liegt in einem öffentlichen Gesundheitssystem,
in dem die Kosten schneller gewachsen sind als die Einkünfte,
weswegen sich politisch Verantwortlichen dazu genötigt
sahen, etwas zu bremsen. Die in den Institutionen dieses
Gesundheitssystems Tätigen sahen in der Folge, dass
es enger wurde, dass Freiräume schwanden, die finanziellen
Mittel abnahmen und der Druck dafür zunahm –
und sie interpretiertten diese Veränderung als "Ökonomisierung".
Das tat auch Giovanni Maio, und sein Buch Geschäftsmodell
Gesundheit ist weniger ein Plädoyer für eine
„Beziehungsmedizin“ als eines dafür, dass
die Politik dem bestehenden Gesundheitssystem wiederum mehr
finanzielle Mittel zukommen lässt
Was
ich jedoch insgesamt mit dieser Rezension zum Ausdruck bringen
möchte, ist, dass grundlegende Fähigkeiten in
Philosophie dazu gut sein sollten, um eine solche allzu
„einfach gestrickte“ Argumentationsstrategie
zu zerpflücken und nicht auf sie hereinzufallen.
Giovanni
Maio ist übrigens Arzt und Professor für Philosophie,
nämlich für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg. Warum uns der Herr Professor in seinem Buch Geschäftsmodell
Gesundheit eine Argumentation vorlegt, die geradezu
als Paradebeispiel dafür dienen kann, wie man philosophisch
nicht gut argumentiert, weiß ich nicht.
3.
Juni 2016
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